Die Versuchung des Sonnenfeuers

3,00 Stern(e) 4 Bewertungen
Die Versuchung des Sonnenfeuers
Der Aufstieg ist schwierig gewesen, aber jetzt haben sie ihn geschafft.
Er schaut sich um. Das Plateau liegt hoch genug, sodass sie vor dem Wasser in Sicherheit sind. Die Höhle im Hintergrund wird ihnen Schutz vor dem Wetter und vor Tieren bieten.

Die Mitglieder der kleinen Gruppe sind damit beschäftigt, die Umgebung für einen längeren Aufenthalt zu gestalten. Irmtraud hat ihnen verschiedene Arbeiten zugeteilt und sofort selbst begonnen, Feuer zu machen. Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Sie sollte viele Nachkommen zur Welt bringen und ihre herausragenden Anlagen weitergeben.

Er schaut hinunter auf das tobende Meer. Man hatte ihn gewarnt.
Die Hohen Priester hatten ihm immer wieder davon abgeraten, übergroße Kristalle zu züchten. Aber er war maßlos in seinen Wünschen: mehr Energie, mehr Ansehen, mehr Macht.
Eines Tages war der Riesenkristall explodiert. Er hatte zu viel Sonnenenergie gespeichert. Durch die Explosion war im Nu ein Erdrutsch entstanden, der Megatonnen von Gestein in Bewegung brachte. Die Insel bekam ein tektonisches Ungleichgewicht und wurde innerhalb eines Tages in die Tiefen des Meeres hinabgerissen.
Dieser gigantische Erdrutsch hatte zudem eine apokalyptische Megawelle ausgelöst und die Kontinente überflutet.
Wie viele Menschen mögen noch am Leben sein?

Er und die Mitglieder seiner Gruppe verdanken ihr Leben der Wasserfeier, die er an diesem Tag ausgerichtet hat. Auch ihr Unterwasserboot wurde von den gewaltigen Strömungen erfasst und schließlich an die baskische Küste geschleudert.
Arhat hatte ihn immer wieder ermahnt, große Unterwasserschiffe zu bauen. Viele große Schiffe sollten es sein, die Tausende von Menschen aufnehmen können. Er aber hatte nur ein einziges kleines Unterwasserboot genehmigt, das er exklusiv für sich und seine geliebten Feste konstruieren ließ.
Arhat, sein weiser Berater - er hat jetzt den Kreis der Wiedergeburten verlassen. Er wird nie mehr zurückkehren. Arhat wird für immer im Nirwana verweilen.
Sein Weggang ist eine weitere große Katastrophe, gerade jetzt, wo sie Arhat so dringend benötigen.

Sein königliches Gewand ist feucht. Er zieht es aus und breitet es zum Trocknen aus.
Vorsichtig nimmt er die kleine Tafel ab, die er an einer Goldkette um den Hals trägt, und legt sie auf den Boden vor sich. Gott sei Dank trägt er sie seit dem Tag seiner Krönung immer am Körper. Somit hat er sie auf dieses Plateau gerettet.
Diese Tafel und das nackte Leben, das ist alles, was ihm geblieben ist.
Diese kreisrunde Tafel mit den Ritualrunen, handtellergroß, sie ist der Hort des menschlichen Wissens. Durch zahllose Wiederholungen der Klangworte bilden sich im Gehirn des Ausübenden Strukturen, die den Zugang zum höchsten Wissen der Welt ermöglichen.
Dieses ultimative Wissen hat sein Reich einst groß gemacht. Die zukünftigen Generationen können diesen Glanz wieder aufbauen. Mögen sie dann seine persönlichen Schwächen, die diesmal zum Untergang führen, vermeiden.
Er wird das Wissen dieser Ritualtexte weitergeben – dies ist nun seine Aufgabe.
Den jungen Menschen, die bald geboren werden, will er ein guter Lehrer sein.

Als erstes die Doppelhelix. Die Katastrophe wird tiefe Spuren in der menschlichen DNA hinterlassen, ein kataklysmes Trauma.
Die Nachkommen müssen die traumatisierten Sequenzen in den Makromolekülen austauschen und gegen korrekte Verbindungen ersetzen. Nur korrekt arbeitende Molekülketten können die Botschaften der Evolution in voller Qualität im menschlichen Bewusstsein widerspiegeln.
Wie lange werden die Nachfahren wohl brauchen, bis sie durch regelmäßiges Memorieren der heiligen Silben das genetische Wissen wiederentdecken und handhaben können?
Zehntausend Jahre, oder mehr? Zehntausend Jahre, das sind zweihundert Generationen. Er hat die Evolution durch seinen Hochmut um zweihundert Generationen verzögert.

Er fasst sich an die Stirn; ihm wird schwindelig. Er setzt sich. Nackt, wie die Natur ihn schuf, hockt dieser einst mächtigste König der Erde nun auf einem Stein.
Gedankenverloren schaut er auf die riesenhaften Wellen tief unter sich.
Die Insel ist endgültig versunken. Sein Atlantis.
 

Ireen

Mitglied
Während ich das lese, stelle ich fest, dass ich das irgendwo schon einmal gehört oder gelesen habe. Platon? Rudolf Steiner?
 
Hallo Ireen,

ich danke dir für dein Interesse und für deinen Kommentar.

Die Anregung zu dieser Geschichte erhielt ich aktuell aus dieser Sendung:
>ntv: ausgelöscht; Megawellen vom 28.12.13.
Als weitere Quellen habe ich u.a. verwendet:
>Wikipedia: Atlantis, Platon, Kataklysmus
>Hinweise im web auf wiss. Untersuchungen zum Thema Gehirnaktivität/ DNA, z.B.: http://www.news.wisc.edu/22370

Ich wünsche dir ein gutes Neues Jahr. Rhondaly.
 

Lars Neumann

Mitglied
Hallo Rhondaly DaCosta

Schön beschrieben, dein kleines Apokalypse After. Obwohl mir recht früh klar war um was es hier geht, hat dies nicht die Lust am weiterlesen gemindert. Außerdem ein interessanter „Grund“ für die Katastrophe, schön begründet.
Aber ein paar Kleinigkeiten haben mich doch gestört.

Du erwähnst den Namen Irmtraud.
Wikipedia
Der Name stammt von dem Althochdeutschen ermin/irmin „groß“, „gewaltig“ und trûen, trûwen „glauben“, „vertrauen“, „hoffen“, eng verwandt mit Treue, seit Osthoff aus der idg. wurzel *dereŭo-drū „fest“, „Baum“ hergeleitet[1].
Die Herkunft des Namens ist bekannt, und kann somit nicht eins zu eins die Zeit seit der, hier, hypothetischen Vergangenheit überdauert haben. Ich denke nicht dass die Atlantier „modernes“ Deutsch gesprochen haben.

Baskische Küste
Wikipedia
Das Baskenland (bask. Euskal Herria oder Euskadi, span. País Vasco, französ. Pays Basque) ist eine Landschaft an der Atlantikküste in der Grenzregion der Staaten Spanien und Frankreich.
Dass die Überlebenden dort gelandet sind ist möglich, vorausgesetzt Atlantis lag wirklich im Atlantik. Was allerdings von vielen Wissenschaftlern bezweifelt wird. Womit wir wieder beim Namensproblem wären. Basken selbst nennen ihre Region nicht Baskenland, Spanier und Franzosen auch nicht. Wenn die Atlantier einer der Ursprünge dieser Region sind hat sich deren Sprache im Euskara (dialektal auch euskera, eskuara, üskara) weitervererbt, und nicht im Deutschen.
Sicher ist es möglich dass du damit versuchst dem Ortsunkundigen Germanen einen Anhaltspunkt zu bieten, aber diese Geschichte funktioniert auch dann, wenn man nicht genau weiß wo sich dieser Ort befindet.

Arhat, sein weiser Berater - er hat jetzt den Kreis der Wiedergeburten verlassen. Er wird nie mehr zurückkehren. Arhat wird für immer im Nirwana verweilen.
Sein Weggang ist eine weitere große Katastrophe, gerade jetzt, wo sie Arhat so dringend benötigen.
Wikipedia
Nirwana oder Nirvana (Sanskrit, n., निर्वाण, nirvāṇa; nis, nir = aus, vā = wehen) bzw. Nibbana (Pali, nibbāna) ist ein buddhistischer Schlüsselbegriff, der den Austritt aus dem Samsara, dem Kreislauf des Leidens und der Wiedergeburten (Reinkarnation) durch Erwachen (Bodhi) bezeichnet. Das Wort bedeutet „Erlöschen“ (wörtlich „erfassen“ im Sinne von verstehen[1], „verwehen“) im Sinne des Endes aller mit falschen persönlichen Vorstellungen vom Dasein verbundenen Faktoren, wie Ich-Sucht, Gier, Anhaften (Upadana).
Es liegt im Bereich des Möglichen dass sowohl das Wort Nirwana als auch seine Bedeutung den Weg in den Buddhismus gefunden hat. Und Arhat ist anscheinend bei der Katastrophe umgekommen, obwohl sich der König ohne Namen nicht hundert prozentig sicher sein kann, denn keiner seiner Gruppe hat es gesehen. Verständlich auch dass sein Ableben ein großer Verlust ist. Aber der König kann auf keinen Fall sicher sein dass Arhat das Nirwana erreicht hat. Er kann es Arhat wünschen, weil er seiner Meinung nach die Voraussetzungen dazu hatte. Und wenn nicht, die Hoffnung hegen, dass sie sich in der nächsten Reinkarnation wiedersehen und erkennen werden.
Bei intensiveren Fragen zu Nirwana könnte dir vielleicht FrankK helfen. Er hat in meinem Forum Lupanum-Beitrag Religion in der Literatur, aber wie? erwähnt er ist ein überzeugter Buddhist. Als bekennender Atheist gestehe ich ein dass mein Wissen darüber eher Rudimentär ist.

Diese kreisrunde Tafel mit den Ritualrunen, handtellergroß, sie ist der Hort des menschlichen Wissens. Durch zahllose Wiederholungen der Klangworte bilden sich im Gehirn des Ausübenden Strukturen, die den Zugang zum höchsten Wissen der Welt ermöglichen.
Interessant. Denn in Versuchen haben Wissenschaftler tatsächlich herausgefunden, dass sich bei Mönchen im Stadium der Meditation nicht nur die Durchblutung und die Größe des aktiven Areals erweitern, sondern dabei auch neue Verbindungen entstehen. Sie hoffen dadurch bessere Lernmethoden zu finden, vielleicht sogar zu ermöglichen mehr „Hirn“ bewusst zu nützen. Hätte so mancher nötig. ;-)
Aber ich glaube nicht dass sich erlangtes Wissen einer Person in die DNA überträgt. Auch Erlebtes wird sich nicht direkt in der Struktur der DNA niederschlagen.
Aber gehen wir mal davon aus das hier Beschriebene sei korrekt, wir verstehen es nur nicht:
Der König hat dieses Wissen, sowohl über die Handhabung der Scheibe als auch das theoretische über die DNA-Verbindungen. Er wird dieses Wissen weitergeben, wie es auch geschehen wäre wenn die Katastrophe nicht stattgefunden hätte. Die anderen Überlebenden werden ihm dabei helfen. Wieso müssen dann seine Nachfahren dieses Wissen erst wiederentdecken? Und wieso brauchen sie dazu so lange?
Das ganze macht dann Sinn wenn keiner von ihnen genau weiß wie es funktioniert, wenn zum Beispiel der verstorbene Arhat der Träger dieses Wissens war. Damit wäre auch die Trauer über diesen Verlust „greifbarer“. Weil dies dann nicht nur ein persönlicher, sondern ein für die ganze Menschheit tragischer Verlust wäre. Dann wäre die Ereigniskette „des Königs Hochmut - Katastrophe - Verlust von Wissen - erkennen der Schuld“ auch leichter nachvollziehbar.

Aber alles in allem ein schöner, innovativer Weg diese Sage wieder in Erinnerung zu rufen.

Nachträglich ein schönes Neues
Lars
 
Hallo Lars,

ich freue mich über dein Interesse an dieser Geschichte und über deinen ausführlichen Kommentar.
Hier sind meine Antworten:

Irmtraud
Ich hatte zuerst den Namen `Irminsul` gewählt. Dann war mir die Verbindung zum Thema des Weltenbaumes zu kompliziert, und auch zu blumenreich.
Die Bedeutung von Irmtraud habe ich auf wiki nachgelesen. Der Begriff `hoffen` hat mich dann in der Namenswahl bestärkt. Der König hofft ja auch, dass sie viele Kinder bekommt und ihre Anlagen weitergibt.

Baskenland
Diesen Namen habe ich verwendet, um die Geschichte einfach lesbar und in Fluss zu halten. Ich habe `euskera` und andere Bezeichnungen nicht nachgeschlagen. Die baskische Küste als Landeplatz kann man sich als Leser vorstellen.
Über Atlantis gibt es zahlreiche Literatur. Ich habe eine interessante Rezension bei amazon über das Buch „Irrstern über Atlantis“ gelesen. Dort wird Atlantis wohl in die Nordsee, bei Helgoland, verlegt. Zahlreiche weitere mögliche Orte bereichern die einschlägige Literatur. Ich habe Atlantis in den Atlantik verlegt.

Arhat
Dieser Name für den weisen Berater des Königs ist von mir bewusst gewählt worden. Es gibt zum Begriff `Arhat` in wiki einen Artikel, der mir in diesem Zusammenhang gefällt.
Der Arhat in meiner Geschichte hat die große Flut vorausgesehen, denn er hat (vergebens) dem König empfohlen, viele Unterwasserschiffe zu bauen, die Tausende von Menschen retten könnten.
Arhat hat also besondere Fähigkeiten. Er ist ein Weiser, der in die Zukunft blicken kann. Nur hat der König nicht auf ihn gehört.
Woher weiß der König, dass Arhat nicht mehr lebt? Du hast recht, ich habe es dem König einfach in den Sinn gelegt. Er fühlt es; er weiß es innerlich.
Nehmen wir also an, dass Arhat bei der Flut umgekommen ist. Dann kehrt er nicht auf diese Welt in einer anderen Zeit oder Person zurück, um zu helfen. Er hat sich aufgelöst, wie es im wiki-Artikel über Nirwana heißt. Ich setzte Nirwana hier mit unserem Himmel gleich.

Verlorenes Wissen wiederentdecken
In der Geschichte dauert die Wiedererlangung des Wissens so lange, weil die Nachgeborenen über Generationen erst einmal mit dem Überleben beschäftigt sein werden.
Der König wird die erste Generation zwar unterrichten. Diese werden sich jedoch nicht die Zeit nehmen für ausgiebige Runen-Rezitationen. Sie werden Feuer machen, jagen, Wohnplätze errichten usw. – eine ganze Zivilisation von unten neu aufbauen.
Mit der Zeit wird das Wissen, das der König und seine wenigen Gefolgsleute noch präsent haben, verblassen.
Wenn also die durch den Untergang der Insel Atlantis ausgelöste Sintflut die Zivilisation ausgelöscht hat, dann dauert es nach dem Gefühl/ inneren Wissen des König etwa 12.000 Jahre, bis das verloren gegangene Wissen (z.B. der Doppelhelix) nach und nach wieder entdeckt wird.
Atlantis soll laut Platon um 9600 v.u.Z. untergegangen sein; Watson und Crick haben 1953 ein räumliches Modell der DNA erstellt. Dazwischen liegen fast 12000 Jahre.

Runen, Memorieren und die DNA
Erst wenn die Menschen einen gewissen Zivilisationsstand erreicht haben, werden sie sich wieder mit den alten Bewusstseinsfragen beschäftigen, so sagt diese Geschichte.
Auf die Idee - Atlantis, Runen-Memorieren und DNA-Beeinflussung - zu verbinden hat mich u.a. ein Artikel über die Arbeiten von Prof. Richard Davidson von der Universität Wisconsin gebracht http://www.news.wisc.edu/22370
Ich finde es unwahrscheinlich interessant, dass wir genetisch verankerte Stresse (hier: durch kataklysmes Erleben) durch das Praktizieren tiefer Ruhe ausgleichen können, wenn es denn so ist.
Also habe ich aktuelle Forschungen mit dieser Geschichte verknüpft.

Liebe Grüße. Rhondaly.
 

Lars Neumann

Mitglied
Hallo nochmal

Ich verstehe jetzt warum du diese Namen gewählt hast, und dass sie mir bekannt waren hat mich ja nicht wirklich gestört. Ich bin sogar froh darüber, denn viele verwenden erdachte Namen die man weder Aussprechen, geschweige denn sich merken kann. Ich selbst verwende Fremdwörter, Arthur C. Clark verwendete Namen von Orten auf der Erde die fast niemand kennt. Du befindest dich also in bester Gesellschaft. ;-)
Mit dem Rest bin ich auch einverstanden. nur eines ist nicht ganz korrekt.
Atlantis soll laut Platon um 9600 v.u.Z. untergegangen sein.
Stimmt. Und er selbst war wirklich davon überzeugt. Nur hat er einen Fehler gemacht. Seine Quellen stammen alle aus Ägypten, er war sogar sebst vor Ort. Nur rechneten die Ägypter zu seiner Zeit nach Monden, nicht nach Jahren. Nachdem man die Daten umgerechnet hatte, fand man in abgelagerten Eisschichten, deren Schnee zu der berechneten Zeit gefallen war, Anzeichen von starken Klimaveränderungen, sogar ein starker Vulkanausbruch wäre möglich. Es gibt also Anzeichen einer Katastrophe. Nur wo sie stattfand kann nicht belegt werden. Noch nicht.
 

poetix

Mitglied
Hallo Rhondaly,
da hast du eine eigene, originelle Hypothese zum Untergang von Atlantis aufgestellt. Mir ist ein Tempusfehler aufgefallen. In Absatz 5 müsste es heißen:"Dieses ultimative Wissen hatte sein Reich einst groß gemacht"(Plusquamperfekt). Was die Fakten betrifft, so bist du meiner Meinung nach frei zu fantasieren. Ich habe irgendwie im Hinterkopf, dass Atlantis auf Santorin gewesen sein soll. Aber genau weiß es keiner. Was mich mehr bewegt, ist die Darstellung. Dass das Ganze im Rückblick geschildert wird, mag ein Kunstgriff sein. Aber so, in der Rückschau, betrachten wir Atlantis heute sowieso. Vielleicht wäre eine Schilderung aus der Gegenwartsperspektive, sozusagen "mittendrin" wirkungsvoller. Aber das wäre dann eine neue Erzählung. Erst mal Kompliment zu dieser.
Viele Grüße
poetix
 
Die Versuchung des Sonnenfeuers
Der Aufstieg ist schwierig gewesen, aber jetzt haben sie ihn geschafft.
Er schaut sich um. Das Plateau liegt hoch genug, sodass sie vor dem Wasser in Sicherheit sind. Die Höhle im Hintergrund wird ihnen Schutz vor dem Wetter und vor Tieren bieten.

Die Mitglieder der kleinen Gruppe sind damit beschäftigt, die Umgebung für einen längeren Aufenthalt zu gestalten. Irmtraud hat ihnen verschiedene Arbeiten zugeteilt und sofort selbst begonnen, Feuer zu machen. Sie ist eine außergewöhnliche Frau. Sie sollte viele Nachkommen zur Welt bringen und ihre herausragenden Anlagen weitergeben.

Er schaut hinunter auf das tobende Meer. Man hatte ihn gewarnt.
Die Hohen Priester hatten ihm immer wieder davon abgeraten, übergroße Kristalle zu züchten. Aber er war maßlos in seinen Wünschen: mehr Energie, mehr Ansehen, mehr Macht.
Eines Tages war der Riesenkristall explodiert. Er hatte zu viel Sonnenenergie gespeichert. Durch die Explosion war im Nu ein Erdrutsch entstanden, der Megatonnen von Gestein in Bewegung brachte. Die Insel bekam ein tektonisches Ungleichgewicht und wurde innerhalb eines Tages in die Tiefen des Meeres hinabgerissen.
Dieser gigantische Erdrutsch hatte zudem eine apokalyptische Megawelle ausgelöst und die Kontinente überflutet.
Wie viele Menschen mögen noch am Leben sein?

Er und die Mitglieder seiner Gruppe verdanken ihr Leben der Wasserfeier, die er an diesem Tag ausgerichtet hat. Auch ihr Unterwasserboot wurde von den gewaltigen Strömungen erfasst und schließlich an die baskische Küste geschleudert.
Arhat hatte ihn immer wieder ermahnt, große Unterwasserschiffe zu bauen. Viele große Schiffe sollten es sein, die Tausende von Menschen aufnehmen können. Er aber hatte nur ein einziges kleines Unterwasserboot genehmigt, das er exklusiv für sich und seine geliebten Feste konstruieren ließ.
Arhat, sein weiser Berater - er hat jetzt den Kreis der Wiedergeburten verlassen. Er wird nie mehr zurückkehren. Arhat wird für immer im Nirwana verweilen.
Sein Weggang ist eine weitere große Katastrophe, gerade jetzt, wo sie Arhat so dringend benötigen.

Sein königliches Gewand ist feucht. Er zieht es aus und breitet es zum Trocknen aus.
Vorsichtig nimmt er die kleine Tafel ab, die er an einer Goldkette um den Hals trägt, und legt sie auf den Boden vor sich. Gott sei Dank trägt er sie seit dem Tag seiner Krönung immer am Körper. Somit hat er sie auf dieses Plateau gerettet.
Diese Tafel und das nackte Leben, das ist alles, was ihm geblieben ist.
Diese kreisrunde Tafel mit den Ritualrunen, handtellergroß, sie ist der Hort des menschlichen Wissens. Durch zahllose Wiederholungen der Klangworte bilden sich im Gehirn des Ausübenden Strukturen, die den Zugang zum höchsten Wissen der Welt ermöglichen.
Dieses ultimative Wissen hatte sein Reich einst groß gemacht. Die zukünftigen Generationen können diesen Glanz wieder aufbauen. Mögen sie dann seine persönlichen Schwächen, die diesmal zum Untergang führen, vermeiden.
Er wird das Wissen dieser Ritualtexte weitergeben – dies ist nun seine Aufgabe.
Den jungen Menschen, die bald geboren werden, will er ein guter Lehrer sein.

Als erstes die Doppelhelix. Die Katastrophe wird tiefe Spuren in der menschlichen DNA hinterlassen, ein kataklysmes Trauma.
Die Nachkommen müssen die traumatisierten Sequenzen in den Makromolekülen austauschen und gegen korrekte Verbindungen ersetzen. Nur korrekt arbeitende Molekülketten können die Botschaften der Evolution in voller Qualität im menschlichen Bewusstsein widerspiegeln.
Wie lange werden die Nachfahren wohl brauchen, bis sie durch regelmäßiges Memorieren der heiligen Silben das genetische Wissen wiederentdecken und handhaben können?
Zehntausend Jahre, oder mehr? Zehntausend Jahre, das sind zweihundert Generationen. Er hat die Evolution durch seinen Hochmut um zweihundert Generationen verzögert.

Er fasst sich an die Stirn; ihm wird schwindelig. Er setzt sich. Nackt, wie die Natur ihn schuf, hockt dieser einst mächtigste König der Erde nun auf einem Stein.
Gedankenverloren schaut er auf die riesenhaften Wellen tief unter sich.
Die Insel ist endgültig versunken. Sein Atlantis.
 
Hallo poetix,

ich danke dir für dein Interesse und für deine Hinweise.
Den Tempusfehler habe ich berichtigt.

Ich wünsche dir einen schönen Tag.
Liebe Grüße. Rhondaly.
 



 
Oben Unten