Die verirrte Schneeflocke

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Klaus Zinner

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„Schneeflocke, was machst Du denn hier? Du gehörst doch gar nicht hier her“. Mehr als nur verwundert sehe ich sie, die doch gar nicht hier her passt; weder an diesen Platz, noch zu dieser Jahreszeit. Wie kann es sein, dass ich eine einzige Schneeflocke, so wunderschön vollendet sie auch ist, gerade hier, beim Blick aus meinem Fenster und bei herrlichem Sonnenschein, mitten im Sommer, in meiner Dachrinne zu erkennen glaube? Nein, sage ich zu mir selbst, das kann nicht sein, es ist wohl eine Sinnestäuschung und ich will mich bereits abwenden.

„Nein, halt, Du siehst schon richtig, bleib doch noch ein wenig, ich bin wirklich eine Schneeflocke“. Ich bin wie vom Donner gerührt, reibe mir verwundert die Augen, höre aufmerksam zu und spüre, wie ich eine andere Welt betrete.

„Ich habe mich von meinem großen Volk getrennt“, höre ich sie sagen, „ich wollte nicht mehr mitmachen, und ich wollte es nicht mehr mit uns machen lassen“. Nun bin ich doch sehr neugierig geworden. „Was, bitte, wolltest Du nicht mehr mitmachen, und was willst Du nicht mehr mit Euch machen lassen?“, frage ich, schon ganz in der anderen Welt angekommen.

„Nun, genau das, was jedes Jahr mit meinem großen Volk geschieht. Irgendwann, Ihr Menschen nennt das die Zeit des Winters, brechen wir auf und besuchen die Menschen. So, wie mein Volk jedes Jahr viele Menschen besucht, auch die Menschen in Deinem Land. Wir kommen oft über Nacht, leise und sanft rieselnd, Schneeflocke für Schneeflocke, wir sind gar nicht zu zählen, so viele sind wir. In kurzer Zeit hüllen wir unsere gemeinsame Welt, auch Dein Land, in ein wunderschönes weißes Kleid. Immer dann, wenn wir urplötzlich wie aus dem Nichts erscheinen, freuen sich die Menschen, ganz besonders die Kinder.“ ... „Ja, ja, ich weiß, ich weiß“, unterbreche ich, „doch warum hast Du Dich abgesondert? So ganz alleine fällst Du doch gar nicht auf. Was willst Du überhaupt erreichen, mit Deinem eigenen Weg? Dich sieht doch gar keiner“.

„Ich weiß, ich weiß“, höre ich sie sagen, „so muss es Dir erscheinen. Dennoch, ich habe mich entschlossen meinen eigenen Weg zu gehen und meinen eigenen Kampf zu kämpfen, so schwer und aussichtslos er auch sein mag“. „Und, was willst Du erreichen, für was oder gegen wen willst Du kämpfen? Ich verstehe Dich nicht, ohne Dein Volk bist Du doch ein Nichts“. „Ja, schon, doch mein Volk muss es Jahr für Jahr erleben, genau das, was auch Ihr Menschen ständig erlebt. Nur Euch scheint das noch gar nicht aufgefallen zu sein, mir aber schon. Es ist doch immer dasselbe, jedes Jahr. Nachdem wir Freude bereitet haben, Dein und mein Volk nicht nur in Frieden sondern sogar in Harmonie miteinander leben, ändert sich plötzlich alles. Wir werden nicht mehr gemocht, früher oder später will man uns weg haben, sogar mit Gewalt. Viele, die meisten von uns ziehen es deshalb vor wegzuschmelzen, nur weg, um nicht noch misshandelt zu werden. Denen, die dennoch bleiben, geht es dann an den Kragen. Mit Stumpf und Stiel, mit Drahtbesen, Hacken und Schaufeln, werden auch die letzten Reste von uns regelrecht weggefegt und weggekratzt. Das tut ungeheuer weh. Wir werden zu einer schmutzigen Matsche, nachdem auf uns respektlos herumgetrampelt worden ist, so lange, bis wir dann irgendwann ganz verschwunden sind. Und das geschieht immer wieder, Jahr für Jahr, wobei die Methoden und Mittel für unsere Vernichtung, immer grausamer und unbarmherziger werden“. ...

Nun muss ich wirklich unterbrechen, weil ich es nicht mehr ertragen kann. „Ja, aber, kleine Schneeflocke, das ist doch nun mal eben so, das ist der Welten Lauf. So war das immer, so ist es und so wird es bleiben“. „Eben“, antwortet sie und schaut mich dabei unglücklich, traurig aber auch entschlossen an, „und das will ich nicht mehr mitmachen, und auch nicht mehr mit ansehen müssen, weder bei meinem Volk, noch bei den Menschen. Mein Volk, Dein Volk, unsere gemeinsame Welt muss lernen, sich anders zu verhalten. Und ich bin fest entschlossen einen Anfang zu machen. Ich will nicht mehr das akzeptieren, nur weil es immer schon so gewesen ist. Nein und noch einmal nein, ich will eine andere Welt, nicht nur für mein Volk sondern für alle Völker“.

Die Stimme ist verstummt, langsam, unendlich langsam öffne ich wieder meine Augen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich ohne zu sehen, in eine andere Welt gesehen habe. Ich richte mich auf und schaue in die Dachrinne. Sie ist verschwunden, meine Schneeflocke, ich bin wieder alleine, ich friere und ich fühle mich furchtbar einsam. ...

Klaus Zinner
 

Steinchen

Mitglied
Hi,

Textzeug:

>dass ich eine<- ich = sich

>wie ich eine andere Welt betrete<- hier find ich es zu poetisch und ragt irgendwie negativ aus dem Stil raus

>Du, Deinem<- auch als Höflichkeitsform klein

>mag“. „Und<- Am besten machst du hier einen Absatz

>Nichts“. „Ja,<- auch hier

>Ja, aber, kleine Schneeflocke, das ist doch nun mal eben so, das ist der Welten Lauf. So war das immer, so ist es und so wird es bleiben<- *gg* Den Satz hast du aber kopiert :)

>antwortet sie und schaut mich dabei unglücklich, traurig aber auch entschlossen an<- aha? Schneeflocken haben Gesichter? Erklär mir das!

Hat mir ganz gut gefallen. Orginelle Idee, gut ausgebaut, auch wenn es ab und zu etwas kitschig wurde, doch recht schön zu lesen. Und es hat Spaß gemacht.

Liebe Grüße
 

Klaus Zinner

Mitglied
Hallo, Steinchen,

zunächst vielen Dank für die Anmerkungen. Offenkundig ist hier das vertraute DU allgemein üblich, so dass ich mich dem gerne anschließe.

dass ich eine ich = sich
Bei dieser Passage scheint es Deiner Aufmerksamkeit entgangen zu sein, dass ich von mir selbst spreche. Ich sehe die Schneeflocke mehr als nur verwundert ...

wie ich eine andere Welt betrete<- hier find ich es zu poetisch und ragt irgendwie negativ aus dem Stil raus
Ob das nun zu poetisch ist, oder gar negativ aus dem „Stil herausfällt“, ist, na, ja, Ansichtssache. Wenn ich im Sommer, in meiner Dachrinne, plötzlich eine Schneeflocke entdecke, empfinde ich schon, damit eine andere Welt zu betreten.

Du, Deinem<- auch als Höflichkeitsform klein
Das ist allerdings ein interessanter Punkt. Auch ich habe früher in der wörtlichen Rede immer klein geschrieben. Bis ich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass das groß zu schreiben ist. Wenn Du sicher bist, dass die Kleinschreibung in diesen Fällen korrekt ist, hätten wir beide Recht ... ich nur etwas verspätet;-)

mag“. „Und Am besten machst du hier einen Absatz

Nichts“. „Ja, auch hier
In beiden Fällen stimme ich Dir zu. Mein „altes Kreuz“ mit den richtigen Absätzen.

Ja, aber, kleine Schneeflocke, das ist doch nun mal eben so, das ist der Welten Lauf. So war das immer, so ist es und so wird es bleiben<- *gg* Den Satz hast du aber kopiert
Nicht gerade kopiert, aber sicher als „geflügeltes Wort“ so oder so ähnlich, nicht zum ersten Mal erst durch mich verwendet;-)

antwortet sie und schaut mich dabei unglücklich, traurig aber auch entschlossen an<- aha? Schneeflocken haben Gesichter? Erklär mir das!
Aber gerne. Übrigens, eigentlich hat eine Schneeflocke auch keine Stimme;-) Aber sei`s drum, es handelt sich um ein Märchen, mit einem sozialkritischen Aspekt. Zu einem Märchen braucht es Fantasie, über die ich und sicher auch Du verfügst. Du glaubst gar nicht, wie hübsch eine Schneeflocke aussehen kann;-)

Hat mir ganz gut gefallen. Orginelle Idee, gut ausgebaut, auch wenn es ab und zu etwas kitschig wurde, doch recht schön zu lesen. Und es hat Spaß gemacht.
Nun gut, Märchen können natürlich kitschig sein, deshalb sind es Märchen. Hauptsache, es hat Dir Spaß gemacht. Um Dir und eventuell anderen „Märchentanten und –onkeln“ eventuell einen weiteren Spaß zu machen; ich habe noch ein Märchen, auch wieder mit der „Hauptperson“ eine Schneeflocke. Ich stelle es einmal ein, obwohl es von meiner Lebenspartnerin ist.

Herzlicher Gruß
Klaus
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

so viel ich weiß, wird die anrede nur in briefen groß geschrieben. im verlauf einer geschichte aber klein. jegliche anrede, nicht nur das du.
lg
 

Klaus Zinner

Mitglied
Re: also,

Ursprünglich veröffentlicht von flammarion
so viel ich weiß, wird die anrede nur in briefen groß geschrieben. im verlauf einer geschichte aber klein. jegliche anrede, nicht nur das du.
lg
Danke, womit ich nun auch endlich Klarheit hätte. Wehe, wenn mir noch mal jemand etwas anderes erzählen will;-)

FG
Klaus
 

Steinchen

Mitglied
Selbst in Briefen wurde, nach der neuen RS, das du als Höflichkeitsform herausgenommen. Sowohl in Briefen, als auch in Geschichten, aber ich denke in der RS kann man noch sehr flexibel sein, vor allem, da das Volk dadurch sozusagen "gespaltet" wurde :)

Liebe Grüße
 



 
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