Die standhafte Eiche

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Eilan

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Die standhafte Eiche

Es war wieder einer dieser grauen, hässlichen Tagen, die so langsam und mühselig vorüber gingen. Der Regen klatschte gegen die Fenster und trommelte aufs Dach, dichte Wolken verbargen den Himmel. Ein eisiger Wind wehte durch die Äste der alten Eiche, die draussen im Garten stand und Mühe damit hatte ihre Blätter festzuhalten, die der Wind ihr immer wieder zu entreissen versuchte. Kannst du mich denn nicht einmal in Frieden lassen, du Raufbold?!, wetterte die Eiche, während der Wind widerspenstig noch eine Windstärke zulegte. Wie Trophäen wirbelte er die Blätter durch die Luft, die er hatte ergattern können und erfreute sich an dem Farbengewirbel der herbstlichen Blätter. Doch die Eiche blieb standhaft und so zog der Wind bald weiter um den nächsten Baum zu necken und um einen Teil seiner Haarpracht zu bringen.
Der Winter kam, und viele Winde hatten mit der Zeit all die schönen Blätter der standhaften Eiche auf dem Boden verstreut.
Der Nebel und die Regenwolken hatten sich verzogen und endlich begann es zu schneien.
Wie weiche Watte fiel der Schnee auf die Welt herunter und bedeckte die Landschaft, überzog sie mit einer weissen, wärmenden Decke.
Die Eiche erfreute sich an dem winterlichen Treiben und es machte ihr auch nichts aus, als die Kinderschar der Familie, in dessen Garten sie stand, wetteiferten, ihren Stamm mit Schneebällen zu bewerfen und ihn wenn möglich zu treffen. Sie musste immer wieder schmunzeln, wenn die Kinder in hohem Bogen daneben zielten und dann, beim zweiten versucht den sie eifrig wagten, wieder nicht trafen. Oder wenn einer der Bälle so hoch geworfen wurden, dass er an einem der dicken Äste zerschellte und der Schnee auf die kleinen Schneeballschützen hinunterregnete.
Doch es kam auch vor, dass sich in einem der Schneebälle ein Eisklumpen befand, und die Eiche sich blaue Flecken einholte. Dann bedeckte sie die Kinder mit Schnee, den sie von ihren Ästen schüttelte, so dass sie danach aussahen wie kleine Schneemänner und lachte laut über ihre verdutzten Gesichter.
Wie jedes Jahr hängten die Eltern kleine Säckchen an die Astspitzen der Eiche, Säckchen gefüllt mit Vogelfutter und auch dieses Jahr ärgerte sich die Eiche über die unverschämten Vögel, die sich nicht damit begnügten an den Säckchen rumzupicken und auf ihr herumzuhopsen, nein, sie mussten natürlich auch an ihr herumpicken und alles vollkacken. Angeekelt hoffte die Eiche dann auf Regen und verscheuchte die Vögel in dem sie ihre Äste durch die Luft peitschen liess und wütend rief: Verschwindet ihr Plagegeister! Sucht euch einen anderen Baum!
Aber auch der Winter ging vorüber. Der Schnee schmolz und die ersten Knospen kündigten den Frühling an. Die Sonne liess sich nun öfters blicken und zog auch die letzte Kälte aus dem Boden. Die Blumen trauten sich langsam wieder aus der Erde und wuchsen lächelnd der Sonne entgegen.
Bald liessen sich auch die ersten Osterglocken blicken und kündigten das bevorstehende Fest an, welches der Eiche immer eine besondere Freude war.
Es war spassig den Kindern zuzusehen, wie sie im Garten herumkrabbelten und nach ihren versteckten Osternestern und Ostereiern suchten. Jedes Mal wenn eines der Kinder ein Ei fand jubelte es und zeigte den anderen stolz seinen Fund. Doch das grösste war natürlich, wenn sie ihre Nester in einem Blumenbeet, Busch oder hinter einem Strauch fanden, dann hüpften sie lachend und ausgelassen durch den Garten und Jubelten so laut dass es der Eiche in den Ohren schmerzte.
Eines Tages, kurz vor Sommerbeginn, kam der Vater in den Garten und blieb vor der Eiche stehen. „Wenn wir uns einen Swimmingpool bauen wollen, müssen wir aber die Eiche fällen!“, rief er seiner Frau zu, die auf einem Liegestuhl lag und sich sonnte.
Erschrocken schrie die Eiche auf: Was?! Ihr wollt mich fällen?!!! Die Vögel zwitscherten entrüstet: Wo bekommen wir dann im Winter unser Futter, wenn die Eiche nicht mehr da ist?!
Auch die Kinder konnten nicht glauben was ihre Eltern da vorhatten. Das kleinste lief auf seinen kurzen Beinen zur Eiche, wobei es zweimal auf die Nase fiel bevor es diese erreichte und seine Ärmchen um den dicken Stamm schlang. Mit grossen Tränengefüllten Augen sah es seien Eltern an und meinte dann: „Mein Baum!“ Die Ältesten protestierten. „Wen sollen wir denn mit Schneebällen bewerfen wenn der Winter uns Schnee bringt? Wo sollen wir uns im Sommer in den Schatten legen wenn die Sonne auf uns niederbrennt und die Hitze uns beinahe umbringt? Und wo wollt ihr die Vogelsäckchen hinhängen damit die Vögel im Winter etwas zu essen haben?“
Wohin soll ich denn flüchten, wenn mich der blöde Köter wieder verfolgt?! Dachte die Katze und schielte zum Nachbarshund der auf dem gegenüberliegenden Grundstück vor sich hindöste.
Die Eltern sahen sich an und seufzten dann ergeben. „Na gut, die Eiche bleibt stehen. Aber wo kommt dann unser Pool hin?“
„Ihr könntet eure Blumenbeete opfern.“ Schlug der Nachbar vor, der das ganze mitverfolgt hatte.
Nun war die Mutter daran sich zu beschweren: „Mein Blumenbeet wird nicht angerührt! Dann kaufen wir uns vom Bauern eben noch ein kleines Stück mehr Land.“ Und so war die Sache beschlossen.
Erleichtert atmeten die Blumen auf, die schon um ihre Existenz gefürchtet hatten und auch die Eiche war sehr erleichtert. Sie nahm sich vor diesen Herbst ihre Blätter besonders farbenprächtig zu gestalten.
Na da hast du aber nochmals Glück gehabt!, zwitscherte ein Spatz der sich auf der Eiche niedergelassen hatte.
Die Eiche grinste schief und betrachtete dann liebevoll die Rasselbande deren Verdienst es war, dass sie noch ein paar Jahre mehr im Garten stehen und an dem fröhlichen Leben teilhaben durfte.
 

Criss Jordan

Mitglied
Hmmmmm

Schöner Text, Eilan! Nur der Titel ist mE nicht ganz korrekt:

Die standhafte Eiche
Standhaft bedeutet in meiner Auffassung, daß sie selbst den Hernn Papa vom Fällgedanken abgebracht hat, daß sie in Gefahr eben "standhaft" war. Stattdessen haben die Kinder die Eiche gerettet. Das macht die Eiche nicht unbedingt standhaft. "Die gerettete Eiche" wäre korrekter, klingt aber zugegebnermaßen ziemlich "gähn". Ich muss gestehen, ein wirklich besserer Titel fällt mir auch nicht ein :(.

CJ
 



 
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