Die Welt am Sonntag

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Deminien

Mitglied
Die Welt am Sonntag


Ihr kennt das, wer früh zur Arbeit fährt, leert abends den Briefkasten. So auch ich. Das einzige, was an diesem Mittwoch im Kasten lag, war ein Schreiben von meiner bevorzugten Tageszeitung:


Hamburg, 16. April 2002
WELTGESCHEHEN KENNT KEINE PAUSEN,

Sehr geehrte Frau Deminien,

von Montag bis Samstag begleitet Sie DIE WELT durch den Tag, und Sie als regelmäßiger Leser wissen genau, was Sie von ihr haben: anspruchsvolles Lesevergnügen und nutzwertige Informationen, sechs Tage die Woche.
Und was haben Sie am Sonntag vor?

Ich kenne kein Argument, sonntags auf niveauvollen Journalismus zu verzichten. Daher und als Dankeschön für Ihre Treue zur WELT mache ich Ihnen heute einen Vorschlag, der Ihnen gefallen wird:
Sie bekommen ab dem 28. April die Welt am SONNTAG für einige Zeit bequem ins Haus geliefert - absolut kostenlos und garantiert ohne Verpflichtungen!

Das bedeutet für Sie: Sonntag für Sonntag hochkarätiger Qualitätsjournalismus mit spannenden Reportagen und Hintergrundberichten in lesefreundlicher Gestaltung.

Mit WELT am SONNTAG ergänzen Sie optimal Ihre tägliche WELT-Lektüre. Überzeugen Sie sich selbst!
Schon jetzt wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung und viel Freude beim Lesen.



Wenn man meint, mich so zu einem Sonntags-Abo zu bewegen, dachte ich bei mir, dann werde ich die kostenlose Zeit gern in Anspruch nehmen. Eine qualitative, unterhaltsamere Abwechslung zu den anderen beiden kostenlosen Käseblättern, die ich jeden Sonntag ungelesen zum Altpapier lege.

Eine Woche später war das Schreiben vergessen. Berufliche Unwägbarkeiten führten mich am Freitag ins ferne Hamburg. Sitzung von morgens bis abends, viele Gespräche und am Ende war doch nichts gesagt. Übernachtung im Astron mit Blick auf die Trabrennbahn, die fest in der Hand der Hundebesitzer war. Es freute mich zu sehen, daß man hier die Hunde-un-Verordnung ebenso ernst nahm wie bei uns. Freiheit als Rassenprivileg, welch ein Unsinn. Diese wenigen privaten Gedanken waren mir vergönnt, bevor die Müdigkeit ihr Recht forderte und mich ins Reich der Träume entführte.
Der Samstag verlief nicht minder anstrengend, dafür erfolgreicher. Rechtzeitig konnten wir uns auf den Heimweg machen, doch die Sonne war bereits verschwunden, als ich mehrere Stunden und hunderte Kilometer später endlich meine Reisetasche im heimischen Flur abstellte. Schuhe flogen unkontrolliert davon und endlich konnte ich tun, wonach ich mich seit Stunden gesehnt hatte. Nein, das Bad hatte die zweite Priorität, dicht gefolgt von der Bettdecke, die ich mir bis unters Kinn ziehen würde. Die erste Priorität lag eindeutig bei einem schlichten Glas Rotwein in zurückgelehnter Position, die Füße auf dem nicht dafür vorgesehenem Beistelltisch. Ein Moment der Stille. Wobei ich erwähnen sollte, daß das Glas schlicht war, der Wein hingegen gehört zu der Sorte, die man garantiert in keinem Supermarkt bekommt.

Das war es also, mein Wochenende, welches am Sonntagmorgen mit einem improvisierten Frühstück beginnen sollte. Einer Eingebung folgend schaute ich vorher im Postkasten nach, ob dort irgendeine Überraschung lauerte. Der war leer, im Gegensatz zum Zeitungskasten. Dort sollte ja eigentlich noch die Samstagszeitung stecken. Tat sie aber nicht, was angesichts meiner Nachbarn nicht weiter überraschend war. Dafür fand ich die "WELT am SONNTAG". Der natürlichen Neugier nachgebend schaute ich auf die Titelseite:

"Trauer und Entsetzen in Erfurt"

Meine Augen erfaßten die Zeilen, bevor mein Verstand sie davon abhalten konnte. Leider.

Es stimmt, daß sich die Welt vierundzwanzig Stunden im Kreise dreht und das ständig irgendwo irgendetwas berichtenswertes geschieht. Auch am Sonntag. Aber mal ehrlich, müssen wir uns das deshalb jeden Tag antun? Jeden Wahnsinn sofort hautnah mitten ins Wohnzimmer? Ändert das etwas am Geschehen? Nein. Und deshalb habe ich am Montag bei der Zeitungs Hotline angerufen und dem netten Menschen am anderen Ende der Leitung gesagt, daß die Welt mich am Sonntag einfach mal gernhaben kann.



Deminien
 

Rainer

Mitglied
hallo deminiem,

ist das eine parodie - dann ist sie supertrocken, und ich würde mich freuen, mehr davon lesen zu können.
ansonsten ist es nicht der rede wert.

gruß

rainer
 

Deminien

Mitglied
Hallo,


eine Parodie ist es nicht, vielmehr eine wahre Begebenheit mit Änderungen. Die Abschweifung im Mittelteil ist Absicht, nur so kann die "Überaschung" am Samstag eingeleitet werden.


Gruß
Deminien
 



 
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