Die Oberarmmanschetten

Er gab dem Unterkabelführer das Formular seiner Vorprogrammierung unterschrieben zurück. Durch Falschaussagen konnte man noch auf Holzwege locken. Erst mal den Job kriegen, dann kann man immer noch sehen. Diese Vorprogrammierung war sicher wieder eines der Weiterbildungsmaßnahmen der Regierung vom großen Arschloch. Bei Weigerung würde der Extra-Urlaubstag für nächstes Jahr wegfallen. Bis die Jungs von der Prinzipien-Dienstleistungs-Gewerkschaft - PDG - ihm das durchfechten könnten, dürfte schon der eine oder andere Bonuspunkt verloren gegangen sein.

Vielleicht sollte man eine neue Fibel für die unverantwortlichen Mitarbeiter, die mitverantwortlichen Untergebenen, die Unterverantwortlichen herausgeben. Gegeben war eine offensichtliche Schlitzohrigkeit, umgeben von einer scheinschwangeren Dickhäutigkeit. Dünnbäuchigkeit war nicht gerade chic in Oberarschlochs Reich. Schadenfreude machte es, da zuzuschauen. Dickbäuchige Schlitzohren der untergeordnetsten Sorte waren aufgeweicht, indifferent und herrlich national; Selbstkritik brauchte man hier nicht zu fürchten.

Er entwertete einige Felder des oberarschigen Monatsbillet und fuhr ins oberarschige Konsum- und Ausstattungszentrum, um ein paar Billets zu verplempern. Er fand es lästig, dieses monatliche Anprobieren von Oberarschhemden und Oberarmmanschetten bis hin zu den gängigen Erzeugnissen des Audio- und Videomarktes. Körbeweise stapelten sich die Videospiele und große Kleiderbehälter versperrten ihm die ohnehin schmale Aussicht auf eine triste und entwurzelte Landschaft suburbaner Verödung.

Vorprogrammierung hatte in dieser Zeit eine ganz andere Bedeutung. Man kannte das Hauptprogramm von Ober-Arschloch nicht, er hatte es aus dem Verkehr ziehen lassen, damit es nicht raubkopiert würde. Die monatlichen Fragebögen zur Gutgläubigkeit waren klein gerastert. Die Kleinrasterei bahnte laut Hackerorgan Rast´aus ungeahnte Wege den Verbraucherschutz auszutricksen.


Zum Glück hatte er nur noch sechs Besuche im MED-SAT-Center und zwölf Einheiten Freizeit abzureißen. Wenigstens das durfte man noch selbst. Leider mußte er sich immer von diesem penetranten Controller ablochen lassen, aber als selbstständiger Arbeitsloser nahm er das in Kauf. Selbst aber ständig. Vom Ich zum Selbst gab es jetzt als Bausatz!

Das Oberarschloch, wer war das überhaupt? Vielleicht er selbst? Er begann insgeheim wieder mit dieser gefährlichen Tätigkeit, auf verschiedenen Ebenen selbstständig zu denken. Die Jungs vom Informatikkommando waren ja letzten Monat erst da gewesen. Es galt jetzt nur noch den Unterkabelführer einmal durch die Wohnung zu führen, ohne daß er die Stelle bemerkte, wo der Hauptkanal angezapft und nur notdürftig überklebt war. Insgeheim hatte er so ca. 6000 Stunden aus dem Seitenkanal abgezapft und ließ das Material von seinem Computer auswerten.

Schwerwiegende Konsequenzen würde es nach sich ziehen, wenn er sich unvorsichtigerweise dem Unterwerfungsritual widersetzte. Einmal ins DVD-Fach kucken lassen, ok. Einmal die Kanalbenutzereinheiten ablesen lassen, und beim Rausgehen noch die obligatorischen Zwei-Finger-hinterm-Ohr, was soviel hieß wie: Wir tanzen hier nicht aus den Teigen, dem Oberarschloch ganz zu eigen. Zwangsfreie Zweckoption nannte man das. Dann hatte er wieder für sechs Monate Ruhe. Der Ableser nickte kotzbrockig und kritzelte Zahlen auf sein Formular. Eine Durchschrift ließ er da. Die Datumsangabe war 31. März 2020.
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geschrieben 1982 - Hamburg
doktor digitalis
 



 
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