Die rote Marlboro

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kata

Mitglied
Eine scharlachrote Schachtel Marlboro liegt auf dem Tisch. Daneben ein BiC-Feuerzeug. Sie wissen schon, das sind solche Feuerzeuge, die garantiert dreitausend Mal zünden und dann weggeworfen werden. Gepflegte feingliedrige Finger greifen nach der Schachtel. Das BiC zündet ein kurzlebiges Feuer. Aber irgendwann, zwischen diesen Zündungen entflammt ein Liebesfeuer. Unerwartet verzaubernd, wild und ansteckend wie Malaria. Wenn Illusionen sterben, erscheint aus der Asche die Liebe.
Eine Frau sitzt still nebenan und beobachtet das Spiel mit dem Feuer. Die Hände des Mannes bewegen sich wie ein leichter Sommerwind, sie gestikulieren etwas, das die Frau nicht deuten kann. Sein Mund öffnet sich und schließt wieder. Sie hört kein Wort. Aber sie spürt die Magie des Augenblicks, sie spürt die heilende Wärme dieser Hände und meint, diesen plappernden Mund zu schmecken.
Alles scheint nah und doch ist eine Brücke dazwischen.
Wie ein Lichtstrahl Wasser durchdringt, so leuchtet das Juwel der Liebe durch den Schleier ihres Körpers.
Unvermittelt berühren sich die vier Hände, zwei davon tragen Eheringe. Eine himmlische Energie strömt durch die Luft. Ein sinnlicher Duft erfüllt den kleinen Raum, alles vibriert. Die Melodie der Leidenschaft erklingt zum ersten Mal. Morgen zum zweiten, übermorgen zum dritten. Das Wochenende dazwischen. Ein kleiner Tod. Trügerische Stille. Immer noch bewegen sich die Hände, der Mund und der Wind. Montag ist da.
Eine Brücke ist dazwischen.
Eine rote Schachtel Marlboro liegt auf dem Tisch. Die Schachtel wechselt die Farbe, von leuchtendrot zu feurigrot. Die Hände greifen nicht nach dem BiC und der Mund plappert nicht. Magnetartig verflechten sich vier Hände ineinander, abenteuerlich, begierig, wie auf einer Entdeckungsreise. Und immer dann, wenn Mann und Frau sich in der Intimität ihres Selbst, in ihrer Intensität, in ihrer Vulgarität begegnen, „machen“ sie bedingungslos Liebe. Immer wieder, durch ihr bloßes und einfaches Zusammensein, wird das ewige Feuer der Liebe neu entfacht. Mal geschieht es zart wie eine Frühlingsblume, mal rauh und gewaltig. Die Lippen treffen sich und es tut weh. Mann und Frau erleiden Schmerzen vor Leidenschaft, die bereits eingeschlummert war. Und beide sind verblüfft. Sie schauen sich in die Augen und lachen wie zwei sonnenhafte Kinder. Wie bei einem Tango bewegen sich beide aufeinander, lassen los und verketten sich wieder. Küssen sich, stöhnen, spielen und lachen. Ein Märchen kann beginnen. So lernen sie sich lieben. So lernen sie sich streiten und schlagen. Ein Zittern ist ständig dabei, ein Feuer flackert und lässt nicht atmen. Zwei Menschen, zurückgeworfen in ihre Jugend, spielen mit dem Feuer und das Feuer spielt mit ihnen. Schmerzhaft sind die Verbrennungen, doch wen kümmern sie.
Ein Tag vergeht. Sieben Tage vergehen. Sieben Wochen sind um. Unruhe kommt auf. Alarm. Es qualmt gewaltig. Doch die Leidenschaft wächst, wie ein Berg steht sie da und breitet ihre unermüdlichen Flügel aus. Diese Leidenschaft will eine Art Schutz geben, denn: was kann passieren, wenn man so wild seine Gefühle spürt?
Sieben Monaten später. Eine rote Schachtel Marlboro liegt auf dem Tisch. Das BiC hat den Geist aufgegeben, zündet nicht mehr. Die Hände sind ruhig, der Mund ist stumm. Beide sind von Liebe hingerissen, andere bemerken es, sie kommen ins Gerede und er empfindet zum ersten Mal Bitterkeit. Er unterlässt es, sie zu treffen, aber sein Herz bricht und er verfällt in Melancholie. Sie pflegt ihre Liebe im Stillen, sodass niemand weiß, dass sie zwischen dem Wasser ihrer Tränen und dem Feuer ihrer Liebe lebt. Die Angst hat gesiegt. Die Angst vor Verbrennungen. Der Verstand hat gesiegt, nicht die Leidenschaft.
Eine Brücke ist dazwischen.
Auf ihr steht: Entscheide dich! Mann und Frau hassen diese Brücke. Sie warnt vor Verlust. Welchem Verlust? Das zu verlieren, was vor dem Feuer gebaut worden ist. Das zu verlieren, was ein Leben ausmacht. Das Vertrauen, die Zusammengehörigkeit, den Respekt, die Liebe im Ganzen. Aber diese „alte" Liebe hat keinen Funken Leidenschaft mehr in sich. Doch, und ob! Sie hat einen Dauerwert. Und Leidenschaft? Sie entzündet sich fanatischschnell und noch schneller erlischt sie.
Eine rote Schachtel Marlboro liegt nicht mehr auf dem Tisch. Auf dem Tisch liegen nur noch Routine und Gewohnheit, in seiner Schublade schlafen Träume, Sehnsüchte und das Verbotene.
Brücken gibt es überall.
Ein BiC kann man für einen Euro kaufen. Irgendwo und irgendwann treffen sich ein Mann und eine Frau, zwei Feuerspieler.
Vielleicht liegt eine scharlachrote Schachtel Marlboro dazwischen. Vielleicht auch ein BiC. Beide können Märchen erzählen, und es wird immer ein kurzes Märchen sein, ein Windhauch, ein einziger Augenblick in der Strömung der Zeit.
 

animus

Mitglied
Hallo Kata,
ich kenne die Geschichte.
Aus dem "Verstärker-Magazin", da hat sie den
1. Preis im Literaturwettbewerb "Feuer" gewonnen. Stimmt´s?
Mir gefällt sie auch gut.
Liebe Grüße
animus
 
N

no-name

Gast
Hallo Kata,

das ist eine tolle und fesselnde Geschichte, die Du da verfasst hast. Ich finde sie liest sich flüssig und das Hin und Her im Gefühlsleben der Liebenden kommt auch überzeugend rüber. Den Aufhänger mit der roten Marlboro und dem BIC Einwegfeuerzeug finde ich ebenfalls originell - das passt für mich alles gut zusammen.

Ich habe nur eine kleine Anmerkung zu dem Satz:
Sie schauen sich in die Augen und lachen wie zwei sonnenhafte Kinder.
Hier würde ich das Adjektiv "sonnenhaft" weglassen. Gibt es das überhaupt oder ist das eine Wortschöpfung von Dir? Ich meine, mir ist klar, dass Du damit die unbeschert-naive Gemütsbeschreibung von Kindern ausdrücken willst, aber ich finde es an dieser Stelle irgendwie unpassend. Meiner Meinung nach wirkt der Satz auch ohne dieses Adjektiv. ;-)

Freundliche Grüße von no-name.
 

kata

Mitglied
Ach, das überrascht mich jetzt sehr, da ich die Prämierung inkognito halten wollte.
Ich bedanke mich herzlichst bei dir für deine Rückmeldung
und wünsche dir einen guten Freitag
kata
 

kata

Mitglied
Hi, No-name
ob es das wort (sonnenhaft) gibt, bin ich mir nicht sicher, schaue selten in duden, wenn ich spontan schreibe und ich schreibe aus dem herzen und bin im nachinein erfreut, wenn mich die leser auf einiges aufmerksam machen.
während ich die antwort hier schreibe, bin ich doch neugierig geworden und schaue in den duden - das wort gibt es nicht, betrachte es also als ein neogolismus = sprachl. neubildung)
es gefällt mir und ich glaube nicht, dass ich es weglasse ...

Für dein Lesen und Kommentar bedanke ich mich sehr.
Einen lieben Gruß dir
katarina
 
N

no-name

Gast
Holla Kata,

Du bist sogar prämiert?! *Verbeugt sich ganz tief*...
Mein ehrlicher Restpekt ist Dir sicher!

Lol, ich habe absolut kein Problem damit, wenn Du "sonnenhaft" nicht aus dem Satz streichen willst. Geschmäcker sind verschieden und das ist auch gut so.
Mir war das in diesem Satz nur einfach zu viel, weiter nichts. ;-)

Nur eine kleine Bitte von mir an Dich: Schreib' einfach weiter so schöne Kurzgeschichten...

Liebe Grüße und ein warmes Lächeln von no-name.
 



 
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