„Fertig”, rief Tim erleichtert und klappte sein Rechenheft zu. „Darf ich jetzt nach draußen zum Spielen?”
“Hast du deinen Schulranzen für morgen schon gepackt?“, fragte Mama.
„Mach ich heute abend“, rasch wollte Tim sich an seiner Mutter vorbei zur Haustür heraus mogeln. Doch Mama schien auch hinten Augen zu haben.
„Halt, hier geblieben, erst machst du, was ich dir gesagt habe.“ Schnell stopfte Tim die noch auf dem Küchentisch liegenden Bücher und sein Schreibmäppchen in die Schultasche, und stellte diese in den Flur unter die Garderobe. So wollte Mama es haben.
„Tschüüss, bis nachher“, Tim schlug die Haustür hinter sich zu.
„Sei bitte pünktlich um sechs zum Abendessen zurück und geh nicht zu nah an das Haus der alten Hilda heran“, rief seine Mutter ihm noch durch das offene Küchenfenster hinterher. „Du weißt, dass die nicht ganz richtig im Kopf ist.“
Ja, ja, dachte Tim, während er sich auf den Weg zu Martin machte. Martin war sein bester Freund und wie Tim acht Jahre alt. Die beiden waren schon seit dem Kindergarten unzertrennlich. Sie waren sogar Blutsbrüder. Doch das wusste Mama nicht, weil sie sonst bestimmt sehr böse geworden wäre. Nicht auszudenken, wenn sie gesehen hätte, wie er und Martin sich jeder am Arm ein Stück Haut mit einem Küchenmesser eingeritzt und die beiden Schnittstellen dann aneinandergepresst hatten. Genauso wie Winnetoo und Old Shatterhand.
Martin stand schon an der Einfahrt und wartete auf seinen Freund. Sie hatten heute nämlich etwas Aufregendes vor. Trotz Mamas Verbot wollten sie sich zum Haus der verrückten Hilda schleichen und heimlich durch ein Fenster schauen.
„Warum denken eigentlich immer alle Erwachsenen, dass die Hilda verrückt ist?“, überlegte Tim, während sie langsam die Strasse hinuntergingen.
„Ich weiß auch nicht“, Martin kickte einen Stein quer über den Weg.
„Meine Mutter sagt, in ihrem Haus würden komische Sachen geschehen.“
„Meinst du, es ist gefährlich, was wir vorhaben?“ fragend blickte Tim seinen Freund von der Seite an.
„Ach Quatsch, was soll denn schon passieren?“
Hildas Haus lag am Waldrand neben einem kleinen Weiher. Es war gelb angestrichen und hatte grüne Fensterläden. Aus dem Schornstein stieg eine weiße Rauchfahne empor. Lautlos, wie die Indianer schlichen die beiden Jungen auf das Haus zu und hockten sich schließlich unter eines der Fenster.
Vorsichtig schoben sie ihre Köpfe über den Rand des Fensterbretts und warfen einen Blick ins Innere des Hauses. An der linken Wand stand ein Schaukelstuhl, daneben ein Regal mit vielen kleinen braunen Fläschchen. In der gegenüberliegenden Ecke befand sich ein Kamin, in dem ein lustiges Feuer flackerte. Über dem Feuer schwang ein Kessel, aus dem es qualmte. Vor dem Kamin stand ein Sofa mit einem kleinen Tisch. Unter der Decke konnten Tim und Martin Holzbalken erkennen, an denen kleine grüne Sträußchen hingen.
„Das sieht ja aus wie in einem Hexenhäuschen“, flüsterte Martin. „Siehst du die alte Hilda?“ Tim schüttelte verneinend den Kopf.
„Was habt ihr denn hier zu suchen?“, erklang auf einmal eine laute Stimme hinter ihnen. Die beiden Jungen erschraken furchtbar und drehten sich um. Da stand sie vor ihnen, die alte Hilda, und schaute sie böse an. Ihr graues Haar war zu einem Knoten aufgesteckt und sie trug ein blaukariertes Kleid.
„Äh, ich...,äh wir haben ga gar nichts... “, stotterte Tim.
„Wir haben nichts Böses gemacht, wir wollten nur mal gucken, wie es in deinem Haus aussieht“, beendete Martin den Satz und stellte sich tapfer vor seinen Freund.
„Genau, was hast du denn da alles für komische Sachen in dem Zimmer?“, fragte Tim, der nun auch seinen Mut zurückgewonnen hatte und Martin beiseite schob.
Die verrückte Hilda sah auf einmal gar nicht mehr so furchterregend aus, ja, da war sogar ein kleines Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen.
„Und warum schleicht ihr dann hier draußen herum? Habt ihr nicht gelernt, wie man an einer Haustür anklopft? Na ja, dann kommt mal mit, ich habe gerade frische Kekse gebacken.“ Tim und Martin schauten sich ratlos an, folgten aber dann Hilda in ihr Haus.
Im Inneren roch es wirklich nach Keksen und den Jungen lief schon das Wasser im Mund zusammen. Während Hilda in der kleinen Küche verschwand, schauten sie sich im Zimmer um. Besonders interessant fanden sie all die braunen Fläschchen und Töpfchen, die sie schon von draußen gesehen hatten. Sie waren mit weißen Etiketten versehen, auf denen fremdartige Schriftzeichen standen.
Hilda kam mit einem Tablett zurück und stellte eine Schale mit Schokoladenplätzchen und drei Gläser Limonade auf den Tisch.
„Greift nur zu“, forderte sie die Jungen auf. Währen sie Kekse aßen und Limonade tranken, stellten sie Hilda viele Fragen, die diese bereitwillig beantwortete. Die kleinen grünen Sträußchen unter der Decke waren zum Beispiel Kräuter, die Hilda dazu verwendete, um Medizin herzustellen, die sie dann in den braunen Fläschchen aufbewahrte. Tim und Martin konnten überhaupt nicht verstehen, warum alle die alte Hilda mieden, denn verrückt war sie bestimmt nicht.
Sie verbrachten einen vergnüglichen Nachmittag in Hildas Haus, und als die Jungen schließlich gehen wollten, da nahm Hilda eines der kleinen Fläschchen aus dem Regal und schüttete eine grünliche Flüssigkeit in die Gläser der beiden.
„Trinkt das“, sagte sie, „dann werdet ihr morgen früh eine Überraschung erleben.“ Die Jungen, abendteuerlustig wie sie waren, konnten der Versuchung nicht widerstehen und leerten ihre Gläser in einem Zug. Es schmeckte ein bisschen wie Honig.
„Bitte, bitte sag uns doch, was es für eine Überraschung ist“, bettelte Tim, doch Hilda sagte, sie würde nichts verraten, sie würden es schon bald am nächsten Morgen merken.“
Die beiden Jungen verabschiedeten sich und versprachen bald wiederzukommen.
Tim ging an diesem Abend sogar freiwillig schlafen, seine Mutter brauchte ihn nicht wie sonst, zigmal aufzufordern. Er wollte einfach nur ganz schnell einschlafen, damit die Nacht vorüberging und er die Überraschung sehen würde. Am nächsten Morgen wachte Tim schon auf, bevor seiner Mutter in sein Zimmer kam, um ihn für die Schule zu wecken. Neugierig schaute er sich um, aber alles schien wie immer zu sein. Die Möbel und Spielsachen standen an ihrem gewohnten Platz und es war auch kein Paket zu sehen. Enttäuscht stieg Tim aus dem Bett. Mhm, vielleicht würde die Überraschung ja nachher mit der Post kommen.
Er ging über den Flur in Richtung Badezimmer, dabei streifte er die große Pflanze, die an der Wand stand.
„Aua, pass doch auf, du hast mir wehgetan“, ertönte es. Tim hielt an, die Stimme kam aus der Richtung, in der die Pflanze stand. Verdutzt schüttelte er den Kopf. Er musste sich wohl verhört haben.
„Du brauchst gar nicht so dumm zu schauen“, sagte die Stimme, „ich habe dich gemeint.“ Jetzt war Tim vollends verwirrt. Er stellte sich vor die Pflanze und fragte: „Hast du mit mir geredet?“
„Na klar, oder siehst du hier sonst noch irgendjemanden? Du hast mir meine Blätter umgeknickt, entschuldige dich gefälligst.“
„Tut mir leid“, Tim streichelte vorsichtig über die Pflanze, „soll nicht wieder vorkommen.“
„Tim, Frühstück ist fertig“, ertönte Mamas Stimme von unten.
„Ich muss mich beeilen, ich unterhalte mich später noch mal mit dir.“ Tim flitzte ins Badezimmer und erledigte Zähneputzen und Katzenwäsche im Schnelldurchlauf. Als er fertig angezogen die Treppe hinunterkam, wurde er von der Seite angesprochen: „Hey du“, sagte die große Palme, die im Flur stand,
„kannst du deiner Mutter nicht mal sagen, dass mir mein Topf zu eng ist, meine Wurzeln sind eingequetscht und tun mir schon richtig weh.“
„Klar, mach ich. Also, der Topf ist aber wirklich viel zu klein für dich.“
„Und wir haben Durst, wir sind schon seit Tagen nicht mehr gegossen worden“,
riefen die Birkenfeige und ein paar kleinere Pflanzen. „Schau nur, wie unsere Blätter traurig nach unten hängen.“
„Und ich brauche neue Erde,“ brummte der mächtige gelbe Kaktus, sodass seine stacheligen, fleischigen Blätter vibrierten..
„Keine Sorge“, versprach Tim, „ich kümmere mich darum.“ Während des Frühstücks erzählte er seiner Mutter, um was die Pflanzen ihn gebeten hatten. Natürlich verriet er nicht, dass sie es ihm persönlich gesagt hatten.
Auf seinem Schulweg vernahm er überall um sich herum ein Gewisper und Geflüster. Es waren aber so viele verschiedene Stimmen auf einmal, dass er sie nicht im Einzelnen verstehen konnte.
Tim war schon sehr gespannt, was Martin ihm berichten würde. Dieser kam ihm aufgeregt auf dem Schulhof entgegengelaufen. Auch er hatte sich zu Hause bereits mit sämtlichen Pflanzen unterhalten.
„Stell dir vor, sogar der alte Birnenbaum in unserem Garten hat mir viel Spaß in der Schule gewünscht“, lachte er.
Das war ja eine tolle Überraschung, die ihnen die alte Hilda da bereitet hatte.
„Vielleicht hat sie ja auch einen Trank, damit wir uns mit den Tieren unterhalten können“, überlegte Martin. Auf jeden Fall beschlossen die beiden Jungen, ihr Geheimnis niemandem zu verraten.
Am Abend waren Tims Eltern auf einer Geburtstagsfeier in der Nachbarschaft eingeladen. Da die Feier nur ein paar Häuser weiter stattfand, sollte Tim zum ersten Mal alleine zu Hause bleiben. Mama hatte ihm die Telefonnummer der Nachbarn auf einen Zettel geschrieben und ihm eine besonders lange Gutenachtgeschichte vorgelesen. Doch Tim konnte nicht einschlafen, viel zu aufregend war der Tag gewesen. Als er aus der Schule gekommen war, hatten sich die Palme und die anderen Pflanzen überschwänglich bei ihm bedankt.
Die Palme stand stolz in einem neuen größeren Topf, der Kaktus hatte frische Erde bekommen und die anderen Pflanzen reckten ihre Blätter wieder gestärkt in die Höhe. Tim hatte sich dann noch draußen das Leid der Efeupflanze angehört, die sich über die vielen Schnecken beschwert hatte, die ihre Blätter anknabberten. Er hatte sich einen Eimer geschnappt und die kleinen Übeltäter abgelesen.
Irgendwann musste er dann wohl doch eingeschlafen sein. Er erwachte erst wieder, als er Durst hatte. Verschlafen rieb Tim sich die Augen und zog seine Pantoffeln an. Er ging die Treppe hinunter in die Küche und trank ein Glas Limonade. Plötzlich hörte er ein merkwürdiges Geräusch. Es schien aus dem Wohnzimmer zu kommen. Ob Mama und Papa schon zurückgekommen waren? Vorsichtig öffnete der die Tür – und erschrak ganz furchtbar. Da war ein Mann mit einer Taschenlampe und einem großen Rucksack, in den er irgendetwas aus der Wohnzimmerschublade hineinlegte. Das war bestimmt ein Einbrecher. Was sollte Tim jetzt bloß machen? Durch die viele Kohlensäure der Limonade, die jetzt in seinem Bauch war, entfuhr ihm ein Rülpser. Der Mann drehte sich sofort um und starrte Tim grimmig an. Dieser machte kehrt und lief in den Flur.
„Bleib sofort stehen“, befahl der Einbrecher, während er Tim folgte. Und dann geschah etwas, was Tim sein Leben lang nicht mehr vergessen würde. Als der Mann an der Palme vorbei lief, versetzte diese ihm mit einem ihrer langen spitzen Wedel einen Schlag in den Rücken, sodass er nach vorne fiel und dabei mit seinem Gesicht in dem Kaktus landete. Der hieb ihm seine stacheligen Ohren in die Seite. Der Mann schrie vor Schmerz, rappelte sich auf und versuchte durch die Haustür zu fliehen. Doch nun kam der Efeu, der neben dem Eingang an einem Spalier an der Hauswand wuchs, zum Einsatz. Er wickelte blitzschnell seine langen Ranken um die Beine des Einbrechers, so dass dieser stolperte, der Länge nach hinschlug und schließlich bewegungslos liegen blieb.
Da jubelte Tim, und mit ihm alle Pflanzen. Sie wackelten mit ihren Zweigen, dass die Blätter nur so raschelten. In dem Moment kamen Tims Eltern nach Hause. Mama schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und nahm Tim erst mal ganz fest in die Arme. Papa rief sofort die Polizei an, die kurze Zeit später mit lauter Sirene angebraust kam. Die Beamten legten dem Einbrecher, der mittlerweile wieder aufgewacht war, Handschellen an und nahmen ihn mit auf die Polizeiwache.
Tja, und Tim? Er war der Held. Alle Nachbarn und Freunde wollten am nächsten Tag ganz genau wissen, was passiert war, und sogar ein Reporter der örtlichen Zeitung kam vorbei. Er machte ein Foto von Tim und stellte ihm jede Menge Fragen. Und nur Tim und Martin wussten, wem Tim in Wirklichkeit den ganzen Ruhm zu verdanken hatte. Er bedankte sich noch mal bei allen Pflanzen und versprach ihnen, immer gut für sie zu sorgen.
“Hast du deinen Schulranzen für morgen schon gepackt?“, fragte Mama.
„Mach ich heute abend“, rasch wollte Tim sich an seiner Mutter vorbei zur Haustür heraus mogeln. Doch Mama schien auch hinten Augen zu haben.
„Halt, hier geblieben, erst machst du, was ich dir gesagt habe.“ Schnell stopfte Tim die noch auf dem Küchentisch liegenden Bücher und sein Schreibmäppchen in die Schultasche, und stellte diese in den Flur unter die Garderobe. So wollte Mama es haben.
„Tschüüss, bis nachher“, Tim schlug die Haustür hinter sich zu.
„Sei bitte pünktlich um sechs zum Abendessen zurück und geh nicht zu nah an das Haus der alten Hilda heran“, rief seine Mutter ihm noch durch das offene Küchenfenster hinterher. „Du weißt, dass die nicht ganz richtig im Kopf ist.“
Ja, ja, dachte Tim, während er sich auf den Weg zu Martin machte. Martin war sein bester Freund und wie Tim acht Jahre alt. Die beiden waren schon seit dem Kindergarten unzertrennlich. Sie waren sogar Blutsbrüder. Doch das wusste Mama nicht, weil sie sonst bestimmt sehr böse geworden wäre. Nicht auszudenken, wenn sie gesehen hätte, wie er und Martin sich jeder am Arm ein Stück Haut mit einem Küchenmesser eingeritzt und die beiden Schnittstellen dann aneinandergepresst hatten. Genauso wie Winnetoo und Old Shatterhand.
Martin stand schon an der Einfahrt und wartete auf seinen Freund. Sie hatten heute nämlich etwas Aufregendes vor. Trotz Mamas Verbot wollten sie sich zum Haus der verrückten Hilda schleichen und heimlich durch ein Fenster schauen.
„Warum denken eigentlich immer alle Erwachsenen, dass die Hilda verrückt ist?“, überlegte Tim, während sie langsam die Strasse hinuntergingen.
„Ich weiß auch nicht“, Martin kickte einen Stein quer über den Weg.
„Meine Mutter sagt, in ihrem Haus würden komische Sachen geschehen.“
„Meinst du, es ist gefährlich, was wir vorhaben?“ fragend blickte Tim seinen Freund von der Seite an.
„Ach Quatsch, was soll denn schon passieren?“
Hildas Haus lag am Waldrand neben einem kleinen Weiher. Es war gelb angestrichen und hatte grüne Fensterläden. Aus dem Schornstein stieg eine weiße Rauchfahne empor. Lautlos, wie die Indianer schlichen die beiden Jungen auf das Haus zu und hockten sich schließlich unter eines der Fenster.
Vorsichtig schoben sie ihre Köpfe über den Rand des Fensterbretts und warfen einen Blick ins Innere des Hauses. An der linken Wand stand ein Schaukelstuhl, daneben ein Regal mit vielen kleinen braunen Fläschchen. In der gegenüberliegenden Ecke befand sich ein Kamin, in dem ein lustiges Feuer flackerte. Über dem Feuer schwang ein Kessel, aus dem es qualmte. Vor dem Kamin stand ein Sofa mit einem kleinen Tisch. Unter der Decke konnten Tim und Martin Holzbalken erkennen, an denen kleine grüne Sträußchen hingen.
„Das sieht ja aus wie in einem Hexenhäuschen“, flüsterte Martin. „Siehst du die alte Hilda?“ Tim schüttelte verneinend den Kopf.
„Was habt ihr denn hier zu suchen?“, erklang auf einmal eine laute Stimme hinter ihnen. Die beiden Jungen erschraken furchtbar und drehten sich um. Da stand sie vor ihnen, die alte Hilda, und schaute sie böse an. Ihr graues Haar war zu einem Knoten aufgesteckt und sie trug ein blaukariertes Kleid.
„Äh, ich...,äh wir haben ga gar nichts... “, stotterte Tim.
„Wir haben nichts Böses gemacht, wir wollten nur mal gucken, wie es in deinem Haus aussieht“, beendete Martin den Satz und stellte sich tapfer vor seinen Freund.
„Genau, was hast du denn da alles für komische Sachen in dem Zimmer?“, fragte Tim, der nun auch seinen Mut zurückgewonnen hatte und Martin beiseite schob.
Die verrückte Hilda sah auf einmal gar nicht mehr so furchterregend aus, ja, da war sogar ein kleines Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen.
„Und warum schleicht ihr dann hier draußen herum? Habt ihr nicht gelernt, wie man an einer Haustür anklopft? Na ja, dann kommt mal mit, ich habe gerade frische Kekse gebacken.“ Tim und Martin schauten sich ratlos an, folgten aber dann Hilda in ihr Haus.
Im Inneren roch es wirklich nach Keksen und den Jungen lief schon das Wasser im Mund zusammen. Während Hilda in der kleinen Küche verschwand, schauten sie sich im Zimmer um. Besonders interessant fanden sie all die braunen Fläschchen und Töpfchen, die sie schon von draußen gesehen hatten. Sie waren mit weißen Etiketten versehen, auf denen fremdartige Schriftzeichen standen.
Hilda kam mit einem Tablett zurück und stellte eine Schale mit Schokoladenplätzchen und drei Gläser Limonade auf den Tisch.
„Greift nur zu“, forderte sie die Jungen auf. Währen sie Kekse aßen und Limonade tranken, stellten sie Hilda viele Fragen, die diese bereitwillig beantwortete. Die kleinen grünen Sträußchen unter der Decke waren zum Beispiel Kräuter, die Hilda dazu verwendete, um Medizin herzustellen, die sie dann in den braunen Fläschchen aufbewahrte. Tim und Martin konnten überhaupt nicht verstehen, warum alle die alte Hilda mieden, denn verrückt war sie bestimmt nicht.
Sie verbrachten einen vergnüglichen Nachmittag in Hildas Haus, und als die Jungen schließlich gehen wollten, da nahm Hilda eines der kleinen Fläschchen aus dem Regal und schüttete eine grünliche Flüssigkeit in die Gläser der beiden.
„Trinkt das“, sagte sie, „dann werdet ihr morgen früh eine Überraschung erleben.“ Die Jungen, abendteuerlustig wie sie waren, konnten der Versuchung nicht widerstehen und leerten ihre Gläser in einem Zug. Es schmeckte ein bisschen wie Honig.
„Bitte, bitte sag uns doch, was es für eine Überraschung ist“, bettelte Tim, doch Hilda sagte, sie würde nichts verraten, sie würden es schon bald am nächsten Morgen merken.“
Die beiden Jungen verabschiedeten sich und versprachen bald wiederzukommen.
Tim ging an diesem Abend sogar freiwillig schlafen, seine Mutter brauchte ihn nicht wie sonst, zigmal aufzufordern. Er wollte einfach nur ganz schnell einschlafen, damit die Nacht vorüberging und er die Überraschung sehen würde. Am nächsten Morgen wachte Tim schon auf, bevor seiner Mutter in sein Zimmer kam, um ihn für die Schule zu wecken. Neugierig schaute er sich um, aber alles schien wie immer zu sein. Die Möbel und Spielsachen standen an ihrem gewohnten Platz und es war auch kein Paket zu sehen. Enttäuscht stieg Tim aus dem Bett. Mhm, vielleicht würde die Überraschung ja nachher mit der Post kommen.
Er ging über den Flur in Richtung Badezimmer, dabei streifte er die große Pflanze, die an der Wand stand.
„Aua, pass doch auf, du hast mir wehgetan“, ertönte es. Tim hielt an, die Stimme kam aus der Richtung, in der die Pflanze stand. Verdutzt schüttelte er den Kopf. Er musste sich wohl verhört haben.
„Du brauchst gar nicht so dumm zu schauen“, sagte die Stimme, „ich habe dich gemeint.“ Jetzt war Tim vollends verwirrt. Er stellte sich vor die Pflanze und fragte: „Hast du mit mir geredet?“
„Na klar, oder siehst du hier sonst noch irgendjemanden? Du hast mir meine Blätter umgeknickt, entschuldige dich gefälligst.“
„Tut mir leid“, Tim streichelte vorsichtig über die Pflanze, „soll nicht wieder vorkommen.“
„Tim, Frühstück ist fertig“, ertönte Mamas Stimme von unten.
„Ich muss mich beeilen, ich unterhalte mich später noch mal mit dir.“ Tim flitzte ins Badezimmer und erledigte Zähneputzen und Katzenwäsche im Schnelldurchlauf. Als er fertig angezogen die Treppe hinunterkam, wurde er von der Seite angesprochen: „Hey du“, sagte die große Palme, die im Flur stand,
„kannst du deiner Mutter nicht mal sagen, dass mir mein Topf zu eng ist, meine Wurzeln sind eingequetscht und tun mir schon richtig weh.“
„Klar, mach ich. Also, der Topf ist aber wirklich viel zu klein für dich.“
„Und wir haben Durst, wir sind schon seit Tagen nicht mehr gegossen worden“,
riefen die Birkenfeige und ein paar kleinere Pflanzen. „Schau nur, wie unsere Blätter traurig nach unten hängen.“
„Und ich brauche neue Erde,“ brummte der mächtige gelbe Kaktus, sodass seine stacheligen, fleischigen Blätter vibrierten..
„Keine Sorge“, versprach Tim, „ich kümmere mich darum.“ Während des Frühstücks erzählte er seiner Mutter, um was die Pflanzen ihn gebeten hatten. Natürlich verriet er nicht, dass sie es ihm persönlich gesagt hatten.
Auf seinem Schulweg vernahm er überall um sich herum ein Gewisper und Geflüster. Es waren aber so viele verschiedene Stimmen auf einmal, dass er sie nicht im Einzelnen verstehen konnte.
Tim war schon sehr gespannt, was Martin ihm berichten würde. Dieser kam ihm aufgeregt auf dem Schulhof entgegengelaufen. Auch er hatte sich zu Hause bereits mit sämtlichen Pflanzen unterhalten.
„Stell dir vor, sogar der alte Birnenbaum in unserem Garten hat mir viel Spaß in der Schule gewünscht“, lachte er.
Das war ja eine tolle Überraschung, die ihnen die alte Hilda da bereitet hatte.
„Vielleicht hat sie ja auch einen Trank, damit wir uns mit den Tieren unterhalten können“, überlegte Martin. Auf jeden Fall beschlossen die beiden Jungen, ihr Geheimnis niemandem zu verraten.
Am Abend waren Tims Eltern auf einer Geburtstagsfeier in der Nachbarschaft eingeladen. Da die Feier nur ein paar Häuser weiter stattfand, sollte Tim zum ersten Mal alleine zu Hause bleiben. Mama hatte ihm die Telefonnummer der Nachbarn auf einen Zettel geschrieben und ihm eine besonders lange Gutenachtgeschichte vorgelesen. Doch Tim konnte nicht einschlafen, viel zu aufregend war der Tag gewesen. Als er aus der Schule gekommen war, hatten sich die Palme und die anderen Pflanzen überschwänglich bei ihm bedankt.
Die Palme stand stolz in einem neuen größeren Topf, der Kaktus hatte frische Erde bekommen und die anderen Pflanzen reckten ihre Blätter wieder gestärkt in die Höhe. Tim hatte sich dann noch draußen das Leid der Efeupflanze angehört, die sich über die vielen Schnecken beschwert hatte, die ihre Blätter anknabberten. Er hatte sich einen Eimer geschnappt und die kleinen Übeltäter abgelesen.
Irgendwann musste er dann wohl doch eingeschlafen sein. Er erwachte erst wieder, als er Durst hatte. Verschlafen rieb Tim sich die Augen und zog seine Pantoffeln an. Er ging die Treppe hinunter in die Küche und trank ein Glas Limonade. Plötzlich hörte er ein merkwürdiges Geräusch. Es schien aus dem Wohnzimmer zu kommen. Ob Mama und Papa schon zurückgekommen waren? Vorsichtig öffnete der die Tür – und erschrak ganz furchtbar. Da war ein Mann mit einer Taschenlampe und einem großen Rucksack, in den er irgendetwas aus der Wohnzimmerschublade hineinlegte. Das war bestimmt ein Einbrecher. Was sollte Tim jetzt bloß machen? Durch die viele Kohlensäure der Limonade, die jetzt in seinem Bauch war, entfuhr ihm ein Rülpser. Der Mann drehte sich sofort um und starrte Tim grimmig an. Dieser machte kehrt und lief in den Flur.
„Bleib sofort stehen“, befahl der Einbrecher, während er Tim folgte. Und dann geschah etwas, was Tim sein Leben lang nicht mehr vergessen würde. Als der Mann an der Palme vorbei lief, versetzte diese ihm mit einem ihrer langen spitzen Wedel einen Schlag in den Rücken, sodass er nach vorne fiel und dabei mit seinem Gesicht in dem Kaktus landete. Der hieb ihm seine stacheligen Ohren in die Seite. Der Mann schrie vor Schmerz, rappelte sich auf und versuchte durch die Haustür zu fliehen. Doch nun kam der Efeu, der neben dem Eingang an einem Spalier an der Hauswand wuchs, zum Einsatz. Er wickelte blitzschnell seine langen Ranken um die Beine des Einbrechers, so dass dieser stolperte, der Länge nach hinschlug und schließlich bewegungslos liegen blieb.
Da jubelte Tim, und mit ihm alle Pflanzen. Sie wackelten mit ihren Zweigen, dass die Blätter nur so raschelten. In dem Moment kamen Tims Eltern nach Hause. Mama schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und nahm Tim erst mal ganz fest in die Arme. Papa rief sofort die Polizei an, die kurze Zeit später mit lauter Sirene angebraust kam. Die Beamten legten dem Einbrecher, der mittlerweile wieder aufgewacht war, Handschellen an und nahmen ihn mit auf die Polizeiwache.
Tja, und Tim? Er war der Held. Alle Nachbarn und Freunde wollten am nächsten Tag ganz genau wissen, was passiert war, und sogar ein Reporter der örtlichen Zeitung kam vorbei. Er machte ein Foto von Tim und stellte ihm jede Menge Fragen. Und nur Tim und Martin wussten, wem Tim in Wirklichkeit den ganzen Ruhm zu verdanken hatte. Er bedankte sich noch mal bei allen Pflanzen und versprach ihnen, immer gut für sie zu sorgen.