Die deutsche Wirtschaft & ich

3,80 Stern(e) 4 Bewertungen

jimKaktus

Mitglied
Die deutsche Wirtschaft & ich

Oft betrachte ich so im Alltag andere Typen und finde, dass sie richtig gut gekleidet sind, und zermartere mir das Hirn, wo sie ihre Klamotten her haben. Warum ist es eigentlich so, dass andere immer gut aussehn und du selbst siehst immer Scheiße aus? Gehe ich zu selten «shoppen»? Wäre möglich.

(Der Kanzler hat gesagt, dass ich Vertrauen haben soll in die deutsche Wirtschaft. Das kann ich leider nicht, solange die Deutsche Bank mir nicht vertraut. Ich hätte gern ein neues Sofa, dann müsste ich nicht auf dem Boden pennen oder mir wahlweise auf der Couch den Rücken verbiegen. Müssen die gut gekleideten Typen auch auf dem Boden schlafen? Kanzler müsste man sein.

Ich muss mich wohl zu den Angstsparern rechnen lassen. Angstsparer sein ist ganz ok. Ich spare mir zum Beispiel die Angst, die ich kriege, wenn ich in ein Geschäft gehe und die Preise sehe für Ware, die mir nicht gefällt. Was muss ein Laden für Kosten haben, um so viel für so wenig zu verlangen?)

Zum vielleicht letzten Winterschlussverkauf hab ich mich dann doch mal wieder getraut. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Eines Abends bin ich also bei Dunkelheit und strömendem Regen zum Einkaufscenter hin. Ich hasse Einkaufscenter. Erstens wegen dem warmen Gebläse an der Eingangstür, zweitens wegen der klimatisierten Luft, drittens wegen den Kopfschmerz verursachenden Parfümerien und viertens wegen diesem hellen Licht, das auch die Supermärkte und sogar die Sendungen des Shoppingkanals schattenlos ausleuchtet. Fünftens wegen dem ganzen Glas und Chrom, sechstens, weil es nur Rolltreppen, keine normalen Treppen gibt und die Rolltreppen voller Leute sind, siebtens, weil überhaupt zu viele Leute da sind, achtens wegen der krank machenden Musik, neuntens wegen der Werbung und den Achtung-Achtung-Durchsagen und der ganzen Playmobil-Bahnhofsatmosphäre und zehntens, weil alles das zusammen kommt. Darum hasse ich, um es noch mal zu sagen, Einkaufscenter.

Ich habe daraus gelernt und organisiere meinen Einkauf gewöhnlich wie einen Banküberfall. Erst streiche ich eine Weile um das Center herum, schaue durch die Scheiben, studiere die Namen der Geschäfte, mache mir Notizen und male mir von der großen Metalltafel die Grundrisse der relevanten Etagen ab. Dann zeichne ich den Weg zu den einzelnen Geschäften ein, wo ich zuschlagen will. Ich hole noch einmal tief Luft und stürze mich ins Gewimmel. Diesmal stehen Jeans- und Modegeschäfte auf meiner Liste.

In der Drehtür fönt mir das Gebläse den Hosenboden. Ich betrete das Einkaufscenter. Es erklingt die typische Weichspülermusik. Kein Mensch zu sehen. Bin ich tot? Es ist unheimlich, ein bisschen wie in diesen Geisterstädten im Western. Fehlt nur, dass ein Rollbusch vorbeikullert. Meine Hand schnellt an die Hosennaht. Ich bin unbewaffnet. Trotzdem gehe ich ziemlich breitbeinig in das erste Jeansgeschäft.

«Hi Molly», sage ich zu der Dunkelhaarigen. Ich habe das in einem Film gesehen. Sie sagt nichts. Sie hat den Film wohl nicht gesehen. Und wahrscheinlich ist sie irritiert, weil ich mit ihrem Ausschnitt geredet habe. Aber der ist genau auf Augenhöhe. Ich schaue mich um nach Reduziert-Schildchen oder dergleichen. Ich schaue Molly an und verziehe den Mund und kaue auf meinem nicht vorhandenen Kaugummi. Molly sagt nichts. Ich gehe wieder raus. Ich kann nach so einem Auftritt nicht fragen, wo die reduzierten Sachen sind. Billy the Kid fragt nicht nach reduzierten Sachen.

Im nächsten Geschäft bedient eine ältere Frau und das ist gut. Zwar werde ich nun automatisch in die Sohnrolle gedrängt, aber hier kann ich mich nicht blamieren. Bei einer ersten Runde hat nichts meinen Jagdinstinkt angeknipst. Ein paar T-Shirts könnten mir gefallen. Aber sie müssten mir schon richtig gefallen. Wahrscheinlich haben sie andern Leuten auch nicht gefallen und sind deswegen noch hier. Der Winterschlussverkauf hat Montag begonnen. Heute ist Donnerstag.

Dann gibts da noch eine halbwegs brauchbare Hose. Wieder einmal habe ich mit nur einem Griff ins Regal das teuerste Teil im ganzen Laden gefunden. Die Jagd geht weiter.

«Haben Sie unsere reduzierte Ware gesehen?», ruft mir die Frau nach.

Bestimmt habe ich sie gesehen. Ganz kurz. Die Frau tut mir plötzlich leid. Ich sehe sie Dutzenden von Leuten nachrufen: «Haben Sie unsere reduzierte Ware gesehen??» Und Dutzende von Leuten gehen einfach weiter. Wie ich. Man muss knallhart sein. Die Zeiten sind knallhart.

Nächste Station ist ein Laden, wo zur Abwechslung ein Mann hinterm Tresen steht - beziehungsweise, als ich reinkomme, losgeht, um zum siebzehnten Mal an diesem Tage die Jeanshosen zu sortieren. Ich freue mich über den Mann. Das ist was anderes als die ältere Frau, die mich angelächelt hat wie ihren Sohnemann, und was anderes als die typischen jungen Jeansladenverkäuferinnen, die dich ansehen und sofort wissen, dass du eine Null bist, und darum auch keine Lust haben, dich zu bedienen.

Ich nenne ihm meine Größe. Er runzelt die Stirn. Das Leben ist knallhart für jemanden mit dreißig-zweiunddreißig. Zwei Minuten später stecke ich in einer Hose, die vorher in meiner Hand gar nicht schlecht ausgesehen hat. Ich betrachte mich im Spiegel und denke: wenn ich eine Frau wäre, würde ich mir gefallen. Es fehlt nicht viel und die Hose wäre hauteng. Hält der mich für schwul? Und was soll diese Schnalle über meinem Hintern? Es sieht aus wie ein Schleifchen, ein Schleifchen wie es kleine Mädchen im Haar tragen bevor ihnen ihr Daddy einen Igelschnitt verpasst.

Ich möchte den Mann fragen, ob es nicht noch solche Hosen gibt, wie er selbst anhat. Er trägt eine hellgraue Hose mit Taschen an den Seiten. Doch er kommt mir zuvor: mit einer neuen Hose und heißt mich, sie anzuziehen. Erst als ich sie anhabe, wird mir die Katastrophe in ihrem vollen Umfang bewusst. Die Hose hat auf jedem Oberschenkel eine Tasche mit Druckknopf und sieht davon abgesehen, leger, griffiger Stoff, interessante Farbe, nicht zu eng, nicht zu weit, eigentlich wunderbar aus. Ich frage, ob es die Hose auch ohne die Taschen gibt. Er schüttelt langsam den Kopf. Nimm die Hose oder verschwinde. Ich verschwinde. Das Leben ist knallhart. Aber mit Betreten des Einkaufscenters habe ich in den Zirkus eingewilligt. Davon gehen sie aus.

Am Ende habe ich irgend so eine neumodische Hose gekauft, die halb aus einer Bluejeans und halb aus einer Cordhose mit beige-blauem Tarnfarbenmuster zusammengestrickt wurde. Ich sehe damit aus wie eine Atomkuh. Es ist wirklich nicht leicht, der deutschen Wirtschaft zu vertrauen. Aber die andern Clowns sehen oft noch viel verstrahlter aus. Es gibt die Proleten. Die haben wohl am meisten Vertrauen in die deutsche Wirtschaft (deutsche Bräunungscenter eingeschlossen) und vertrauen auch den Modeexperimenten der um neue Trends ringenden Bekleidungsfirmen. Dann gibt es diese Oasis-Typen, die meinen, aus dem Rahmen zu fallen (und sehn aus wie aus dem H&M-Poster gestürzt); und es gibt jene Individuen, die den Kleidungskauf völlig aufgegeben haben. Ich gehöre zu den Unbelehrbaren. Dazu muss man knallhart sein und knallbescheuert. Ich werde weiterkämpfen, werde weiter nach Kleidung für mich suchen. Und wenn ich mir damit selbst nicht diene, so diene ich doch wenigstens der deutschen Wirtschaft.
 

jimKaktus

Mitglied
Re: hm,

Ursprünglich veröffentlicht von flammarion
könnte n wenig kürzer sein.
stimmt. manchmal hab ich lust, mich über ein thema so richtig breit u genüsslich auszulassen. (ob ich mir das erlauben kann? ich hoffe es. die geschichte ist natürlich eigentlich total nichtssagend u auf preiswerte pointen orientiert.)

gruß,
jim
 

gox

Mitglied
Hallo jimKaktus,

schöne Geschichte!
Ich schließe mich flammarion an, deutlich gekürzt und sprachlich etwas gestrafft könnte sie deutlich witziger sein. Der Angstsparer hat mir gut gefallen ;-)

Viele Grüsse vom gox
 

Bonnie Darko

Mitglied
Hi Jim,

ja, ich schließe mich an: Du hast viele witzige Ideen in deinem Text, aber insgesamt wirkt er noch ein bißchen unfertig. Nichtsdestotrotz habe ich mich gut unterhalten gefühlt.

Lieblingsstellen:
Playmobil-Bahnhofsatmosphäre
"fönt mir das Gebläse den Hosenboden"
die Molly-Episode
die Verkäuferin, die ihm hinterher ruft
"Das Leben ist knallhart für jemanden mit dreißig-zweiunddreißig."
 

jimKaktus

Mitglied
Hi Leute!

Vielen Dank für Eure Rückmeldungen! den Text straffen wär vorteilhaft, das stimmt. Ich werde ihn daraufhin noch mal anschauen.

@Bonnie: So ein Feedback der Lieblingsstellen ist wirklich sehr informativ. Man kriegt es sonst erst beim Lesen vor Publikum mit, welche Stelle vielleicht wirkt.

LG,
jim
 



 
Oben Unten