Die Wirklichkeit

Kilzer

Mitglied
Die falsche Wirklichkeit

Als ich die Tasse meines Tees an die Lippen setzte, fing es an zu regnen.
Wir müssen uns fragen, warum wir immer schlechteren Zeiten ins Auge sehen müssen. Sollten wir uns das fragen, oder sollten wir es lassen, es ist eine Frage der Notwenidgkeit. Was nützt die Frage, wenn die Antwort nur also unergründlich scheint? Müssen oder Wollen. Ich muss, du musst, wir müssen, aber sie wollen nicht. Sie sollen nicht.
Fiat lux et facta est lux. Was wir sehen ist das Leben, doch das Leben ist nicht was wir sehen; es ist wahr, dass wir Menschen einen seelischen Drang zur Erkenntnis verspüren, ohne doch das Ziel zu kennen. Der Weg ist das Ziel. Der Weg ist das Ende. Seitjeher sind sie davon überzeugt, neue Wege beschreiten zu müssen, sollen, wollen. Ich darf nicht und muss es doch betrachten. Man sagt uns, wir wären die Zukunft, wir wären die Entwicklung - das Leben. Aber das sagen sie, die nur wollen, müssen. Der Zwang ist ein Teil des Ganzen; ohne Zwang kein Wollen? Geh deinen Weg!
Ich gehe ihn und falle in ein tiefes Loch ohne Boden. Ich falle und falle, die Welt wird rot, grün, schwarz, braun, Millionen von Emblemen fliegen vorbei; ich verstehe ihre Symbolik nicht. Die Luft wird dünner, ich kann nicht mehr atmen, aber ich sterbe dennoch nicht, ich falle und falle, es ist kalt geworden, meine Hände sind verbunden und mein Kopf drückt gegen die Wand. Es ist wie im Traum, nur es ist die Wirklichkeit. Plötzlich fange ich an, mich zu drehen, immer schneller und schneller bis ich auf einer leeren Straße liege. Da ist mein Weg. Ich bin gefallen und habe ihn dennoch gefunden.
Weshalb fragt sich der Mann, der in der Straßenbahn nach einem Platz sucht, ist alles besetzt. Er ist gebrechlich und fordert ein junges Mädchen mit Kopfhörer im Ohr auf den Platz zu räumen. Sie tut dies. Verwundert blickt der Mann auf und lobt das Mädchen aufgrund ihrer guten Manieren. Das wäre ja heute alles nicht selbstverständlich. Das Mädchen nickt und verlässt die Bahn. Heute dauert seine Fahrt zum wöchentlichen Treff der Vertriebenen besonders lang, da sein Zug umgeleitet werden muss. Am Hauptbahnhof ist ein Polizeieinsatz.
Eine schmächtige Frau neben ihm guckt zufrieden und blinzelt aus dem Fenster die schöne vorbeischleichende Welt an.
Nichts. Niemand. Ich sehe niemanden. Am Rande der Straße liegt ein überfahrender Igel. Er sieht überwältigend aus. So ausgeglichen. nichts belastet ihn mehr. Seine Mundwinkel sind leicht geneigt und seine Augen friedlich geschlossen. Das Blut aus seinem Mund, nehme ich nicht wahr und doch frage ich mich, wie so etwas biologisch möglich ist. Ich fühle mich rein. Wie der Igel. Weitergehen und weitergehn. Ich sehe noch mehr derer auf meinem Weg, bis die Straße endet. Sie endet. Hier ist mein Weg zuende. Ich falle zu Boden und brauche eine Weile bis ich den Fluss vor mir bemerke. Ich sehe ihn und sehe ihn nicht. In ihm werden viele Dinge reißend hinfort gespült, Bücher, Symbole und nochmals Symbole.
Ich will es wissen. Ich will wissen, wo alles hinführt. Ich springe in den Fluss und tauche ein in das Wasser der Erkenntnis. Aber ich darf nicht, man will nicht. Sie müssen mich aufhalten, haben eine Luftblase für mich, die mich wieder aufsteigen lässt.
Aber ich habe ihr Gesicht gesehen. Die Konturen. Dunkle Gestalten und zugleich hell, hektisch folgten sie der Strömung und rissen mich hin und her.
Die Luftblase trägt mich hoch hinaus.
Ich sehe den Fluss, die Straße, das Loch, aber ich sehe nicht den Weg. Meine Augen sind blind und meine Ohren sind taub. Ich sehe mich nicht mehr. Verloren platzt die Luftblase, die mich getragen hat, ich glaube ich falle, doch ich merke es nicht.
Ich kann, darf, soll, muss es nicht merken.
Ich stellte die Tasse beiseite und schloss das Fenster.
 
H

HFleiss

Gast
Weiß nicht, verstehe den Text nicht. Was willst du denn deinen Lesern verklickern?

Gruß
Hanna
 
M

michy

Gast
spannend wäre:

Als ich die Tasse an die Lippen setzte, fing es an Tee zu regnen.

ich meine damit, es fehlt mir der zug zur erzählung.
alles dreht sich, alles bewegt sich, aber wohin?
ach - ich komme nicht drauf :(

gr.
michy
 

Kilzer

Mitglied
Nabend alle zusammen!

Nach der etwas entstandenen Verwirrung versuche ich euch ein paar kleine Hinweise für das Textverständnis zu geben.

Hier kommen sie - aufgepasst :

Ein paar Inhaltssachen zu Beginn.

Erster und letzter Satz bilden die Rahmenhandlung. Eine Situation des Alltags - ein kurzer Moment - ein Wimpernschlag - ein Zucken.




quote:
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"Wir müssen uns fragen, warum wir immer schlechteren Zeiten ins Auge sehen müssen. [...] Geh deinen Weg!"
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Erster Absatz behandelt Zukunftsängste und Schuldzuweisungen, wie sie jeder im Leben einmal verspüren wird oder bereits verspürt hat.


quote:
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"Ich gehe ihn [...] und habe ihn dennoch gefunden"
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Hier wird die Vielseitigkeit des Lebens und der Weg des lebens angesprochen, welcher für jedes Individuum grundsätzlich existiert. Wenn man es so reininterpretieren mag, neu-deutsch gesagt: die Ups and Downs im Leben.


quote:
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"Weshalb fragt sich der Mann [...] Welt an"
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Bruch der Handlung, Einflechtung eines neuen Handlungsstrangs - eines neuen Gedankengangs des Erzählers.
Betrachtung der pluralistischen Struktur unserer Gesellschaft - der deutschen Geselschaft. Man beachte hierbei: Diese fiktiv Situation entsteht in der Person des Erzählers der sein Leben teilweise reflektiert und bewertet.
Ich möchte hier jetzt nicht auf jedes Detail eingehn. Der Leser soll sich auch noch selbst eine Impression verschaffen.

Der restliche Text vereint - zugegebenermaßen - eine Fülle an Themen und Elementen.
Wiederaufnahme des einstigen Handlungsstrangs, Erleben des eigenen Todes im Traum, Hinterfragen von bestehenden Hirachien/Authoritätssystemen, Kontrolle der Gesellschaft, Naturbetrachtung heute und Position des Individuums in der heutigen Gesellschaft.

All das wird überschattet durch einen parodistischen Einsatz von Hilfsverben, die zusätzlich die Sprache sich so fügen, dass der Mensch als Einzelner bloßgestellt und entmündigt wird.


Wenn ich meine Antwort jetzt hier so lese, stimme ich der Kritik an Überladung an Themen und somit dem erschwerten Verständnis zu. Trotzdem fand ich meinen Text jetzt nicht allzu schlecht :p- Reaktionen werden gerne gehört!

Danke fürs Lesen, schönen Abend noch

Daniel
 
H

HFleiss

Gast
Hallo Daniel, naja, aber all deine Interpretation macht aus deinem etwas hölzernen Text noch keine Erzählung. Dein Herz ist voll, du hast etwas mitzuteilen, und du hast Reflexionen darin, die sich nicht in Handlung ausdrücken, wie es einer Erzählung angemessen ist. Nimm dir zum Beispiel doch mal eine dieser Reflexionen vor und versuche sie als Handlung zu gestalten (das nennt man beweisen, bis jetzt sind das nämlich alles nur unbewiesene Behauptungen). Ohne diese Handlung finde ich den Text nicht nur schwer lesbar, sondern über weite Strecken auch schier unverständlich. Es gibt eine Menge Literatur zum Schreiben, die eine gute Hilfestellung sein kann, wende dich doch mal an den Internet-Verlag Zweitausendeins und lass dir einen Katalog zuschicken.

Gruß
Hanna
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Daniel,

dass hier zuviele Themen 'verarbeitet' wurden, hast Du selbst schon festgestellt.
Ich möchte bei Deiner Sprache bleiben.
Der erste Satz ist 'erzählt', dann wechselst Du die Sprache, Reflexionen werden aneinandergereiht, es passiert gleichzeitig nichts und zuviel. Das Problem bei der Aneinanderreihung von Reflexionen ist (und ich spreche da aus Erfahrung), dass man dem Leser keinen Spielraum lässt, zu empfinden, nachzuvollziehen. Die eine Kunst ist es, bei einem Leser (nicht unbedingt bei allen!) Empfindungen auszulösen, wodurch er sich Dir als Autor und Deinem Text verbunden fühlt; dieses Gefühl kennst Du aus der Leserperspektive sicher auch.
Ich habe mich auf Deinen Text nicht eingelassen, weil Du mich dazu gebracht hättest, sondern aus Sturheit: Da will mich jemand nicht wissen lassen worum es geht, na dem zeig ichs! (ein bisschen überspitzt, ich geb's zu).
Die andere Kunst ist es, den Leser intellektuell anzusprechen, ihm etwas zu erzählen, oder es auf eine Art und Weise zu erzählen, das oder die er noch nicht kennt, indem man ihm Instantbröckchen von Bedeutung hinlegt, auf die er sein geistiges Wasser gießen muss, damit sich der Inhalt entfaltet. Auch das hast Du nicht getan. Du hast in Deinen Refelexionen fix und fertige Meinungen vorgetragen.
Man merkt es an der Sprache, wenn alles schon so komplex ausformuliert ist.
Und dann geht es wieder mit der Erzählung weiter. Beschreibungen. Es folgen surreale Einsprengsel. Erzählung. Symbolik.

Sagen wir es mal so. Ich halte Deinen Text für Mousse au chocolat, in der noch Fettbröckchen sind.
Ich finde, er hat das Zeug zu einer ganz köstlichen Mousse, wenn Du:
1. Dir das mit der 'Tasse des Tees' noch einmal überlegst. Es stimmt, dass erster und letzter Satz Deinen Text 'umarmen', aber es sind (noch) rohe Pappdeckel
2. die Reflexionen weg lässt oder sprachlich anpasst
3. Dir überlegst, welche vielen Themen zueinander passen, glaubwürdig einer am Fenster sinnierend auf den Regen blickenden Person durch den Kopf gehen können, ohne dass man die intellektuelle Brechstange spürt.

Diese gehetzten Gefühle hast Du in der Fortsetzung des Erzählteils gut rübergebracht; diese Einstürmungen von Themen, der Protagonist weiß selbst nicht, was denn nun alles wichtig ist, was er da wahrnimmt (es ist nur nicht stimmig, dass es dem Menschen am Fenster so durch den Kopf gehen soll), ich habe auch nachempfinden können, dass man einer 'Nachrichten-Informationsflut' ausgesetzt sein kann, in der die Werte verborgen liegen, die Anhaltspunkte liefern könnten um dem Bewegungschaos von innen her Struktur zu geben. Und ich mag den 'Kunstgriff' mit den Hilfsverben; ich habe ihn allerdings nicht parodistisch empfunden, sondern als Unterstützung für das Thema der Flut an Informationen, in der Wegweiser fehlen: sollen? müssen? können?

Lieber Daniel, ich mag noch nicht genug, wie Du es schreibst, aber ich mag, was Du siehst.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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