Die Reise des Wolfes

BikeXdream

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Die Reise des Wolfes

Es kam ein harter, kalter Winter und der Wolf schaute in den tiefen, schwarzen Nachthimmel, in dem sich die Sterne wie weiße, kleine Staubkörner verfangen hatten.
Sein schwerer Atem stieß kleine Wolken in die klare Luft als der Mond mit einem blinzelnden, hellen und noch unscheinbaren Strahl über den Wipfeln der Bäume aufging.

Er schaute in die Runde der Seinen, um sich zu vergewissern dass es seiner Familie gut geht.
Alle schliefen ruhig, bis auf einige der Wölfe des Rudels, die zurzeit die Nachtwache hielten. Hier war alles so weit in Ordnung, so dass er sich keine Sorgen machen musste.
Abermals schaute er zum Mond, der nun schon die Hälfte seiner runden weiß strahlenden Scheibe in den nächtlichen Horizont reckte. Dabei verfiel er kurzzeitig in eine Art nachsinnender Starre, bevor er seinen Kopf senkte und mit traurigem Blick, langsamen Schrittes davon trottete.

Die Sehnsucht hatte ihn wieder gepackt, sein Weg führte in zu dem Felsenhügel, wo er schon so häufig mit sich, dem Mond und allen seinen Träumen alleine gewesen war.
Schon oft sahen die alten Eulen des Waldes die Silhouette des traurigen, auf dem Felsen sitzenden Wolfes in der strahlenden Scheibe des Mondes, die sich manchmal weiß wie der Schnee, manchmal aber auch rot glühend, wie das Lagerfeuer der durch die Wälder ziehenden Fallensteller, hinter ihm in den Nachthimmel erhob.
So auch in dieser Nacht.

Der Wolf dachte über sein Leben nach, über alles was er glaubte in seinem Leben versäumt zu haben. Er verfiel in den tiefsten Gründen seiner Seele in Selbstmitleid, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte. Er war hier, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte, nicht mehr zu Hause.
Die Angst das Alter würde ihn erbarmungslos überholen, bevor er sich selbst gefunden hat, trieb ihn in eine selbstmörderische Starre.
Er wollte diesen inneren Tod nicht sterben, und um diesen zu verhindern musste er seine verlorene Freiheit wieder erobern.

Er heulte den Mond an, um all seinen Kummer mit seinem gefrierenden Atem in die weite der Nacht, in die Unendlichkeit des Raumes zu schreien.
Manchmal sogar, wie auch in dieser Nacht, rann ihm eine Träne aus den Augen. Die Träne erfror schnell an den Haaren seines Felles und bildete einen im Mondlicht glänzenden, tropfenförmigen Juwel.

Seine heulenden Rufe drangen wie meist weit in das winterliche Land, doch dieses mal sollte er mit seinen Träumen und dem Mond nicht alleine bleiben.
Oft hörte er die Stimmen anderer Wölfe, doch niemals hatte er einen solch einstimmenden Klang in den Rufen seiner Artgenossen erkennen können, wie er es in dieser Nacht vernahm.
Es war eine Wölfin, die ihn mit dem Klang ihrer Stimme, mit den Erzählungen die in ihren Tönen lagen und der einfühlsamen Art die sie ausstrahlte, in ihren Bann zog.

In dieser Nacht saß er, trotz der eisigen Kälte viel länger als jemals zuvor auf dem Felsen und heulte in das Licht das Mondes, das ihm nun so warm erschien. Erst als der Mond hinter dem fernen Gebirge bald zu versinken drohte, verabschiedete er sich von der Wölfin und stapfte lange durch den tiefen Schnee, zurück zum Lager seines Rudels, welches er erst erreichte, als die Morgendämmerung am Horizont die Sterne zum erlöschen brachte. Dabei vermisste er die Stimme der Wölfin, bei deren Klang er sich geborgen fühlte.

Müde legte er sich in die noch warme Schlafkuhle seiner bereits erwachten Familie, ohne ihnen einen Blick zuzuwerfen.

Er wusste, dass er sich bald auf eine lange, ungewisse und gefährliche Reise begeben würde, um alle seine gefrorenen Tränen einzutauschen.



……… 18.02.2006 / © \ BikeXdream ………​
 



 
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