Die vom Spielplatz

van Geoffrey

Mitglied
Die vom Spielplatz

Meine Geschichte ist ein kurzer Blick zurück auf die Tage meiner Kindheit und den Spielplatz in unserer Straße, welcher den Dreh- und Angelpunkt unseres Kinderlebens darstellte.
Wir waren streichholzdünne Knaben mit zerzaustem Haar, und wenn uns die Lust nach Abenteuern, Gesellschaft und Unterhaltung ankam, wie an fast jedem Nachmittag nach der Schule, trieb es uns bevorzugt zum Spielplatz in unserer Straße. Dort wartete das Leben auf uns, wenn auch – zugegeben – die Sitten dort recht rau waren. Der dicke Rudi hatte meinen Freund Bertl und mich einmal gefangen genommen und zu sinnlosen Arbeiten gezwungen. So mussten wir mit den Empfindungen versklavter und rechtloser Kinder die herumliegenden und viel zu schweren Stämme hierhin und dorthin bewegen. Welch blendender Einfall von Bertl, uns dazu ins Gras zu setzen und die Stämme mit der Kraft unserer Beine zu bewegen. So konnten wir die Sklavenarbeit tatsächlich bewältigen und waren vor Misshandlungen des Dicken sicher.
Für Hansi, einen älteren Burschen, von dem das Gerücht ging, er habe gar schon geraucht, waren wir Zwerge, die er gutmütig duldete und mit denen er grobe Scherze treiben konnte.
Wenn es uns einfiel, uns zu beschweren, meinte er nur abschätzig: „Was willst du, kleiner Hühnerdreck?“
Das Spiel aller Spiele war Fußball. Fußball gab uns ein berauschendes Gefühl von Erwachsenheit. Plötzlich verlor sich unser kindlicher Unernst und wir benahmen uns so ungehobelt, wie es unserem damaligen Bild der Erwachsenen entsprach. Wir fühlten uns wichtig und schrien wild gestikulierend herum als gelte es unser Leben. Und wir konnten in maßlose Wut geraten, wenn es um die Einhaltung der Spielregeln ging. Die nicht vorhandenen Torstangen wurden von alten Autoreifen symbolisiert oder von unseren T-Shirts, die wir zu kleinen Haufen türmten und deren Abstand wir in Schritten maßen.
Hansi foulte wie ein Weltmeister, und stieß uns Wichte im Kampf um den Ball einfach weg, was uns nur anspornte mit umso größerem Trickreichtum das ersehnte Leder an uns zu bringen. Fußball war das Ding. Fußball war nicht wie das Leben. Fußball war das Leben.
Mädchen interessierten uns damals noch nicht. Sie waren ferne Schiffe am Horizont. Sie hatten Zungen wie Dolche, und wenn man sie nieder rempelte, konnten sie gnadenlos heulen.
Die Nachmittage waren ewig lang und wir dehnten die Zeit am Spielplatz mit Lust aus, bis es dämmerte, und wir mit Gewissheit damit rechnen mussten, zu Hause mit Vorwürfen und Ermahnungen empfangen zu werden. In den Geschichten, die wir einander am Spielplatz erzählten, flossen Wahrheit und Fantasie zusammen. Sie mochten wahr sein oder auch nicht – was tat’s.
Ich erkundete die Welt damals auf dem Fahrrad und konnte in der sengenden Sommerhitze einen geschlagenen Nachmittag dem Horizont hinterher fahren.
Irgendwo in einem Winkel meines Herzens, bin ich immer noch derselbe Junge. Das Echo unserer Kindergespräche kreist in meinem Denken und bildet einen Flüsterhintergrund wie das beständige und fast unmerkliche Rauschen in den Wäldern meiner Heimat, wenn der Wind mit den Föhren spielt.
Damals war es mein erklärtes Ziel, Superheld zu werden. Sage nicht, dass das Träume sind, denn ich arbeite immer noch daran.
Wenn du willst, treffen wir uns heute Nachmittag am Spielplatz, nachdem du die Einkäufe für deine Frau erledigt hast.
Den Fußball bringe ich mit. Und sag bitte den anderen bescheid.
 
A

aligaga

Gast
Was für eine hübsches, unspektakuläres Spektakel, das ohne jede Effekthascherei Sehnsüchte wecken kann in eine Zeit zurück, die für jeden, der hier mitliest, längst vorbei ist. Und die, wenn er Glück hatte, so war und nicht viel anders.

Wohl dem, der mit einem Schuss Melancholie darauf zurückblicken und es uns so schildern kann wie du, @Geoffrey.

Melancholie ist wie schwarze Schokolade. Erst ein bisschen bitter, und dann doch so süß. Wo, sagtest du, war noch gleich der Spielplatz?

Gruß

aligaga
 

van Geoffrey

Mitglied
Schokolade

Hallo, Aligaga!

"Melancholie ist wie schwarze Schokolade." - das ist sehr schön gesagt.
Der Spielplatz ist leider "in einer anderen Zeit". Ebenso gut könnte ich sagen: "Er ist tief in meinem Herzen und in meiner Erinnerung." Es gibt ihn zwar immer noch und ich fahre hin und wieder an ihm vorbei.
Ich kann dich nur ermutigen, Kindheitserlebnisse, die für dich von Bedeutung waren, niederzuschreiben.
Wie von selbst kommen dann weitere, scheinbar vergessene Erinnerungen hoch und alles scheint eine tiefe Bedeutung zu haben.
Ja, ich hatte eine schöne Landjugend, wie ich sie nur jedem wünschen kann. Es brauchte in den 70er-Jahren nicht viel, um uns Kinder zu unterhalten.
Danke für deinen Kommentar. Das bestärkt mich, meine Erinnerungen niederzuschreiben.

LG
 
A

aligaga

Gast
Mit meiner Frage nach deinem Spielplatz hab ich mich an den auffordernden Schluss deiner Geschichte angehängt. Wie schade, dass du jetzt glaubst, mich beleeren zu müssen.

Den "Spielplatz in der Straße" verorte ich als Leser eher nicht "auf dem Lande", sondern in einer Großstadt.

Anyway. Wir werden uns unter diesen Umständen wohl nicht treffen können. Vielleicht findest du hier noch jemand anderen zum mitspielen.

Viel Glück!

aligaga
 

Rudolph

Mitglied
Hallo, van Geoffrey,

das ist eine Geschichte nach meinem Geschmack.
Sätze wie
[ 4]Fußball war nicht wie das Leben. Fußball war das Leben.
finde ich einfach genial.
Als Kind lebt man in einer eigenen Welt, zu der die Erwachsenen oft keinen Zugang haben, in der andere Gesetze gelten. Von mir gibt es hier auch eine autobiographisch gefärbte Geschichte, welche die Weltsicht eines Kindes zeigt, erfüllt einerseits mit positiven Erlebnissen, vorwiegend aber mit verborgenen Ängsten. Vielleicht gefällt mir deshalb deine Geschichte so gut.

LG Rudolph
 

van Geoffrey

Mitglied
Jeder Mensch ist ein Buch

Hallo, Rudolph!

Danke für das schöne Lob!
Das spornt an.
Werde gerne einmal deine Geschichte lesen.
Ich bin leider nicht der Urheber des von dir zitierten Satzes.
Das war der Ausnahme-Schachspieler Bobby Fischer.
Sein Kontrahent Spasky soll gesagt haben: "Schach ist wie das Leben." Und Fischers Antwort, die einen interessanten Zugang zu seiner komplizierten Persönlichkeit bietet, war: "Schach IST das Leben."

Ich sage mir immer, dass das Leben die besten Geschichten schreibt. Man braucht vieles nur nachzuzeichnen, um eine bemerkenswerte Facette des Lebens aufleuchten zu lassen.
Dabei fällt mir ein, gelesen zu haben, dass es Hermann Hesse noch bis zu seinem Tod ein großes Vergnügen bereitet hat, im Geist durch die Straßen seiner Heimat zu wandern, und sich jedes Detail ins Gedächtnis zurückzurufen.
Das Schöpfen aus der Erinnerung hat also einen besonderen Stellenwert. Jeder hat das schon erlebt, wenn jemand aus dem Leben erzählt, und man atemlos zuhört.
"Jeder Mensch ist - mindestens - ein Buch." Der Satz IST jetzt von mir.
Oder er ist ein unbewußtes Plagiat.

LG
 



 
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