Die Schächtung

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habibi

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Die Schächtung


Der alte Kalauer auf dem T-Shirt des Engländers wiesen ihn als einen Neuankömmling aus. „Ich habe noch nie einen solch heißen Sommer erlebt, wie diesen Winter in Saudi Arabien“. Dass es heiß war an diesem 15. November, keine Frage. Vielleicht 38°C. Aber Jeddah war vergleichsweise angenehm, da das Meer nahe war und eine stete Prise wehte.
Was diesen Tag so besonders machte, war der Umstand, dass ein Ritual angesetzt war, dessen Sinn nur religiös begründet war. Ein Opfer sollte öffentlich zelebriert werden um Böses vom neuen Sheraton abzuwenden. Und das war auch dringend nötig.
Wir hatten vor einigen Monaten eine Brandstiftung am nahezu fertigen Hotelbau dem die unteren drei Etagen inklusive der Lobby, dem Küchentrakt und den Restaurants zum Opfer fiel. Da der Brandstifter nicht zu kurzfristig nicht zu eruieren war verkündete der lokale Branddirektor als Brandursache elektrischen Kurzschluß. Den Einspruch der angereisten Experten von Scotland Yard und der Deutschen Kriminalpolizei begegnete er, indem er die Experten für einen neuerlichen Brand verantwortlich machte, der während ihres Aufenthaltes gelöscht werden musste. Den Experten wurden 12 Stunden für ihre Abreise eingeräumt, dann müsste Anklage erhoben werden. Natürlich reisten die Experten ab, sie waren fassungslos. Argument des Branddirektors im kleinen Kreis: „wenn es ein Brandstifter war, dann verlangt der Prinz, dass ich den Schuldigen präsentiere. Und weil ich das nicht kann, so ist es Kurzschluß. Da gibt es keinen Schuldigen!“
Der Schaden war mühsam behoben, monatelang wurde die Einrichtung neu gefertigt, die Maschinen aus Europa neu geliefert. Die Versicherungsangelegenheiten waren erledigt, nicht ganz korrekt, aber nicht zum Nachteil des Eigners. Eine Überprüfung durch die Rückversichere war nicht möglich, ein kleiner Vorteil in diesem Land der begrenzten Freiheiten.
Bevor die offiziellen Einweihungsfeierlichkeiten stattfanden, wurden die religiösen Würdenträger befragt und diese legten das schon erwähnte Ritual fest. An jedem Eingang sollten Tiere geopfert werden. An den beiden Haupteingängen je eine Kuh und ein Kamel, an den Nebeneingängen und dem Personaleingang Schafe.
Die Tiere wurden am Vortag mit Pickups angeliefert und standen auf dem marmornen Vorplätzen. Ein absurde Anblick, blöckende und blubbernde Viecher, die auf den polierten Intarsienmarmor küttelten und schissen. Und die sich nicht zu bewegen trauten, da sie auf dem glatten Boden rutschten.
Am Tag des Opfers wurden sie den Vorgaben entsprechend verteilt. Das Schlachten begann gegen acht Uhr früh. Einige Saudis, die Metzger und fast die gesamte Arbeiterschaft der Baustelle, vorwiegend Europäer, insgesamt gegen 200 Menschen warteten auf die ungewohnte Vorstellung. Als aber dem Kamel der Hals nach hinten gebogen wurde, vier Mann waren dazu nötig, und der Schlächter mit einem etwa acht Zentimeter langen Messer unendlich langsam den Hals durchzuschneiden begann, da flüchteten schon viele der Zuschauer.
Der anwesenden Engländer in dem lächerlichen T-Shirt fluchte erbärmlich „.. und die behaupten, sie wären zivilisiert!“ „Aber sei doch still, sonst kriegen wir Ärger!“ Der aber ließ sich nicht beruhigen, schrie noch etwas über die „fucking idiots“ bevor ihn sein Kollege wegbrachte. Es rumorte unter den Europäern. Allgemein hatte man sich das Schächten anders vorgestellt. Als das Blut richtig floss, meinten viele, nun wäre der Akt vorbei. Aber das Tier zappelte und wand sich noch mindestens zehn Minuten, wurde allmählich langsamer und verendete mit einem längeren ruckartigen Zittern. Das Abziehen des Fells und das Verteilen des Fleisches an die anwesenden „Armen“ war ein wesentlich schnellerer Vorgang.
Die aufkommende Hitze erwärmte das Blut zu einem ungewohnten und unangenehmen Geruch. Einige Zuschauer erbrachen sich. Das schien andere dazu zu animieren, es ihnen gleich zu tun. Ein murrendes, stinkendes Chaos.
Als die Menge zum nächsten Haupteingang pilgerte, waren es schon wesentlich weniger. Eine Kuh sollte geschächtet werden. Der Vorgang war um Einiges schlimmer. Das Vieh wehrte sich wesentlich heftiger als das Kamel. Es war wohl auch gefährlicher mit seinen Hornstößen und den Tritten, das es in seiner Angst vollführte. Und der Todeskampf dauerte noch länger. Zumindest kam es einem so vor. Bis das Tier tot auf dem Hotelmarmor lag und das Fleisch verteilt war, waren fast keine Europäer mehr zu sehen. Das Interesse war vorbei.
Zu den Opferungen an den Nebeneingängen waren nur mehr einige Moslems zugegen, um das Fleisch für die Armen entgegen zu nehmen.
Obwohl der Boden kurz nach den Opferungen gesäubert wurde, die Blutflecken waren nicht mehr vollständig zu entfernen. Und der penetrante Geruch blieb noch Wochen. Die Leute, die dem Ganzen zugeschaut hatten, behaupteten auch nach Monaten noch, es stinke nach den Opfertieren.
Bleibt noch nachzutragen!
Zwei Wochen nach dem Ereignis war der Gestank an einem der Servicelifte nicht mehr auszuhalten. Alle Versuche, mit Desinfektionsmittel und Geruchsbindern eine erträgliche Atmosphäre zu schaffen scheiterten. Wir bauten die Aufzugskabine aus und entdeckten ein verwesendes Schaf im Aufzugsschacht. Es war eines der Opfertiere, das in seiner Panik in den Schacht gesprungen war und zwischen Kabine und Wand eingeklemmt verendet war. Den Veranstaltern war das entweder nicht aufgefallen, oder es war ihnen egal.
Auf das Resultat der Opferung, eine glückliche Zukunft des Hotels, hatte das aber keinen negativen Einfluss. Das Haus war über Jahre ausgebucht.
 

habibi

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Lieber Inu,
freut mich, dass dir die Schilderung gefallen hat. Die Wirklichkeit ist etwas schärfer, aber das wollte ich den Lesern nicht zumuten. Z.B. hat einer der Zuschauer ein geschächtetes Schaf mit einem Strick an der hinteren Stoßstange angebunden und hat es so hinten nach schleifend nach Hause gezogen. Er wollte sich seinen Kofferraum nicht beschmutzen. Das Schaf ist bei jeder Kurve weit ausholend auf die Gegenfahrbahn geschleudert. Das sah tatsächlich nicht lustig aus und war fast noch schlimmer als die Opferprozedur. Wie gesagt, es gab Unangenehmeres als in der Geschichte beschrieben. Bis zum nächsten Mal und Danke für die gute Bewertung.
Habibi
 



 
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