Die große alte Eiche

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centerman

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Ich will euch heute eine Geschichte erzählen von einem Jungen und einem Baum. Ihr werdet euch jetzt sicherlich fragen, was das für eine Geschichte sein soll. Ein Baum steht den ganzen Tag nur faul in der Gegend rum und macht nichts, also kann es ja wohl kaum eine spannende Geschichte sein. Aber passt mal auf, manchmal passieren im Leben unerwartete Dinge.



Michael war ein 7-jähriger Junge, wie es ihn wahrscheinlich in jeder Stadt dieser Welt abertausende Male gibt. Er liebte es, draußen zu spielen und dabei die Wälder zu erkunden. Wenn er mittags von der Schule nach Hause kam, hielt er es beinahe nicht mehr aus vor Freude, wenn er daran dachte, dass er bald wieder in seinen geliebten Wäldern war. Seine Mutter schimpfte sehr oft mit ihm, weil er sein Essen zu schnell hinunter schlang. Doch das war ihm egal. Er wollte nur noch raus aus dem engen Haus. Kein Wind, keine Vögel die pfeifen und kein Duft von frisch blühenden Blumen und Sträuchern. Er musste einfach raus.

Kaum hatte er den Wald erreicht, blühte sein Herz förmlich auf. Er strahlte bis über beide Ohren und manchmal da bildete er sich ein, dass auch der Wald sich freute ihn wieder zu sehen. Er sah den Wald sowieso mit anderen Augen als es manch andere Kinder taten. Jeder Baum und jeder Strauch hatte für ihn ein ganz persönliches Gesicht, welches er unter Millionen anderen wieder erkennen würde. Genau so wie die Geräusche. Man hätte ihn mit verbundenen Augen im Wald aussetzen können und er hätte auf Anhieb an den Geräuschen erkannt, an welcher Stelle des Waldes er sich befand. Da war zum Beispiel das kleine Bächlein, welches sich quer durch den ganzen Wald schlängelte. Michael stellte sich immer vor, dass es nur deshalb so langsam vor sich hin plätscherte, weil es keine Lust hatte ein großer Fluss zu werden. Eigentlich war das Bächlein ganz zufrieden damit ein Bächlein zu sein. Sicher, es hatten keine großen Fische in ihm Platz, aber dafür gab es umso mehr kleine Tierchen, die in Ruhe und Frieden vor sich hin lebten. Sie mussten sich auch keine Gedanken machen, ob sie im nächsten Moment von einem großen Fisch verschluckt werden würden. Sie konnten immer und überall genau das tun, wozu sie gerade Lust hatten. Eigentlich genau wie Michael wenn er im Wald war.

In der Mitte des Waldes gab es eine kleine Lichtung, auf der im Sommer das Gras so hoch wuchs, dass Michael große Mühe hatte beim durchschreiten nicht den Überblick zu verlieren. Zur Not konnte er sich immer noch an der großen alten Eiche orientieren, die genau in der Mitte der Lichtung auf einer kleinen Anhöhe stand. Er hatte sich vorgenommen, dass wenn er eines Tages groß genug sei, würde er sich einen Helikopter borgen und damit über den Wald fliegen. Von oben musste der Wald aussehen wie eine große Zielscheibe und genau in der Mitte eben die große alte Eiche.
Sie hatte beinahe unendlich viele grüne, saftige Blätter die im Wind hin und her tanzten. Manchmal lag er stundenlang unter dem Baum und schaute nur den Blättern zu wie sie sich bewegten.

Er hatte sich einmal überlegt, ob er dem Baum einen Namen geben sollte und fand „Richard“ sehr passend. Doch dann kam er ins Grübeln, weil er nicht wusste ob die Eiche eine Frau oder ein Mann war. Sicherlich wäre der Baum aufs äußerste beleidigt wenn er ihm einen Männernamen geben würde und es eine weibliche Eiche war. Immerhin hatte er bei seiner Schwester schon oft genug gesehen, wie schnell Frauen Beleidigt sein können. Also entschloss er sich den Baum fortan nur noch „Die große alte Eiche“ zu nennen. Das musste reichen. Bis jetzt hatte sich der Baum auch noch nie bei ihm beschwert, also konnte es auch nicht so sehr falsch sein.
Einmal hatten sie mit der Schulklasse eine Wanderung gemacht und waren auf dem Heimweg an der Eiche vorbeigekommen. Der Lehrer meinte damals, dass die Eiche wohl an die 300 Jahre alt sein müsse. Für Michael war das ausgemachter Blödsinn. Sicherlich stand die Eiche schon seit vielen tausend Jahren dort auf ihrem kleinen Hügel. Vielleicht hatten sogar schon die Dinosaurier unter ihr gelegen. Nun gut, das war vielleicht etwas übertrieben aber auf jeden Fall musste sie sehr viel älter sein, als es der Lehrer behauptete.
Alles konnte ein Lehrer schließlich auch nicht wissen.

Als Michael eines Tages wieder durch den Wald ging, an dem kleinen Bächlein entlang und durch das hohe Gras der Lichtung, fiel ihm auf, dass es heute besonders ruhig war im Wald. Nur ganz vereinzelt hörte er kurz einen Vogel pfeifen. Ansonsten war es Mucksmäuschen still. Wenn es regnete war dies nichts Ungewöhnliches aber heute stand die Sonne hoch am Himmel und es war angenehm warm. Er hatte sich noch nicht einmal eine Jacke mitgenommen als er losging.
Als er dann an der großen alten Eiche ankam lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Was er da sah konnte er nicht glauben. Die langen, dicken Äste des Baumes, an denen sonst immer die vielen grünen Blätter hingen, waren wie leergefegt. Nur vereinzelt hing hier und da ein kleines, einzelnes Blatt. Was war passiert? Er wusste, dass die Bäume im Herbst ihre Blätter verloren wenn es langsam Winter wurde aber es war gerade einmal Mitte Juni. Er wusste nicht was geschehen war aber er hatte kein gutes Gefühl.
Als er sich daran machte, die Eiche genauer zu inspizieren, dachte er für einen Moment, er würde eine Stimme hören. Er musste sich getäuscht haben. Ohne Zweifel. Aber nur kurz darauf hörte er schon wieder eine Stimme. Allerdings war sie diesmal viel klarer und deutlicher zu verstehen. Weit und breit konnte er niemanden sehen und obwohl es absolut still war, würde man sicherlich keine Stimmen von den nächsten Häusern bis hierher hören können. „Das gibt es doch nicht. HALLO?“ rief er laut in Richtung des nächst besten Gebüschs dass er sah. Denn so richtig wusste er nicht aus welcher Richtung die Stimme kam.
„Psssst....nicht so laut!“. Jetzt war im vollkommen klar wer da zu ihm sprach. Es war die große alte Eiche.

„Der ganze Wald bemüht sich still zu sein und du kommst hierher und schreist rum als wärst du das einzige Lebewesen auf dieser Welt. Kannst du dich nicht zusammenreißen?“ .
„Verzeihung, ich wollte nicht unhöflich sein“.
Moment, redete er da wirklich zu einem Baum? War er jetzt wirklich verrückt geworden? Seine Schwester hatte dies schon ein paar Mal behauptet, allerdings dachte er dabei immer an einen Scherz. Jetzt war es also wirklich um ihn geschehen. Er war verrückt geworden. Was soll’s, dann konnte ja nichts mehr passieren, wenn er sich nun weiter unterhielt.

„Wo sind denn deine ganzen Blätter hingekommen?“.
Ein leiser Seufzer erklang. „Weißt du“, begann die Eiche „früher war alles irgendwie besser. Aber das interessiert dich ja doch nicht. Und wenn schon, was könntest DU schon tun.“
„Aber wieso“ entgegnete Michael, “ wenn es mich nicht interessieren würde, dann würde ich ja wohl nicht nachfragen.“
Das leuchtete der Eiche irgendwie ein. „Nun gut, ich will dir erklären was mich bedrückt, aber du darfst nicht lachen.“
„Versprochen“ antwortete Michael und versuchte dabei so erwachsen wie möglich zu klingen. Er wollte unbedingt ernst genommen werden.
„Vor vielen Jahren, als ich noch eine junge Eiche war, da war hier weit und breit nichts zu sehen außer mir und einer anderen Eiche. Sie stand oben auf dem Südhügel. Wir wurden zur selben Zeit von den Bewohnern eines kleinen Dorfes gepflanzt, das damals hier am kleinen Bächlein lag. Über die Jahre hinweg hatten wir so einiges miterlebt. Viele Menschen und Tiere zogen an uns vorbei. Wir erlebten mit den Menschen gute und schlechte Zeiten. Feste und Kriege. Wir sahen wie Menschen auf die Welt kamen und sahen wie sie wieder starben. Und das einzige was während dieser langen Zeit immer dasselbe blieb, waren wir beide. Obwohl wir viel zu weit voneinander entfernt waren, als dass wir uns hätten unterhalten können, fühlten wir uns nie einsam. Denn wir konnten uns ja sehen.

Ich weiß noch als wäre es erst gestern gewesen, als um mich herum plötzlich kleine Pflanzen zu wachsen begannen. Der Wind musste ihre Samen von weit hergetragen haben, denn ich hatte noch nie solche Pflanzen gesehen. Und ich sah über die Jahre hinweg schon einige Pflanzen wachsen und wieder welken. Diese waren jedoch anders. Sie wuchsen nicht sonderlich schnell aber dafür umso breiter. Nach 2 oder 3 Jahren hatte sich überall eine grüne Decke über die Wiesen gelegt, wo vorher nur das kleine Bächlein zu sehen war. Dieses war jetzt bereits im dichten Grün verschwunden. Da wurde mir auf einmal klar, was als Nächstes passieren würde. Nach und nach würden die Bäume größer und größer werden und mir langsam aber sicher jede Sicht versperren. Und was am schlimmsten war – In ein paar Jahren würde ich nicht einmal mehr die andere Eiche sehen können. Und das war so ziemlich das Schlimmste, was nur passieren konnte.
Es ist nun fast genau 342 Jahre her, als ich sie das letzte Mal sah. Anfangs dachte ich der Schmerz würde irgendwann vorbei gehen aber es wurde immer schlimmer. Es wurde immer einsamer und ich sehnte mich so sehr nach der anderen Eiche, dass es jedes Mal weh tat, wenn ich nur an sie dachte. Nun weißt du auch warum ich meine Blätter verloren habe. Die Kraft in meinen Wurzeln lässt nach.
Weshalb sollte ich noch weiter alleine hier auf dem kleinen Hügel stehen? Stell dir vor, man würde dich alleine lassen und du könntest dich mit niemandem unterhalten. „

Michael hatte die letzten Sätze der Eiche nicht mehr wahrgenommen. Er war kein dummer Junge und konnte sich das meiste selbst zusammenreimen.
Eines war klar. Er musste der Eiche helfen. Koste es was es wolle. Viel zu oft hatte ihm der Baum schon stillen Trost gespendet wenn er wieder mal Sorgen hatte. Es fühlte sich geradezu verpflichtet ihm zu helfen.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte er zu der alten Eiche „ich werde dir helfen“.

Er rannte so schnell nach Hause wie er in seinem ganzen Leben noch nicht gerannt war. Als er an den Häusern der Nachbarn vorbeisauste, konnte er in den Augenwinkeln erkennen wie die Köpfe geschüttelt wurden. Das war nichts Neues.

Aufgeregt rannte er in das Arbeitszimmer seines Vaters und begann hektisch zu erzählen. Nach wenigen Sätzen stoppte er jedoch. Als er in das Gesicht seines Vaters blickte, hatte dieser den Blick aufgesetzt denn er sonst immer hatte, wenn Michael ihn um etwas zu gebeten hatte, was in den Augen eines Erwachsenen absolut sinnlos und kindisch war. Also würde er auch in diesem Fall keine Hilfe erwarten können. Von keinem Erwachsenen hier in der Stadt oder im ganzen Land. Ja nicht einmal auf der ganzen Welt würde es wohl einen Erwachsenen geben, der ihm die Geschichte glauben würde. Also musste er zu den anderen Kindern gehen. Sie würden ihm bestimmt glauben. Wer weiß, vielleicht waren ja auch nur Kinder in der Lage die große alte Eiche zu verstehen. Er musste es auf jeden Fall versuchen.

Seinen besten und eigentlich auch einzigen Freund Thomas, konnte er sehr leicht davon überzeugen, sich die ganze Sache zumindest einmal genauer anzuschauen. Als auch er die schwierige Lage erkannt hatte mussten sie überlegen was zu tun war. Es wäre sicherlich nicht im Sinne der alten Eiche, wenn die ganzen Bäume zwischen ihr und der anderen Eiche gefällt werden würden. Schließlich hatte Thomas einen klasse Idee.

Er erinnerte sich daran, als vor ungefähr einem Jahr in ihrer Stadt eine sehr unangenehme Grippewelle umher ging. Der Schulleiter musste sogar den Unterricht für eine Woche ausfallen lassen. Auch Thomas und Michael hatte es damals übel erwischt. Beide lagen mit 39 Grad Fieber im Bett. Ihre Eltern waren richtig verzweifelt, weil es den beiden mit der Zeit unheimlich langweilig wurde so alleine in ihren Betten. Also hatten sie sich kurzerhand dazu entschlossen, alle beide in Michaels Zimmer unterzubringen. Da sie ja eh beide krank waren machte es keinen Unterschied ob sie nun jeder bei sich zu Hause lagen oder gemeinsam in einem Zimmer. Somit wurde es den beiden wenigstens nicht mehr langweilig und sie erholten sich auch wieder in kürzester Zeit.
Mann könnte doch die beiden Eichen wieder zueinander bringen, so wie Thomas und Michael damals zueinander gebracht wurden. Es müssten keine Bäume gefällt werden und die große alte Eiche würde sich bestimmt wieder erholen und in alter Pracht aufblühen.

Thomas´ Vater arbeitete im Rathaus und war dort für die Wälder rund um die Stadt zuständig. Bisher hatte es Thomas noch nie so richtig interessiert, aber diesmal kam es wie gerufen. Nur wie sollten Sie seinen Vater dazu bewegen die große alte Eiche umzupflanzen? Immerhin war er auch ein Erwachsener und würde ihnen die Geschichte nicht so ohne weiteres abkaufen. Es würde mit Sicherheit auch eine Menge Geld kosten. Und Geld hatten die beiden nun wirklich nicht viel. Sie bekamen zwar beide regelmäßig Taschengeld aber das reichte bestimmt bei weitem nicht aus. Es half alle nichts. Sie mussten es wenigstens versuchen. Sie mussten jedoch den richtigen Zeitpunkt abwarten. So als wenn sie mal wieder etwas aus dem Spielwarengeschäft haben wollten. Dann mussten sie auch immer warten bis ihre Eltern gut gelaunt waren. Dann stiegen nämlich die Chancen das Spielzeug auch wirklich zu bekommen erheblich. Also warteten sie ab bis Thomas´ Vater am Abend nach Hause kam. Wenn er Feierabend hatte und sich mit einer Flasche Bier auf die Couch saß, hatte er immer einen sehr zufriedenen Ausdruck im Gesicht. Das musste der richtige Moment sein.

Endlich war es soweit. Wie es Thomas vorhergesagt hatte, saß sein Vater gegen 18 Uhr auf der Couch im Wohnzimmer und trank sein Feierabendbier. Sie gingen langsam zu ihm und begannen die Geschichte zu erzählen. Zu ihrem Erstaunen wurden sie nicht von ihm unterbrochen. Als sie fertig waren wurde es ganz still im Wohnzimmer. Thomas´ Vater nahm seine Bierflasche und stellte sie ohne dass er auch nur einen Schluck getrunken hätte, auf den gläsernen Wohnzimmertisch. Thomas war erstaunt. Normalerweise machte er das nie, weil es immer Flecken auf der Glasplatte gab und seine Mutter dann ordentlich schimpfte. Sein Vater holte tief Luft und sah die beiden lange und ohne ein Wort zu sagen an. Nach einer Weile fragte er die beiden dann etwas, womit sie nun wirklich nicht gerechnet hätten.
„Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, dass auch ich einmal ein kleiner Junge war wie ihr es heute seid?“
„Natürlich Vater,“ erwiderte Thomas „aber was hat das mit der ganzen Geschichte zu tun?`“
„Das will ich dir erzählen, mein Sohn.“
Thomas´ Vater begann zu erzählen, wie auch er als kleiner Junge in den Wäldern umherstreifte. Natürlich stand die große, alte Eiche schon damals an dem selben Platz, an dem sie heute noch steht. Und was sie beide nicht für möglich gehalten hätten, auch mit ihm hatte sie schon gesprochen. Genau wie Michael es immer tat, so war auch Thomas´ Vater immer zu der Eiche gegangen wenn er Kummer hatte. Und eines Tages hatte sie auch ihn angesprochen. Als er dann älter wurde hatte er kaum noch Zeit dafür und irgendwann hatte er sie dann wohl vergessen. Bis heute.

Michael und Thomas saßen beide mit weit geöffneten Mündern im Wohnzimmer und bekamen kein Wort mehr hervor. Sie hatten mit vielem gerechnet, aber damit nicht.

„Und was können wir nun tun, Vater?“ fragte Thomas ungeduldig als er sich wieder gefasst hatte.
„Nun ich muss natürlich erst einmal mit dem Bürgermeister sprechen aber ich denke wir haben gute Chancen, der großen alten Eiche zu helfen.“ Ich werde morgen sofort versuchen einen Termin bei meinem Chef zu bekommen, um mit ihm die ganze Sache zu besprechen. Aber versprechen kann ich euch nichts.“

Michael und Thomas waren anhand dieser klitzekleinen Chance völlig aus dem Häuschen. Noch ewig hätten sie sich darüber unterhalten können, was ihnen Thomas´ Vater erzählt hatte, aber es war schon spät und Michael musste nach Hause. Als er später in seinem Bett lag und kein Auge zubekam, musste er an die schönen Momente denken, die er bei der Eiche verbracht hatte. Irgendwann wurde er dann aber doch müde und schlief ein.

Auf einmal wurde er von einem lauten Hupen geweckt. Es musste von einem Auto von der Straße kommen. Er schaute auf den Wecker und erschrak. Es war schon beinahe 11 Uhr morgens. Die ganze Aufregung am Tag zuvor hatte ihn wohl doch müde gemacht. Er stand auf und ging zum Fenster. Als er hinaus blickte, traute er kaum seinen Augen. Vor seinem Fenster stand Thomas und sein Vater. Aber nicht nur das. Die halbe Stadt war auf den Beinen und ging in Richtung Wald.

„Komm schnell runter,“ rief ihm Thomas vom Auto aus zu „wir wollen die Eiche retten!“ Michael blieb einen Moment lang wie angewurzelt stehen und zog sich dann so schnell er konnte an und stürmte die Treppe hinunter. Seine Mutter rief ihm noch hinterher, er solle sich eine Jacke mitnehmen, aber das hörte er schon nicht mehr. Gemeinsam mit Thomas und seinem Vater machte er sich mit den ganzen anderen Leuten auf den Weg in den Wald.

„Was ist hier los?“ fragte er Thomas und noch bevor er seine Frage zu Ende stellen konnte, plapperte dieser auch schon los:
„Mein Vater…..der Bürgermeister….auch mit der Eiche….die ganzen Leute…..“. Thomas redete so schnell, dass Michael nur die Hälfte verstehen konnte. Aus den ganzen Wörtern die er halbwegs verstand, reimte er sich dann seine eigene Geschichte zusammen. Später stellte es sich dann auch als richtig heraus. Nicht nur Thomas, sein Vater und er selbst hatten schon mit der großen alten Eiche gesprochen, sondern viele Menschen mehr. Als Thomas´ Vater die Geschichte dem Bürgermeister erzählt hatte, rückte auch er damit heraus, dass er als kleiner Junge schon das eine oder andere Mal bei der Eiche Trost gefunden hatte. Die gesamte Geschichte musste sich dann in Windeseile in der Stadt herumgesprochen haben und immer mehr Leute gaben zu, sich früher auch schon mit der Eiche unterhalten zu haben. Und alle wollten ihr helfen.

Als sie endlich an der Lichtung ankamen war die ganze Aktion schon in vollem Gange. Ein riesiger Kran stand da und hatte die Eiche bereits an ihrem Haken. Eine Baufirma hatte den Baum mitsamt den ganzen Wurzeln ausgegraben und dann in die Luft gehoben. Nun legten sie die Eiche auf einen großen Anhänger der dann in Richtung Südhügel losfuhr. Als sie bei der anderen Eiche ankamen, waren dort schon ein großes Loch gegraben worden. Nur wenige Meter von der Eiche entfernt. Der Kran nahm das Objekt der ganzen Aufregung wieder an den Haken und setzte es vorsichtig in das Loch. Kaum waren die Wurzeln auf dem Boden, begannen die Menschen damit, das Loch mit Schaufeln und allerlei anderem Grabwerkzeug wieder zuzuschütten. Der Besitzer des kleinen Tante Emma Ladens half sogar mit bloßen Händen mit.

Nach einer halben Stunde waren die Wurzeln komplett mit Erde bedeckt und die große alte Eiche stand fest an ihrem neuen Platz. Es wurden immer mehr Leute die zu den beiden Eichen kamen und viele brachten Getränke mit und etwas zu Essen. Es wurde ein richtiges Fest. Die Blaskappelle spielte sogar und viele Leute begannen damit um die Eichen herum zu tanzen.

Als es dann Abend wurde und alle Bewohner der Stadt wieder zurück in ihren Häusern verschwunden waren, saß Michael alleine unter „SEINER“ Eiche. Er dachte noch einmal darüber nach was alles passiert war und wollte sich gerade auf den Heimweg machen als er eine vertraute Stimme hörte die zu ihm sagte: „ Ich bin schon länger auf dieser Welt als jeder Mensch der heute hier war und werde auch hoffentlich noch lange, lange hier sein und sollte es wirklich so kommen, dann habe ich es nur dir zu verdanken. Solltest du in deinem Leben jemals Kummer oder Sorgen haben, dann darfst du jederzeit zu mir kommen.“
Dann wurde es wieder still. Michael dachte einen kurzen Moment nach und ging mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht nach Hause.

Die beiden großen, alten Eichen stehen noch heute an ihrem Platz. Man sagt sie würden jedes Jahr noch schöner blühen. Solltet ihr sie irgendwann einmal besuchen, dann seid ganz leise und horcht gut hin, vielleicht haben sie auch euch etwas zu erzählen. Und wenn nicht, seid nicht traurig. Denn wenn sie nichts erzählen, dann muss es ihnen gut gehen.
 



 
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