Die Reise

Jarolep

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Die Ankunft

Ein Gefühl zu Hause zu sein. Ein seltenes, fast nicht gekanntes. Als käme es aus einem anderen Leben. Ich schäme mich fast, dass ich so grundlos so glücklich bin. Vertraut kommt alles vor: Der Flughafen in Lissabon, wo wir vor fast einem Jahr in einem Café gesessen haben – als säßen wir gerade Mal vor fünf Minuten dort und sind nur kurz auf die Toilette gegangen, um dann an den Tisch wieder zurück zu kehren; die Inseln – als wären wir ja eigentlich die ganze Zeit schon hier gewesen. Komisch ist das menschliche Gedächtnis – es blendet die ganzen Monate und Jahre aus und bringt einen wieder an einen bestimmten Platz zurück, die Kontinuität vorgaukelnd. Diese Illusion vernebelt, beruhigt, macht irgendwie träge: man braucht nicht zu hetzen, im Versuch, etwas nachzuholen, was eigentlich schon längst vergangen ist. Es ist nicht vergangen – ist schon immer da gewesen. Ein süßes Gefühl, fern jeder Realität und doch so wunderbar und fast bis zur Schmerzgrenze real. Als laufe da ein Film, ein fantastischer, weil der Fantasie entsprungen, und du bist mittendrin und spielst eine Rolle. Und gleich stellt sich die Frage: ist nicht unser ganzer Leben ein solcher Film?

Lichter, bunte Lichter der Flughäfen, die Geschäftigkeit, nichts ist stabil, alles ist unterwegs, und auch du lässt dich mit diesem menschlichen Strom treiben. Wohin, weißt du nicht, willst es nicht wissen, bist von seltsamer Zuverlässigkeit erfüllt, die dir die Mühe erspart, Fragen zu stellen. Spürst, dass du endlich du selbst bist, gleichzeitig wohl wissend, dass es nur von kurzer Dauer ist, dass der wirkliche – aber auch wirkliche – Alltag doch nicht weit weg ist und du ihn nur hinter dir gelassen hast. Hast nur vom Gott oder Schicksal ein kleines Geschenk bekommen: die Möglichkeit, diesem Ruf zu folgen – dem Ruf, der immer in dir ist, gnadenlos, unausweichlich, unvermeidbar, fordernd und quälend. Ich weiß nicht, woher und warum dieser Ruf kommt, mich immer wieder einholt, diese Sehnsucht, dieser Wehmut, manchmal, wenn man auf einem Hügel steht und in den Himmel am Horizont schaut – verfließend, unendlich, fast unheimlich und bedrohend anmutend, manchmal, wenn man zu Hause sitzt und vor sich hin starrt. Ich habe aufgehört, die Frage nach der Herkunft dieses Gefühls zu stellen. Das sind eine schwere Last und eine Gnade zugleich. Ein Schicksal, vielleicht, – diese Unruhe, die immer weiter treibt und dich nur dann glücklich werden lässt, wenn du unterwegs bist.

… Als wir auf Horta ankamen, waren wir fix und fertig: schlaflose Nächte, Hektik, Flüge, Turbulenzen über dem Ozean, die einem den Gedanken über die Endlichkeit eines menschlichen Lebens bescheren, fast nichts gegessen. Und dann war plötzlich alles weg, bis auf die bevorstehende Fahrt zu Pico. Es war recht wechselhaft, fast stürmisch, und die See war unruhig. Aber die Crew der alten, klapprigen, aber irgendwie fast ehrwürdig anmutenden Fähre (was bei ihrer rostigen und verbeulten Erscheinung paradox klingen mag), die an einen hartgesottenen, aber heruntergekommenen Seemann erinnerte, der alles gesehen und mit Elan und Lebensgier mitgemacht hat, - die Crew war entspannt, und diese Entspannung übertrug sich auch auf uns und mündete sich in eine völlige Erschöpfung. Dann gesellte sich das Hungergefühl dazu, das wir vor lauter Aufregung nicht bemerkt haben. Plötzlich roch alles nach Fisch, nach Meer, kurz - nach Essen. Also gingen wir im „perfekten“ Zustand an Bord. Die Überfahrt dauerte eine knappe halbe Stunde. In Gesellschaft von alten Frauen und Männern, die auf Horta ihre Einkäufe getätigt haben oder aber mit uns von Lissabon geflogen sind, und mehreren Jugendlichen, wohl einer Schulklasse, laut und frech in ihren Versuchen, den wenigen Mädchen unter ihnen zu imponieren, wie die Jugendlichen halt alle und überall sind.

Eigentlich schade, dass ich zu müde war, um diese Fahrt mehr bewusst zu erleben. Es regnete, die See war grau, der Himmel war grau, die Wellen hoch. Etwas schwappte über das gut sechs Meter hohe zweistöckige Schiff über, was weniger nach Regenfluten aussah und verdächtig stark dem Seewasser ähnelte. Der Rest der Fahrt bestand aus Schaukeln und Neigen, mal nach vorne mal nach rechts und links. Komisch waren auch die alten Flugzeugsitze, die im Schiff als Sitzgelegenheit dienten – fast surreal, wie eigentlich so ziemlich alles. Vögel über die Wellenwogen, Stürmvögel, die den Sturm sichtlich und fast spürbar genossen haben.

Auf Pico brach der Himmel endgültig zusammen. Das, was aus ihm über uns ergoss, kann man nicht mehr Regen nennen - so muss die alttestamentliche Sintflut ausgesehen haben. Da wurden nicht nur der Himmel und die See grau, sondern auch die Luft, und man wunderte sich zuweilen, wie man in dieser Luft überhaupt noch atmen konnte. Wir waren beide nass, einfach nass, nicht durchnässt oder nass geworden, sondern schlicht nass, statisch, konstant und so selbstverständlich, als wäre es unser Normalzustand. Als wären wir die Meeressäuger, die eigentlich immer nass sind und nichts anderes als nass zu sein kennen.

Dann folgte ein kleiner Einkaufstripp in „Super merkado“, dann die Fahrt mit dem Auto durch die im Regen untergehende Insel.

Abends konnten wir endlich was essen: ich kochte mir einen ganzen Topf voll Meeresfrüchten, mehr von der Irrationalität des Hungers getrieben und nicht aus Liebe zu Muscheln. Aß natürlich nicht alles: in Erwartung, bis dieses Monstrum vom Abendessen endlich fertig ist, futterte ich ein Brötchen und das halbe Glas schwarzer Oliven, die ich mit den Fingern sehr unfein aus demselbigen Glas fischte. Dann kam Whiskey als „Verdauungshilfe“ und eigentlich überflüssiges Schlafmittel dazu, und der Tag war gelaufen. Und wenn man dann so sitzt und das einfache, primitive Glück genießt, ja in vollen Zügen einatmet, endlich etwas gegessen zu haben und auf etwas Festem sitzen zu können, was nicht fliegt oder schaukelt oder holpert, dann glaubt man zu wissen, was Leben ist, dann wird alles, was außerhalb dieses engen Kreises elementarer Bedürfnisse liegt, plötzlich lächerlich: lächerliche Sorgen, lächerlicher Kummer, lächerliche Wehwehchen. Draußen gießt es, und der Ozean brüllt und raunt derart, dass man es sogar hier, auf dem Berg hören kann, und du sitzt im Trockenen und bist satt. Und das ist alles, was zählt. So einfach, so wahr, dass es dir von dieser Erkenntnis unheimlich wird…

Hemingway des 21. Jahrhunderts

Ich sitze in der von einer Leuchtstoffröhre beleuchteten Küche, deren künstliches Weiß mehr an ein Krankenhaus erinnert. Ich kann nicht sagen, dass es kalt ist, obwohl das Haus nicht geheizt wird. Draußen sind es vielleicht 15-17 Grad, doch sie fühlen sich warm an. Aber es ist feucht, und diese Feuchtigkeit kriecht einem unter die Haut. In meinem verzweifelten Versuch, dieser Feuchtigkeit zu entrinnen, habe ich mich in eine Decke gehüllt, die ebenfalls feucht ist. Zigaretten. Halbwarmer Kaffee mit dem ungewöhnlichen, etwas dünnen Geschmack. Draußen ist noch dunkel. Ich tippele in meinen Laptop. Hemingway des 21. Jahrhunderts.

Vorhin habe ich vorsichtig aus der Tür gelugt. Es war windstill, kein Regen. Nur der zerborstene Himmel und die hilflos blinzelnden Sterne erinnerten an den gestrigen Putschversuch der Natur.

Der Batteriestand des Laptops fällt. Mir bleiben nur 2 Stunden. Ich weiß, dass es weniger sein werden. Klingt irgendwie schicksalhaft.

Es wird allmählich heller. Nicht, dass die Sonne aufgeht. Auf dieser Seite der Insel geht die Sonne nie auf. Nur ihre Strahlen hinter dem mächtigen Vulkan deuten auf einen neuen Tag hin. Zaghaft und mühevoll emporsteigend, werden sie sofort vom Schatten des Berges verschlungen.

Ich gehe nach draußen. Weit unten liegt das Meer. Der Himmel über dem Meer ist klar und fast rührend rosa. Der Vulkan hinter mir hat sich mürrisch hinter eine dicke Nebelwand verkrochen und lässt sich nicht blicken. Ist er einfach so schüchtern oder ist er böse? In sein Geheimnis werde ich wohl nie eingeweiht. Ich blicke lieber nach vorne, aufs Meer. Mir kommen die Tränen. Wie gerne würde ich mich selbst davon überzeugen, dass es der Wind ist, der die Augen tränen lässt. Aber es ist nicht so. Es ist wieder dieser Ruf der Ferne. Diese Sehnsucht. Es ist wie eine alte Wunde, die nicht heilen will. Kein scharfer Schmerz, aber immer wiederkehrend. Ziehend. Quälend. Ich weiß nicht mehr, von wem oder durch was sie mir zugefügt wurde. Aber sie will nicht vernarben. Das dünne Häutchen reißt jedes Mal, wenn ich in die Ferne blicke. Ich weiß, dass ich bald hier weg muss, nach Hause. Ich weiß, dass ich hier bleiben will und mir ein neues Zuhause suchen will. Ich kann gegen dieses Gefühl, gegen mich selbst nicht mehr länger ankämpfen. Ich weiß, was dann kommen wird, wenn ich bleibe und mir einbilde, endlich zu Hause zu sein. Enttäuschung, gefolgt von Verzweiflung. Wieder suchen, wieder finden, wieder glauben…Aber vielleicht nicht, dieses Mal nicht, nicht mehr… Blödsinn.

Dann fällt mir ein, dass es eigentlich Karwoche ist. Ein scheinbar ungewöhnlicher Gedankensprung. Aber die Karwoche bedeutet ja eigentlich die Revision der Werte. Den Weg, der zum Ziel geworden ist. Wird unser Weg hier diesmal auch so verlaufen: von Euphorie zum Verrat, über das Kreuz zur Erkenntnis? Mich schaudert. Aber jeder muss wohl seine eigene Karwoche durchleben, durchleiden.

Die Batterie ist fast leer. Wie lange noch wird die stumme, gleichgültig folgsame Maschine meine Überlegungen ertragen? Warum? Warum ich?

Ich gehe in den Garten. Alles blüht und wächst, und grünt. Hier auf der Insel fängt nichts an, hört nichts auf. Es ist auch kein Gefühl der Ewigkeit. Nein, nicht ewig ist hier alles, aber immerwährend, unermüdlich im Kommen und Gehen, und Zurückkehren.

Der ganze Tag verläuft unter dem Zeichen des Sturms. Es regnet wieder. Wir fahren aber trotzdem zur Küste und werden mit einem gewaltigen Naturschauspiel belohnt. Die meterhohe Wellen, Spritzen, Schaum. Wie ein Riese wälzt sich und atmet der Ozean.

Nachmittags kommt Marion, unsere Vermieterin, und bringt uns einen Osterkorb: „Eine kleine Osterüberraschung“. Ein anderes Wort als „Süß“ fällt mir dabei nicht ein. Die beiden, Marion und ihr Mann Fred, haben sich von Deutschland losgesagt. Aber der Osterkorb ist da. Wie viel Heimat muss sein?

Stille. Schweigen, schweigen, schweigen. Nichts sagen. Nur das Kerzenlicht.

Die Möwen sind da. Das muss heißen, dass der Sturm sich legt. In der Nacht kommen wohl die Gagaras.

Keine Worte. Keine Gedanken. Nichts. Leer. Schemen. Das andere Leben, das vorher gewesen sein muss. Das Gefühl zu wissen, was kommen wird. Zu wissen, weil schon einmal da gewesen. Schon einmal erlebt. Die dunklen Erinnerungen, eine Ahnung, vielleicht sogar eine Vorahnung. Vertraut und fremd. Bedrohlich und heimelig.

Der Laptop lädt seine Batterie. Vom Netz, EU-Steckdose. Alles wie gewohnt. Das blaue Leuchten des Bildschirms. Hemingway des 21. Jahrhunderts.

Aber es ändert sich nichts. Nicht wirklich. Nur, dass es Laptop statt Papier ist. Vergänglich, wie alle Datenträger, ob greifbar oder imaginär. Aber das Gefühl der Sehnsucht ist das gleiche. Die Bilder, die vorbei ziehen, hat man schon einmal gesehen. Die Gedanken, die einen heimsuchen, hat man schon einmal gehabt. Alles ist wiederkehrend. Immerwährend.

„The legends never die“ – Aufschrift auf einem T-Shirt.

Adegas

Gründonnerstag. An diesem Tag war eigentlich nichts Besonderes passiert. Nichts, was mich auf irgendwelche philosophische Gedanken gebracht hätte. Behördengänge, eine Wanderung zum Meer, ein Versuch zu baden, der uns fast das Leben gekostet hätte, und eine enge Bekanntschaft mit den Weinadegas. Alles sehr bodenständig, kein Freiraum für erhabene Träume.

Vormittag. Strahlend blauer Himmel. Sogar Pico zeigte sich in seiner vollen Pracht. Allerdings - dieser Berg ist tatsächlich schüchtern, wie ein Mädchen aus dem romantischen 19. Jahrhundert - trug er dabei eine weiße Wolkenkappe, hinter der sich auch die Sonne versteckte. Irgendwie war alles an diesem Morgen schüchtern. Ich musste wieder daran denken, wie gleißend hell hier das Sonnenlicht ist. Sogar hinter den Wolken, sogar beim strömenden Regen – die Sonne scheint immer und lässt es auch unmissverständlich wissen.

Wir fahren über die Estrada regional durch kleine Dörfer, die sich an die Küste und aneinander reihen, nach Madalena. Ab und zu trifft man auf Insulaner – wie heißen sie eigentlich, Picolaner? – die entweder zu Fuß oder in ihren Pickups unterwegs sind. Mir fällt auf, dass sie hier andere Augen haben, und das ist es, was sie von den Menschen auf dem Festland unterscheidet. Durch Sonnenlicht ist die dunkle Augenfarbe ausgeblichen und hat sich ins seltsame Gelb verwandelt. Durch den Wind sind ihre Augen ständig gerötet. Die gesamte Erscheinung lässt an wunderliche Katzen denken, mit eindringlichen, fast immer lachenden und, wie es bei den Katzen so ist, leuchtenden Augen.

Gegen Mittag sind wir bei Fred und Marion in der Ferienwohnung. Der Tag ist noch lang, das Wetter bleibt strahlend schön und wir beschließen, wandern zu gehen. Unterwegs zum Meer ändert sich das Wetter schlagartig, und dunkle Wolken ziehen an. So tief, dass man sie fast anfassen kann. Man wandert quasi durch die Wolken, wenn nicht über die Wolken. Nur sind sie nicht flauschig weiß, wie man es in Filmen über Engel sieht, sondern rau-grau. Und feucht-kalt.

Wir kommen an die Stelle, wo man theoretisch baden kann. „Naturschwimmbecken“, wie Marion es gesagt hat. Ich erkenne den Platz wieder – nachdem sich eine der vielen Wellen zurückgezogen hat und das „Becken“ endlich frei gemacht hat. Hier haben wir im letzten Sommer gebadet. Jetzt sieht dieser Ort weniger einladend aus.

Auf der Suche nach einer Stelle, die mehr fürs Baden geeignet ist, gehen wir die Küstenstraße entlang. Eine Adegastraße. Schon bald treffen wir auf einen Weinbauer, der seine Weinstöcke pflegt. Jakob fragt ihn, mehr mit Händen und Füßen, wo man hier baden kann. Die Antwort ist ein Blick, der uns weismacht, dass wir nicht ganz bei Trost sind. Nun, das ist nicht Neues. Wie ein alter Soldat einer Spezialeinheit zeigt der ältere Mann mit dem Zeigefinger erst auf seine Augen, dann auf das Meer. Alles klar: gucken kann man, baden nicht. Wir bedanken uns bei dem freundlichen Herrn und biegen zum Meer ab. Und finden uns binnen Sekunden auf einer Klippe wieder, weit unten raunzt der Ozean. Wir wollen umkehren, drehen uns um und stoßen uns fast mit dem Bauer zusammen, der uns nachgelaufen haben muss (wohl um nachzusehen, ob wir nicht tatsächlich baden gegangen sind). Es folgt eine kurze Unterhaltung auf Portugiesisch und Deutsch, dabei versteht die jeweilige Seite natürlich nicht wirklich, was die andere sagt. Ich hebe den Daumen hoch, zeige auf das Meer: „Schön ist es bei euch hier“. Der Bauer grinst und schaut mich fast mitleidig an. Jakob zeigt, er wolle springen. Der Bauer hebt sein Bein zu einem Tritt (in den Hintern) an und gibt zu verstehen, er könne dabei gerne behilflich sein. Pause. „Angeln kann man hier auch“, - zeigt der Mann. Wir wollen nicht angeln. „Wollt ihr dann etwas trinken?“, - kommt die nächste Frage, bekräftigt durch das wohl internationale Klopfen am Hals. Warum nicht? Wir folgen ihm in seine Adega.

Ich weiß nicht, was wir getrunken haben. Etwas Undefinierbares: weder Wein noch Likör noch sonst etwas, was ich kenne. Wahrscheinlich eine lokale Spezialität. Jedenfalls beschlossen wir, nachdem wir uns von dem Mann endgültig verabschiedet haben, doch noch baden zu gehen.

Erst unfreiwillig, weil wir so ziemlich sofort von den Wellen erwischt wurden. Dann, weil schon sowieso nass, stiegen wir ins „Naturschwimmbecken“ herunter. Und die Monsterwelle kam. Von allen Seiten. Für eine Zeit, von der man nicht mehr sagen kann, wie kurz oder wie lang sie war, war alles nur noch Schaum und Sog. Ich versuchte mich an den Felsen festzuklammern, wurde weggerissen und fortgeschleppt. Der einzige Gedanke: nur nicht mit dem Kopf gegen den Stein. So ritt ich auf dem Hintern sitzend über die Welle, und die Welle ritt über mich. Dann endlich ließ die See wie ein verspielter Kampfhund von mir los und ich konnte wieder etwas sehen. Ich sah. Wie Jakobs Kopf unter der sich zurückziehenden Welle verschwand und wartete wie immer gelähmt ab, ob er wohl wieder auftaucht.

Jedenfalls kamen wir wieder ans Ufer. Erschüttert über das Erlebnis, gedankenleer. Alles, was ich noch weiß, ist, wie unglaublich warm die Lavasteine waren.

Auf dem Rückweg – wieder Adegabauern, diesmal Vater und Sohn. Wieder die Einladung zum Trinken, die gut gelegen kam.

Dann war der Tag gelaufen. Als wir schlafen gegangen sind, war es draußen noch hell…

Gedanken

Geisterinsel. Hier spukt´s.

Der Tag auf den Kopf gestellt. Morgens und Mittags – schlafen. Nachmittags spazieren gehen.

Schönes Wetter.

Immer mehr wundern mich jene Extremtouristen, die in extra dafür gekauften Boutiqueklamotten – unbedingt Khaki – strengen Blickes und strengen Geruch eines teueren Parfüms aus einem Duty-free Shop verströmend – losmarschieren, als würden sie in die Schlacht ums Leben und Tod ziehen. Die Schlacht gegen die Natur ist wohl dabei gemeint. Eine Schlacht, die im Vorfeld schon verloren ist. Und eigentlich keine Schlacht ist.

Man braucht nicht die ganze Nacht lang in einem Zelt am Meer auszuharren, um zu verstehen, was hier eigentlich läuft. Dafür reichen nur wenige Augenblicke. Die man genauso intensiv in Jeans erleben kann. Die Erinnerungen sind in einem trockenen Haus unter einer elektrischen Lampe genauso lebhaft und allgegenwärtig wie beim Licht einer Kerze. Und eine Digitalkamera, die ich immer dabei habe, mindert nicht die Qualität der „Naturverbundenheit“. Es gibt wohl eine Grenze, hinter der das Meiste irrelevant wird.

Man kann mich auch nicht glauben lassen, dass diese Touristen einen besonderen Adrenalinkick suchen, das Gefühl der Lebensgefahr lieben. Ich war in solchen Situationen. Da spürt man nichts Außerordentliches. Da verrichtet das Gehirn seine alltägliche Arbeit: Analyse, Synthese, Reaktion. Das es besonders lebens- oder sonst noch wie gefährlich war, wird einem erst im Nachhinein bewusst, wenn überhaupt. So gesehen, kann man diesen „Adrenalinkick“ auch im Büro zugenüge haben.

Festes Schuhwerk. Wer in komischen Leinenlatschen oder gar barfuss „zurück zur Natur“ zieht, der kommt nicht weit.

Das hier ist ein Spiel, ein gewaltiges, aber immerhin ein Spiel. Nur wer mitspielt und die Spielregeln kennt, hat eine Chance. Die Rollen sind verteilt. Unsere, die der Menschen, ist – kommen, sehen, staunen, gehen. Ehrfurcht, Fügsamkeit, Demut. Bloß keine falschen Bewegungen.

Wir haben die Macht. Die Macht zu bitten, die Macht, anzuklopfen. Wie Jesus es einmal sagte: „Wer bittet, dem wird gegeben. Wer anklopft, dem wird aufgemacht“. Oder umgekehrt. Jesus wusste das, was wir normalerweise nicht wissen, nicht wissen wollen oder schnell vergessen, weil es unbequem ist, sich selbst zuzugeben, nicht der Herr der Lage zu sein. Irgendwie bin ich heute zum Predigen aufgelegt. Aber es stimmt irgendwie schon, das Evangelium. „Werdet wie Kinder!“ – reines Herzens, zutraulich, offen fürs Neue, dankbar. Wenn man hier so steht, dann erschließt sich der wirkliche Sinn der Worte. Nur so kommt man weiter, wie Kinder, bittend, anklopfend. Dann öffnet sich die unsichtbare Pforte und du wirst ein Teil des Ganzen.

Heute ist mir aufgefallen, dass das Geräusch des Regens hier das gleiche ist wie in Deutschland, auch wenn der Regen hier auf eine Palme statt auf eine Tanne niederprasselt.

Augenblicke

Orangen klauen.

Die großen Agavas drehen sich wie die Satellitenschüssel zur Sonne.

Die besondere Art zu waschen: Wäsche trocken aufhängen, warten, bis der Regen kommt, warten, bis die Sonne kommt, Wäsche von der Leine abnehmen. Fertig.

Sonst nichts passiert. Sonne, Sonne, Sonne. Warm. Alles frisch wie im Juni. Viel Wind.

An der Küste eine schneeweiße Taube gesehen. Wunderschöner Anblick.

Die Pinien duften. Schade, dass die moderne Technik noch nicht soweit ist, die Gerüche und die Dufte festzuhalten.
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Jarolep,

habe Dein Reisetagebuch mit Interesse gelesen. Deine Gedanken sprechen mich an. Hast Recht: schon x-mal gedacht und doch jedesmal neu...

Allerdings fielen mir einige sprachliche Unstimmigkeiten auf. Viele Flüchtigkeitsfehler, viel zu viele "aber" - so, als hättest Du selbst keine Lust mehr gehabt, nochmal über den Text zu gehen, bevor Du ihn in die Lelu stelltest. Zuerst dachte ich, ich streiche alles an, was ich finde. Aber dann wusste ich, dass Du das selbst kannst, mich dafür nicht brauchst.

Einige Episoden Deiner Reise erschließen sich dem Leser nicht, denn der kennt weder die Gegend, in die dich Deine Reise führte, noch die Hintergründe derselben. Ist bei einem Tagebuch vielleicht auch nicht wichtig... Wichtiger ist für mich das "Sich-in-den-anderen-hineindenken", die fremden Gedanken nachzuvollziehen; sich bestätigt fühlen im eigenen Denken oder neue, weiterführende Aspekte zu entdecken.

Auf jeden Fall bin ich neugierig geworden auf Deine anderen Werke. Will sehen, ob sie sich von diesem stark unterscheiden...
 



 
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