Die relative Schönheit

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Raniero

Textablader
Die relative Schönheit

Als Gisela Radebeck, eine Frau Ende zwanzig, in den Spiegel schaute, hätte sie fast der Schlag getroffen. Was sie dort erblickte, konnte unmöglich ihr eigenes Gesicht sein, so hatte sie sich diese Veränderung im Traum nicht vorgestellt.
Vor kurzer Zeit hatte sie ihn gewagt, diesen Schritt, und sich einer so genannten Schönheitsoperation unterzogen, einem kleinen chirurgischen Eingriff, um die Linien ihres Konterfeis ein wenig nachzuziehen, wie sie meinte, und hierbei gleichzeitig ihr etwas zu lang geratenes Riechorgan zu einer hübschen Stupsnase verändern zu lassen. Eigentlich hatte sie diesen Eingriff gar nicht nötig, da sie mit ihrem bisherigen Gesicht durchaus zufrieden war, doch bei einem solchen Angebot, sagte sie sich, kann man doch nicht widerstehen.


Gisela war Angestellte einer größeren Klinik, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, menschliche Gesichter in allen Varianten zu verschönern.
Sie hatte allerdings ihren Arbeitsplatz nicht im direkten operativen Bereich, sondern in der Verwaltung, die nun auch einmal dazu gehört, zu solch einer Einrichtung und einen nicht unwesentlichen Bestandteil bildet, da hier alle Rechnungen für die nicht gerade unbetuchten Patienten verfasst werden. Aufgrund ihrer unbestreitbaren Erfolge in der Schönheitschirurgie hatte die Klinik einen phantastischen Ruf, weit über die Grenzen des Landes hinaus, und der etwas rustikale Slogan, der da lautete: ‚Bringt Ihre Visage Sie in Rage,
vertrau’n Sie uns, für wenig Gage,
weg mit der Blamage’,
verfehlte seine Wirkung nicht, denn die Termine waren auf Monate hinaus ausgebucht.
Nachdem die Schönheitsklinik auf diese Art in den letzten Jahren beträchtliche Einnahmen mit satten Gewinnen erzielt hatte, wurden seitens der Geschäftsleitung Überlegungen angestellt, wie man sich einerseits ein außergewöhnliches soziales Image zulegen sowie gleichermaßen damit Werbung betreiben könnte, und so verfiel man auf den Gedanken, einen Teil des Gewinnüberschusses an die eigenen Mitarbeiter zurückfließen zu lassen.
Allerdings hatte man nicht die Absicht, dieses auf direktem Wege in harter Währung vorzunehmen, sondern die Überschüsse quasi als Naturalien zu vergüten, indem man den Mitarbeitern Nachlässe anbot, Rabatte, sauber gestaffelt nach Art der Tätigkeit in der Klinikhierarchie, für Gesichtsoperationen, die im eigenen Haus durchgeführt wurden.
Der Vorschlag stieß bei den Mitarbeitern auf einhellige Begeisterung, obwohl bei den meisten eine solche Verschönerung gar nicht erforderlich war, und da man nicht alle auf einmal behandeln konnte, mussten Wartelisten aufgestellt werden, bevor das allgemeine Gesichtsschnippeln beginnen konnte, so groß war der Andrang auf eine Leistung, die zum Billigtarif geboten wurde, und darüber hinaus noch in der eigenen Klinik.
Auf diese Weise hatte auch Gisela Radebeck Gebrauch gemacht, von dem großzügigen Angebot, und sie war eine der Ersten, die in den Genuss kam, sich von ihrem Arbeitgeber das Antlitz verschönern zu lassen, doch das Resultat, welches sie zu Gesicht bekam, nachdem der Chefarzt persönlich ihr behutsam die Verbände abgenommen hatte, übertraf all ihre Erwartungen, in negativer Hinsicht.
Das, was sie da aus dem Spiegel anblickte, war ein Gesicht, welches an Hässlichkeit das einer alten Kräuterhexe übertraf und sich absolut nicht mit dem Image einer renommierten Schönheitsklinik in Einklang bringen ließ.
Nein, in der Tat, eine solche Visage war keine Meisterleistung, und so etwas würde sie nicht hinnehmen, auch wenn es sie ein paar Euro weniger gekostet hatte.
„Herr Doktor Mühlbach“, keuchte sie nach dem ersten Schock, „was haben Sie getan? Was haben Sie mit meinem Gesicht gemacht? Das da, das bin nicht ich! Sagen Sie mir, dass ich das da nicht bin!“
„Aber beruhigen Sie sich doch, Frau Radebeck“, entgegnete der Arzt seelenruhig, „ganz so schlimm ist es nun auch nicht. Außerdem, ich verstehe Sie nicht, Sie haben doch einen Nachlass bekommen, was wollen Sie denn für den Preis noch mehr verlangen?“
„Wie bitte? Sie scherzen, ein Nachlass sagen Sie, für so eine Schnauze?“
„Na, ja, wenn Sie darauf bestehen, kann ich ja noch einmal mit der Geschäftsleitung nachverhandeln, über den Hausrabatt hinaus, in Ihrem Fall“.
„Nachverhandeln? Das kann doch wohl nicht wahr sein“ schluchzte die Patientin entnervt, „ich will mein altes Gesicht wiederhaben! Ich kann doch so nicht unter die Leute treten, ich kann nicht einmal in die Buchhaltung zurückkehren und meine Arbeit wieder aufnehmen, mit dieser Visage“.
„Das sollen Sie ja auch nicht, liebe Frau Radebeck, das sollen Sie ja auch nicht. Ja, hat man Sie denn vorher nicht informiert“, zeigte sich der Arzt erstaunt, „über die Besonderheit dieser Operation?“
„Was für eine Besonderheit? Man hat uns nur gesagt, dass wir einen Rabatt bekommen, wenn wir uns im eigenen Haus operieren lassen“.
„Das ist auch vollkommen richtig, Frau Radebeck, doch hier liegt offenkundig ein Missverständnis vor. Natürlich wird Ihnen dieser Nachlass gewährt, wie von der Geschäftsleitung versprochen, Ihnen und auch allen anderen. Doch dieser Rabatt ist natürlich mit einem gewissen Entgegenkommen, einem Engagement Ihrerseits verbunden, und wir erwarten natürlich, dass Sie sich daran halten“.
„Was für ein Entgegenkommen, was für ein Engagement?“ stammelte Gisela Radebeck entsetzt und riss die Augen soweit auf, wie es die Operationsnarben zuließen.
„Ja, wissen Sie, das ist so“, erklärte der Arzt freundlich, „bei diesen Operationen am eigenen Personal haben wir uns von dem so genannten ‚vorher nachher Prinzip’, wie es in der Werbung für Schlankheitspräparate gang und gäbe ist, inspirieren lassen. Wenn wir schon unserem Personal zu reduzierten Preisen diese Operationen angedeihen lassen, warum soll nicht unsere Klinik selbst davon profitieren, indem sie die Ergebnisse dieser Behandlungen zu Werbezwecken einsetzt“.
Gisela Radebeck fühlte sich einer Ohnmacht nah.
„Sie kennen doch diese vorher nachher Fotos aus der Schlankeitswerbung“, fuhr der Arzt ungerührt fort, „und wissen Sie, was den Erfolg dieser zugegeben etwas drastischen Werbung ausmacht? Der Kontrast ist es, liebe Frau, nur der Kontrast. Ein Foto allein würde keine Wirkung erzielen, aber dieser Gegensatz zwischen den beiden Zuständen ist es, eben zwischen vorher und nachher, der den gewünschten Erfolg bringt. Ich sehe schon“ geriet er ins Schwärmen, „die Patienten aus allen Erdenwinkeln auf uns zuströmen, bei diesem Werbefeldzug. Wir werden expandieren müssen“.
„Und zu diesem Zeck haben Sie mich ‚vorher’ operiert?“ stammelte Gisela, bevor ihr endgültig die Sinne schwanden.
„Genau so ist es, Frau Radebeck, Sie haben’s erfasst. Und, ehrlich gesagt“, zwinkerte er der leblos da liegenden Patientin ein Auge zu, „ist Schönheit nicht eigentlich relativ?"
 
Nette Pointe, allerdings zögert sich die hinaus und wird dann weniger effektiv, meiner Meinung nach. Was ich auf alle Fälle verbessern würde, sind die Schachtelsätze. Gerade am Anfang sind da einige, die sich über mehrere Zeilen und Beistriche strecken. Das macht den Text am Anfang mühsam und zieht ihn in die Länge.

Ich würde versuchen, zwischendrin Sätze zu verkürzen, dann leichtere Pointen schon vorher bringen (auch zur Ablenkung von der am Ende erahnbaren Hauptpointe), bis dann die eigentliche Pointe selbst kommt. Und diese wiederum straffen. Am besten ist, sie kommt im letzten Satz, im letzten Wort, und nicht über mehrere Dialogblasen verdünnt.

Marius
 

Raniero

Textablader
Hallo Marius,

Dank für die Zuschrift und die kritischen Kommentare.
Werde die Anregungen aufnehmen und künftig umsetzen.

Gruß Raniero
 



 
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