Die Träumerin

Astrid

Mitglied
Die Träumerin

Ich sitze in der ersten Reihe. Auf das Konzert hatte ich mich schon lange gefreut, weil ich wusste, dass die Jungs gut sind. Bereits die ersten Töne schmeicheln meinen Ohren und ziehen mich in ihren Bann und –
der groß gewachsene Sänger und Gitarrist. Er hat ein rotes Tuch um den Kopf gebunden und im Nacken locker verknotet. Bei ihm gefällt mir sogar Rot.
Immer wieder schaut er zu mir. Wie er lacht. Wie er beim Singen lacht. Das geht direkt ins Herz. Und seine großen Hände…

Ich sitze in der ersten Reihe. Und ich verliebe mich in diesem Moment. Oder war es bereits der Moment davor? Ich verliebe mich schnell und häufig. In den Falschen, unglücklich – meist merkt der Angeschmachtete nichts davon. Egal, ich liebe allein dieses Gefühl, auf einer Wolke zu schweben, liebe das Kribbeln in meinem Bauch.

Aber heute könnte es anders sein. Wie er mich ansieht! Und ich habe diesen Jungen bei mir. Einen Freund meines Sohnes, der Gitarre spielt und fragen will, ob er mal zu einer Probe kommen kann. Wir würden ihn fragen, den Gitarristen mit den großen Händen, ich würde ihn fragen. Und selbstlos würde ich ihn zu der Probe begleiten. Gleiten – meine Gedanken gleiten davon.
Und er lächelt beim Singen und schaut zu mir. Das kann doch kein Zufall sein!

Meine Freundin kommt. Wie immer zu spät. Geräuschvoll lässt sie sich auf dem Platz links neben mir nieder, den ich ihr freigehalten habe. Dann klingelt auch noch ihr Handy. Mein Herz ist empört über diese Störung. Ich bin nicht böse, dass sie gleich nach dem Konzert wieder los muss. Sie ist sehr attraktiv. Und ich will ja noch wegen der Probe fragen.
Mit Herzklopfen arrangiere ich das und stehe schließlich neben dem Jungen, der dem Gitarristen etwas vorspielt. In diesem Moment entwickle ich tiefe Muttergefühle.
Er darf kommen. Wir dürfen kommen. Mein rechtes Ohrläppchen glüht, wie es das immer tut, wenn ich aufgeregt bin. Welch ein Tag. Ein Hoch auf die Schmetterlinge und Flugzeuge und roten Ohren!

Zwei Tage später, nach einem total verliebten Wochenende, bin ich mit meiner Freundin zum Kaffee verabredet. Vielleicht erzähle ich ihr davon? Eigentlich kann ich es gar nicht erwarten. Die Schmetterlinge sind aus meinem Bauch hochgeflogen und kitzeln meine Zunge. Gerade, als ich den Mund öffnen will, strahlt sie mich an und meint: „Ich muss dir etwas sagen. Mich hat es so erwischt wie schon lange nicht mehr! Das ganze Wochenende habe ich nur an ihn gedacht!“

Es würde also so werden wie immer, wir erzählen uns gegenseitig unsere „Lieben“ und ein paar Tage oder Wochen später, wenn wir uns erneut treffen, trösten wir einander, weil es wohl wieder einmal der Falsche war.

Noch in Gedanken frage ich: „Und, wer ist es?“
„Na der Sänger vom Freitag. Von dem Konzert! Sein Lachen hat mich völlig wahnsinnig gemacht. Wenn ich nur daran denke. Er hat doch die ganze Zeit zu mir rübergeschaut. Das muss dir doch aufgefallen sein? – Hallo! Hörst du mir überhaupt zu?“ fragt sie, weil ich nicht gleich antworte. Antworten kann, weil meine Schmetterlinge gestorben sind und ihre Leichen nun meinen Mund füllen. Ich muss schlucken. Immer wieder.

„Mir?“ sage ich schließlich nach gefühlten drei Stunden. „Nein, ich war mit meinen Gedanken wohl ganz woanders.“
„Ach du meine liebe Träumerin!“ sagt meine Freundin und streichelte meine Hand.

Ja, ich Träumerin.
 

Ivy

Mitglied
Hallo Astrid!

Eigentlich habe ich zunäscht nur eine Frage zum Text:
wenn der Sänger die Ganze Zeit in die selbe Richtung sieht, müssen die "Freundinnen" doch ziemlich nah gesessen haben...
Warum haben sie sich gegenseitig nicht bemerkt?
Zmindest diejenige, die (ein, zwei) Reihen hinter der Anderen säße, würde, meinem logischen Empfinden nach, doch diejenige etwas weiter vorne bemerken und erkennen, oder?

Liebe Grüße
Ivy
 

Astrid

Mitglied
Hallo Ivy,

du schreibst, zunächst hast du eine Frage zum Text, die du dann auch stellst. Wolltest du ursprünglich noch mehr schreiben?
Nun zu deiner Frage. Ich, die Protagonistin, sitzt in der ersten Reihe und der Sänger sieht sie an. Die Freundin kommt später, mitten im Konzert, setzt sich links neben sie auf den freigehaltenen Platz (habe ich auch geschrieben) und sie verliebt sich ebenfalls. Beide meinen, der Blick des Sängers galt der eigenen Person. Da sie nebeneinandersaßen...
Die Protagonistin weicht mit der Antwort, sie war wohl mit ihren Gedanken woanders ja nur aus, weil sie sich nicht die Blöße geben will, dass es auch sie erwischt hat. Schade, ich dachte eigentlich, das war zu verstehen.
Also falls nach deinem zunächst auch noch ein später kommt, frage mich...
Schönen Sonntag noch
Astrid
 



 
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