Die Würde des Menschen

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gareth

Mitglied
Ein Abschied


Als ich beim Schachspiel erstmals Dich besiegte,
da wars auch schon zum allerletzten Mal.
Das Leben hatte gegen Dich entschieden,
undenkbar jeder weitere Versuch

Gelassen nahm das Schicksal Deine Stifte,
Papiere, Pinsel, Tuschen, still an sich,
versagte Dir den Zugang zu Geräten,
erklärte Deine Arbeit für getan

Wir sahen Deine Welt sich stetig wandeln
und Dich in ihr, bis auch das letzte Band,
das Wenn mit Dann verknüpft, zerrissen, lose,
in Deinen regen Händen nutzlos lag

Wir sahen Deinen Weg sein Ziel verlieren,
dein Handeln seine ordnende Struktur,
es kam der Tag des Singens mit den Vögeln,
im Garten mit den Freunden, die Dir fremd

Und über allem lebte frei in Liebe,
Gefühl und Klang und Farben, Deine Seele,
empfindsam, edel, zärtlich und in Sorge,
von keiner Maske länger mehr geschützt

Kein Anspruch ist auf unversehrtes Bleiben,
nicht auf verstanden werden noch verstehen,
wir mögen fordern, doch es wird uns nicht gewährt;
Trost liegt im Hoffen auf Gedenken nur allein.
 

MH

Mitglied
hallo gareth,

ich weiss nicht warum, aber schon nach dem lesen der ersten beiden zeilen wusste ich worum es in diesem werk gehen wird.

ich habe mich mit diesem thema, ohne direkt oder indirekt betroffen zu sein, aus irgendeinem merkwürdigen anstoss heraus literarisch ein wenig auseinandergesetzt und muss dir sagen: selten hat jemand so gute worte gefunden.

es fällt schwer hier zu loben, zu kritisieren, wenn man die position des autors nicht genau kennt, sein anliegen und die ursache - dennoch, hervorheben möchte ich

Wir sahen Deine Welt sich stetig wandeln
und Dich in ihr, bis auch das letzte Band,
das Wenn mit Dann verknüpft, zerrissen, lose,
in Deinen regen Händen nutzlos lag

denn diese stelle zwingt zum erstarren, zum nochmals lesen, macht selber sprachlos.

mfgMH
 

Montgelas

Mitglied
Distanz, die Nähe zeigt !

lieber gareth,

ich bewundere es immer, wenn reimlos
ein text eine musikalität entwickelt,
die aus dem thema heraus geboren wird.
perfekt die form ! Schafft sie doch autor
wie leser eine distanz zu halten, die nötig
ist einen solchen "abschied" sprache zu verleihen.

diese distanz, und das halte ich für sehr gelungen,
läßt die tiefe nähe des autors zu seinem prot.
warm aufleuchten. die verbundenheit beider
wird in jeder zeile deutlich.


alles gute

montgelas
 

Walther

Mitglied
Guten Tag, Gareth!

Dein Gedicht ist durchaus ein Gewinn für die Leselupe. Es wäre nicht nur einer für dieses Forum. Mein Lob, besonders ein überschwängliches, muß man sich in der Regel hart verdienen, wie andere hier schon bemerkt haben. :D Asche auf mein Haupt.

Eigentlich sollte man hier Textarbeit leisten, daher will ich mit diese "Lobhudeleien" belassen und einige bemerkenswerte Eigenschaften Deines Beitrags hervorheben. Die erste: Es ist Dir trotz der Länge des Beitrags gelungen, einen Spannungsbogen aufzubauen, der es erscheinen läßt, daß keines Deiner Wörter, kein Vers und keine Strophe zuviel ist. Eigentlich sollen Gedichte "dicht" sein und damit auch kurz. Langatmigkeit ist nichts für die Lyrik.

Des Weiteren ist keines Deiner Bilder verrutscht oder platt, auch das ist bei einem solch sperrige Thema wie dem letzten Abschied von einem Menschen eher ein Wunder. Dafür gebührt Dir separater Respekt.

Und zum Dritten ist dem Gedicht das beschwingt Liedhafte eigen, das ich bei vielen Einträgen so schmerzlich vermisse. Hier hat jemand, auch ohne den Reim, eine rhtythmische Sprache gefunden, die durchaus dem Thema angemessen ist. Und dennoch so gehalten, daß man dem traurigen Sujet noch ansieht in seiner Verarbeitung, daß der so besprochenen Person ein sehr positives Gefühl entgegengebracht wird. Es ist beides in den Versen und im Metrum: die Trauer um und die Freude am verlorenen Menschen. Auch das ein einzigartiges Faszinosum, daß dies so gelingen konnte.

Fürwahr ein Gewinn für die Leselupe. Und ein Beispiel für uns alle, besonders auch für mich, wie ein Gedicht, wenn es denn über den Tag hinausreicht, sein könnte und sollte. Es bleibt zu hoffen, daß mir irgendwann ein solcher Markstein wie dieser gelingt. Das sage ich, mit ehrlicher Verneigung vor der Könnerschaft, mit aller hier nötigen Bescheidenheit. Und rufe Dir ein lautes "Châpeau" zu, denn diesen Ausruf hast Du Dir mehr als redlich verdient.

Liebe Grüße

W.
 
L

Lotte Werther

Gast
An gareth

Ich saß am Bette meines Vaters. Er hat mich nicht mehr erkannt. Es war das erste Mal und als ich ihm meinen Namen sagte, da blieben seine Blicke leer. Er lebt in seiner Welt, zu der ich keinen Zutritt mehr habe.

Mit dieser traurigen Erkenntnis habe ich gestern Abend dein Gedicht gelesen.

Du hast es sensibel, authentisch und glaubwürdig ausgedrückt. Ich fand beide wieder in deinen Worten: den Betroffenen und den hilflosen, nahestehenden Menschen.

Lotte Werther
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo gareth,

mein Leseeindruck ist zwar auch geprägt von Achtung und Aufrichtigkeit. Harmonie, die die Worte vermitteln.
Aber dennoch finde ich es sehr kompliziert.

Die Melodie zwingt an einigen Stellen die Worte in eine ungebräuchliche Stellung, wodurch der Text zwar an alter Ehrwürdigkeit gewinnt, aber auch etwas gezwungen zu sein scheint. Dadurch verspüre ich eine unerklärliche Gegenbewegung in mir, eine Protesthaltung.

Vielleicht war das aber auch Deine Absicht, oder ich bin vielleicht auch nicht der Typ dafür.

Aber in der Wortwahl ist der Text sehr beachtlich!

cu
lap
 

Stern

Mitglied
Lieber gareth,

schlicht und ergreifend -

noch nie hatte ich das Gefühl,
diese Worte in solch rundum stimmigem Zusammenhang
anzuwenden.
Ich kann nicht mehr dazu sagen.

Liebe Grüße,

Stern *
 

gareth

Mitglied
Hallo Ihr Lieben,

ich bin Euch sehr dankbar.

Das Gedicht hat einen realen Hintergrund. Es ist einem älteren Freund gewidmet, der mich in einer schlechten Zeit sehr gestützt hat.
Es hat einige Jahre gedauert, bis ich nach seinem Tod nun das erste Mal das Gefühl hatte, ich könnte im Stande sein, das Erlebte in Gedichtform zu bearbeiten. Und nun habe ich es getan, nachdem ich glaubte ein Gefühl dafür entwickelt zu haben.
Ich habe natürlich sehr gehofft, eine akzeptable Ausdrucksform zu finden, aber die Zustimmung ist viel größer, als ich je erhofft habe. Das freut mich besonders auch für den, dem es gilt.

Es war dies eines der wenigen Gedichte, die ich auch nach langer Arbeitszeit nicht unlektoriert veröffentlichen wollte und Lotte Werther hat mir alle die Texteile gezeigt, die den eigentlichen Gedanken nicht getragen haben und entbehrlich waren. Dafür bin ich ihr dankbar.

Im Bewusstsein, dass auch die kritischen Anmerkungen von lapismont gerechtfertigt sind

Liebe Grüße
gareth
 

Walther

Mitglied
Re: Hallo Ihr Lieben,

Ursprünglich veröffentlicht von gareth
...Ich habe natürlich sehr gehofft, eine akzeptable Ausdrucksform zu finden, aber die Zustimmung ist viel größer, als ich je erhofft habe. Das freut mich besonders auch für den, dem es gilt

Es war dies eines der wenigen Gedichte, die ich auch nach langer Arbeitszeit nicht unlektoriert veröffentlichen wollte und Lotte Werther hat mir alle die Texteile gezeigt, die den eigentlichen Gedanken nicht getragen haben und entbehrlich waren. Dafür bin ich ihr dankbar. ...
Lieber Gareth,

man kann Deinem Gedicht die persönlichen Empfindungen noch anmerken. Normalerweise sind Betroffenheitsgedichte nicht besonders gut, weil sie zwischen dem Erlebten und der Verarbeitung nicht genügend Distanz haben.

In diesem Fall hat das lange Arbeiten zum Einen genau diese heikle Mittellage zwischen dem zugrundeliegenden, zu verarbeitenden Erlebnis und dem Text erreicht, die Deinen Beitrag über die Zeit und das Ereignis selbst hinaus erhebt. Und dennoch ist die Sprache nicht schwer und unzugänglich geworden, sondern eher selbstverständlich und sicher im Ausdruck. Das ist schon ein geniales Stück Sprache, das so souverän und wunderbar das Trauma der Trauer und die Wertschätzung für einen verlorenen und verehrten Menschen umgreift.

Die wenigen kritischen Bemerkungen sind deshalb auch nicht wirklich wesentlich, was die Einschätzungen der Leser angeht. Es ist sehr schön, daß ein Text so unisono von Lesern und Dichtern durchaus verschiedener Geschmäcker und Herangehensweisen als gut und gelungen angesehen wird.

Ich freue mich, daß Du in Bescheidenheit auch Deine Lektorin genannt und gelobt hast. Das ehrt Dich besonders. Daher übermittle ich jetzt auch Dank für ihren - kleineren - Anteil an Deinem wirklich herausragenden Text.

Einen schönen Abend und eine gute Zeit wünscht alle

der W.
 

Dorothea

Mitglied
Unverlierbare Würde

Hallo gareth,

nach all den vielen, zurecht lobenden, Kommentaren bleibt mir nur noch zu betonen, was mir an Deinem Text besonders imponiert hat. Wer über Altersdemenz redet, spricht heute vielfach von Angst, Besorgnis, Mitleid und von den Schwierigkeiten der Betreuung, gar von Kosten und Lasten.
Du aber lässt dem Protagonisten in liebevoller, unprätentiöser Rede, seine Würde und auch dieser Lebensphase ihren Sinn!

Liebe Grüße.
 

fenestra

Mitglied
Hallo, gareth,

in den Tenor der anderen Kritiker stimme ich gerne ein, dies ist eine gelungene Form, sich mit einem sehr schwierigen und sensiblen Thema auseinanderzusetzen. Keine Klischees, keine Tränendrüsen. Besonders mag ich die Strophe, in der das Schicksal die Stifte an sich nimmt. Ein greifbares, eindrückliches Bild.

Ich habe nur einen Kritikpunkt: Der Titel ist so allgemein gehalten, dass ich erst heute, angelockt durch den dicken Bewertungsbalken, das Gedicht überhaupt angeklickt habe. Ich befürchtete nämlich den Versuch einer generellen Abhandlung des (viel zu) großen Themas Menschenwürde. Zwar spiegelt dein Gedicht die Würde des Menschen wieder durch die Art, wie du über die Krankheit sprichst, aber du versuchst nicht, einen zu großen Bogen dabei zu schlagen. Sicher gäbe es einen Titel, der dem feinfühligen, nicht überambitionierten Text besser gerecht würde.

Viele Grüße
fenestra
 

gareth

Mitglied
Da hast Du recht, fenestra,

in einer ersten, etwas längeren Fassung, war das Wort Würde enthalten. Der Titel hatte dadurch einen direkten Bezug zum Text. Ich habe mich deshalb bisher nicht ernsthaft mit der Frage beschäftigt, aber sie ist sicher berechtigt.
Ich werde darüber nachdenken. Danke für Deinen Kommentar und den Hinweis.

gareth
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Gareth,

auch ich habe erst jetzt dein Gedicht entdeckt. Ich will hier keine weiteren Lobesworte hinzufügen, da sind schon genügend gesagt und geschrieben worden. Was mir auffiel: die Worte drängen sich an keiner Stelle in den Vordergrund, sie transportieren wie "stille Diener" das "Bild"... (Vielleicht ähnlich wie bei einem beindruckenden Gemälde: man vergißt über dem Gesamteindruck, daß es sich nur um Ölfarben handelt.)

Den Titel würde ich beibehalten. Der Text paßt nicht unter reißerische Überschriften.

Liebe Grüße

P.
 
C

casy01

Gast
Meine Oma hat Ihre Kinder und uns als ihre Enkelkinder auch nicht mehr erkannt


so zart hast Du die Liebe zum Menschen

den man ja bewahrt vermisst und liebt hier geschildert

vortrefflich
 

strolch

Mitglied
hallo Gareth,

der titel ist genau richtig - darum geht es es - das sie ihre würde behalten. auch so behandelt werden.

lg brigitte
 



 
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