Die Reisekostenabrechnung, oder: Warum Controller immer einsam sind

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F. Alexander

Mitglied
„Morgähn"
Oh Gott, Börni kommt. Das kann nichts Gutes bedeuten. Börni ist unser Graf Zahl, will heißen, er ist unser Controller. So beliebt wie ein Zahnarztbesuch am Montagmorgen. Manche behaupten ernsthaft, anstelle seines Herzens habe er eine Kältemittelpumpe.
„Hömma, wir müssen ma kurz reden."
Mein hilfesuchender Blick zu meinen Mitarbeiterinnen geht ins Leere. Die beiden haben den kurzen Moment der Ablenkung benutzt und sind geflüchtet. Na ja.
Bald sind ja Leistungsbeurteilungen. Und ich habe ein gutes Gedächtnis.
„Börni, was gibts?", sage ich mit täuschend echter Freude in der Stimme.
„Kumma, Du, Deine Spesenabrechnung, ne ..."
„Ja?", frage ich mit gespielt freundlicher Neugier. Instinktiv greife ich nach dem metallenen Locher auf meinem Schreibtisch.
„Weisse, da müssen wir ma drüber reden, woll."
Börni ist Neusauerländer mit Migrationshintergrund, er kommt nämlich aus dem Ruhrgebiet. Aus Herne. Er gilt allerdings nach 20 Jahren als weitgehend integriert. Nur sein Fußballgeschmack isoliert ihn gelegentlich. In gewisser Weise teilen wir den ethnischen Hintergrund. Ich bin in zweiter Generation Zugereister, meine Großmutter kam aus Dortmund ins Sauerland.
„Du meinst meine letzte Spesenabrechnung? Die ich vor sieben Monaten eingereicht habe? Die ich eigentlich mit Inflationsaufschlag neu einreichen müsste?“
„Öh ... ja. Genau die.“
„Oh. Was ist denn damit?“
„Ja weisse, da gibbet getz ein kleines Problem.“
Wie auch schon die etwa sechsundfünfzig Mal vorher, als Börni „ma kurz drüber reden“ wollte.
Kurz ist für Börni als Zeitspanne ungefähr so dehnbar wie ein Zuchtbullenkondom. Es beschreibt die Zeit, die sein Gesprächspartner ohne nervöse Zuckungen übersteht.
„Was für ein Problem sollte es geben, das wir beide nicht durch einen kurzen Disput in entspannter Atmosphäre in zwei bis drei Stunden lösen könnten? So wie die sechsundfünfzig Male zuvor“, frage ich mit spotttriefender Stimme.
„Hä? Wat?“
Börni hat spottabweisendes Rasierwasser. Ich bin mir einhundert Prozent sicher.
„Börni, komm zum Punkt.“
Das ist Börnis eigentliches Problem. Er kommt nie zum Punkt. Weder zum G-Punkt (wie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit seine verflossene Exbüroliebschaft unter Einfluss mehrerer Tequila-Bumm auf der letzten Weihnachtsfeier verraten hat), noch zum Kern des Pudels. Ist vielleicht auch besser so. Börni wäre glatt fähig des Pudels Kern mit einer Tischkreissäge zu suchen.
„Wat bisse denn so agressiv?“
„Ich bin nicht a-gres-siv“, sage ich abgehackt und gepresst. Mühsam gelingt es mir, den bereits angenehm in der Hand liegenden Locher wieder unauffällig an seinen Platz zu stellen.
„Doch, Du bis heute ´nen bissken agressiv.“
Wäre es Mord? Bekäme ich mildernde Umstände? Bekäme ich die Bluflecken aus dem Nadelfilz in meinem Büro?
„Börni, wir reden seit sechs Monaten“, ich erdolche mit dem Finger meinen Kalender anstelle des Buchhalter des Teufels vor mir, „über diese Spesenabrechnung. Ich habe doch nun wirklich alles, aber auch wirklich alles getan, was nötig ist. Belege beigebracht, das Excelformular benutzt (das nebenbei schon zwei Außendienstmitarbeiter an den Rand des Nervenzusammenbruches getrieben hat), die Mietwagenrechnung in zweifacher Kopie nachgereicht und die Bewirtungsquittung neu ausstellen lassen. Was denn noch? Soll ich mit Blut unterschreiben?“
„Nee“, grinst Börni abwinkend. Obwohl ich ein gewisses lüsternes Funkeln in seinen Augen wahrnehme.
„Eigentlich wollte ich noch mal mit Dir über die Frühstückspauschale reden. Eigentlich steht Dir für Frankreich ja ein erhöhter Satz zu, aber nur wenn Du nachweisen kannst, dass im Hotelzimmer kein Bügeleisen vorhanden war.“
„Hä?“
„Ja. Laut Reiserichtlinien bist Du zur Kostenreduzierung verpflichtet. In ländlichen Gegenden wird erwartet, dass der Reisende die natürlichen Ressourcen nutzt und auf Jagd geht. Dafür hast Du ja schließlich den metallverstärkten Aktenkoffer gestellt bekommen. Und zubereiten kann man die Speisen prima auf dem Bügeleisen.“
„Börni, Du spinnst.“
Börni schaut mich beleidigt an.
„Mann, war doch nur Spaß“,
Börni macht sonst nie Spaß. Kann ich ahnen, dass er ausgerechnet jetzt seine humoristische Ader entdeckt hat?
„Okay, was ist denn nun mit der Spesenabrechnung?“
„Tja, weißt Du ...“
Eine unheilvolle, bedeutungsschwangere Pause entsteht.
„Ja?“, flüstere ich atemlos, Unheil und Pestilenz fürchtend.
„Deine Spesenabrechnung ...“, wieder dieses quälende Hinauszögern.
Meine Hände umkrampfen meine Schreibtischplatte. Schweiß bricht aus allen Poren. Angst dampft aus mir heraus.
Börni schnuppert kurz. Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht.
"Leide!", sagt sein Blick.
„Meine Spesenabrechnung ...?“.
Stumm flehen meine Augen um Erlösung. Sprich es endlich aus, Mensch, sprich es aus.
„Deine Spesenabrechnung ist älter als sechs Monate und kann deshalb nicht mehr genehmigt werden.“
Das Geräusch meines auf die Tischplatte schlagenden Kopfes geht im meckernden Gelächter Börnis unter.
Als ich wieder zu mir komme, meine ich einen leichten Schwefelgeruch in meinem Büro zu verspüren.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo F. Alexander,

hat mir gut gefallen, deine Geschichte. Aber ich habe noch ein paar Vorschläge. Kommen kurzfristig, muss mich erst in Ruhe mit dem Text auseinandersetzen.

LG bis dahin und "Weiter so", KaGeb
 

F. Alexander

Mitglied
Vielen Dank KaGeb und Valentine,

fürs Lesen und den aufmunternden Kommentar. Bin schon auf KaGebs
ausführliche Analyse gespannt.

lg
F. Alexander
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo F. Alexander,

Hast du schon einmal über ein öffentliches Auftreten nachgedacht? Loriot ist ja nun nicht mehr, und die Humor-/Satire-Sparte ist sonst derzeit eher dürftig besetzt, oder was meinst du?

LG,
Ofterdingen
 



 
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