Die lange Straße

vicell

Mitglied
Lang die Straße, lang der Weg.
Ich laufe. Und laufe. Ich zähle meine Schritte.

Da ist nichts vor mir, nichts außer die endlose Weite in meinen Schritten, entlang biegender Äste und trockenem Asphalt. Sie krümmt sich, die Erde unter meinen Füßen, verschluckt das unruhige pochende Blut in meinen Ohren. Da ist nichts mehr, außer dieses Pochen und diese Welt in mir, ein Grund voller Tiefe, gefüllt mit deinen Bildern, die du in mir projizierst.
Du lässt mich nicht los. Deine Augen greifen nach mir, deine Hände umklammern meinen Körper.
Spürst du mich?
Ich wiege mich in deinem Atem und lausche dem Takt der Füße, die auf dem Asphalt klopfen.
Lang ist sie, die Straße. So lang und dunkel.
Ich laufe weiter. Zähle die Schritte.
Keine Richtung, kein Zurück.
Dein mitleidloser Blick, als du mich verspottetest. Deine kalten Augen, die spöttisch funkelten und meine Angst verständnislos musterten.

Du hast mich vertrieben.
Aber wenn ich dich sehe, ist es, als wären die Sterne bei mir. Sanft leuchtet ihr Licht und vertreibt meine Schatten. Jedoch hast du sie nicht aufhalten können. Im Gegenteil, du bist einer von ihnen geworden.
Fassungslos stehe ich vor dir und sehe dich an.
Ausgeburt der Hölle, nanntest du mich. Noch mehr hast du gesagt, aber ich hörte dich nicht mehr. Alles, was du sagtest, konnte ich nicht verstehen. Sinnlose Laute quollen aus deinem weit geöffnetem Mund, du schriest und weintest, aber ich hörte dich nicht.
Ich hörte nichts mehr. Sah nichts mehr. Außer dich.

Liebe.
Du hast meine nie gewollt.
Weißt du, dass du mich in den Wahnsinn getrieben hast?
Siehst du nicht das Verlangen in mir, welches mich nachts nicht schlafen lässt, die Sehnsucht nach dir, die mein Leben bestimmt, mein Aufwachen, mein Tag, meine Nacht, sie sind angefüllt mit dir.
Selbst meine Schritte auf der Strasse denken an dich.
Der stumpfe Asphalt, er flüstert deinen Namen. Kannst du ihn hören?
Steine formen sich zu Quadern und aus ihnen rinnt das Blut, mein Blut. Häuserwände beugen sich mir entgegen, ihre Fenster werden zu dunklen namenlosen Schluchten mit zahlreichen endlosen Gängen. Ich sehe keine Türen, kein Licht.
Ich laufe weiter. Ich habe aufgehört, meine Schritte zu zählen.
Ich weiß nicht mehr weiter.
Wo bin ich?
Ich will sehen, wo ich bin, bleibe stehen, schaue auf die leere dunkle Strasse, sehe nichts. Keine Autos, keine Menschen, höre nichts, keine Geräusche, keine Worte. Auf den Straßenschildern stehen unverständliche Worte, ich trete näher, will sehen, was das steht, aber da ist nichts.
Die Straßenschilder werden zu großen Tafeln, die Buchstaben quellen an, verformen sich, spucken eine Namen, deinen Namen.
Heißen sie so, die Straßen?
Ich weiß nicht, wo ich bin.
Ich will nach Hause, will zu dir. Will dich sehen, dich schmecken, dich berühren.
Aber du wolltest mich nicht.
Mein Zuhause habe ich in einen kleinen Koffer gepackt und ihn mit auf die Strasse genommen. Alles, was ich besaß, war in diesem Koffer.
Wusstest du das nicht?

Angeschrieen hast du mich, geweint, gefleht, gebettelt, als ich dich ein letztes Mal umfasste. Wie immer hast du nicht verstanden. Ich wollte Abschied nehmen, sah in deine großen Augen, lauschte deinen sinnleeren Geräuschen und dem unruhigem Pochen meines Herzens. Ich zwang es zur Ruhe. Es gehorchte dem unerbittlichem Druck und verlangsamte sich. Immer noch schaute ich in deine Augen, groß waren sie und schimmerten dunkel. Dann weintest du. Träne um Träne schälte sich aus deinen Augen, sie verklebten deine langen Wimpern und hinterließen eine feuchte Spur. Jetzt also konntest du weinen.

Zu spät, viel zu spät. Wie alles im Leben. Ich war nie ein Mensch, der den Rhythmus der anderen fand. Langsam war ich, zu langsam, schwerfällig, taub und stumm.
Nie hatte ich eine Chance, dein Leben zu leben. Du warst zu schnell für mich und mein langsames Gehirn, meinem unruhigem Herzen.
Meine Tränen und Bitten haben es nicht leichter gemacht. Zu verletzlich war ich dabei. Und du hast es gewusst. Wusstest um meine Langsamkeit und meine Angst. Aber es war dir egal. Lachend liefest du voran, mit einer unbarmherzigen Schnelligkeit, nie zwangst du dich zum Anhalten, zum Pausieren, immer weiter immer weiter. So lebtest du. Wie alle anderen auch. Ein Leben im Laufschritt, mit immer neuen Bildern und wechselnden Farben. Ihre Namen lerntest du nie, erfuhrest du nie, sie haben dich nicht interessiert, denn sie kannten nicht die Eile, die dein Leben zum Inhalt hatte. Dann trafst du mich, den wartenden Stein am Rande des langen Weges. Ein Stück weit war ich interessant für dich. Ein exotisches Anhängsel. Neugierig glitten deine Hände an meinem Körper entlang, nahmen mich mit auf deine Reise und verweilten eine Zeit.
Doch meine Zeit war nie die deine. Doch auch das wusstest du ebenfalls nicht.

Deine Wahrheit kämpfte gegen meinen Traum.
Deine Wirklichkeit kippte in meine Illusion.
Traum und Illusion verloren immer mehr an Substanz.
So verlor ich dich, meinen Traum, meinen Schatz.

Und jetzt wolltest du weiterleben. Einfach so, ohne meine Wirklichkeit jemals kennen zu lernen.
Weiterleben ohne mich.
Wie sollte ich das zulassen? Wie dich gehen lassen?
Der Wegrand ist einsam ohne dich.
Du warst mein Leben, ein anderes nicht mehr vorstellbar. Du zeigtest mir ein kurzes unvorstellbares Glück, nahmst mein einsames Herz in deine Hand und gabst ihm einen Sinn.

Ich gehörte dir.
Und du warst mein.
Aber als ich mehr wollte, zucktest du zurück, wurdest unwillig. Andere Männer wurden interessanter. Andere Herzen, andere Stimmen.
Ich verhallte ungehört am Wegesrand.
Das konnte ich doch nicht zulassen.
Wirst du mich jemals verstehen?

Meine Liebe zu dir ist zu groß, ich kann sie nicht eindämmen, sie beugt sich keinem Gesetz, denn das Gesetz der Liebe ist die Liebe selbst.
Und niemand wird dich mir fortnehmen.
Deine Tränen gehören mir. Dein Körper ist mein.
Für immer.

Ich kann sie nicht mehr sehen, diese lange Strasse.
Sie will kein Ende nehmen.

Ich denke an deinen Körper, während ich weiterlaufe. Vor mir sind auf einmal Menschen, viele Menschen. Ich will weiterlaufen, laufe in sie hinein, Geräuschfetzen branden an mein Ohr, ich nehme sie nur am Rande wahr, wundere mich, warum so viele Menschen vor einem Haus stehen, es ist doch dunkel, und da ist nichts, aber ich kenne diese Gegend nicht, kenne diese Menschen nicht, die Straße ist lang und dunkel, ich will nach Hause, will zu dir. Meine Schritte klopfen denselben einsamen Rhythmus, klopfen auf dem stummen Asphalt, der mich anschweigt.
Ruhende Häuser, verzerrte Fratzen, die aus ihnen ragen.

Die Dunkelheit ist wie ein See, der in mir eintaucht.
Ich bleibe stehen.
Ich bin so müde.
Ich will schlafen.

Jetzt sind Männer an meiner Seite, vor und hinter mir. Sie ragen in mich hinein, fassen meine Arme. Ich stehe still, bin erschöpft vom Laufen, mein Herz schlägt stumm.
Der eine Mann vor mir ist groß, er leuchtet mit einer Lampe in mein Gesicht, der Lichtstrahl wandert meinen Körper entlang, nach unten, wieder nach oben, heftet sich schließlich auf mein Gesicht.
Ich schaue ihn an, will verstehen, was er sagt, aber sein Mund formt unverständliches. Ich beuge mich dicht zu ihm. Die Laute aus seinem Mund werden grober, lauter, ich zucke zurück, habe auf einmal Angst.
Warum lassen sie mich nicht in Ruhe?
Ich will nach Hause, will ihn fragen, wo ich bin, öffne langsam meinen Mund, versuche, die Geräusche nachzuahmen, will reden wie er, will, dass er mich versteht.

Ich frage, wo ich bin.
Ich frage ihn, wer er ist.

Sein Mund öffnet sich, seine Antwort ist kurz.

Polizei.

Jetzt verstehe ich.
Ich habe sie geliebt, sage ich ihm sanft.
Seine Augen weiten sich.

Ich gehe mit ihnen. Es ist gut so, sie wissen Bescheid, wissen, wo ich bin.
Sie bringen mich nach Hause.
Endlich.

Ich schließe die Augen und lausche dem ruhigen Schlag meines Herzens auf dem endlosen Asphalt, der mich sanft nach Hause geleitet.

© Sylvia Eulitz
 

Mumpf Lunse

Mitglied
hallo vicell,

Da ist nichts vor mir, nichts außer [red][strike]die[/strike][/red][blue]der[/blue] endlose[blue]n[/blue] Weite in meinen Schritten, entlang (sich) biegender Äste [strike]und[/strike] [blue]auf[/blue] trockenem Asphalt.

sonst hieße es: entlang trockenem Asphalt.


Sie krümmt sich, die Erde unter meinen Füßen, verschluckt das unruhige[blue],[/blue](oder ohne e) pochende Blut in meinen Ohren. Da ist nichts mehr, außer diese[red][strike]s[/strike][/red][blue]m[/blue] Pochen und diese[blue]r[/blue] Welt in mir, ein Grund voller Tiefe, gefüllt mit deinen Bildern, die du in mir projizierst.

die erde verschluckt das blut in meinen ohren ...?

nur mal so das grobe.
vielleicht versteh ich auch was nicht. poesie oder so. keine ahnung.
mir klingt es einfach unlesbar falsch. (so wie du es schreibst)
auf den inhalt kann nicht eingehen. ich habs nicht weiter gelesen.

einen schönen tag
mumpf
 

vicell

Mitglied
hallo mumpf,

ja, so was kann passieren.
dass man über einen text stolpert, mit dem man sowohl inhaltlich als auch stilistisch wenig bzw. gar nichts weiter anfangen kann.

deine hinweise nehme ich dankend an (sicherlich sind da noch mehr sprachliche einzelheiten, die einer genaueren überarbeitung benötigen, sonst wär der text ja nicht hier).

ansonsten bleibt mir nur das übliche banale "danke fürs kommentieren" geschreibsel übrig - schade. aber da du nicht den ganzen text gelesen hast, bringt es nix, zum inhalt etwas zu sagen.

und ja, eine poetische und lyrische dichte ist hier das angedachte stilmittel dieser prosa, mit einer starken konzentration auf über- bzw. untertreibungen bezugnehmend auf die verzerrte wahrnehmung des protagonisten
( bei lesungen übrigens nie ein problem für die zuhörer. im gegenteil. *lächel*)

aber interessant, wie unterschiedlich manchmal die wahrnehmung in einem schreibforum sein kann.

es grüßt - die vic
 



 
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