Die ganze Wahrheit über den Untergang von M112

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Die ganze Wahrheit über den Untergang von M112

Meine Frau sagt immer, mir fehle da irgendwie die Fantasie dafür. Du musst es erlebt haben wenn du drüber schreiben willst, sagt sie. Was soll's, denke ich mir. Bin ich etwa der Updike, oder der McEwan? Nein, bin ich nicht. Unter uns gesagt, ich bin ja nicht mal der Beskowitz. Dem Beskowitz, dem fallen die Sachen einfach so ein. Fantasy, Science-Fiction, das Cyberpunkzeug; kann der aus dem Effeff. Tagsüber geht der Beskowitz arbeiten. So 'ne kleine Werkstatt. Bautischlerei, nichts großes. Muss ja, sagt er, kannst ja noch nicht in Rente. Abends sitzt er am Schreibtisch und tippt seine Geschichten in den Rechner. Hat ja auch die Zeit, der Beskowitz. Die Kinder sind ja gleich nach der Schule aus dem Haus, und seiner Frau ist es mit ihm allein ja irgendwann auch zu bunt geworden. Die schöne Wohnung in der Innenstadt hat er dann auch nicht mehr halten können. Das bisschen Tischlerei ist ja nun mal keine Goldgrube, sagt er. Und du wirst's dir ja schon denken können, nun wohnt er irgendwo am Stadtrand, der Beskowitz. Südwestsiedlung. Drei Zehngeschosser aus den späten Sechzigern, aber alles picobello, sagt er. Vor den Blocks stehen ein paar Pappeln und in der Ferne fließt der Main. Und wenn er dann auf seinem Balkon im sechsten Stock steht, und der Westwind so silbern durch die Pappelkronen schleicht, dass es aussieht als treibe er einen Schwarm Heringe vor sich her, dann denkt er sich, 's hätte auch schlimmer kommen können. So einer ist er, der Beskowitz. Ehrlich.

Und nun weiß ich nicht, ob du's schon kennst, aber wie der Beskowitz eines freitags nachts so an seinem Schreibtisch gesessen ist, mit den Kopf schüttelte und sich gedacht hat, ach du grüne Neune, nun ist's aber auch wieder spät geworden, da hat er gemerkt, dass da was nicht aufgegangen ist in seiner Geschichte; sprich verschrieben. Nun musst du wissen, dass der Beskowitz mal wieder 'n bisschen was getrunken hat, und ihm die Arbeit an der Story ein wenig aus den Händen geglitten ist. Du weißt ja, Marsdurchmesser nur schlappe siebentausend Kilometer, und da ist's ja nun wirklich nicht weit bis zum Horizont. Und nun pass auf; der Beskowitz lässt also seine Versorgungssonde im falschen Quadranten, außerhalb der Sichtweite der Kolonie landen. So weit kein Problem. Aber; kein Kontakt möglich, weil Sender kaputt. Und suchen; dazu ist bei dem dem Sturm nun wirklich nicht zu raten. Gut, er hätte den Sturm umschreiben können, für ihn 'ne leichte Übung, oder er hätte die Sonde mit 'ner schnellen Tipperei näher an die Station bringen können. Aber nein, so einer ist der Beskowitz nicht. Er hat zum Fenster geschaut und gedacht, dass ihm das nun den ganzen schönen Plot versaut hat. Nun wirst du sagen, nach drei Gimlets mit 'ner Extraportion Gin kann das schon mal vorkommen. Und genau das hat sich der Beskowitz auch gesagt, ist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Ich muss nun mal ehrlich sagen, dass ihm so was in letzter Zeit schon häufiger passiert ist, und er seine, als raffiniert geltenden, dramaturgischen Wendungen immer öfter aus dem benetzten Grund eines Mehrzweckglases gehoben hat. Quasi Perlentaucher. Und da hat der Beskowitz dann am Fenster gestanden, in die mondlose Nacht gestarrt, und es ist ihm durch den Kopf gefahren, dass es seinen Lesern in all den Space- und Trekkieforen wohl einerlei sei auf welche Weise er nach seinen Perlen fischt. Denen sicher, hat er sich gedacht, mir ist's aber nicht egal. Und der Beskowitz ist hinaus auf den Balkon gegangen, hat auf die blauschwarzen Wogen der Pappelkronen gestarrt und sich dabei gefühlt, als würde er von der Brücke eines Frachters hinaus auf die kabbelige See schauen, um im Rauchen der Dünung das hoffnungsvolle Flüstern seiner frühen Erzählungen wieder zu entdecken. Aber Fehlanzeige.

Nun musst du wissen, dass der Beskowitz in all den Jahren in denen er nun schon schreibt, nicht immer nur Science-Fiction geschrieben hat. In der Maienblüte seiner Jugend ist ihm keine Landschaft zu dröge gewesen um ihr nicht ein Quäntchen Poesie zu entlocken. Seine Wintergeschichten schmeckten nach Glühwein und Rodelwetter. Sein Frühling, eine einzige Kirschblüte, seine Sommer dufteten nach Heu und Sonnenöl. Es gab kein Mädchenlächeln welches ihn nicht zu einer Liebesgeschichte inspiriert hat, und du wirst's nicht glauben, selbst in seinen Herbstgeschichten hat er noch Häuser bauen lassen. Nun wirst du fragen, was ist passiert? Warum zerbricht er sich heute den Kopf über alternative Raketenantriebe und den Brokkolianbau auf M112? Und vielleicht schwant dir ja was. Wie; dass der Beskowitz die Nase gestrichen voll davon hatte, dass nicht mal seine Frau seine alten Geschichten lesen wollte. Dass er endlich mal etwas schreiben wollte, wofür sich überhaupt eine Leser findet. Dass er sich hier nur einer Marktlage beugt, einem Pragmatismus folgt. Wenn du auf dieser Fährte bist; Bingo.

Du wirst dir nun denken können, dass der Beskowitz nun ganz schön in der Bredouille sitzt. So völlig am Plot vorbei geschieben, verzwickte Lage quasi. Und weil er gerade nicht gewusst hat wie er das nun wieder gerade biegen kann, ist er in die Küche gegangen, hat sich eine eins-a Portion Gin in sein Glas gegossen, den Limejuice drüber und das ganze noch flott mit ein paar Eiswürfeln garniert. Jetzt musst du wissen, dass der Beskowitz die neumodischen Sachen ja nicht so mag. Aber so'n Gimlet ist eine runde Sache, 'en Klassiker quasi. Er fühle er sich da dem Lennox, also dem Lennox vom Chandler, verbunden, hat er gesagt. Aber Verbundenheit hin, Verbundenheit her. Die Kehrseite der Medaille; er hat im Türpfosten gestanden und das Ding ist auf einmal wie Gummi. Und um ihn herum, alles wie durch einen Schleier. Kühlschrank, Spüle, Herd; wie durch einen Schleier. Und der Kopf – na, prost Mahlzeit. Du weißt ja, der Lennox hatte 'nen Freund, den Marlowe. Und der Marlowe, der hat aufgepasst, dass der Lennox immer schön die Kurve bekommen hat. Nun, der Beskowitz kennt zwar auch ein paar Leute; den Kayankaya aus dem zweiten Stock, oder den Ullmann vom Kiosk an der Ecke; aber so einen wie den Marlowe, so einen kennt der Beskowitz nicht. Quasi marlowelos.

Nun kommt's, denn wie der Beskowitz so im Türpfosten lehnt und um ihn herum die Küche schwankt, hört er sich sagen, 'trink nicht soviel!'. Und ich kann dir sagen, dass er da nicht schlecht geguckt hat, denn er ist sich sicher gewesen, dass er kein Sterbenswörtchen gesagt hat. 'Trink nicht soviel!'. Noch mal, ganz deutlich. Und nun hat er sich an den Kopf gefasst, sich gedacht, dass er hier nun langsam verrückt wird, und sich die Stirn kräftig massiert. Nun interessant, wie der Beskowitz so in seiner Küche gestanden hat, sich mit der Linken an die Stirn fasst, und dabei die Augen fest geschlossen hat, da entsteht in der Tiefe des Raumes, den er nun vor sich sieht, eine ganze Galaxie voller bunter Sterne. Nun wirst du sagen; ja, kenn' ich. Aber jetzt passiert's, all die Sterne tänzelten so, als würden sie einer ausgebufften Choreographie gehorchen. Und aus den roten Sternen formen sich zwei grell geschminkte Lippen, die blauen vereinen sich zu einem Augenpaar mit der Weite und Wärme des Himmels über Marseilles, und die goldgelben Lichter formen etwas, was der Beskowitz noch gar nicht hat erkennen können. Ob er's überhaupt erkennen will, hat er sich gefragt, sich dabei noch mal kräftig die Stirn gerieben und gehofft, dass der Spuk nun bald ein Ende hat, sprich spukfrei. Denkste, denn nun hat er deutlich sehen können wie sich die goldgelben Sterne zu einem Ring formen. Ohrring, hundertpro, hat er gedacht. Und da hat er nun wirklich mal Recht gehabt, denn die goldgelben Sterne werden zu einer Kreole, so groß, dass ein Kanarienvogel drin hätt' sitzen können. Und der Beskowitz hat genickt, um so zu tun, als würde er verstehen was hier gerade vor sich geht. Netter Versuch, denn er hat sich gefühlt wie nachts auf dem Rummel und Brille vergessen. Nun pass auf, als sich all die Lichter in diesem schornsteinfegerschwarzen Himmel zur einem Ganzen geformt haben, hätte er eigentlich laut lachen wollen. Hätte - wenn ihm das Gesicht, dass ihn nun aus der Tiefe des Raumes zugelächelt hat, nicht so bekannt vorgekommen wäre. Denn interessant, eine eins-a Version des jungen Beskowitz, hat er sich gedacht. Aber ein bisschen gewundert hat er sich schon, denn dieser junge Beskowitz trug eine farbenfrohe Weste über den Schultern, hatte eine pechschwarz gefärbte Wuschelmähne, einen feuerrot geschminktem Kussmund, sein Kinn wurde durch ein kubanischen Revelutionsbärtchen verziert und in seinem Ohr hing diese ungeheuer große Kreole. Und diese lustige Erscheinung Seiner selbst, die ihn nun in seiner Küche heimgesucht hat, hat milde gelächelt, seine Hand nach ihm ausgestreckt und gesagt: „Komm mit uns, Bruder. Zieh mit den Zigeunern.“

Und nun muss ich sagen, dass mir da der Beskowitz schon ein bisschen imponiert hat. Wie er sich da weder auf ein endloses Abwägen der Dafürs und Dagegens einer Reise eingelassen hat, noch auf den Gedanken gekommen ist, diesem leicht tuntigen Zigeuner einen Gimlet anzubieten. Statt dessen; der Beskowitz ist zur Spüle gegangen, hat sich zwei Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht geworfen, einmal tief Luft geholt und mit einem erleichterten Seufzer festgestellt, dass der Radau nun ein Ende hat. Und nun musst du entschuldigen, dass ich dir das alles so haarklein erzähle, aber ich wollte dir nur zeigen, dass zwischen einer verirrten Versorgungssonde und dem Erscheinen eines Zigeuners in deiner Küche gar nicht so viel passieren muss. Wahnsinn überall, quasi.

Und nun hat sich der Beskowitz auf der Stelle wieder fit gefühlt. Wie neu ist er sich vorgekommen als das kalte Wasser langsam auf seiner Haut getrocknet ist. Und du weißt ja, das Leben kannste halt nur rückwärts verstehen, leben musstes aber vorwärts. Und weil der Beskowitz ja eher ein Vorwärt-, als ein Rückwärtsmensch ist, hat er sich gedacht, dass er eh keinen passenden Schuh für eine so weite Reise gehabt hätte. Scherzkeks quasi. Denn; was ist der Mann noch wert, der sich in einer Freitagnacht von einem farbenfrohen Zigeuner in seiner Küche den Schneid abkaufen lässt? Nichts ist er wert, hat sich der Beskowitz gedacht, gar nichts. Und als sich der Beskowitz zufrieden zum Boden bückt, um die leere Flasche zu denen der letzten Woche zu stellen, hört er es an der Tür klingeln. Er hat kurz auf die Uhr geschaut, die Ohre gespitzt und gehofft, dass er sich verhört hat. Denkste, denn gerade in dem Augenblick als der Beskowitz sich gedacht hat, Gefahr gebannt, klingelte es noch einmal. Und nun wirst du dich fragen, worum er nicht einfach zur Tür geht und nachschaut wer dort ist. Also erstens, du wohnst ja nicht in der Südwestsiedlung. Zweitens, bei dir ist es auch nicht nachts kurz vor eins. Und drittens, bei dir gehen auch nicht die Zigeuner ein und aus.

Aber nun siehst du, dass der Mensch sich, ob nun marlowelos oder nicht, in jedem Klingeln die Erfüllung seiner Wünsche und Träume erhofft. Das da endlich einer im Türrahmen steht, den Daumen in die Höhe streckt und sagt: Okay, du bist im Team. Oder der Ullmann vom Kiosk mit 'nem Lottoschein winkt und sagt, natürlich der Beskowitz, wer sollte denn sonst den Jackpot knacken. Oder einfach nur, eine Speziale mit extra Peperoni, war das hier. Egal, du weißt was ich meine. Und glaub's mir, auch der Beskowitz wäre in solch einer Situation voller Hoffnung, wenn da nicht die Angst an ihm genagt hätte, wieder auf einen farbenfrohen Vertreter einer mobilen Ethnischen Minderheit zu treffen. Aber, neugierig. Und so hat er sich durch den schlingernden Flur tangoiert, balanciert dabei seinen Gimlet in der Rechten und hat die Tür aufgesperrt.

Und jetzt, ein junges Mädchen, wo der Beskowitz sich nicht erinnern kann es je gesehen zu haben, hat tief gebeugt da gestanden und sich mit der Hand an der Wand abgestützt, so dass der Beskowitz Angst gehabt hat, dass sich ihre fragile Position schlagartig in eine stabil liegende verwandeln könnte. Der Beskowitz hat sich nun nichts mehr gewünscht als: oh falsche Tür. Aber Pustekuchen.
Stattdessen: „Bes-koo-witz“, wobei ihr Finger langsam über's Klingelschild gefahren ist.
„Ich hab' von unten noch Licht gesehen. Dachte, schauste mal nach'm neuen Nachbarn.“
Nun musst du wissen, dass es im Oktober zwei Jahre werden die der Beskowitz in der Südwestsiedlung wohnt, und dass er die bisher ausbleibenden Nachbarschaftsbesuche so vermisst hat wie schlimmes Zahnweh, oder die Verlockungen eines freien Zigeunerlebens. Aber interessant, er ist zu betrunken um eine angemessene Form von Schlagfertigkeit unter Beweis stellen zu können. Und eh der Beskowitz reagieren kann hat sie auch schon im Türrahmen gestanden, auf die strohfarbene Lache in seinem Glas gezeigt und gesagt, dass sie doch schwer hoffe, dass es nicht das ist, wo nach es aussieht, sie aber auch mal 'ne Tasse davon nehme. Du kannst dir sicher vorstellen, dass der Beskowitz da nun was hat sagen wollen, aber muxmäuschenstill war's. Aber weißt's ja, Schlagfertigkeit. Nun hat sich das schmale, blasse Ding mit einer halben Pirouette am Beskowitz vorbei geschoben, ist mit dem schnippischen Wippen eines Catwalks, so dass der Beskowitz sich gefühlt hat als sei er in Mailand auf der Fashion Week, durch seinen Flur stolziert und schnurstracks in seiner Stube verschwunden. Komisch, eigentlich hätte nun tausend Fragen in ihm kreisen müssen. Wer ist sie? Was will sie? Wann geht sie wieder? Aber interessant, stattdessen hat er die Tür geschlossen, ist in die Küche gegangen und hat begonnen das Zellophan von einer neuen Flasche zu pulen.

Er hat den Gimlet grad so gemixt, wie ihn dir die Rosi im 'Pigalle' gern zu fortgeschrittener Stunde andreht. Viel Lime, wenig Gin, jungmädchenlike quasi. Aber daran siehst du, dass der Beskowitz im Grunde seines Herzens ja ein feiner Kerl ist, und ihm, egal in welchen Schlamassel er auch gerade steckt, das Wohl Heranwachsender nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. Als er nun ins Wohnzimmer gekommen ist sieht er, dass sie es sich schon auf seiner Couch gemütlich gemacht hat. Sie hat da gelegen, die Beine lang ausgestreckt und die Asche ihrer Marlboro in seiner Lieblingstasse abgeklopft. Blass und abgespannt hat sie ausgesehen, der Lidstrich verschmiert, und um ihren Mund haben ein paar Nuancen dieser Tristesse gelegen, die man in der Südwestsiedlung wohl freitags mit den Anzeigeblättchen in den Briefkästen verteilt. Nun hat der Beskowitz gar nicht gewusst was er hätte sagen sollen, denn die einzigen jungen Frauen mit denen er in den letzten Jahren Kontakt hatte, sind die, die sich stundenlang im 'Pigalle' auf dem Plüsch herum lümmeln und ansonsten nicht immer nur reden wollen. Er hat die Gläser abgestellt, sich schwer in den Sessel fallen lassen und die Luft mit einem lauten Pfiff aus seinen Lungen gepresst, als komme er gerade von einem Waldlauf heim. Dann hat er doch was gesagt.
„Und nun?“
„Was nun?“
„Na, erst mal Prost“
Der Beskowitz ist nun froh gewesen, dass er erst mal Zeit gewonnen hat, sprich Spielverzögerung. Und er hat ihr noch mit einer flüchtig angedeuteten Handbewegung zu prosten wollen. Aber, zu spät.
„Was issen das? 'en Kinderpunsch?“, und sie hat ihn dabei angeschaut als wäre er ein Anlagebetrüger. Und nun kannst du dir sicher vorstellen, wie der Beskowitz in seinem Sessel versunken ist. Weil, das richtige mixen einen schulbuchmäßigen Gimlets ist eine Sache auf die er sich nun wirklich versteht, Kernkompetenz quasi.
„Darfst du überhaupt schon trinken?“, hat er gefragt.
„Bin siebzehn, fast.“
„Wenn du's vertägst, mach' ich dir vielleicht noch einen.“
„Keine Sorge“, hat sie gesagt. „Aber glaub nicht, du kannst mich besoffen machen. Ficken iss nicht, dass das gleich mal klar ist“
Und der Beskowitz ist nun zum zweiten Mal in seinem Sessel versunken, und hat sich gefragt, ob da nun irgendwas in seinem Blick war, das ihn wie den schwammigen Pädo-Bär aus dem dritten Stock, der den halben Sommer am Spielplatz herum schleicht, hat aussehen lassen, ist dann aber doch zu der Einsicht gelangt, dass es sich vielleicht nur um die Art handelt, wie die Jugend von heute eine Konversation am laufen hält.
„Na dann erzähl mal“, hat er gesagt.
„Was denn?“
„Na vielleicht; warum hockst du hier? Keine Leute wo du hin kannst? Keine Bleibe?
„Du peilst nichts, aber auch gar nichts. Na klar hätt' ich Leute mit denen ich abhängen könnte. Ich bräuchte nur mit 'm Finger zu schnipsen und schon hätt' ich 'en Arsch voll Leute. Ich brauch hier nicht bei dir zu hocken und mir so'n Kinderpunsch anzutun, und ...“
Und an dieser Stelle hat ihr Atem gestockt, und der Beskowitz hat schon bemerkt, dass ihr eine kleine Träne aus dem Augenwinkel gelaufen ist und sie versucht hat sie heimlich ins Kissen zu wischen. Und nun muss ich dir sagen, egal wie der Beskowitz ja so ist, aber soviel Einfühlungsvermögen hat er dann doch, dass er bemerkt hat, dass ihre schnippische Attitüde wohl aus einem Schmerz, einer tiefen Verletzung heraus gekommen sein mag, und er hat mit väterlich jovialer Stimme gesagt: „Na dann trink aus. Ich mach dir noch einen.“
Da hat die Kleine kurz gelächelt.
„Ich bin übrigens die Jenny. Wir wohnen oben im Neunten.“
„Wer ist wir?“
„Ich, meine Mutter und ihr Stecher.“
„Na dann, Prost.“

An und für sich hat ja so ein Krokodil ja keine natürlichen Feinde – bis auf den Kasper. Aber da muss ich nun mal ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie der Beskowitz auf so einen abwegigen Gedanken gekommen ist. Gut, vielleicht hat er sich gedacht, dass so ein Kasper ja auch nur eine eingelaufene Ausgabe eines Zigeuners ist, oder dass so ein Krokodil auf drei Beinen auch nur eine unzureichende Stabilität zur Kasperbekämpfung erreicht. Und vielleicht sind dem Beskowitz in dieser Freitagnacht noch so einige wirren Gedanken durch den Kopf geirrt, welche wir, die Vernünftigen, die rational Denkenden, die die das Leben meistern, die Haare zu Berge stehen lassen würden. Vielleicht. Aber, wer kann das schon so genau sagen? Ich nicht. Und mit all diesen Gedanken in seinem vernebelten Kopf - Kasper, Krokodil, Zigeuner, Mädchen, mit all diesen, ist der Beskowitz erneut zum Kühlschrank gegangen.

Und nun hat er es aus der Stube rufen hören.
„Du, Beskowitz.“
„Ja.“
„Hast du das verbrochen?“
„Wassen?“
„Na die Story hier auf'm Rechner.“
„Ja.“
„Und warum?“
„Ist so'n Hobby von mir“, hat er gerufen und ist mit den Gimlets wieder in die Stube gegangen. Das Mädchen hat sich gerade durch seine Geschichte gescrollt, hier und da mal einige Zeilen gelesen und sich wieder auf's Sofa fallen lassen.
„Ist nicht dein Ernst?“
„Doch. Ist nun schon die siebte Folge von Wissenschaftsoffizier Schulze auf M112. Marsstation, Science-Fiction, verstehste. Das hättest du mir nun nicht zugetraut?“
Das Mädchen hat ihn nun von oben bis unten angeschaut, die Nase gerümpft und milde mit dem Kopf geschüttelt.
„Doch, nun wo du's sagst. Genau das habe ich dir zugetraut.“
Und eh der Beskowitz sich nun Gedanken darüber hat machen können, wie sie es gemeint hat, sagt sie: „Mal ehrlich, wer liest denn so'n Scheiß?“
„Nun ja“, hat der Beskowitz nun gestammelt. „In einigen Onlineforen, da wird's gelesen.“
„Ich sag's doch immer, das Netz ist voller Flachwichser.“
„Ist halt klassische Science-Fiction. Lem, und so. Das alte Lied, Wissensdurst, Reise in ferne Gefilde ...“
„...intellektuelle Variante von 'Bauer sucht Frau', ...bla, ...bla, ...bla.“
„Nun ja, Frauen hat's nun grad nicht auf M112.“
„Hör auf! Ich kenn' so'n Mist“, hat sie gesagt. „Bier ohne Alkohol, Büro ohne Papier, ficken ohne Frau.“
„Neenee“, und der Beskowitz hat nun abwehrend mit den Händen in der Luft herum gewirbelt. „Kommandeur Schulze hatte mal was mit 'ner Marsbewohnerin.“
„Nicht wirklich?“
„Warum nicht?“
„Du hast doch nicht ernsthaft ein paar Marstussen am Start? Abgefahrener Plot, wirklich abgefahren.“
„Die Leute mögen's halt so.“
„Deine Marsleute haben doch ein Riesenproblem. Die haben ein Imageproblem. Ich meine, was soll man denn von denen halten? Wenn 'se mal auf die Erde kommen, dann landen 'se irgendwo in der Ödnis, machen dabei ein paar Kühe platt, verschrecken die Furchenscheißer und vergreifen sich an chronisch unterfickten Landfrauen von Iowa. So einer isser, dein Marsmensch. 'n gewaltiges Problem hatter, dein Marsmensch.“
„Marsmenschen sind halt auch nur Menschen.“
Und der Beskowitz hat nun ratlos in seiner Stube gestanden,
hat aber nicht gewusst, was er der Kleinen nun noch hätte sagen können. Und dann hat sie sich aufrecht auf's Sofa gesetzt, ihre Beine in alter Schneidermanier irgendwo unter sich verknotet, eine neue Marlboro angesteckt und gesagt:
„Warum schreibsten nicht mal was Anständiges, was aus'm Leben?“
„Wie meinsten das jetzt?“
“Na ja, du könntest ja mal 'ne Geschichte schreiben, wo ein junges Mädchen, vielleicht so alt wie ich, mit ihrer Mutter zusammen in so 'ner Hochhaussiedlung wohnt, so'n richtiges Hartzerheim, verstehste, und die Mutter könnte vielleicht mal hier und da 'nen kleinen Aushilfsjob haben und ansonsten von Stütze leben, also nur mal angenommen, und weil sie säuft, also die Mutter, verstehste, hat sie sich auch nie richtig um ihre Tochter kümmern können, und die Tochter hat dann ja auch nie mal 'ne Freundin mitbringen können, so aus der Schule und so, wegen der Mutter, weil Unordnung, lallen und so, also nur mal angenommen, und die Typen mit denen das Mädchen dann so rumgezogen ist wohnten auch alle in der Siedlung, Arschlöcher, nur einer war dabei, der Memet, der war okay, iss aber dann weggezogen, verstehste, und das Mädchen, also das aus der Geschichte, das kommt dann inner Schule auch nicht mehr mit, und Freunde hat's dort eh keine, verstehste, weil's zu hause keinen interessiert, und dann zieht sie um die Häuser und muss sich mit sechzehn 'en Kind wegmachen lassen, verstehste, wegen 'nem Typen in den das Mädchen verliebt war, verstehste, wegen Fickdichdochselbstmarvin, auch 'en Arschloch, und die Mutter könnte, nur mal angenommen, zum Mädchen gesagt haben, Schlampe, nicht mal sechzehn und lässt dich knallen, und das Mädchen sagt, selber Schlampe, was meinste wo ich's gelernt habe, worauf die Mutter los schreit, wie redest du mit deiner Mutter, und das Mädchen wieder, ja deine Typen grapschen ja auch schon seit Jahren nach mir, und sie, das ist doch nur in deiner kleinen dreckigen Fantasie, das Mädchen so, merkste nur nicht weil du immer besoffen bist, und die Mutter wieder, du undankbare Schlampe, und ich so, also das Mädchen so, ja, und der jetzt hier ein und aus geht muss auch jedesmal zum pinkeln wenn ich mich dusche, und sie wieder, Lügnerin, der Eddy issen prima Kerl, wenn wir den nicht hätten wär' am Ende des Monats der Kühlschrank leer, und das Mädchen so, fick dich doch selbst, und die Mutter, fick du dich und hör auf den Eddy anzubaggern, und das Mädchen beginnt vielleicht zu weinen, also nur mal angenommen, und die Mutter kippt 'en Wodka, es wird geschrien, geh, brauchst gar nicht wieder zukommen, dann die Tochter, kannste Gift drauf nehmen, dann sie, hau bloß ab, dann knallen Türen, und dann ...“
Und die Kleine hat nun auf irgendeinen Punkt im Zimmer gestarrt, wo der Beskowitz aber nun überhaupt nicht hat sagen können, was sie da so sieht.
„Ja, was dann...?“, hat die Kleine noch in aller Seelenruhe gesagt.
Du kannst dir vorstellen, wie erschrocken der Beskowitz gewesen ist, als er ihr nun in die Augen geschaut hat. Ihr Blick war so leer wie der Dienstagsnachtbus hinaus in die Siedlung.
„So 'ne Geschichte musste mal schreiben. Eine aus'm Leben.“ Ruhig, aber brüchig wie Esspapier ist ihre Stimme gewesen, so dass es dem Beskowitz fast das Blut in den Adern hat gefrieren lassen. Und ich möchte ja nicht, dass du jetzt was Falsches über den Beskowitz denkst, aber wie das Mädchen so auf seiner Couch gesessen hat, da hätte er sie am liebsten mal in den Arm genommen, und ich denke, er hat nun wohl auch mal jemanden gebraucht, der ihn in den Arm genommen hätte. Ist aber nur so'ne Vemutung von mir, sprich könnte sein. Stattdessen ist er aufgestanden, hat gesagt, dass er wohl mal ein bisschen frische Luft nötig hätte, und ist hinaus auf den Balkon gegangen. Feiner Kerl quasi.

...und wenn du mich fünfmal fragst. Nein, ich kann die nicht sagen was der Beskowitz da so auf seinem Balkon gemacht hat. Anfangs hat es ja so ausgesehen, als stünde er minutenlang ruhig an der Brüstung. Dann hat er langsam und gleichmäßig den Kopf hin und her bewegt, und diese Übung dann durch kleinere Bewegungen mit den Händen erweitert, so dass es ausgesehen hat, als übe er für die Tai-Chi-Gruppe der Volkshochschule. Und wie zum abschließenden Cooldown hat er dann mit beiden Händen die Brüstung fest umschlossen, die Arme durchgedrückt, in die Nacht geschaut und entschlossen mit dem Kopf genickt. Einmal nur, einfach so - 'ne Type halt, der Beskowitz. Und wie er dann wieder in seine Stube gekommen ist hat er gesehen, wie die Kleine auf seiner Couch eingeschlafen ist. Ruhig geatmet hat sie, und eine Sanftmut lag auf ihrem Gesicht, dass man hätte denken können, sie fliege in ihren Träumen von Majas Wiese über den Blocksberg bis nach Bullerbü, um sich dort mit dem großen Negerkönig zu treffen. Er hat ihr das Kissen gerichtet, vorsichtig, so dass er ihre Träume nicht verjagt, hat sie mit seiner flauschigen Sofadecke zugedeckt und hat sich in alter Komantschenartzum Rechner geschlichen.
Und jetzt pass auf, als der Beskowitz da so vor der Datei „Quo vadis M112“ gesessen hat, da hat man ihn leise sagen hören: „...ach, fahr zur Hölle, Schulze!“.
Datei schließen; klick.
Datei speichern, Datei verwerfen? ... zaghaft hat er den Pfeil der Maus auf 'verwerfen' geführt, seine Augen geschlossen und noch einmal leise „fahr zur Hölle“ gemurmelt.
Dann; klick.
Der Beskowitz hat nun ein neues Dokument geöffnet, sich zurück gelehnt und verlegen den Handrücken gekratzt. Ich meine ja, dass er nun ein bisschen Angst gehabt hat, sich nicht ganz sicher war, und so; ist aber nur so'n Gedanke von mir. Dann ist er in die Küche gegangen und hat sich eine große Kanne Kaffee gekocht. Lange hat er bei der Maschine gestanden und Tropfen für Tropfen in die Kanne fallen sehen; so als tröpfelte dort nicht Kaffee, sondern seine gefilterten Hoffnungen.
Es muss eine warme Nacht gewesen sein. Er hat die Balkontür geöffnet, so dass er dem Wind, der durch die Pappeln strich, hat lauschen können, und hat die Überschrift getippt. Langsam, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort; bis er es hat lesen können. „SÜD-WEST-SIEDLUNGS-BLUES“
Und dann hat er geschrieben, vom Kaffee getrunken, wieder geschrieben, mal zum Mädchen geschaut, die ruhig von ihren Abenteuern mit dem Negerkönig geträumt hat, und wieder geschrieben - so lange, bis der Osten den neuen Tag in die Siedlung geliefert hatte.
Und alle sind sie drin vorgekommen; das Mädchen und der Zigeuner, der Marlowe und der Lennox, der Ullman und der Kayankaya, der Kasper und das Krokodil, sogar der Pädo-Bär aus dem dritten Stock, und der Rilke, und der Nachtbus auch. Und ich, quasi.
 

Vagant

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Die ganze Wahrheit über den Untergang von M112

Meine Frau sagt immer, mir fehle da irgendwie die Fantasie dafür. Du musst es erlebt haben wenn du drüber schreiben willst, sagt sie. Was soll's, denke ich mir. Bin ich etwa der Updike, oder der McEwan? Nein, bin ich nicht. Unter uns gesagt, ich bin ja nicht mal der Beskowitz. Dem Beskowitz, dem fallen die Sachen einfach so ein. Fantasy, Science-Fiction, das Cyberpunkzeug; kann der aus dem Effeff. Tagsüber geht der Beskowitz arbeiten. So 'ne kleine Werkstatt. Bautischlerei, nichts großes. Muss ja, sagt er, kannst ja noch nicht in Rente. Abends sitzt er am Schreibtisch und tippt seine Geschichten in den Rechner. Hat ja auch die Zeit, der Beskowitz. Die Kinder sind ja gleich nach der Schule aus dem Haus, und seiner Frau ist es mit ihm allein ja irgendwann auch zu bunt geworden. Die schöne Wohnung in der Innenstadt hat er dann auch nicht mehr halten können. Das bisschen Tischlerei ist ja nun mal keine Goldgrube, sagt er. Und du wirst's dir ja schon denken können, nun wohnt er irgendwo am Stadtrand, der Beskowitz. Südwestsiedlung. Drei Zehngeschosser aus den späten Sechzigern, aber alles picobello, sagt er. Vor den Blocks stehen ein paar Pappeln und in der Ferne fließt der Main. Und wenn er dann auf seinem Balkon im sechsten Stock steht, und der Westwind so silbern durch die Pappelkronen schleicht, dass es aussieht als treibe er einen Schwarm Heringe vor sich her, dann denkt er sich, 's hätte auch schlimmer kommen können. So einer ist er, der Beskowitz. Ehrlich.

Und nun weiß ich nicht, ob du's schon kennst, aber wie der Beskowitz eines freitags nachts so an seinem Schreibtisch gesessen ist, mit den Kopf schüttelte und sich gedacht hat, ach du grüne Neune, nun ist's aber auch wieder spät geworden, da hat er gemerkt, dass da was nicht aufgegangen ist in seiner Geschichte; sprich verschrieben. Nun musst du wissen, dass der Beskowitz mal wieder 'n bisschen was getrunken hat, und ihm die Arbeit an der Story ein wenig aus den Händen geglitten ist. Du weißt ja, Marsdurchmesser nur schlappe siebentausend Kilometer, und da ist's ja nun wirklich nicht weit bis zum Horizont. Und nun pass auf; der Beskowitz lässt also seine Versorgungssonde im falschen Quadranten, außerhalb der Sichtweite der Kolonie landen. So weit kein Problem. Aber; kein Kontakt möglich, weil Sender kaputt. Und suchen; dazu ist bei dem dem Sturm nun wirklich nicht zu raten. Gut, er hätte den Sturm umschreiben können, für ihn 'ne leichte Übung, oder er hätte die Sonde mit 'ner schnellen Tipperei näher an die Station bringen können. Aber nein, so einer ist der Beskowitz nicht. Er hat zum Fenster geschaut und gedacht, dass ihm das nun den ganzen schönen Plot versaut hat. Nun wirst du sagen, nach drei Gimlets mit 'ner Extraportion Gin kann das schon mal vorkommen. Und genau das hat sich der Beskowitz auch gesagt, ist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Ich muss nun mal ehrlich sagen, dass ihm so was in letzter Zeit schon häufiger passiert ist, und er seine, als raffiniert geltenden, dramaturgischen Wendungen immer öfter aus dem benetzten Grund eines Mehrzweckglases gehoben hat. Quasi Perlentaucher. Und da hat der Beskowitz dann am Fenster gestanden, in die mondlose Nacht gestarrt, und es ist ihm durch den Kopf gefahren, dass es seinen Lesern in all den Space- und Trekkieforen wohl einerlei sei auf welche Weise er nach seinen Perlen fischt. Denen sicher, hat er sich gedacht, mir ist's aber nicht egal. Und der Beskowitz ist hinaus auf den Balkon gegangen, hat auf die blauschwarzen Wogen der Pappelkronen gestarrt und sich dabei gefühlt, als würde er von der Brücke eines Frachters hinaus auf die kabbelige See schauen, um im Rauchen der Dünung das hoffnungsvolle Flüstern seiner frühen Erzählungen wieder zu entdecken. Aber Fehlanzeige.

Nun musst du wissen, dass der Beskowitz in all den Jahren in denen er nun schon schreibt, nicht immer nur Science-Fiction geschrieben hat. In der Maienblüte seiner Jugend ist ihm keine Landschaft zu dröge gewesen um ihr nicht ein Quäntchen Poesie zu entlocken. Seine Wintergeschichten schmeckten nach Glühwein und Rodelwetter. Sein Frühling, eine einzige Kirschblüte, seine Sommer dufteten nach Heu und Sonnenöl. Es gab kein Mädchenlächeln welches ihn nicht zu einer Liebesgeschichte inspiriert hat, und du wirst's nicht glauben, selbst in seinen Herbstgeschichten hat er noch Häuser bauen lassen. Nun wirst du fragen, was ist passiert? Warum zerbricht er sich heute den Kopf über alternative Raketenantriebe und den Brokkolianbau auf M112? Und vielleicht schwant dir ja was. Wie; dass der Beskowitz die Nase gestrichen voll davon hatte, dass nicht mal seine Frau seine alten Geschichten lesen wollte. Dass er endlich mal etwas schreiben wollte, wofür sich überhaupt eine Leser findet. Dass er sich hier nur einer Marktlage beugt, einem Pragmatismus folgt. Wenn du auf dieser Fährte bist; Bingo.

Du wirst dir nun denken können, dass der Beskowitz nun ganz schön in der Bredouille sitzt. So völlig am Plot vorbei geschieben, verzwickte Lage quasi. Und weil er gerade nicht gewusst hat wie er das nun wieder gerade biegen kann, ist er in die Küche gegangen, hat sich eine eins-a Portion Gin in sein Glas gegossen, den Limejuice drüber und das ganze noch flott mit ein paar Eiswürfeln garniert. Jetzt musst du wissen, dass der Beskowitz die neumodischen Sachen ja nicht so mag. Aber so'n Gimlet ist eine runde Sache, 'en Klassiker quasi. Er fühle er sich da dem Lennox, also dem Lennox vom Chandler, verbunden, hat er gesagt. Aber Verbundenheit hin, Verbundenheit her. Die Kehrseite der Medaille; er hat im Türpfosten gestanden und das Ding ist auf einmal wie Gummi. Und um ihn herum, alles wie durch einen Schleier. Kühlschrank, Spüle, Herd; wie durch einen Schleier. Und der Kopf – na, prost Mahlzeit. Du weißt ja, der Lennox hatte 'nen Freund, den Marlowe. Und der Marlowe, der hat aufgepasst, dass der Lennox immer schön die Kurve bekommen hat. Nun, der Beskowitz kennt zwar auch ein paar Leute; den Kayankaya aus dem zweiten Stock, oder den Ullmann vom Kiosk an der Ecke; aber so einen wie den Marlowe, so einen kennt der Beskowitz nicht. Quasi marlowelos.

Nun kommt's, denn wie der Beskowitz so im Türpfosten lehnt und um ihn herum die Küche schwankt, hört er sich sagen, 'trink nicht soviel!'. Und ich kann dir sagen, dass er da nicht schlecht geguckt hat, denn er ist sich sicher gewesen, dass er kein Sterbenswörtchen gesagt hat. 'Trink nicht soviel!'. Noch mal, ganz deutlich. Und nun hat er sich an den Kopf gefasst, sich gedacht, dass er hier nun langsam verrückt wird, und sich die Stirn kräftig massiert. Nun interessant, wie der Beskowitz so in seiner Küche gestanden hat, sich mit der Linken an die Stirn fasst, und dabei die Augen fest geschlossen hat, da entsteht in der Tiefe des Raumes, den er nun vor sich sieht, eine ganze Galaxie voller bunter Sterne. Nun wirst du sagen; ja, kenn' ich. Aber jetzt passiert's, all die Sterne tänzelten so, als würden sie einer ausgebufften Choreographie gehorchen. Und aus den roten Sternen formen sich zwei grell geschminkte Lippen, die blauen vereinen sich zu einem Augenpaar mit der Weite und Wärme des Himmels über Marseilles, und die goldgelben Lichter formen etwas, was der Beskowitz noch gar nicht hat erkennen können. Ob er's überhaupt erkennen will, hat er sich gefragt, sich dabei noch mal kräftig die Stirn gerieben und gehofft, dass der Spuk nun bald ein Ende hat, sprich spukfrei. Denkste, denn nun hat er deutlich sehen können wie sich die goldgelben Sterne zu einem Ring formen. Ohrring, hundertpro, hat er gedacht. Und da hat er nun wirklich mal Recht gehabt, denn die goldgelben Sterne werden zu einer Kreole, so groß, dass ein Kanarienvogel drin hätt' sitzen können. Und der Beskowitz hat genickt, um so zu tun, als würde er verstehen was hier gerade vor sich geht. Netter Versuch, denn er hat sich gefühlt wie nachts auf dem Rummel und Brille vergessen. Nun pass auf, als sich all die Lichter in diesem schornsteinfegerschwarzen Himmel zur einem Ganzen geformt haben, hätte er eigentlich laut lachen wollen. Hätte - wenn ihm das Gesicht, dass ihn nun aus der Tiefe des Raumes zugelächelt hat, nicht so bekannt vorgekommen wäre. Denn interessant, eine eins-a Version des jungen Beskowitz, hat er sich gedacht. Aber ein bisschen gewundert hat er sich schon, denn dieser junge Beskowitz trug eine farbenfrohe Weste über den Schultern, hatte eine pechschwarz gefärbte Wuschelmähne, einen feuerrot geschminktem Kussmund, sein Kinn wurde durch ein kubanischen Revelutionsbärtchen verziert und in seinem Ohr hing diese ungeheuer große Kreole. Und diese lustige Erscheinung Seiner selbst, die ihn nun in seiner Küche heimgesucht hat, hat milde gelächelt, seine Hand nach ihm ausgestreckt und gesagt: „Komm mit uns, Bruder. Zieh mit den Zigeunern.“

Und nun muss ich sagen, dass mir da der Beskowitz schon ein bisschen imponiert hat. Wie er sich da weder auf ein endloses Abwägen der Dafürs und Dagegens einer Reise eingelassen hat, noch auf den Gedanken gekommen ist, diesem leicht tuntigen Zigeuner einen Gimlet anzubieten. Statt dessen; der Beskowitz ist zur Spüle gegangen, hat sich zwei Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht geworfen, einmal tief Luft geholt und mit einem erleichterten Seufzer festgestellt, dass der Radau nun ein Ende hat. Und nun musst du entschuldigen, dass ich dir das alles so haarklein erzähle, aber ich wollte dir nur zeigen, dass zwischen einer verirrten Versorgungssonde und dem Erscheinen eines Zigeuners in deiner Küche gar nicht so viel passieren muss. Wahnsinn überall, quasi.

Und nun hat sich der Beskowitz auf der Stelle wieder fit gefühlt. Wie neu ist er sich vorgekommen als das kalte Wasser langsam auf seiner Haut getrocknet ist. Und du weißt ja, das Leben kannste halt nur rückwärts verstehen, leben musstes aber vorwärts. Und weil der Beskowitz ja eher ein Vorwärt-, als ein Rückwärtsmensch ist, hat er sich gedacht, dass er eh keinen passenden Schuh für eine so weite Reise gehabt hätte. Scherzkeks quasi. Denn; was ist der Mann noch wert, der sich in einer Freitagnacht von einem farbenfrohen Zigeuner in seiner Küche den Schneid abkaufen lässt? Nichts ist er wert, hat sich der Beskowitz gedacht, gar nichts. Und als sich der Beskowitz zufrieden zum Boden bückt, um die leere Flasche zu denen der letzten Woche zu stellen, hört er es an der Tür klingeln. Er hat kurz auf die Uhr geschaut, die Ohre gespitzt und gehofft, dass er sich verhört hat. Denkste, denn gerade in dem Augenblick als der Beskowitz sich gedacht hat, Gefahr gebannt, klingelte es noch einmal. Und nun wirst du dich fragen, worum er nicht einfach zur Tür geht und nachschaut wer dort ist. Also erstens, du wohnst ja nicht in der Südwestsiedlung. Zweitens, bei dir ist es auch nicht nachts kurz vor eins. Und drittens, bei dir gehen auch nicht die Zigeuner ein und aus.

Aber nun siehst du, dass der Mensch sich, ob nun marlowelos oder nicht, in jedem Klingeln die Erfüllung seiner Wünsche und Träume erhofft. Das da endlich einer im Türrahmen steht, den Daumen in die Höhe streckt und sagt: Okay, du bist im Team. Oder der Ullmann vom Kiosk mit 'nem Lottoschein winkt und sagt, natürlich der Beskowitz, wer sollte denn sonst den Jackpot knacken. Oder einfach nur, eine Speziale mit extra Peperoni, war das hier. Egal, du weißt was ich meine. Und glaub's mir, auch der Beskowitz wäre in solch einer Situation voller Hoffnung, wenn da nicht die Angst an ihm genagt hätte, wieder auf einen farbenfrohen Vertreter einer mobilen Ethnischen Minderheit zu treffen. Aber, neugierig. Und so hat er sich durch den schlingernden Flur tangoiert, balanciert dabei seinen Gimlet in der Rechten und hat die Tür aufgesperrt.

Und jetzt, ein junges Mädchen, wo der Beskowitz sich nicht erinnern kann es je gesehen zu haben, hat tief gebeugt da gestanden und sich mit der Hand an der Wand abgestützt, so dass der Beskowitz Angst gehabt hat, dass sich ihre fragile Position schlagartig in eine stabil liegende verwandeln könnte. Der Beskowitz hat sich nun nichts mehr gewünscht als: oh falsche Tür. Aber Pustekuchen.
Stattdessen: „Bes-koo-witz“, wobei ihr Finger langsam über's Klingelschild gefahren ist.
„Ich hab' von unten noch Licht gesehen. Dachte, schauste mal nach'm neuen Nachbarn.“
Nun musst du wissen, dass es im Oktober zwei Jahre werden die der Beskowitz in der Südwestsiedlung wohnt, und dass er die bisher ausbleibenden Nachbarschaftsbesuche so vermisst hat wie schlimmes Zahnweh, oder die Verlockungen eines freien Zigeunerlebens. Aber interessant, er ist zu betrunken um eine angemessene Form von Schlagfertigkeit unter Beweis stellen zu können. Und eh der Beskowitz reagieren kann hat sie auch schon im Türrahmen gestanden, auf die strohfarbene Lache in seinem Glas gezeigt und gesagt, dass sie doch schwer hoffe, dass es nicht das ist, wo nach es aussieht, sie aber auch mal 'ne Tasse davon nehme. Du kannst dir sicher vorstellen, dass der Beskowitz da nun was hat sagen wollen, aber muxmäuschenstill war's. Aber weißt's ja, Schlagfertigkeit. Nun hat sich das schmale, blasse Ding mit einer halben Pirouette am Beskowitz vorbei geschoben, ist mit dem schnippischen Wippen eines Catwalks, so dass der Beskowitz sich gefühlt hat als sei er in Mailand auf der Fashion Week, durch seinen Flur stolziert und schnurstracks in seiner Stube verschwunden. Komisch, eigentlich hätte nun tausend Fragen in ihm kreisen müssen. Wer ist sie? Was will sie? Wann geht sie wieder? Aber interessant, stattdessen hat er die Tür geschlossen, ist in die Küche gegangen und hat begonnen das Zellophan von einer neuen Flasche zu pulen.

Er hat den Gimlet grad so gemixt, wie ihn dir die Rosi im 'Pigalle' gern zu fortgeschrittener Stunde andreht. Viel Lime, wenig Gin, jungmädchenlike quasi. Aber daran siehst du, dass der Beskowitz im Grunde seines Herzens ja ein feiner Kerl ist, und ihm, egal in welchen Schlamassel er auch gerade steckt, das Wohl Heranwachsender nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. Als er nun ins Wohnzimmer gekommen ist sieht er, dass sie es sich schon auf seiner Couch gemütlich gemacht hat. Sie hat da gelegen, die Beine lang ausgestreckt und die Asche ihrer Marlboro in seiner Lieblingstasse abgeklopft. Blass und abgespannt hat sie ausgesehen, der Lidstrich verschmiert, und um ihren Mund haben ein paar Nuancen dieser Tristesse gelegen, die man in der Südwestsiedlung wohl freitags mit den Anzeigeblättchen in den Briefkästen verteilt. Nun hat der Beskowitz gar nicht gewusst was er hätte sagen sollen, denn die einzigen jungen Frauen mit denen er in den letzten Jahren Kontakt hatte, sind die, die sich stundenlang im 'Pigalle' auf dem Plüsch herum lümmeln und ansonsten nicht immer nur reden wollen. Er hat die Gläser abgestellt, sich schwer in den Sessel fallen lassen und die Luft mit einem lauten Pfiff aus seinen Lungen gepresst, als komme er gerade von einem Waldlauf heim. Dann hat er doch was gesagt.
„Und nun?“
„Was nun?“
„Na, erst mal Prost“
Der Beskowitz ist nun froh gewesen, dass er erst mal Zeit gewonnen hat, sprich Spielverzögerung. Und er hat ihr noch mit einer flüchtig angedeuteten Handbewegung zu prosten wollen. Aber, zu spät.
„Was issen das? 'en Kinderpunsch?“, und sie hat ihn dabei angeschaut als wäre er ein Anlagebetrüger. Und nun kannst du dir sicher vorstellen, wie der Beskowitz in seinem Sessel versunken ist. Weil, das richtige mixen einen schulbuchmäßigen Gimlets ist eine Sache auf die er sich nun wirklich versteht, Kernkompetenz quasi.
„Darfst du überhaupt schon trinken?“, hat er gefragt.
„Bin siebzehn, fast.“
„Wenn du's vertägst, mach' ich dir vielleicht noch einen.“
„Keine Sorge“, hat sie gesagt. „Aber glaub nicht, du kannst mich besoffen machen. Ficken iss nicht, dass das gleich mal klar ist“
Und der Beskowitz ist nun zum zweiten Mal in seinem Sessel versunken, und hat sich gefragt, ob da nun irgendwas in seinem Blick war, das ihn wie den schwammigen Pädo-Bär aus dem dritten Stock, der den halben Sommer am Spielplatz herum schleicht, hat aussehen lassen, ist dann aber doch zu der Einsicht gelangt, dass es sich vielleicht nur um die Art handelt, wie die Jugend von heute eine Konversation am laufen hält.
„Na dann erzähl mal“, hat er gesagt.
„Was denn?“
„Na vielleicht; warum hockst du hier? Keine Leute wo du hin kannst? Keine Bleibe?
„Du peilst nichts, aber auch gar nichts. Na klar hätt' ich Leute mit denen ich abhängen könnte. Ich bräuchte nur mit 'm Finger zu schnipsen und schon hätt' ich 'en Arsch voll Leute. Ich brauch hier nicht bei dir zu hocken und mir so'n Kinderpunsch anzutun, und ...“
Und an dieser Stelle hat ihr Atem gestockt, und der Beskowitz hat schon bemerkt, dass ihr eine kleine Träne aus dem Augenwinkel gelaufen ist und sie versucht hat sie heimlich ins Kissen zu wischen. Und nun muss ich dir sagen, egal wie der Beskowitz ja so ist, aber soviel Einfühlungsvermögen hat er dann doch, dass er bemerkt hat, dass ihre schnippische Attitüde wohl aus einem Schmerz, einer tiefen Verletzung heraus gekommen sein mag, und er hat mit väterlich jovialer Stimme gesagt: „Na dann trink aus. Ich mach dir noch einen.“
Da hat die Kleine kurz gelächelt.
„Ich bin übrigens die Jenny. Wir wohnen oben im Neunten.“
„Wer ist wir?“
„Ich, meine Mutter und ihr Stecher.“
„Na dann, Prost.“

An und für sich hat ja so ein Krokodil ja keine natürlichen Feinde – bis auf den Kasper. Aber da muss ich nun mal ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie der Beskowitz auf so einen abwegigen Gedanken gekommen ist. Gut, vielleicht hat er sich gedacht, dass so ein Kasper ja auch nur eine eingelaufene Ausgabe eines Zigeuners ist, oder dass so ein Krokodil auf drei Beinen auch nur eine unzureichende Stabilität zur Kasperbekämpfung erreicht. Und vielleicht sind dem Beskowitz in dieser Freitagnacht noch so einige wirren Gedanken durch den Kopf geirrt, welche wir, die Vernünftigen, die rational Denkenden, die die das Leben meistern, die Haare zu Berge stehen lassen würden. Vielleicht. Aber, wer kann das schon so genau sagen? Ich nicht. Und mit all diesen Gedanken in seinem vernebelten Kopf - Kasper, Krokodil, Zigeuner, Mädchen, mit all diesen, ist der Beskowitz erneut zum Kühlschrank gegangen.

Und nun hat er es aus der Stube rufen hören.
„Du, Beskowitz.“
„Ja.“
„Hast du das verbrochen?“
„Wassen?“
„Na die Story hier auf'm Rechner.“
„Ja.“
„Und warum?“
„Ist so'n Hobby von mir“, hat er gerufen und ist mit den Gimlets wieder in die Stube gegangen. Das Mädchen hat sich gerade durch seine Geschichte gescrollt, hier und da mal einige Zeilen gelesen und sich wieder auf's Sofa fallen lassen.
„Ist nicht dein Ernst?“
„Doch. Ist nun schon die siebte Folge von Wissenschaftsoffizier Schulze auf M112. Marsstation, Science-Fiction, verstehste. Das hättest du mir nun nicht zugetraut?“
Das Mädchen hat ihn nun von oben bis unten angeschaut, die Nase gerümpft und milde mit dem Kopf geschüttelt.
„Doch, nun wo du's sagst. Genau das habe ich dir zugetraut.“
Und eh der Beskowitz sich nun Gedanken darüber hat machen können, wie sie es gemeint hat, sagt sie: „Mal ehrlich, wer liest denn so'n Scheiß?“
„Nun ja“, hat der Beskowitz nun gestammelt. „In einigen Onlineforen, da wird's gelesen.“
„Ich sag's doch immer, das Netz ist voller Flachwichser.“
„Ist halt klassische Science-Fiction. Lem, und so. Das alte Lied, Wissensdurst, Reise in ferne Gefilde ...“
„...intellektuelle Variante von 'Bauer sucht Frau', ...bla, ...bla, ...bla.“
„Nun ja, Frauen hat's nun grad nicht auf M112.“
„Hör auf! Ich kenn' so'n Mist“, hat sie gesagt. „Bier ohne Alkohol, Büro ohne Papier, ficken ohne Frau.“
„Neenee“, und der Beskowitz hat nun abwehrend mit den Händen in der Luft herum gewirbelt. „Kommandeur Schulze hatte mal was mit 'ner Marsbewohnerin.“
„Nicht wirklich?“
„Warum nicht?“
„Du hast doch nicht ernsthaft ein paar Marstussen am Start? Abgefahrener Plot, wirklich abgefahren.“
„Die Leute mögen's halt so.“
„Deine Marsleute haben doch ein Riesenproblem. Die haben ein Imageproblem. Ich meine, was soll man denn von denen halten? Wenn 'se mal auf die Erde kommen, dann landen 'se irgendwo in der Ödnis, machen dabei ein paar Kühe platt, verschrecken die Furchenscheißer und vergreifen sich an chronisch unterfickten Landfrauen von Iowa. So einer isser, dein Marsmensch. 'n gewaltiges Problem hatter, dein Marsmensch.“
„Marsmenschen sind halt auch nur Menschen.“
Und der Beskowitz hat nun ratlos in seiner Stube gestanden,
hat aber nicht gewusst, was er der Kleinen nun noch hätte sagen können. Und dann hat sie sich aufrecht auf's Sofa gesetzt, ihre Beine in alter Schneidermanier irgendwo unter sich verknotet, eine neue Marlboro angesteckt und gesagt:
„Warum schreibsten nicht mal was Anständiges, was aus'm Leben?“
„Wie meinsten das jetzt?“
“Na ja, du könntest ja mal 'ne Geschichte schreiben, wo ein junges Mädchen, vielleicht so alt wie ich, mit ihrer Mutter zusammen in so 'ner Hochhaussiedlung wohnt, so'n richtiges Hartzerheim, verstehste, und die Mutter könnte vielleicht mal hier und da 'nen kleinen Aushilfsjob haben und ansonsten von Stütze leben, also nur mal angenommen, und weil sie säuft, also die Mutter, verstehste, hat sie sich auch nie richtig um ihre Tochter kümmern können, und die Tochter hat dann ja auch nie mal 'ne Freundin mitbringen können, so aus der Schule und so, wegen der Mutter, weil Unordnung, lallen und so, also nur mal angenommen, und die Typen mit denen das Mädchen dann so rumgezogen ist wohnten auch alle in der Siedlung, Arschlöcher, nur einer war dabei, der Memet, der war okay, iss aber dann weggezogen, verstehste, und das Mädchen, also das aus der Geschichte, das kommt dann inner Schule auch nicht mehr mit, und Freunde hat's dort eh keine, verstehste, weil's zu hause keinen interessiert, und dann zieht sie um die Häuser und muss sich mit sechzehn 'en Kind wegmachen lassen, verstehste, wegen 'nem Typen in den das Mädchen verliebt war, verstehste, wegen Fickdichdochselbstmarvin, auch 'en Arschloch, und die Mutter könnte, nur mal angenommen, zum Mädchen gesagt haben, Schlampe, nicht mal sechzehn und lässt dich knallen, und das Mädchen sagt, selber Schlampe, was meinste wo ich's gelernt habe, worauf die Mutter los schreit, wie redest du mit deiner Mutter, und das Mädchen wieder, ja deine Typen grapschen ja auch schon seit Jahren nach mir, und sie, das ist doch nur in deiner kleinen dreckigen Fantasie, das Mädchen so, merkste nur nicht weil du immer besoffen bist, und die Mutter wieder, du undankbare Schlampe, und ich so, also das Mädchen so, ja, und der jetzt hier ein und aus geht muss auch jedesmal zum pinkeln wenn ich mich dusche, und sie wieder, Lügnerin, der Eddy issen prima Kerl, wenn wir den nicht hätten wär' am Ende des Monats der Kühlschrank leer, und das Mädchen so, fick dich doch selbst, und die Mutter, fick du dich und hör auf den Eddy anzubaggern, und das Mädchen beginnt vielleicht zu weinen, also nur mal angenommen, und die Mutter kippt 'en Wodka, es wird geschrien, geh, brauchst gar nicht wieder zukommen, dann die Tochter, kannste Gift drauf nehmen, dann sie, hau bloß ab, dann knallen Türen, und dann ...“
Und die Kleine hat nun auf irgendeinen Punkt im Zimmer gestarrt, wo der Beskowitz aber nun überhaupt nicht hat sagen können, was sie da so sieht.
„Ja, was dann...?“, hat die Kleine noch in aller Seelenruhe gesagt.
Du kannst dir vorstellen, wie erschrocken der Beskowitz gewesen ist, als er ihr nun in die Augen geschaut hat. Ihr Blick war so leer wie der Dienstagsnachtbus hinaus in die Siedlung.
„So 'ne Geschichte musste mal schreiben. Eine aus'm Leben.“ Ruhig, aber brüchig wie Esspapier ist ihre Stimme gewesen, so dass es dem Beskowitz fast das Blut in den Adern hat gefrieren lassen. Und ich möchte ja nicht, dass du jetzt was Falsches über den Beskowitz denkst, aber wie das Mädchen so auf seiner Couch gesessen hat, da hätte er sie am liebsten mal in den Arm genommen, und ich denke, er hat nun wohl auch mal jemanden gebraucht, der ihn in den Arm genommen hätte. Ist aber nur so'ne Vemutung von mir, sprich könnte sein. Stattdessen ist er aufgestanden, hat gesagt, dass er wohl mal ein bisschen frische Luft nötig hätte, und ist hinaus auf den Balkon gegangen. Feiner Kerl quasi.

...und wenn du mich fünfmal fragst. Nein, ich kann die nicht sagen was der Beskowitz da so auf seinem Balkon gemacht hat. Anfangs hat es ja so ausgesehen, als stünde er minutenlang ruhig an der Brüstung. Dann hat er langsam und gleichmäßig den Kopf hin und her bewegt, und diese Übung dann durch kleinere Bewegungen mit den Händen erweitert, so dass es ausgesehen hat, als übe er für die Tai-Chi-Gruppe der Volkshochschule. Und wie zum abschließenden Cooldown hat er dann mit beiden Händen die Brüstung fest umschlossen, die Arme durchgedrückt, in die Nacht geschaut und entschlossen mit dem Kopf genickt. Einmal nur, einfach so - 'ne Type halt, der Beskowitz. Und wie er dann wieder in seine Stube gekommen ist hat er gesehen, wie die Kleine auf seiner Couch eingeschlafen ist. Ruhig geatmet hat sie, und eine Sanftmut lag auf ihrem Gesicht, dass man hätte denken können, sie fliege in ihren Träumen von Majas Wiese über den Blocksberg bis nach Bullerbü, um sich dort mit dem großen Negerkönig zu treffen. Er hat ihr das Kissen gerichtet, vorsichtig, so dass er ihre Träume nicht verjagt, hat sie mit seiner flauschigen Sofadecke zugedeckt und hat sich in alter Komantschenart zum Rechner geschlichen.
Und jetzt pass auf, als der Beskowitz da so vor der Datei „Quo vadis M112“ gesessen hat, da hat man ihn leise sagen hören: „...ach, fahr zur Hölle, Schulze!“.
Datei schließen; klick.
Datei speichern, Datei verwerfen? ... zaghaft hat er den Pfeil der Maus auf 'verwerfen' geführt, seine Augen geschlossen und noch einmal leise „fahr zur Hölle“ gemurmelt.
Dann; klick.
Der Beskowitz hat nun ein neues Dokument geöffnet, sich zurück gelehnt und verlegen den Handrücken gekratzt. Ich meine ja, dass er nun ein bisschen Angst gehabt hat, sich nicht ganz sicher war, und so; ist aber nur so'n Gedanke von mir. Dann ist er in die Küche gegangen und hat sich eine große Kanne Kaffee gekocht. Lange hat er bei der Maschine gestanden und Tropfen für Tropfen in die Kanne fallen sehen; so als tröpfelte dort nicht Kaffee, sondern seine gefilterten Hoffnungen.
Es muss eine warme Nacht gewesen sein. Er hat die Balkontür geöffnet, so dass er dem Wind, der durch die Pappeln strich, hat lauschen können, und hat die Überschrift getippt. Langsam, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort; bis er es hat lesen können. „SÜD-WEST-SIEDLUNGS-BLUES“
Und dann hat er geschrieben, vom Kaffee getrunken, wieder geschrieben, mal zum Mädchen geschaut, die ruhig von ihren Abenteuern mit dem Negerkönig geträumt hat, und wieder geschrieben - so lange, bis der Osten den neuen Tag in die Siedlung geliefert hatte.
Und alle sind sie drin vorgekommen; das Mädchen und der Zigeuner, der Marlowe und der Lennox, der Ullman und der Kayankaya, der Kasper und das Krokodil, sogar der Pädo-Bär aus dem dritten Stock, und der Rilke, und der Nachtbus auch. Und ich, quasi.
 

Vagant

Mitglied
Die ganze Wahrheit über den Untergang von M112

Meine Frau sagt immer, mir fehle da irgendwie die Fantasie dafür. Du musst es erlebt haben wenn du drüber schreiben willst, sagt sie. Was soll's, denke ich mir. Bin ich etwa der Updike, oder der McEwan? Nein, bin ich nicht. Unter uns gesagt, ich bin ja nicht mal der Beskowitz. Dem Beskowitz, dem fallen die Sachen einfach so ein. Fantasy, Science-Fiction, das Cyberpunkzeug; kann der aus dem Effeff. Tagsüber geht der Beskowitz arbeiten. So 'ne kleine Werkstatt. Bautischlerei, nichts großes. Muss ja, sagt er, kannst ja noch nicht in Rente. Abends sitzt er am Schreibtisch und tippt seine Geschichten in den Rechner. Hat ja auch die Zeit, der Beskowitz. Die Kinder sind ja gleich nach der Schule aus dem Haus, und seiner Frau ist es mit ihm allein ja irgendwann auch zu bunt geworden. Die schöne Wohnung in der Innenstadt hat er dann auch nicht mehr halten können. Das bisschen Tischlerei ist ja nun mal keine Goldgrube, sagt er. Und du wirst's dir ja schon denken können, nun wohnt er irgendwo am Stadtrand, der Beskowitz. Südwestsiedlung. Drei Zehngeschosser aus den späten Sechzigern, aber alles picobello, sagt er. Vor den Blocks stehen ein paar Pappeln und in der Ferne fließt der Main. Und wenn er dann auf seinem Balkon im sechsten Stock steht, und der Westwind so silbern durch die Pappelkronen schleicht, dass es aussieht als treibe er einen Schwarm Heringe vor sich her, dann denkt er sich, 's hätte auch schlimmer kommen können. So einer ist er, der Beskowitz. Ehrlich.

Und nun weiß ich nicht, ob du's schon kennst, aber wie der Beskowitz eines freitags nachts so an seinem Schreibtisch gesessen ist, mit den Kopf schüttelte und sich gedacht hat, ach du grüne Neune, nun ist's aber auch wieder spät geworden, da hat er gemerkt, dass da was nicht aufgegangen ist in seiner Geschichte; sprich verschrieben. Nun musst du wissen, dass der Beskowitz mal wieder 'n bisschen was getrunken hat, und ihm die Arbeit an der Story ein wenig aus den Händen geglitten ist. Du weißt ja, Marsdurchmesser nur schlappe siebentausend Kilometer, und da ist's ja nun wirklich nicht weit bis zum Horizont. Und nun pass auf; der Beskowitz lässt also seine Versorgungssonde im falschen Quadranten, außerhalb der Sichtweite der Kolonie landen. So weit kein Problem. Aber; kein Kontakt möglich, weil Sender kaputt. Und suchen; dazu ist bei dem dem Sturm nun wirklich nicht zu raten. Gut, er hätte den Sturm umschreiben können, für ihn 'ne leichte Übung, oder er hätte die Sonde mit 'ner schnellen Tipperei näher an die Station bringen können. Aber nein, so einer ist der Beskowitz nicht. Er hat zum Fenster geschaut und gedacht, dass ihm das nun den ganzen schönen Plot versaut hat. Nun wirst du sagen, nach drei Gimlets mit 'ner Extraportion Gin kann das schon mal vorkommen. Und genau das hat sich der Beskowitz auch gesagt, ist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Ich muss nun mal ehrlich sagen, dass ihm so was in letzter Zeit schon häufiger passiert ist, und er seine, als raffiniert geltenden, dramaturgischen Wendungen immer öfter aus dem benetzten Grund eines Mehrzweckglases gehoben hat. Quasi Perlentaucher. Und da hat der Beskowitz dann am Fenster gestanden, in die mondlose Nacht gestarrt, und es ist ihm durch den Kopf gefahren, dass es seinen Lesern in all den Space- und Trekkieforen wohl einerlei sei auf welche Weise er nach seinen Perlen fischt. Denen sicher, hat er sich gedacht, mir ist's aber nicht egal. Und der Beskowitz ist hinaus auf den Balkon gegangen, hat auf die blauschwarzen Wogen der Pappelkronen gestarrt und sich dabei gefühlt, als würde er von der Brücke eines Frachters hinaus auf die kabbelige See schauen, um im Rauchen der Dünung das hoffnungsvolle Flüstern seiner frühen Erzählungen wieder zu entdecken. Aber Fehlanzeige.

Nun musst du wissen, dass der Beskowitz in all den Jahren in denen er nun schon schreibt, nicht immer nur Science-Fiction geschrieben hat. In der Maienblüte seiner Jugend ist ihm keine Landschaft zu dröge gewesen um ihr nicht ein Quäntchen Poesie zu entlocken. Seine Wintergeschichten schmeckten nach Glühwein und Rodelwetter. Sein Frühling, eine einzige Kirschblüte, seine Sommer dufteten nach Heu und Sonnenöl. Es gab kein Mädchenlächeln welches ihn nicht zu einer Liebesgeschichte inspiriert hat, und du wirst's nicht glauben, selbst in seinen Herbstgeschichten hat er noch Häuser bauen lassen. Nun wirst du fragen, was ist passiert? Warum zerbricht er sich heute den Kopf über alternative Raketenantriebe und den Brokkolianbau auf M112? Und vielleicht schwant dir ja was. Wie; dass der Beskowitz die Nase gestrichen voll davon hatte, dass nicht mal seine Frau seine alten Geschichten lesen wollte. Dass er endlich mal etwas schreiben wollte, wofür sich überhaupt eine Leser findet. Dass er sich hier nur einer Marktlage beugt, einem Pragmatismus folgt. Wenn du auf dieser Fährte bist; Bingo.

Du wirst dir nun denken können, dass der Beskowitz nun ganz schön in der Bredouille sitzt. So völlig am Plot vorbei geschieben, verzwickte Lage quasi. Und weil er gerade nicht gewusst hat wie er das nun wieder gerade biegen kann, ist er in die Küche gegangen, hat sich eine eins-a Portion Gin in sein Glas gegossen, den Limejuice drüber und das ganze noch flott mit ein paar Eiswürfeln garniert. Jetzt musst du wissen, dass der Beskowitz die neumodischen Sachen ja nicht so mag. Aber so'n Gimlet ist eine runde Sache, 'en Klassiker quasi. Er fühle er sich da dem Lennox, also dem Lennox vom Chandler, verbunden, hat er gesagt. Aber Verbundenheit hin, Verbundenheit her. Die Kehrseite der Medaille; er hat im Türpfosten gestanden und das Ding ist auf einmal wie Gummi. Und um ihn herum, alles wie durch einen Schleier. Kühlschrank, Spüle, Herd; wie durch einen Schleier. Und der Kopf – na, prost Mahlzeit. Du weißt ja, der Lennox hatte 'nen Freund, den Marlowe. Und der Marlowe, der hat aufgepasst, dass der Lennox immer schön die Kurve bekommen hat. Nun, der Beskowitz kennt zwar auch ein paar Leute; den Kayankaya aus dem zweiten Stock, oder den Ullmann vom Kiosk an der Ecke; aber so einen wie den Marlowe, so einen kennt der Beskowitz nicht. Quasi marlowelos.

Nun kommt's, denn wie der Beskowitz so im Türpfosten lehnt und um ihn herum die Küche schwankt, hört er sich sagen, 'trink nicht soviel!'. Und ich kann dir sagen, dass er da nicht schlecht geguckt hat, denn er ist sich sicher gewesen, dass er kein Sterbenswörtchen gesagt hat. 'Trink nicht soviel!'. Noch mal, ganz deutlich. Und nun hat er sich an den Kopf gefasst, sich gedacht, dass er hier nun langsam verrückt wird, und sich die Stirn kräftig massiert. Nun interessant, wie der Beskowitz so in seiner Küche gestanden hat, sich mit der Linken an die Stirn fasst, und dabei die Augen fest geschlossen hat, da entsteht in der Tiefe des Raumes, den er nun vor sich sieht, eine ganze Galaxie voller bunter Sterne. Nun wirst du sagen; ja, kenn' ich. Aber jetzt passiert's, all die Sterne tänzelten so, als würden sie einer ausgebufften Choreographie gehorchen. Und aus den roten Sternen formen sich zwei grell geschminkte Lippen, die blauen vereinen sich zu einem Augenpaar mit der Weite und Wärme des Himmels über Marseilles, und die goldgelben Lichter formen etwas, was der Beskowitz noch gar nicht hat erkennen können. Ob er's überhaupt erkennen will, hat er sich gefragt, sich dabei noch mal kräftig die Stirn gerieben und gehofft, dass der Spuk nun bald ein Ende hat, sprich spukfrei. Denkste, denn nun hat er deutlich sehen können wie sich die goldgelben Sterne zu einem Ring formen. Ohrring, hundertpro, hat er gedacht. Und da hat er nun wirklich mal Recht gehabt, denn die goldgelben Sterne werden zu einer Kreole, so groß, dass ein Kanarienvogel drin hätt' sitzen können. Und der Beskowitz hat genickt, um so zu tun, als würde er verstehen was hier gerade vor sich geht. Netter Versuch, denn er hat sich gefühlt wie nachts auf dem Rummel und Brille vergessen. Nun pass auf, als sich all die Lichter in diesem schornsteinfegerschwarzen Himmel zur einem Ganzen geformt haben, hätte er eigentlich laut lachen wollen. Hätte - wenn ihm das Gesicht, dass ihn nun aus der Tiefe des Raumes zugelächelt hat, nicht so bekannt vorgekommen wäre. Denn interessant, eine eins-a Version des jungen Beskowitz, hat er sich gedacht. Aber ein bisschen gewundert hat er sich schon, denn dieser junge Beskowitz trug eine farbenfrohe Weste über den Schultern, hatte eine pechschwarz gefärbte Wuschelmähne, einen feuerrot geschminktem Kussmund, sein Kinn wurde durch ein kubanischen Revelutionsbärtchen verziert und in seinem Ohr hing diese ungeheuer große Kreole. Und diese lustige Erscheinung Seiner selbst, die ihn nun in seiner Küche heimgesucht hat, hat milde gelächelt, seine Hand nach ihm ausgestreckt und gesagt: „Komm mit uns, Bruder. Zieh mit den Zigeunern.“

Und nun muss ich sagen, dass mir da der Beskowitz schon ein bisschen imponiert hat. Wie er sich da weder auf ein endloses Abwägen der Dafürs und Dagegens einer Reise eingelassen hat, noch auf den Gedanken gekommen ist, diesem leicht tuntigen Zigeuner einen Gimlet anzubieten. Statt dessen; der Beskowitz ist zur Spüle gegangen, hat sich zwei Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht geworfen, einmal tief Luft geholt und mit einem erleichterten Seufzer festgestellt, dass der Radau nun ein Ende hat. Und nun musst du entschuldigen, dass ich dir das alles so haarklein erzähle, aber ich wollte dir nur zeigen, dass zwischen einer verirrten Versorgungssonde und dem Erscheinen eines Zigeuners in deiner Küche gar nicht so viel passieren muss. Wahnsinn überall, quasi.

Und nun hat sich der Beskowitz auf der Stelle wieder fit gefühlt. Wie neu ist er sich vorgekommen als das kalte Wasser langsam auf seiner Haut getrocknet ist. Und du weißt ja, das Leben kannste halt nur rückwärts verstehen, leben musstes aber vorwärts. Und weil der Beskowitz ja eher ein Vorwärt-, als ein Rückwärtsmensch ist, hat er sich gedacht, dass er eh keinen passenden Schuh für eine so weite Reise gehabt hätte. Scherzkeks quasi. Denn; was ist der Mann noch wert, der sich in einer Freitagnacht von einem farbenfrohen Zigeuner in seiner Küche den Schneid abkaufen lässt? Nichts ist er wert, hat sich der Beskowitz gedacht, gar nichts. Und als sich der Beskowitz zufrieden zum Boden bückt, um die leere Flasche zu denen der letzten Woche zu stellen, hört er es an der Tür klingeln. Er hat kurz auf die Uhr geschaut, die Ohre gespitzt und gehofft, dass er sich verhört hat. Denkste, denn gerade in dem Augenblick als der Beskowitz sich gedacht hat, Gefahr gebannt, klingelte es noch einmal. Und nun wirst du dich fragen, worum er nicht einfach zur Tür geht und nachschaut wer dort ist. Also erstens, du wohnst ja nicht in der Südwestsiedlung. Zweitens, bei dir ist es auch nicht nachts kurz vor eins. Und drittens, bei dir gehen auch nicht die Zigeuner ein und aus.

Aber nun siehst du, dass der Mensch sich, ob nun marlowelos oder nicht, in jedem Klingeln die Erfüllung seiner Wünsche und Träume erhofft. Das da endlich einer im Türrahmen steht, den Daumen in die Höhe streckt und sagt: Okay, du bist im Team. Oder der Ullmann vom Kiosk mit 'nem Lottoschein winkt und sagt, natürlich der Beskowitz, wer sollte denn sonst den Jackpot knacken. Oder einfach nur, eine Speziale mit extra Peperoni, war das hier. Egal, du weißt was ich meine. Und glaub's mir, auch der Beskowitz wäre in solch einer Situation voller Hoffnung, wenn da nicht die Angst an ihm genagt hätte, wieder auf einen farbenfrohen Vertreter einer mobilen Ethnischen Minderheit zu treffen. Aber, neugierig. Und so hat er sich durch den schlingernden Flur tangoiert, balanciert dabei seinen Gimlet in der Rechten und hat die Tür aufgesperrt.

Und jetzt, ein junges Mädchen, wo der Beskowitz sich nicht erinnern kann es je gesehen zu haben, hat tief gebeugt da gestanden und sich mit der Hand an der Wand abgestützt, so dass der Beskowitz Angst gehabt hat, dass sich ihre fragile Position schlagartig in eine stabil liegende verwandeln könnte. Der Beskowitz hat sich nun nichts mehr gewünscht als: oh falsche Tür. Aber Pustekuchen.
Stattdessen: „Bes-koo-witz“, wobei ihr Finger langsam über's Klingelschild gefahren ist.
„Ich hab' von unten noch Licht gesehen. Dachte, schauste mal nach'm neuen Nachbarn.“
Nun musst du wissen, dass es im Oktober zwei Jahre werden die der Beskowitz in der Südwestsiedlung wohnt, und dass er die bisher ausbleibenden Nachbarschaftsbesuche so vermisst hat wie schlimmes Zahnweh, oder die Verlockungen eines freien Zigeunerlebens. Aber interessant, er ist zu betrunken um eine angemessene Form von Schlagfertigkeit unter Beweis stellen zu können. Und eh der Beskowitz reagieren kann hat sie auch schon im Türrahmen gestanden, auf die strohfarbene Lache in seinem Glas gezeigt und gesagt, dass sie doch schwer hoffe, dass es nicht das ist, wo nach es aussieht, sie aber auch mal 'ne Tasse davon nehme. Du kannst dir sicher vorstellen, dass der Beskowitz da nun was hat sagen wollen, aber muxmäuschenstill war's. Aber weißt's ja, Schlagfertigkeit. Nun hat sich das schmale, blasse Ding mit einer halben Pirouette am Beskowitz vorbei geschoben, ist mit dem schnippischen Wippen eines Catwalks, so dass der Beskowitz sich gefühlt hat als sei er in Mailand auf der Fashion Week, durch seinen Flur stolziert und schnurstracks in seiner Stube verschwunden. Komisch, eigentlich hätte nun tausend Fragen in ihm kreisen müssen. Wer ist sie? Was will sie? Wann geht sie wieder? Aber interessant, stattdessen hat er die Tür geschlossen, ist in die Küche gegangen und hat begonnen das Zellophan von einer neuen Flasche zu pulen.

Er hat den Gimlet grad so gemixt, wie ihn dir die Rosi im 'Pigalle' gern zu fortgeschrittener Stunde andreht. Viel Lime, wenig Gin, jungmädchenlike quasi. Aber daran siehst du, dass der Beskowitz im Grunde seines Herzens ja ein feiner Kerl ist, und ihm, egal in welchen Schlamassel er auch gerade steckt, das Wohl Heranwachsender nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. Als er nun ins Wohnzimmer gekommen ist sieht er, dass sie es sich schon auf seiner Couch gemütlich gemacht hat. Sie hat da gelegen, die Beine lang ausgestreckt und die Asche ihrer Marlboro in seiner Lieblingstasse abgeklopft. Blass und abgespannt hat sie ausgesehen, der Lidstrich verschmiert, und um ihren Mund haben ein paar Nuancen dieser Tristesse gelegen, die man in der Südwestsiedlung wohl freitags mit den Anzeigeblättchen in den Briefkästen verteilt. Nun hat der Beskowitz gar nicht gewusst was er hätte sagen sollen, denn die einzigen jungen Frauen mit denen er in den letzten Jahren Kontakt hatte, sind die, die sich stundenlang im 'Pigalle' auf dem Plüsch herum lümmeln und ansonsten nicht immer nur reden wollen. Er hat die Gläser abgestellt, sich schwer in den Sessel fallen lassen und die Luft mit einem lauten Pfiff aus seinen Lungen gepresst, als komme er gerade von einem Waldlauf heim. Dann hat er doch was gesagt.
„Und nun?“
„Was nun?“
„Na, erst mal Prost“
Der Beskowitz ist nun froh gewesen, dass er erst mal Zeit gewonnen hat, sprich Spielverzögerung. Und er hat ihr noch mit einer flüchtig angedeuteten Handbewegung zu prosten wollen. Aber, zu spät.
„Was issen das? 'en Kinderpunsch?“, und sie hat ihn dabei angeschaut als wäre er ein Anlagebetrüger. Und nun kannst du dir sicher vorstellen, wie der Beskowitz in seinem Sessel versunken ist. Weil, das richtige mixen eines schulbuchmäßigen Gimlets ist eine Sache auf die er sich nun wirklich versteht, Kernkompetenz quasi.
„Darfst du überhaupt schon trinken?“, hat er gefragt.
„Bin siebzehn, fast.“
„Wenn du's vertägst, mach' ich dir vielleicht noch einen.“
„Keine Sorge“, hat sie gesagt. „Aber glaub nicht, du kannst mich besoffen machen. Ficken iss nicht, dass das gleich mal klar ist“
Und der Beskowitz ist nun zum zweiten Mal in seinem Sessel versunken, und hat sich gefragt, ob da nun irgendwas in seinem Blick war, das ihn wie den schwammigen Pädo-Bär aus dem dritten Stock, der den halben Sommer am Spielplatz herum schleicht, hat aussehen lassen, ist dann aber doch zu der Einsicht gelangt, dass es sich vielleicht nur um die Art handelt, wie die Jugend von heute eine Konversation am laufen hält.
„Na dann erzähl mal“, hat er gesagt.
„Was denn?“
„Na vielleicht; warum hockst du hier? Keine Leute wo du hin kannst? Keine Bleibe?
„Du peilst nichts, aber auch gar nichts. Na klar hätt' ich Leute mit denen ich abhängen könnte. Ich bräuchte nur mit 'm Finger zu schnipsen und schon hätt' ich 'en Arsch voll Leute. Ich brauch hier nicht bei dir zu hocken und mir so'n Kinderpunsch anzutun, und ...“
Und an dieser Stelle hat ihr Atem gestockt, und der Beskowitz hat schon bemerkt, dass ihr eine kleine Träne aus dem Augenwinkel gelaufen ist und sie versucht hat sie heimlich ins Kissen zu wischen. Und nun muss ich dir sagen, egal wie der Beskowitz ja so ist, aber soviel Einfühlungsvermögen hat er dann doch, dass er bemerkt hat, dass ihre schnippische Attitüde wohl aus einem Schmerz, einer tiefen Verletzung heraus gekommen sein mag, und er hat mit väterlich jovialer Stimme gesagt: „Na dann trink aus. Ich mach dir noch einen.“
Da hat die Kleine kurz gelächelt.
„Ich bin übrigens die Jenny. Wir wohnen oben im Neunten.“
„Wer ist wir?“
„Ich, meine Mutter und ihr Stecher.“
„Na dann, Prost.“

An und für sich hat ja so ein Krokodil ja keine natürlichen Feinde – bis auf den Kasper. Aber da muss ich nun mal ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie der Beskowitz auf so einen abwegigen Gedanken gekommen ist. Gut, vielleicht hat er sich gedacht, dass so ein Kasper ja auch nur eine eingelaufene Ausgabe eines Zigeuners ist, oder dass so ein Krokodil auf drei Beinen auch nur eine unzureichende Stabilität zur Kasperbekämpfung erreicht. Und vielleicht sind dem Beskowitz in dieser Freitagnacht noch so einige wirren Gedanken durch den Kopf geirrt, welche wir, die Vernünftigen, die rational Denkenden, die die das Leben meistern, die Haare zu Berge stehen lassen würden. Vielleicht. Aber, wer kann das schon so genau sagen? Ich nicht. Und mit all diesen Gedanken in seinem vernebelten Kopf - Kasper, Krokodil, Zigeuner, Mädchen, mit all diesen, ist der Beskowitz erneut zum Kühlschrank gegangen.

Und nun hat er es aus der Stube rufen hören.
„Du, Beskowitz.“
„Ja.“
„Hast du das verbrochen?“
„Wassen?“
„Na die Story hier auf'm Rechner.“
„Ja.“
„Und warum?“
„Ist so'n Hobby von mir“, hat er gerufen und ist mit den Gimlets wieder in die Stube gegangen. Das Mädchen hat sich gerade durch seine Geschichte gescrollt, hier und da mal einige Zeilen gelesen und sich wieder auf's Sofa fallen lassen.
„Ist nicht dein Ernst?“
„Doch. Ist nun schon die siebte Folge von Wissenschaftsoffizier Schulze auf M112. Marsstation, Science-Fiction, verstehste. Das hättest du mir nun nicht zugetraut?“
Das Mädchen hat ihn nun von oben bis unten angeschaut, die Nase gerümpft und milde mit dem Kopf geschüttelt.
„Doch, nun wo du's sagst. Genau das habe ich dir zugetraut.“
Und eh der Beskowitz sich nun Gedanken darüber hat machen können, wie sie es gemeint hat, sagt sie: „Mal ehrlich, wer liest denn so'n Scheiß?“
„Nun ja“, hat der Beskowitz nun gestammelt. „In einigen Onlineforen, da wird's gelesen.“
„Ich sag's doch immer, das Netz ist voller Flachwichser.“
„Ist halt klassische Science-Fiction. Lem, und so. Das alte Lied, Wissensdurst, Reise in ferne Gefilde ...“
„...intellektuelle Variante von 'Bauer sucht Frau', ...bla, ...bla, ...bla.“
„Nun ja, Frauen hat's nun grad nicht auf M112.“
„Hör auf! Ich kenn' so'n Mist“, hat sie gesagt. „Bier ohne Alkohol, Büro ohne Papier, ficken ohne Frau.“
„Neenee“, und der Beskowitz hat nun abwehrend mit den Händen in der Luft herum gewirbelt. „Kommandeur Schulze hatte mal was mit 'ner Marsbewohnerin.“
„Nicht wirklich?“
„Warum nicht?“
„Du hast doch nicht ernsthaft ein paar Marstussen am Start? Abgefahrener Plot, wirklich abgefahren.“
„Die Leute mögen's halt so.“
„Deine Marsleute haben doch ein Riesenproblem. Die haben ein Imageproblem. Ich meine, was soll man denn von denen halten? Wenn 'se mal auf die Erde kommen, dann landen 'se irgendwo in der Ödnis, machen dabei ein paar Kühe platt, verschrecken die Furchenscheißer und vergreifen sich an chronisch unterfickten Landfrauen von Iowa. So einer isser, dein Marsmensch. 'n gewaltiges Problem hatter, dein Marsmensch.“
„Marsmenschen sind halt auch nur Menschen.“
Und der Beskowitz hat nun ratlos in seiner Stube gestanden,
hat aber nicht gewusst, was er der Kleinen nun noch hätte sagen können. Und dann hat sie sich aufrecht auf's Sofa gesetzt, ihre Beine in alter Schneidermanier irgendwo unter sich verknotet, eine neue Marlboro angesteckt und gesagt:
„Warum schreibsten nicht mal was Anständiges, was aus'm Leben?“
„Wie meinsten das jetzt?“
“Na ja, du könntest ja mal 'ne Geschichte schreiben, wo ein junges Mädchen, vielleicht so alt wie ich, mit ihrer Mutter zusammen in so 'ner Hochhaussiedlung wohnt, so'n richtiges Hartzerheim, verstehste, und die Mutter könnte vielleicht mal hier und da 'nen kleinen Aushilfsjob haben und ansonsten von Stütze leben, also nur mal angenommen, und weil sie säuft, also die Mutter, verstehste, hat sie sich auch nie richtig um ihre Tochter kümmern können, und die Tochter hat dann ja auch nie mal 'ne Freundin mitbringen können, so aus der Schule und so, wegen der Mutter, weil Unordnung, lallen und so, also nur mal angenommen, und die Typen mit denen das Mädchen dann so rumgezogen ist wohnten auch alle in der Siedlung, Arschlöcher, nur einer war dabei, der Memet, der war okay, iss aber dann weggezogen, verstehste, und das Mädchen, also das aus der Geschichte, das kommt dann inner Schule auch nicht mehr mit, und Freunde hat's dort eh keine, verstehste, weil's zu hause keinen interessiert, und dann zieht sie um die Häuser und muss sich mit sechzehn 'en Kind wegmachen lassen, verstehste, wegen 'nem Typen in den das Mädchen verliebt war, verstehste, wegen Fickdichdochselbstmarvin, auch 'en Arschloch, und die Mutter könnte, nur mal angenommen, zum Mädchen gesagt haben, Schlampe, nicht mal sechzehn und lässt dich knallen, und das Mädchen sagt, selber Schlampe, was meinste wo ich's gelernt habe, worauf die Mutter los schreit, wie redest du mit deiner Mutter, und das Mädchen wieder, ja deine Typen grapschen ja auch schon seit Jahren nach mir, und sie, das ist doch nur in deiner kleinen dreckigen Fantasie, das Mädchen so, merkste nur nicht weil du immer besoffen bist, und die Mutter wieder, du undankbare Schlampe, und ich so, also das Mädchen so, ja, und der jetzt hier ein und aus geht muss auch jedesmal zum pinkeln wenn ich mich dusche, und sie wieder, Lügnerin, der Eddy issen prima Kerl, wenn wir den nicht hätten wär' am Ende des Monats der Kühlschrank leer, und das Mädchen so, fick dich doch selbst, und die Mutter, fick du dich und hör auf den Eddy anzubaggern, und das Mädchen beginnt vielleicht zu weinen, also nur mal angenommen, und die Mutter kippt 'en Wodka, es wird geschrien, geh, brauchst gar nicht wieder zukommen, dann die Tochter, kannste Gift drauf nehmen, dann sie, hau bloß ab, dann knallen Türen, und dann ...“
Und die Kleine hat nun auf irgendeinen Punkt im Zimmer gestarrt, wo der Beskowitz aber nun überhaupt nicht hat sagen können, was sie da so sieht.
„Ja, was dann...?“, hat die Kleine noch in aller Seelenruhe gesagt.
Du kannst dir vorstellen, wie erschrocken der Beskowitz gewesen ist, als er ihr nun in die Augen geschaut hat. Ihr Blick war so leer wie der Dienstagsnachtbus hinaus in die Siedlung.
„So 'ne Geschichte musste mal schreiben. Eine aus'm Leben.“ Ruhig, aber brüchig wie Esspapier ist ihre Stimme gewesen, so dass es dem Beskowitz fast das Blut in den Adern hat gefrieren lassen. Und ich möchte ja nicht, dass du jetzt was falsches über den Beskowitz denkst, aber wie das Mädchen so auf seiner Couch gesessen hat, da hätte er sie am liebsten mal in den Arm genommen, und ich denke, er hat nun wohl auch mal jemanden gebraucht, der ihn in den Arm genommen hätte. Ist aber nur so'ne Vemutung von mir, sprich könnte sein. Stattdessen ist er aufgestanden, hat gesagt, dass er wohl mal ein bisschen frische Luft nötig hätte, und ist hinaus auf den Balkon gegangen. Feiner Kerl quasi.

...und wenn du mich fünfmal fragst. Nein, ich kann die nicht sagen was der Beskowitz da so auf seinem Balkon gemacht hat. Anfangs hat es ja so ausgesehen, als stünde er minutenlang ruhig an der Brüstung. Dann hat er langsam und gleichmäßig den Kopf hin und her bewegt, und diese Übung dann durch kleinere Bewegungen mit den Händen erweitert, so dass es ausgesehen hat, als übe er für die Tai-Chi-Gruppe der Volkshochschule. Und wie zum abschließenden Cooldown hat er dann mit beiden Händen die Brüstung fest umschlossen, die Arme durchgedrückt, in die Nacht geschaut und entschlossen mit dem Kopf genickt. Einmal nur, einfach so - 'ne Type halt, der Beskowitz. Und wie er dann wieder in seine Stube gekommen ist hat er gesehen, wie die Kleine auf seiner Couch eingeschlafen ist. Ruhig geatmet hat sie, und eine Sanftmut lag auf ihrem Gesicht, dass man hätte denken können, sie fliege in ihren Träumen von Majas Wiese über den Blocksberg bis nach Bullerbü, um sich dort mit dem großen Negerkönig zu treffen. Er hat ihr das Kissen gerichtet, vorsichtig, so dass er ihre Träume nicht verjagt, hat sie mit seiner flauschigen Sofadecke zugedeckt und hat sich in alter Komantschenart zum Rechner geschlichen.
Und jetzt pass auf, als der Beskowitz da so vor der Datei „Quo vadis M112“ gesessen hat, da hat man ihn leise sagen hören: „...ach, fahr zur Hölle, Schulze!“.
Datei schließen; klick.
Datei speichern, Datei verwerfen? ... zaghaft hat er den Pfeil der Maus auf 'verwerfen' geführt, seine Augen geschlossen und noch einmal leise „fahr zur Hölle“ gemurmelt.
Dann; klick.
Der Beskowitz hat nun ein neues Dokument geöffnet, sich zurück gelehnt und verlegen den Handrücken gekratzt. Ich meine ja, dass er nun ein bisschen Angst gehabt hat, sich nicht ganz sicher war, und so; ist aber nur so'n Gedanke von mir. Dann ist er in die Küche gegangen und hat sich eine große Kanne Kaffee gekocht. Lange hat er bei der Maschine gestanden und Tropfen für Tropfen in die Kanne fallen sehen; so als tröpfelte dort nicht Kaffee, sondern seine gefilterten Hoffnungen.
Es muss eine warme Nacht gewesen sein. Er hat die Balkontür geöffnet, so dass er dem Wind der durch die Pappeln strich hat lauschen können, und hat die Überschrift getippt. Langsam, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort; bis er es hat lesen können. „SÜD-WEST-SIEDLUNGS-BLUES“
Und dann hat er geschrieben, vom Kaffee getrunken, wieder geschrieben, mal zum Mädchen geschaut, die ruhig von ihren Abenteuern mit dem Negerkönig geträumt hat, und wieder geschrieben; so lange, bis der Osten den neuen Tag in die Siedlung geliefert hatte.
Und alle sind sie drin vorgekommen; das Mädchen und der Zigeuner, der Marlowe und der Lennox, der Ullman und der Kayankaya, der Kasper und das Krokodil, sogar der Pädo-Bär aus dem dritten Stock, und der Rilke, und der Nachtbus auch. Und ich, quasi.
 

Vagant

Mitglied
Die ganze Wahrheit über den Untergang von M112

Meine Frau sagt immer, mir fehle da irgendwie die Fantasie dafür. Du musst es erlebt haben wenn du drüber schreiben willst, sagt sie. Was soll's, denke ich mir. Bin ich etwa der Updike, oder der McEwan? Nein, bin ich nicht. Unter uns gesagt, ich bin ja nicht mal der Beskowitz. Dem Beskowitz, dem fallen die Sachen einfach so ein. Fantasy, Science-Fiction, das Cyberpunkzeug; kann der aus dem Effeff. Tagsüber geht der Beskowitz arbeiten. So 'ne kleine Werkstatt. Bautischlerei, nichts großes. Muss ja, sagt er, kannst ja noch nicht in Rente. Abends sitzt er am Schreibtisch und tippt seine Geschichten in den Rechner. Hat ja auch die Zeit, der Beskowitz. Die Kinder sind ja gleich nach der Schule aus dem Haus, und seiner Frau ist es mit ihm allein ja irgendwann auch zu bunt geworden. Die schöne Wohnung in der Innenstadt hat er dann auch nicht mehr halten können. Das bisschen Tischlerei ist ja nun mal keine Goldgrube, sagt er. Und du wirst's dir ja schon denken können, nun wohnt er irgendwo am Stadtrand, der Beskowitz. Südwestsiedlung. Drei Zehngeschosser aus den späten Sechzigern, aber alles picobello, sagt er. Vor den Blocks stehen ein paar Pappeln und in der Ferne fließt der Main. Und wenn er dann auf seinem Balkon im sechsten Stock steht, und der Westwind so silbern durch die Pappelkronen schleicht, dass es aussieht als treibe er einen Schwarm Heringe vor sich her, dann denkt er sich, 's hätte auch schlimmer kommen können. So einer ist er, der Beskowitz. Ehrlich.

Und nun weiß ich nicht, ob du's schon kennst, aber wie der Beskowitz eines freitags nachts so an seinem Schreibtisch gesessen ist, mit den Kopf schüttelte und sich gedacht hat, ach du grüne Neune, nun ist's aber auch wieder spät geworden, da hat er gemerkt, dass da was nicht aufgegangen ist in seiner Geschichte; sprich verschrieben. Nun musst du wissen, dass der Beskowitz mal wieder 'n bisschen was getrunken hat, und ihm die Arbeit an der Story ein wenig aus den Händen geglitten ist. Du weißt ja, Marsdurchmesser nur schlappe siebentausend Kilometer, und da ist's ja nun wirklich nicht weit bis zum Horizont. Und nun pass auf; der Beskowitz lässt also seine Versorgungssonde im falschen Quadranten, außerhalb der Sichtweite der Kolonie landen. So weit kein Problem. Aber; kein Kontakt möglich, weil Sender kaputt. Und suchen; dazu ist bei dem dem Sturm nun wirklich nicht zu raten. Gut, er hätte den Sturm umschreiben können, für ihn 'ne leichte Übung, oder er hätte die Sonde mit 'ner schnellen Tipperei näher an die Station bringen können. Aber nein, so einer ist der Beskowitz nicht. Er hat zum Fenster geschaut und gedacht, dass ihm das nun den ganzen schönen Plot versaut hat. Nun wirst du sagen, nach drei Gimlets mit 'ner Extraportion Gin kann das schon mal vorkommen. Und genau das hat sich der Beskowitz auch gesagt, ist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Ich muss nun mal ehrlich sagen, dass ihm so was in letzter Zeit schon häufiger passiert ist, und er seine, als raffiniert geltenden, dramaturgischen Wendungen immer öfter aus dem benetzten Grund eines Mehrzweckglases gehoben hat. Quasi Perlentaucher. Und da hat der Beskowitz dann am Fenster gestanden, in die mondlose Nacht gestarrt, und es ist ihm durch den Kopf gefahren, dass es seinen Lesern in all den Space- und Trekkieforen wohl einerlei sei auf welche Weise er nach seinen Perlen fischt. Denen sicher, hat er sich gedacht, mir ist's aber nicht egal. Und der Beskowitz ist hinaus auf den Balkon gegangen, hat auf die blauschwarzen Wogen der Pappelkronen gestarrt und sich dabei gefühlt, als würde er von der Brücke eines Frachters hinaus auf die kabbelige See schauen, um im Rauchen der Dünung das hoffnungsvolle Flüstern seiner frühen Erzählungen wieder zu entdecken. Aber Fehlanzeige.

Nun musst du wissen, dass der Beskowitz in all den Jahren in denen er nun schon schreibt, nicht immer nur Science-Fiction geschrieben hat. In der Maienblüte seiner Jugend ist ihm keine Landschaft zu dröge gewesen um ihr nicht ein Quäntchen Poesie zu entlocken. Seine Wintergeschichten schmeckten nach Glühwein und Rodelwetter. Sein Frühling, eine einzige Kirschblüte, seine Sommer dufteten nach Heu und Sonnenöl. Es gab kein Mädchenlächeln welches ihn nicht zu einer Liebesgeschichte inspiriert hat, und du wirst's nicht glauben, selbst in seinen Herbstgeschichten hat er noch Häuser bauen lassen. Nun wirst du fragen, was ist passiert? Warum zerbricht er sich heute den Kopf über alternative Raketenantriebe und den Brokkolianbau auf M112? Und vielleicht schwant dir ja was. Wie; dass der Beskowitz die Nase gestrichen voll davon hatte, dass nicht mal seine Frau seine alten Geschichten lesen wollte. Dass er endlich mal etwas schreiben wollte, wofür sich überhaupt eine Leser findet. Dass er sich hier nur einer Marktlage beugt, einem Pragmatismus folgt. Wenn du auf dieser Fährte bist; Bingo.

Du wirst dir nun denken können, dass der Beskowitz nun ganz schön in der Bredouille sitzt. So völlig am Plot vorbei geschieben, verzwickte Lage quasi. Und weil er gerade nicht gewusst hat wie er das nun wieder gerade biegen kann, ist er in die Küche gegangen, hat sich eine eins-a Portion Gin in sein Glas gegossen, den Limejuice drüber und das ganze noch flott mit ein paar Eiswürfeln garniert. Jetzt musst du wissen, dass der Beskowitz die neumodischen Sachen ja nicht so mag. Aber so'n Gimlet ist eine runde Sache, 'en Klassiker quasi. Er fühle er sich da dem Lennox, also dem Lennox vom Chandler, verbunden, hat er gesagt. Aber Verbundenheit hin, Verbundenheit her. Die Kehrseite der Medaille; er hat im Türpfosten gestanden und das Ding ist auf einmal wie Gummi. Und um ihn herum, alles wie durch einen Schleier. Kühlschrank, Spüle, Herd; wie durch einen Schleier. Und der Kopf – na, prost Mahlzeit. Du weißt ja, der Lennox hatte 'nen Freund, den Marlowe. Und der Marlowe, der hat aufgepasst, dass der Lennox immer schön die Kurve bekommen hat. Nun, der Beskowitz kennt zwar auch ein paar Leute; den Kayankaya aus dem zweiten Stock, oder den Ullmann vom Kiosk an der Ecke; aber so einen wie den Marlowe, so einen kennt der Beskowitz nicht. Quasi marlowelos.

Nun kommt's, denn wie der Beskowitz so im Türpfosten lehnt und um ihn herum die Küche schwankt, hört er sich sagen, 'trink nicht soviel!'. Und ich kann dir sagen, dass er da nicht schlecht geguckt hat, denn er ist sich sicher gewesen, dass er kein Sterbenswörtchen gesagt hat. 'Trink nicht soviel!'. Noch mal, ganz deutlich. Und nun hat er sich an den Kopf gefasst, sich gedacht, dass er hier nun langsam verrückt wird, und sich die Stirn kräftig massiert. Nun interessant, wie der Beskowitz so in seiner Küche gestanden hat, sich mit der Linken an die Stirn fasst, und dabei die Augen fest geschlossen hat, da entsteht in der Tiefe des Raumes, den er nun vor sich sieht, eine ganze Galaxie voller bunter Sterne. Nun wirst du sagen; ja, kenn' ich. Aber jetzt passiert's, all die Sterne tänzelten so, als würden sie einer ausgebufften Choreographie gehorchen. Und aus den roten Sternen formen sich zwei grell geschminkte Lippen, die blauen vereinen sich zu einem Augenpaar mit der Weite und Wärme des Himmels über Marseilles, und die goldgelben Lichter formen etwas, was der Beskowitz noch gar nicht hat erkennen können. Ob er's überhaupt erkennen will, hat er sich gefragt, sich dabei noch mal kräftig die Stirn gerieben und gehofft, dass der Spuk nun bald ein Ende hat, sprich spukfrei. Denkste, denn nun hat er deutlich sehen können wie sich die goldgelben Sterne zu einem Ring formen. Ohrring, hundertpro, hat er gedacht. Und da hat er nun wirklich mal Recht gehabt, denn die goldgelben Sterne werden zu einer Kreole, so groß, dass ein Kanarienvogel drin hätt' sitzen können. Und der Beskowitz hat genickt, um so zu tun, als würde er verstehen was hier gerade vor sich geht. Netter Versuch, denn er hat sich gefühlt wie nachts auf dem Rummel und Brille vergessen. Nun pass auf, als sich all die Lichter in diesem schornsteinfegerschwarzen Himmel zur einem Ganzen geformt haben, hätte er eigentlich laut lachen wollen. Hätte - wenn ihm das Gesicht, dass ihn nun aus der Tiefe des Raumes zugelächelt hat, nicht so bekannt vorgekommen wäre. Denn interessant, eine eins-a Version des jungen Beskowitz, hat er sich gedacht. Aber ein bisschen gewundert hat er sich schon, denn dieser junge Beskowitz trug eine farbenfrohe Weste über den Schultern, hatte eine pechschwarz gefärbte Wuschelmähne, einen feuerrot geschminktem Kussmund, sein Kinn wurde durch ein kubanischen Revelutionsbärtchen verziert und in seinem Ohr hing diese ungeheuer große Kreole. Und diese lustige Erscheinung Seiner selbst, die ihn nun in seiner Küche heimgesucht hat, hat milde gelächelt, seine Hand nach ihm ausgestreckt und gesagt: „Komm mit uns, Bruder. Zieh mit den Zigeunern.“

Und nun muss ich sagen, dass mir da der Beskowitz schon ein bisschen imponiert hat. Wie er sich da weder auf ein endloses Abwägen der Dafürs und Dagegens einer Reise eingelassen hat, noch auf den Gedanken gekommen ist, diesem leicht tuntigen Zigeuner einen Gimlet anzubieten. Statt dessen; der Beskowitz ist zur Spüle gegangen, hat sich zwei Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht geworfen, einmal tief Luft geholt und mit einem erleichterten Seufzer festgestellt, dass der Radau nun ein Ende hat. Und nun musst du entschuldigen, dass ich dir das alles so haarklein erzähle, aber ich wollte dir nur zeigen, dass zwischen einer verirrten Versorgungssonde und dem Erscheinen eines Zigeuners in deiner Küche gar nicht so viel passieren muss. Wahnsinn überall, quasi.

Und nun hat sich der Beskowitz auf der Stelle wieder fit gefühlt. Wie neu ist er sich vorgekommen als das kalte Wasser langsam auf seiner Haut getrocknet ist. Und du weißt ja, das Leben kannste halt nur rückwärts verstehen, leben musstes aber vorwärts. Und weil der Beskowitz ja eher ein Vorwärt-, als ein Rückwärtsmensch ist, hat er sich gedacht, dass er eh keinen passenden Schuh für eine so weite Reise gehabt hätte. Scherzkeks quasi. Denn; was ist der Mann noch wert, der sich in einer Freitagnacht von einem farbenfrohen Zigeuner in seiner Küche den Schneid abkaufen lässt? Nichts ist er wert, hat sich der Beskowitz gedacht, gar nichts. Und als sich der Beskowitz zufrieden zum Boden bückt, um die leere Flasche zu denen der letzten Woche zu stellen, hört er es an der Tür klingeln. Er hat kurz auf die Uhr geschaut, die Ohre gespitzt und gehofft, dass er sich verhört hat. Denkste, denn gerade in dem Augenblick als der Beskowitz sich gedacht hat, Gefahr gebannt, klingelte es noch einmal. Und nun wirst du dich fragen, worum er nicht einfach zur Tür geht und nachschaut wer dort ist. Also erstens, du wohnst ja nicht in der Südwestsiedlung. Zweitens, bei dir ist es auch nicht nachts kurz vor eins. Und drittens, bei dir gehen auch nicht die Zigeuner ein und aus.

Aber nun siehst du, dass der Mensch sich, ob nun marlowelos oder nicht, in jedem Klingeln die Erfüllung seiner Wünsche und Träume erhofft. Das da endlich einer im Türrahmen steht, den Daumen in die Höhe streckt und sagt: Okay, du bist im Team. Oder der Ullmann vom Kiosk mit 'nem Lottoschein winkt und sagt, natürlich der Beskowitz, wer sollte denn sonst den Jackpot knacken. Oder einfach nur, eine Speziale mit extra Peperoni, war das hier. Egal, du weißt was ich meine. Und glaub's mir, auch der Beskowitz wäre in solch einer Situation voller Hoffnung, wenn da nicht die Angst an ihm genagt hätte, wieder auf einen farbenfrohen Vertreter einer mobilen Ethnischen Minderheit zu treffen. Aber, neugierig. Und so hat er sich durch den schlingernden Flur tangoiert, balanciert dabei seinen Gimlet in der Rechten und hat die Tür aufgesperrt.

Und jetzt, ein junges Mädchen, wo der Beskowitz sich nicht erinnern kann es je gesehen zu haben, hat tief gebeugt da gestanden und sich mit der Hand an der Wand abgestützt, so dass der Beskowitz Angst gehabt hat, dass sich ihre fragile Position schlagartig in eine stabil liegende verwandeln könnte. Der Beskowitz hat sich nun nichts mehr gewünscht als: oh falsche Tür. Aber Pustekuchen.
Stattdessen: „Bes-koo-witz“, wobei ihr Finger langsam über's Klingelschild gefahren ist.
„Ich hab' von unten noch Licht gesehen. Dachte, schauste mal nach'm neuen Nachbarn.“
Nun musst du wissen, dass es im Oktober zwei Jahre werden die der Beskowitz in der Südwestsiedlung wohnt, und dass er die bisher ausbleibenden Nachbarschaftsbesuche so vermisst hat wie schlimmes Zahnweh, oder die Verlockungen eines freien Zigeunerlebens. Aber interessant, er ist zu betrunken um eine angemessene Form von Schlagfertigkeit unter Beweis stellen zu können. Und eh der Beskowitz reagieren kann hat sie auch schon im Türrahmen gestanden, auf die strohfarbene Lache in seinem Glas gezeigt und gesagt, dass sie doch schwer hoffe, dass es nicht das ist, wo nach es aussieht, sie aber auch mal 'ne Tasse davon nehme. Du kannst dir sicher vorstellen, dass der Beskowitz da nun was hat sagen wollen, aber muxmäuschenstill war's. Aber weißt's ja, Schlagfertigkeit. Nun hat sich das schmale, blasse Ding mit einer halben Pirouette am Beskowitz vorbei geschoben, ist mit dem schnippischen Wippen eines Catwalks, so dass der Beskowitz sich gefühlt hat als sei er in Mailand auf der Fashion Week, durch seinen Flur stolziert und schnurstracks in seiner Stube verschwunden. Komisch, eigentlich hätte nun tausend Fragen in ihm kreisen müssen. Wer ist sie? Was will sie? Wann geht sie wieder? Aber interessant, stattdessen hat er die Tür geschlossen, ist in die Küche gegangen und hat begonnen das Zellophan von einer neuen Flasche zu pulen.

Er hat den Gimlet grad so gemixt, wie ihn dir die Rosi im 'Pigalle' gern zu fortgeschrittener Stunde andreht. Viel Lime, wenig Gin, jungmädchenlike quasi. Aber daran siehst du, dass der Beskowitz im Grunde seines Herzens ja ein feiner Kerl ist, und ihm, egal in welchen Schlamassel er auch gerade steckt, das Wohl Heranwachsender nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. Als er nun ins Wohnzimmer gekommen ist sieht er, dass sie es sich schon auf seiner Couch gemütlich gemacht hat. Sie hat da gelegen, die Beine lang ausgestreckt und die Asche ihrer Marlboro in seiner Lieblingstasse abgeklopft. Blass und abgespannt hat sie ausgesehen, der Lidstrich verschmiert, und um ihren Mund haben ein paar Nuancen dieser Tristesse gelegen, die man in der Südwestsiedlung wohl freitags mit den Anzeigeblättchen in den Briefkästen verteilt. Nun hat der Beskowitz gar nicht gewusst was er hätte sagen sollen, denn die einzigen jungen Frauen mit denen er in den letzten Jahren Kontakt hatte, sind die, die sich stundenlang im 'Pigalle' auf dem Plüsch herum lümmeln und ansonsten nicht immer nur reden wollen. Er hat die Gläser abgestellt, sich schwer in den Sessel fallen lassen und die Luft mit einem lauten Pfiff aus seinen Lungen gepresst, als komme er gerade von einem Waldlauf heim. Dann hat er doch was gesagt.
„Und nun?“
„Was nun?“
„Na, erst mal Prost“
Der Beskowitz ist nun froh gewesen, dass er erst mal Zeit gewonnen hat, sprich Spielverzögerung. Und er hat ihr noch mit einer flüchtig angedeuteten Handbewegung zu prosten wollen. Aber, zu spät.
„Was issen das? 'en Kinderpunsch?“, und sie hat ihn dabei angeschaut als wäre er ein Anlagebetrüger. Und nun kannst du dir sicher vorstellen, wie der Beskowitz in seinem Sessel versunken ist. Weil, das richtige mixen eines schulbuchmäßigen Gimlets ist eine Sache auf die er sich nun wirklich versteht, Kernkompetenz quasi.
„Darfst du überhaupt schon trinken?“, hat er gefragt.
„Bin siebzehn, fast.“
„Wenn du's vertägst, mach' ich dir vielleicht noch einen.“
„Keine Sorge“, hat sie gesagt. „Aber glaub nicht, du kannst mich besoffen machen. Ficken iss nicht, dass das gleich mal klar ist“
Und der Beskowitz ist nun zum zweiten Mal in seinem Sessel versunken, und hat sich gefragt, ob da nun irgendwas in seinem Blick war, das ihn wie den schwammigen Pädo-Bär aus dem dritten Stock, der den halben Sommer am Spielplatz herum schleicht, hat aussehen lassen, ist dann aber doch zu der Einsicht gelangt, dass es sich vielleicht nur um die Art handelt, wie die Jugend von heute eine Konversation am laufen hält.
„Na dann erzähl mal“, hat er gesagt.
„Was denn?“
„Na vielleicht; warum hockst du hier? Keine Leute wo du hin kannst? Keine Bleibe?
„Du peilst nichts, aber auch gar nichts. Na klar hätt' ich Leute mit denen ich abhängen könnte. Ich bräuchte nur mit 'm Finger zu schnipsen und schon hätt' ich 'en Arsch voll Leute. Ich brauch hier nicht bei dir zu hocken und mir so'n Kinderpunsch anzutun, und ...“
Und an dieser Stelle hat ihr Atem gestockt, und der Beskowitz hat schon bemerkt, dass ihr eine kleine Träne aus dem Augenwinkel gelaufen ist und sie versucht hat sie heimlich ins Kissen zu wischen. Und nun muss ich dir sagen, egal wie der Beskowitz ja so ist, aber soviel Einfühlungsvermögen hat er dann doch, dass er bemerkt hat, dass ihre schnippische Attitüde wohl aus einem Schmerz, einer tiefen Verletzung heraus gekommen sein mag, und er hat mit väterlich jovialer Stimme gesagt: „Na dann trink aus. Ich mach dir noch einen.“
Da hat die Kleine kurz gelächelt.
„Ich bin übrigens die Jenny. Wir wohnen oben im Neunten.“
„Wer ist wir?“
„Ich, meine Mutter und ihr Stecher.“
„Na dann, Prost.“

An und für sich hat ja so ein Krokodil keine natürlichen Feinde – bis auf den Kasper. Aber da muss ich nun mal ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie der Beskowitz auf so einen abwegigen Gedanken gekommen ist. Gut, vielleicht hat er sich gedacht, dass so ein Kasper ja auch nur eine eingelaufene Ausgabe eines Zigeuners ist, oder dass so ein Krokodil auf drei Beinen auch nur eine unzureichende Stabilität zur Kasperbekämpfung erreicht. Und vielleicht sind dem Beskowitz in dieser Freitagnacht noch so einige wirren Gedanken durch den Kopf geirrt, welche wir, die Vernünftigen, die rational Denkenden, die die das Leben meistern, die Haare zu Berge stehen lassen würden. Vielleicht. Aber, wer kann das schon so genau sagen? Ich nicht. Und mit all diesen Gedanken in seinem vernebelten Kopf - Kasper, Krokodil, Zigeuner, Mädchen, mit all diesen, ist der Beskowitz erneut zum Kühlschrank gegangen.

Und nun hat er es aus der Stube rufen hören.
„Du, Beskowitz.“
„Ja.“
„Hast du das verbrochen?“
„Wassen?“
„Na die Story hier auf'm Rechner.“
„Ja.“
„Und warum?“
„Ist so'n Hobby von mir“, hat er gerufen und ist mit den Gimlets wieder in die Stube gegangen. Das Mädchen hat sich gerade durch seine Geschichte gescrollt, hier und da mal einige Zeilen gelesen und sich wieder auf's Sofa fallen lassen.
„Ist nicht dein Ernst?“
„Doch. Ist nun schon die siebte Folge von Wissenschaftsoffizier Schulze auf M112. Marsstation, Science-Fiction, verstehste. Das hättest du mir nun nicht zugetraut?“
Das Mädchen hat ihn nun von oben bis unten angeschaut, die Nase gerümpft und milde mit dem Kopf geschüttelt.
„Doch, nun wo du's sagst. Genau das habe ich dir zugetraut.“
Und eh der Beskowitz sich nun Gedanken darüber hat machen können, wie sie es gemeint hat, sagt sie: „Mal ehrlich, wer liest denn so'n Scheiß?“
„Nun ja“, hat der Beskowitz nun gestammelt. „In einigen Onlineforen, da wird's gelesen.“
„Ich sag's doch immer, das Netz ist voller Flachwichser.“
„Ist halt klassische Science-Fiction. Lem, und so. Das alte Lied, Wissensdurst, Reise in ferne Gefilde ...“
„...intellektuelle Variante von 'Bauer sucht Frau', ...bla, ...bla, ...bla.“
„Nun ja, Frauen hat's nun grad nicht auf M112.“
„Hör auf! Ich kenn' so'n Mist“, hat sie gesagt. „Bier ohne Alkohol, Büro ohne Papier, ficken ohne Frau.“
„Neenee“, und der Beskowitz hat nun abwehrend mit den Händen in der Luft herum gewirbelt. „Kommandeur Schulze hatte mal was mit 'ner Marsbewohnerin.“
„Nicht wirklich?“
„Warum nicht?“
„Du hast doch nicht ernsthaft ein paar Marstussen am Start? Abgefahrener Plot, wirklich abgefahren.“
„Die Leute mögen's halt so.“
„Deine Marsleute haben doch ein Riesenproblem. Die haben ein Imageproblem. Ich meine, was soll man denn von denen halten? Wenn 'se mal auf die Erde kommen, dann landen 'se irgendwo in der Ödnis, machen dabei ein paar Kühe platt, verschrecken die Furchenscheißer und vergreifen sich an chronisch unterfickten Landfrauen von Iowa. So einer isser, dein Marsmensch. 'n gewaltiges Problem hatter, dein Marsmensch.“
„Marsmenschen sind halt auch nur Menschen.“
Und der Beskowitz hat nun ratlos in seiner Stube gestanden,
hat aber nicht gewusst, was er der Kleinen nun noch hätte sagen können. Und dann hat sie sich aufrecht auf's Sofa gesetzt, ihre Beine in alter Schneidermanier irgendwo unter sich verknotet, eine neue Marlboro angesteckt und gesagt:
„Warum schreibsten nicht mal was Anständiges, was aus'm Leben?“
„Wie meinsten das jetzt?“
“Na ja, du könntest ja mal 'ne Geschichte schreiben, wo ein junges Mädchen, vielleicht so alt wie ich, mit ihrer Mutter zusammen in so 'ner Hochhaussiedlung wohnt, so'n richtiges Hartzerheim, verstehste, und die Mutter könnte vielleicht mal hier und da 'nen kleinen Aushilfsjob haben und ansonsten von Stütze leben, also nur mal angenommen, und weil sie säuft, also die Mutter, verstehste, hat sie sich auch nie richtig um ihre Tochter kümmern können, und die Tochter hat dann ja auch nie mal 'ne Freundin mitbringen können, so aus der Schule und so, wegen der Mutter, weil Unordnung, lallen und so, also nur mal angenommen, und die Typen mit denen das Mädchen dann so rumgezogen ist wohnten auch alle in der Siedlung, Arschlöcher, nur einer war dabei, der Memet, der war okay, iss aber dann weggezogen, verstehste, und das Mädchen, also das aus der Geschichte, das kommt dann inner Schule auch nicht mehr mit, und Freunde hat's dort eh keine, verstehste, weil's zu hause keinen interessiert, und dann zieht sie um die Häuser und muss sich mit sechzehn 'en Kind wegmachen lassen, verstehste, wegen 'nem Typen in den das Mädchen verliebt war, verstehste, wegen Fickdichdochselbstmarvin, auch 'en Arschloch, und die Mutter könnte, nur mal angenommen, zum Mädchen gesagt haben, Schlampe, nicht mal sechzehn und lässt dich knallen, und das Mädchen sagt, selber Schlampe, was meinste wo ich's gelernt habe, worauf die Mutter los schreit, wie redest du mit deiner Mutter, und das Mädchen wieder, ja deine Typen grapschen ja auch schon seit Jahren nach mir, und sie, das ist doch nur in deiner kleinen dreckigen Fantasie, das Mädchen so, merkste nur nicht weil du immer besoffen bist, und die Mutter wieder, du undankbare Schlampe, und ich so, also das Mädchen so, ja, und der jetzt hier ein und aus geht muss auch jedesmal zum pinkeln wenn ich mich dusche, und sie wieder, Lügnerin, der Eddy issen prima Kerl, wenn wir den nicht hätten wär' am Ende des Monats der Kühlschrank leer, und das Mädchen so, fick dich doch selbst, und die Mutter, fick du dich und hör auf den Eddy anzubaggern, und das Mädchen beginnt vielleicht zu weinen, also nur mal angenommen, und die Mutter kippt 'en Wodka, es wird geschrien, geh, brauchst gar nicht wieder zukommen, dann die Tochter, kannste Gift drauf nehmen, dann sie, hau bloß ab, dann knallen Türen, und dann ...“
Und die Kleine hat nun auf irgendeinen Punkt im Zimmer gestarrt, wo der Beskowitz aber nun überhaupt nicht hat sagen können, was sie da so sieht.
„Ja, was dann...?“, hat die Kleine noch in aller Seelenruhe gesagt.
Du kannst dir vorstellen, wie erschrocken der Beskowitz gewesen ist, als er ihr nun in die Augen geschaut hat. Ihr Blick war so leer wie der Dienstagsnachtbus hinaus in die Siedlung.
„So 'ne Geschichte musste mal schreiben. Eine aus'm Leben.“ Ruhig, aber brüchig wie Esspapier ist ihre Stimme gewesen, so dass es dem Beskowitz fast das Blut in den Adern hat gefrieren lassen. Und ich möchte ja nicht, dass du jetzt was falsches über den Beskowitz denkst, aber wie das Mädchen so auf seiner Couch gesessen hat, da hätte er sie am liebsten mal in den Arm genommen, und ich denke, er hat nun wohl auch mal jemanden gebraucht, der ihn in den Arm genommen hätte. Ist aber nur so'ne Vemutung von mir, sprich könnte sein. Stattdessen ist er aufgestanden, hat gesagt, dass er wohl mal ein bisschen frische Luft nötig hätte, und ist hinaus auf den Balkon gegangen. Feiner Kerl quasi.

...und wenn du mich fünfmal fragst. Nein, ich kann die nicht sagen was der Beskowitz da so auf seinem Balkon gemacht hat. Anfangs hat es ja so ausgesehen, als stünde er minutenlang ruhig an der Brüstung. Dann hat er langsam und gleichmäßig den Kopf hin und her bewegt, und diese Übung dann durch kleinere Bewegungen mit den Händen erweitert, so dass es ausgesehen hat, als übe er für die Tai-Chi-Gruppe der Volkshochschule. Und wie zum abschließenden Cooldown hat er dann mit beiden Händen die Brüstung fest umschlossen, die Arme durchgedrückt, in die Nacht geschaut und entschlossen mit dem Kopf genickt. Einmal nur, einfach so - 'ne Type halt, der Beskowitz. Und wie er dann wieder in seine Stube gekommen ist hat er gesehen, wie die Kleine auf seiner Couch eingeschlafen ist. Ruhig geatmet hat sie, und eine Sanftmut lag auf ihrem Gesicht, dass man hätte denken können, sie fliege in ihren Träumen von Majas Wiese über den Blocksberg bis nach Bullerbü, um sich dort mit dem großen Negerkönig zu treffen. Er hat ihr das Kissen gerichtet, vorsichtig, so dass er ihre Träume nicht verjagt, hat sie mit seiner flauschigen Sofadecke zugedeckt und hat sich in alter Komantschenart zum Rechner geschlichen.
Und jetzt pass auf, als der Beskowitz da so vor der Datei „Quo vadis M112“ gesessen hat, da hat man ihn leise sagen hören: „...ach, fahr zur Hölle, Schulze!“.
Datei schließen; klick.
Datei speichern, Datei verwerfen? ... zaghaft hat er den Pfeil der Maus auf 'verwerfen' geführt, seine Augen geschlossen und noch einmal leise „fahr zur Hölle“ gemurmelt.
Dann; klick.
Der Beskowitz hat nun ein neues Dokument geöffnet, sich zurück gelehnt und verlegen den Handrücken gekratzt. Ich meine ja, dass er nun ein bisschen Angst gehabt hat, sich nicht ganz sicher war, und so; ist aber nur so'n Gedanke von mir. Dann ist er in die Küche gegangen und hat sich eine große Kanne Kaffee gekocht. Lange hat er bei der Maschine gestanden und Tropfen für Tropfen in die Kanne fallen sehen; so als tröpfelte dort nicht Kaffee, sondern seine gefilterten Hoffnungen.
Es muss eine warme Nacht gewesen sein. Er hat die Balkontür geöffnet, so dass er dem Wind der durch die Pappeln strich hat lauschen können, und hat die Überschrift getippt. Langsam, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort; bis er es hat lesen können. „SÜD-WEST-SIEDLUNGS-BLUES“
Und dann hat er geschrieben, vom Kaffee getrunken, wieder geschrieben, mal zum Mädchen geschaut, die ruhig von ihren Abenteuern mit dem Negerkönig geträumt hat, und wieder geschrieben; so lange, bis der Osten den neuen Tag in die Siedlung geliefert hatte.
Und alle sind sie drin vorgekommen; das Mädchen und der Zigeuner, der Marlowe und der Lennox, der Ullman und der Kayankaya, der Kasper und das Krokodil, sogar der Pädo-Bär aus dem dritten Stock, und der Rilke, und der Nachtbus auch. Und ich, quasi.
 



 
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