Die Prüfung

3,50 Stern(e) 2 Bewertungen

sylvanamaria

Mitglied
Es geschah anno Domini 1773.
Die Pest raste durch das Land und verwüstete ganze Landstriche. Mensch wie Vieh stöhnte unter der Last und suchte erbarmen. Doch Gott schenkte der geknechteten Menschheit keine Gnade, denn ihre Schuld war groß. In seinem Namen wurde Tag für Tag, Monat für Monat der Hexenwahn weitergetrieben, die Scheiterhaufen brannten, die Schreie der Opfer steigen gegen den Himmel, denn selten gab der Henker die Barmherzigkeit des Schwertes oder Strickes.
Auf dem Marktplatz drängten sich die Schaulustigen: reiche Bürgerfrauen in pelzverbrämten Mänteln, Kinder mit gaffenden Mündern, Bauersfrauen in ihren grobwollenden Kleidern mit blaugefrorenen Händen, Adlige in ihren Kutschen, die edlen nervösen Pferde von den Lakaien gehalten. Das klare Winterwetter mit seiner eisigen Kältre konnte der Schaulustigkeit keinen Abbruch tun. Weder Alter noch Stand spielten eine Rolle, um das Schauspiel zu genießen.
Die Verurteilte wurde auf einem Schinderkarren auf den Marktplatz gebracht. Der Scheiterhaufen prangte in der Mitte. Die Menge kam in Wallung. Schimpfworte flogen durch die Luft „ Hexe!“, „Balg des Teufels!“ “Buhle, Teufelsdirne!“ Der Marktplatz kochte über voll Emotionen.
Die Frau- besser gesagt das Mädchen-, denn ihr Alter mochte die zwanzig kaum überschritten haben- schien davon nicht betroffen zu sein. Kein Mantel bedeckte die schlanke Gestalt, die nur mit dem Hexenkleid und dem Hexenhut verhüllt war. Ihre Schönheit von überirdischer Art war Anlass der Denunziation gewesen, denn nur der Teufel konnte nach Meinung der kirchlichen Sachverständigen als Schöpfer gelten, um die Versuchung darzustellen. Neid und Rachsucht bestimmten die Welt. Die Kälte schien ihr nichts anzuhaben. Keine Folternarben kennzeichneten ihr Gesicht und ihre Glieder, denn selbst die Folterknechte hatten es nicht gewagt, Hand an sie zu legen: aus Furcht, welcher Art ihre Schönheit wäre.
Die Wogen der Gefühle erreichten ihren Höhepunkt. Gierige Hände reckten sich dem Karren entgegen, um die Hexe zu fassen, Fetzen als Unheilsanwender zu erbeuten. Die begleitenden Büttel hatten Schwierigkeiten, Ordnung zu halten. Die Menge tobte. Der „Prozess“ hatte für genügend Aufsehen gesorgt.
Der Karren hatte die Richtstätte erreicht und das Mädchen wurde an den Pfahl gebunden. Keine Klage, kein Wort des Hasses drang über ihre Lippen, kein Flehen, keine Tränen. „Hexen können nicht weinen“ war als Beweis ausgelegt worden. Wie vielen anderen wurde auch ihr die Gnade des Schwertes oder Strickes verwehrt. „Lebendig brennen soll sie –die Hexe! Brennen – brennen –brennen!“ Gebt sie dem Teufel zurück!“
Fackeln wurden ins Holz geworfen, das getrocknet im Sommer, schnell Feuer fing und heiß aufloderte, um Nahrung zu suchen. Schlagartig verstummte jedwedes Geschrei oder Rufen. Kein Laut war mehr zu vernehmen, die Flammen hatten die Menge hypnotisch in ihren Bann gezogen: das Feuer als böser Gegenpart zum Guten in den Köpfen der Menschen. Das Knistern der Flammen beherrschte das Szenario. Gespenstisch zeichnete sich das Flammenspiel auf den Gesichtern ab und gab ihnen hässliche Fratzen als Ausdruck ihrer Gedanken.
Jeder fühlte, dass der Ablauf nicht dem vorangegangenen Richtspruch entsprach. Eigenartig laute Stille lag über dem Platz, die durch die eisig kalte Winterluft unterstrichen wurde. Das Mädchen war durch die Flammen sichtbar, als ob ein gläserner Vorhang sie vor der Menge schützen würde. Ihre Haare und ihr Kleid wehten im Luftstrom der gierigen Flammen, wurden von ihnen aber nicht angegriffen. Eine Macht, den Menschen unsichtbar, hielt ihre Hand über das Geschöpf, dem Gott einst das Recht auf Leben gab – durch Erschaffung aus einer Rippe.
Und eine Stimme hallte über die Köpfe der gelähmten Menschen hinweg: „Frevel, Frevel haben ihr begangen. Die Prüfung habe ihr nicht bestanden. Gnade und Barmherzigkeit sind verkümmert im Unkraut der Gier, Rachsucht, des Neides. Unschuld und Schönheit wurden zu Untugenden, die es zu verdammen gilt. Wehe über euch, denn Milde ist nicht angebracht. Die Gelegenheit der Buße und Reue wart schon einmal dieser Welt gegeben, doch wie habt ihr sie genutzt! .“
Die Flammen wuchsen schier ins Unermessliche und vollzogen das Urteil. Brennendes Fleisch, vermischt mit Asche- und Holzstücken, untermalt mit den Schreckensschreien der nunmehr panischen Menge, wirbelte durch die Luft. Der Gestank war unerträglich. Zurück blieb ein Pfahl mit einer einsamen Gestalt, deren Kleid im Dezemberwind flatterte und sich in das Gefieder einer Taube verwandelte.
Die Menschen hatten die Prüfung nicht bestanden.
 

jungeAutorin

Mitglied
Ausgezeichnet!

Eine sehr gute und spannende Geschichte. Bis auf einen oder zwei kleine Rechtschreibfehler, habe ich absolut nichts zu bemängeln. Dein Schreibstil ist gut durchdacht und sehr passend zu der Situation.
Auf jeden Fall hat die Geschichte die 8 verdient! Weiter so!

LG
 



 
Oben Unten