Die Reste eines Sommers

J

Jasmin

Gast
Die Reste eines Sommers

Die Boysenbergs verbrachten im Sommer bei trockenem Wetter den ganzen Tag in ihren cremefarbenen, gepolsterten Liegestühlen vor ihrer Jugendstilvilla aus blassrosa Zuckerguss, neben dem ultramarinblauen, tröpfchenförmigen Swimmingpool.

Sie tranken ab mittags meerblaue und purpurrote Flüssigkeiten aus großen, bauchigen Kristallgläsern, hörten lebensfrohe, heitere Violinenmusik und planschten fröhlich im Wasser wie kleine, ausgelassene Kinder. Die Liegestühle standen immer an derselben Stelle auf dem makellosen Rasen, einer dicht neben dem anderen.

Als Luzie vor sieben Jahren achtzehn wurde, starben ihre Eltern bei einem Unfall. Man hörte, dass ein böser Unbekannter die Bremsen im Wagen ihres Vaters manipuliert hatte.

Die arme Luzie übernahm viel Geld, die rosa Villa und die Firma ihres Vaters.
Bald darauf machte ihr Herr Boysenberg, ein arbeitssüchtiger Angestellter ihres Vaters, einen Heiratsantrag.
Herr Boysenberg war damals immer stilvoll und elegant gekleidet, roch nach Zedernholz und rauchte eine Meerschaumpfeife.

Nach der standesamtlichen Trauung, bei der ich Trauzeuge gewesen war und Luzie ein langes Kleid aus weißer, belgischer Spitze samt Tüllschleier trug, übernahm Herr Boysenberg die Leitung der Firma und Luzie hieß fortan Frau Boysenberg.

Während Herr Boysenberg in der Firma war, führte Luzie Boysenberg ihren grauweißen Pudel Bozo spazieren oder wankte mit großen, bunten Tüten und Kartons beladen über den Rasen. Ich glaube, sie kaufte sämtliche Geschäfte leer, die schick und in waren.

Manchmal sah ich sie auch mit kurzen, engen Hosen, die goldblonden, glänzenden Haare zusammengebunden, durch unsere Straße laufen.
Herr Boysenberg kam mit der Zeit immer früher aus der Firma, bis er ganz zu Hause blieb. Ich erfuhr, dass er sich einen Computer gekauft hatte und nun alles von zu Hause aus regelte.

Die Boysenbergs waren immer allein, wenn man den Hund nicht mitrechnete. Sie bekamen nie Besuch und verließen selten das Haus. Auch schienen sie den ganzen Tag nichts zu essen, sondern tranken immer nur diese roten und blauen Flüssigkeiten.

Eines Morgens im Juni, die Korallenpfingstrosen im Garten der Boysenbergs blühten karminrot und der Tag verhieß warm zu werden, bemerkte ich, dass nur ein Liegestuhl auf dem Rasen stand. In diesem Liegestuhl lag Frau Boysenberg. Sie trug einen pinkfarbenen, schillernden zweiteiligen Badeanzug. Ihr Mann war nicht zu sehen.
In all den Jahren war das kein einziges Mal vorgekommen und ich wunderte mich sehr. Frau Boysenberg warf wie immer einen kleinen, roten Ball, den der Hund holen musste.
„Bozo, hol den Ball“, rief sie. Und Bozo holte den Ball.
Auch im Laufe des Tages erschien Herr Boysenberg nicht.

In den darauffolgenden Tagen sah ich Frau Boysenberg weder laufen, noch Tüten schleppen, noch den Hund ausführen. Auch trank sie keine roten und blauen Flüssigkeiten mehr.
Dann schlug das Wetter um, es wurde kalt und regnerisch und ich sah Frau Boysenberg eine Weile nicht mehr.

Eines Tages hielt ein Streifenwagen vor ihrer Tür. Ich sah Frau Boysenberg im Türrahmen, den kleinen Hund im Arm, die langen, blonden Haare offen in einer kurzen Hose, barfuss, die Beine verschränkt. Es regnete Bindfäden.

Nach kurzer Zeit verabschiedeten sich die Beamten. Der Ältere verbeugte sich ansatzweise. Frau Boysenberg hatte immer noch den Hund auf dem Arm und lächelte. Das konnte ich gut durch mein Fernglas sehen, obwohl meine Hände vor Aufregung zitterten.

Drei Tage später klingelte es an meiner Tür. Es war Frau Boysenberg in einem langen, schwarzen Samtkleid, den kleinen Hund auf dem Arm. Sie sagte, während sie den Hund anschaute, langsam und konzentriert, als ob sie meditierte:

„Mein Mann ist tot. Er ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.“

Ich zuckte zusammen und versuchte, ihr in die Augen zu blicken, aber sie starrte weiter auf den Hund. Ihr Gesicht wirkte blass und schmal und ihre Stimme leblos, so als gehöre sie nicht zu ihr.

„Die Beerdigung ist morgen nachmittag“, sagte sie.
„Wann ist es passiert?“, fragte ich, um einen sachlichen, neutralen Ton bemüht.
„Gestern,“ sagte sie leise und schaute aus dem Fenster, als erwarte sie jemanden.
„Mein herzliches Beileid“, sagte ich so höflich wie möglich und gab ihr die Hand. Ihre Hand war eiskalt und feucht.
Sie nahm den Hund auf den Arm und sagte:
„Auf Wiedersehen, Herr Sandmann.“

Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, stellte ich mich an mein Küchenfenster und schaute der zerbrechlichen Gestalt nach, die schlafwandlerisch über die Straße schwebte wie ein schlafender, schwarzer Engel und in ihrem Haus verschwand.
 



 
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