Die Schweiz im Garten (gelöscht)

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wüstenrose

Mitglied
Hallo Val Sidal,
gefällt mir sehr gut, gerade auch das nur Angedeutete, das den Text an verschiedenen Stellen kennzeichnet sowie das offene Ende. Es ist zu spüren, dass es eine "Geschichte" gibt, aber irgendwie ist es gut, dass wir (als Leser) uns mit diesen Bruchstücken begnügen.

Über eine Stelle bin ich bereits beim ersten Lesen gestolpert, du hast sie inzwischen verändert, für mich ist es noch immer die einzige Stelle im Text, die irgendwie "bremst", nicht ganz rund zu lesen ist. Ich mache einen (sicher nicht ausgereiften) Vorschlag, der in erster Linie dazu dienen soll, diese Stelle nochmal zu beleuchten.

[blue]Als kleiner Junge hatte er tausendmal Mama beim Schlachten zugesehen. Nie hatte es ein Huhn geschafft, ihr zu entkommen. Mama hatte immer alles fest im Griff. Aber sie war in Huelva. Sie hatte Miguel, der für Alba Star in Zürich zu tun hatte, gebeten, ihrem Sohn was Frisches zum Essen mitzunehmen. Ein Huhn. Mama – Rafael kamen die Tränen, so heftig schüttelte es ihn.[/blue]

lg wüstenrose
 

Val Sidal

Mitglied
Danke Doc für den Kommentar.
Das richtige Maß der Verdichtung einer Geschichte zu finden ist für mich eine große Herausforderung und immer ein sehr langwieriger Prozess. Mitunter liegt es an der von wüstenrose markierten Stelle ("Bremse"), dass sich die Story beim Lesen nicht in jedem Fall (wie auch immer) entfaltet. Der Text arbeitet noch in mir - mal sehen, im welchem Zustand er zu Ruhe kommt.

wüstenrose, es freut mich, dass dir der Text gefällt.
In der Tat: die Stelle war/ist problematisch, denn sie markiert den Höhepunkt der Rafael-Sequenz, liefert wichtige Details zur Figur, zu Rafaels Hintergrund, und Stoff, um Art und Ausmaß der Krise einordnen und Antwortoptionen auf Fragen, wie: "Was macht das Ereignis mit Rafael?", "Was hat das Blut-Erlebnis bei ihm ausgelöst?" usw., entwickeln zu können.
Für die Hervorhebung und deinen Vorschlag, den ich gerne übernehme, bin ich dir sehr dankbar; der Text in Blau zeigt, dass der Absatz auch dramaturgisch noch nicht in Ordnung war.

Ich versuche jetzt folgende Version:
Als kleiner Junge hatte er tausendmal Mama beim Schlachten zugesehen. Nie hatte es ein Huhn geschafft, ihr zu entkommen. Mama hatte immer alles fest im Griff. Sie hatte Miguel, der für Alba Star in Zürich zu tun hatte, gebeten, ihrem Sohn was Frisches aus Huelva mitzunehmen. Ein Huhn.
Jetzt ist es tot, Mama – Rafael kamen die Tränen, so heftig schüttelte es ihn.
Ich wäre euch für ein Feedback sehr dankbar.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Val, der Text SCHREIT nach einer Fortsetzung! Sonst schreibe ich selbst eine!

1. Sie flüchtet sofort aus dieser blutverschmierten Wohnung. Sie hat Angst. Ein Triebtäter, ein ....der ist gar nicht so nett, so harmlos!

2. Rafael kommt mit schüchternem Lächeln aus der Küche. Erklärt das viele Blut. Sie freut sich, dass er sich so viel Mühe gegeben hat. Hilft ihm die Sauerei wegzumachen und sie kochen gemeinsam zu Ende...

3. Wie 2, nur sie flüchtet trotzdem, weil sie seinen Einsatz für übertrieben hält...

4. Sie denkt, er hat einen fürchterlichen Mutterkomplex, will so kochen wie Mama. Dem ist sie nicht gewachsen und geht im Verlaufe des Abends.

5. ...

LG Doc
 

Val Sidal

Mitglied
Doc,

der Text SCHREIT nach einer Fortsetzung! Sonst schreibe ich selbst eine!
Ist das ein Angebot oder eine Drohung? <Lachen!>

Dir ist hoffentlich klar, dass das ein Riesenkompliment an den Text ist, oder?

Zu einer möglichen Fortsetzung:
1. Sie flüchtet sofort aus dieser blutverschmierten Wohnung. Sie hat Angst. Ein Triebtäter, ein ....der ist gar nicht so nett, so harmlos!
Genre: Thriller

2. Rafael kommt mit schüchternem Lächeln aus der Küche. Erklärt das viele Blut. Sie freut sich, dass er sich so viel Mühe gegeben hat. Hilft ihm die Sauerei wegzumachen und sie kochen gemeinsam zu Ende...
3. Wie 2, nur sie flüchtet trotzdem, weil sie seinen Einsatz für übertrieben hält...
Genre: Love story

4. Sie denkt, er hat einen fürchterlichen Mutterkomplex, will so kochen wie Mama. Dem ist sie nicht gewachsen und geht im Verlaufe des Abends.
Genre: Psycho-Thriller
Alle Variante drehbuchtauglich ...
Müsste dann ins Kurzgeschichten Forum transferiert werden...

Mal sehen...
Nochmals vielen Dank.
 

wüstenrose

Mitglied
Hi Val,
mein Eindruck nach intensivem Lesen: Mich überzeugt es so. Ein fertiger, abgeschlossener Text!
Über folgenden Satz dachte ich speziell nach:

Jetzt ist es tot, Mama – Rafael kamen die Tränen, so heftig schüttelte es ihn.
Das tote Huhn und Mama, beide nur durch ein Komma voneinander getrennt!? Davor und danach gehts in deinem Text doch vergleichweise übersichtlich und, wenn man die Puzzleteile etwas ordnet, eigentlich auch chronologisch zu. Hier aber: Assoziationen schießen gleichzeitig ein, vermischen sich, die Übersicht geht flöten, es bildet sich ein Assoziationsknäuel, dessen Eigenart das "Unsortierbare" ist.
Nach anfänglicher Skepsis diesem "Stilbruch" gegenüber überzeugt mich die Stelle nun mehr und mehr. Es ist eine Schlüsselstelle.

Der Autor will mit seinem Text sagen, dass...
Ach nee, ich glaub, so explizit willst du gar nichts sagen. Der Text bietet aber, wie schon zuvor erwähnt, reichlich Möglichkeiten, als Leser Spuren zu entdecken...
Mich freut es, dass dein Text so "vibriert", immer wieder bruchstückhafte Bilder vor meinem inneren Auge enstehen lässt, eine "Analyse" im eigentlichen Sinne reizt mich gar nicht.
Aber einen Aspekt will ich doch noch hervorheben, weil er mich ganz besonders anspricht:
Hier die moderne Welt des Web-Designers, der Anstrich einer "multikulturellen Identität", ein Potpourri aus zeitgemäßen Lebensentwürfen - - - und da das archaische Huelva, wo flexible Antworten nicht gefragt waren / sind, wo jeder Messerschnitt zu sitzen hat und kräftige, frische Nahrung hoch im Kurs steht.

Ich würde dir zutrauen, daraus jetzt noch eine gute Kurzgeschichte zu machen. Aber warum? Ist es nicht total schwierig, richtig gute Kurzprosa zu schreiben? Nur weil es eine "kleine Form" ist, sollte keiner auf die Idee kommen, diese Form von ihrer Wertigkeit her weiter unten anzusiedeln (ich weiß, Doc, so meintest du das nicht - aber ich finde halt, dass es gerade den Reiz der Kurzprosa ausmachen kann, wenn vieles im Stadium der Andeutung verharrt). Die Motive nicht auszusprechen, das finde ich persönlich sehr spannend!
Dein Text hat in mir Lust auf "mehr Kurzprosa" geweckt.
 

Val Sidal

Mitglied
wüstenrose,

glücklich kann sich ein Autor schätzen, der Leser wie dich findet. Deine Lesekompetenz, dein Einfühlungsvermögen und ästhetisches Empfinden beeindrucken mich zutiefst.
Während ich deinen Kommentar las, verfluchte ich die Leselupe, denn hättest du den Text irgendwo gedruckt gelesen, dabei die identischen Gedanken entwickelt, hätte ich davon nie etwas
erfahren - wie viel leichter wäre meine Position gewesen!
So treibt mich das Bedürfnis, meine Gedanken, Empfindungen, Entscheidungen, technischen Abwägungen -- insbesondere bzgl. der "Schlüsselstelle" -- mit dir zu teilen, sie zu diskutieren, an die Grenzen des Leichtsinns. Doch die Vernunft sagt mir: Ich würde kein Geheimnis verraten, sondern schlichtweg das Werk selbst. Dieser Preis wäre zu hoch.

Und es ist nicht das erste Mal. Schon dein Kommentar zu einem früheren Text ("Pochen") hatte eine ähnliche Wirkung bei mir gehabt. Verlegen hatte ich damals sowas wie "es freut mich, dass dich der Text erreicht hat" geantwortet. Es ist halt nicht leicht, seinem Leser so nah zu sein. Manchmal verfluche ich die Leselupe. Deswegen möchte ich sie nicht missen.

Zum Thema Weiterentwicklung der Geschichte -- du schreibst:
Ist es nicht total schwierig, richtig gute Kurzprosa zu schreiben?
Für mich ist "Kurzprosa" im Prosabereich das Schwerste überhaupt. Es ist kein Zufall, dass dieser Text erst mein zweiter Versuch in der LL ist, wobei beim ersten ("Bruder"), die Briefform bereits eine erhebliche Entschärfung der Situation brachte.

Nochmals vielen Dank für dein Kommentar.
 
hallo, val!

mir gefällt die grundidee dieser geschichte.

ein paar gedanken:

Kopflos rannte das Huhn aus der Küche, und Rafael ließ das Messer fallen. Aus dem gekürzten Hals schoss das Blut wie aus einem losgelassenen Gartenschlauch, rhythmisch, heiß wie ein Geysir. Obwohl er zusehen musste, wie das flüssige Organ über den hellblauen Teppichboden des Wohnzimmers verteilt wurde, musste er lachen – soviel Blut aus einem so kleinen Körper ...
schöner einstieg.
tipp:
"[strike]Obwohl er zusehen musste[/strike] [blue]Während er zusah[/blue], wie das flüssige Organ [red](ist blut ein organ?)[/red] [blue]sich[/blue] über den hellblauen Teppichboden des Wohnzimmers [blue]verteilte[/blue] ..."
oder:
"Obwohl er zusehen musste, wie das flüssige Organ [strike]über[/strike] den hellblauen Teppichboden des Wohnzimmers [strike]verteilt wurde[/strike] [blue]ruinierte, konnte er ein/das Lachen nicht vermeiden[/blue] ..."


Dann blieb das Tier plötzlich stehen. [strike]Als müsste es über die Richtung nachdenken, die es als Nächstes einschlagen sollte.[/strike] [blue](Als wäre es) Uneins(!) mit sich, welche Richtung es (als Nächstes) einschlagen sollte.[/blue] Rafael hielt den gefiederten Kopf in der Hand, hob ihn ein wenig, blickte in die runden, glasig erstarrten Augen und wischte sich den Schweiß von der Stirn: Du musst nicht nachdenken[blue],[/blue] Kleines, du landest im Kochtopf. Daraufhin fiel das Huhn neben dem gläsernen Couchtisch einfach um. Kein frisches Ei mehr zum Frühstück, dachte Rafael.
gut so.
mein vorschlag würde das doppelte nachdenken vermeiden und die ironie verstärken, falls so gewollt.

Als kleiner Junge hatte er [blue]Mama tausendmal[/blue] beim Schlachten zugesehen. Nie hatte es ein Huhn geschafft, ihr zu entkommen. Mama hatte immer alles fest im Griff. [blue]Bis zuletzt.[/blue] [strike]Sie hatte Miguel, der für Alba Star in Zürich zu tun hatte, gebeten, ihrem Sohn was Frisches aus Huelva mitzunehmen.[/strike] [blue]absatz[/blue]
[blue]Das Huhn. Jetzt ist es tot, Mama. Und ihm kamen die Tränen.[/blue]
hier wird es etwas unklar.
ich gehe mal davon aus, dass mama tot ist. entweder erst seit kurzem oder schon länger. vor ihrem tod schickte sie dem sohn per miguel und flugzeug ein lebendes huhn? das ist unwahrscheinlich - und der einschub generell unnötig.

[strike]Manchmal begegnete Diana dem schüchternen Web-Designer in der Firma.[/strike] [blue]Vor kurzem hatte er Diana kennengelernt. In der Firma, wo sie sich schon gelegentlich über den Weg gelaufen waren.[/blue] Sie fand Rafael nett. Seine braunen Augen. Sein weiches, sanftes Schwizerdütsch. [blue]absatz[/blue]
In einer Mittagspause saßen sie in der Cafeteria zufällig am selben Tisch. Vermisst du die spanische Küche nicht [blue](Ob er die spanische Küche nicht vermisse)[/blue], hatte sie ihn gefragt, und ob er mal was Spanisches kochen würde. [blue]absatz[/blue]
So hatte sie sich eingeladen. Alles sollte spanisch werden: feurig, scharf, mit Huhn, Wein, Flamenco und – wer weiß ...
die perspektive wechselt. man könnte das ein bisschen sanfter gestalten.

Am Samstagabend, im fünften Stock vor der Wohnung angekommen, fand sie die Tür einen Spalt geöffnet. Ein seltsames Knistern hallte im Treppenhaus nach: Popcorn auf spanische Art – Diana musste schmunzeln.
popcorn mag ich nicht. geschmackssache.

Sie trat ein und rief: Hallo, Rafael, ich bin da, bemerkte bald die Flecken auf dem Linoleumboden und dachte [blue](zuerst/zunächst)[/blue], der Kaffee wäre übergekocht. Ein Lämpchen am Ofen leuchtete. Das Knattern kam [strike]vom[/strike] [blue]von dem / von einem[/blue] großen Suppentopf auf der Herdplatte.

Im Wohnzimmer stockte ihr Atem beim Anblick der blutverschmierten Zeichen auf der weißen Tapete: Kreuze und Buchstaben. Die Klänge einer spanischen Gitarre übertönten jetzt das Knacken in der Küche.
Dann entdeckte sie den Kadaver des enthaupteten Huhns.
über das ende wurde ja schon gesprochen. mal sehen, was du daraus noch machst ;)

lg
 

Val Sidal

Mitglied
eenemenetekel,

danke für die außerordentlich intensiven Beschäftigung mit dem Text und für die wertvollen Vorschläge.
.
"[strike]Obwohl er zusehen musste [/strike][blue]Während er zusah, wie das flüssige Organ sich über den hellblauen Teppichboden des Wohnzimmers verteilte ...[/blue]"
… gefällt mir. Blut ist tatsächlich ein komplexes Organ – das größte überhaupt.
Dann blieb das Tier plötzlich stehen. [strike]Als müsste es über die Richtung nachdenken, die es als Nächstes einschlagen sollte.[/strike] [blue]Als wäre es Uneins mit sich[/blue], welche Richtung es einschlagen sollte.
… „Uneins“ – genial! Gekauft!
Als kleiner Junge hatte er [blue]Mama tausendmal[/blue] beim Schlachten zugesehen. Nie hatte es ein Huhn geschafft, ihr zu entkommen. Mama hatte immer alles fest im Griff. [blue]Bis zuletzt.[/blue] [strike]Sie hatte Miguel, der für Alba Star in Zürich zu tun hatte, gebeten, ihrem Sohn was Frisches aus Huelva mitzunehmen.[/strike] [blue]absatz[/blue]
[blue]Das Huhn. Jetzt ist es tot, Mama. Und ihm kamen die Tränen.[/blue]

vor ihrem tod schickte sie dem sohn per miguel und flugzeug ein lebendes huhn? das ist unwahrscheinlich - und der einschub generell unnötig.
… hier wird es problematisch.
Ob Mama tot ist oder nicht, die Passage braucht es m.M.n., um Rafael geographisch und kulturell zu orten. Die andalusische Bäuerin, die 12 Kinder durchbringen musste, denkt strategisch: „schick ihm ein Huhn, dann hat er immer frische Eier“. Sie hat keine Vorstellung von Geflügelhaltung in einer schweizer Hochhauswohnung.
(...)
In einer Mittagspause saßen sie in der Cafeteria zufällig am selben Tisch. Vermisst du die spanische Küche nicht (Ob er die spanische Küche nicht vermisse), hatte sie ihn gefragt,

die perspektive wechselt. man könnte das ein bisschen sanfter gestalten.
Stimmt, aber das sind zwei Stellen, bei denen ich deine Gedanken und Ideen noch auf mich wirken lassen muss.
Sie trat ein und rief: Hallo, Rafael, ich bin da, bemerkte bald die Flecken auf dem Linoleumboden und dachte [blue](zuerst/zunächst)[/blue], der Kaffee wäre übergekocht. Ein Lämpchen am Ofen leuchtete. Das Knattern kam vom [blue]von dem / von einem[/blue] großen Suppentopf auf der Herdplatte.
… klingt besser.

Nochmal vielen Dank für Deine Mühe mit dem Text.
 
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