Diebe?

Fellmuthow

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Weil uns heute in Dresden immer neue Konsumtempel den freien Blick vom Hauptbahnhof zum Kulturpalast verstellen, ging viel von dem verloren, was Dresdens Zentrum so etwas unverwechselbares gab.
Heutzutage starren uns in den engen Betonschluchten aufdringliche Schaufensteraugen an, nötigen zum Hinsehen. Genauso wie in jeder x-beliebigen Einkaufsmeile.
Natürlich ist das Ansichtssache, wie ich erfahren musste, als ich einmal am Pusteblumenbrunnen auf einer Bank saß und zwei kleinen Jungen zusah und zuhörte, die gerade alles, was sie aus ihren Jackentaschen heraus holten, schnell in einem Plastbeutel verschwinden ließen.
Denen war, wie ich verstand, der Blick vom Hauptbahnhof zum Kulturpalast völlig „schnorze piepe“. Die hatten eine ganz andere Sicht auf die Dinge - fanden die Selbstbedienungs-Wahrenhäuser prima.
Die beiden kamen grade von einer „Schtreefe“, wie sie ihre Raubzüge nannten, zurück, freuten sich drüber, dass sie den Detektiven wieder einmal ein Schnippchen geschlagen hatten. »Die sin doch bleede«, war dazu ihr ganzer Kommentar.
Ich hatte den Eindruck, sie waren sogar noch stolz auf ihre „Leistung“ - sahen das Ganze als eine Art Sport an. Mich interessierte nun, warum die das machen – klauen, bin also etwas näher an sie herangerückt. Erst waren sie darüber erschrocken, dass ich etwas mitbekommen hatte, dann grinsten sie mich an...
»Warum macht ihr denn so etwas«, habe ich sie gefragt. Erst keine Antwort, dann zog der eine, wahrscheinlich der Anführer, vom Leder:
»Mensch Opa, du stellst vielleicht Fragen, bist wie meiner, der fragt auch immer so dämlich. Mir grichn doch noch keene Rente, mei Vater och ni - und Arbeit? Arbeit hat der och keene. Nu geh heute mal in die Schule, wenn du keene Markenklamotten anhast. Da bist du abgeschriem bei de Weiber - wenns’de weeßt was’ch meen. Aber das Zeug liegt da drine rum - brauchst bloß zuzulangen. Wir sind da schon Profis - wissen wie mor’s anstelln müssn«, bekennt er stolz. »Die vom Fernsehen, die ham’s uns doch gezeicht.«
»Aber es ist Diebstahl«, sage ich zu den beiden. »So etwas darf man nicht machen. Das Zeug gehört euch doch nicht! Und, wenn die euch nun erwischen, und anzeigen?«
Überlegen grinsen die beiden. »Opa, du bist werklich ni auf dem Laufenden. ‘s is doch total efach. Wir sind erst zwelfe, uns kenn se gar nischt, und bei uns dorheeme, da ist och nischt zu holn.«
Mit: »Ja, habt ihr denn gar kein schlechtes Gewissen? Wenn dass nun alle machen würden?«, versuche ich sie zum Nachdenken zu bewegen.
»Opa...!« sagt der Anführer und schüttelt verständnislos sein Haupt. »Du guggst wohl kee Fernsehen, hörst keene Nachrichten? Was mir machen, das ist doch nur so enne Art: „Übung für schpäter“. Richtch klaun, ich meen, glei ä paar Million unterschlagen, dass kenn wir doch noch gar ni. Dazu fehln uns heute noch de Mechlichketn. Das machen andere - Erwachsene! Und hast du jemals gehert, dass die destewechn ä schlechtes Gewissen hamm?.«
Der, der bisher nichts gesagt hat, nickt dazu, blickt mich triumphierend an, tippt sich an den Kopf - dann stehen sie auf und gehen.
Na ja - denke ich mir. So ganz unrecht haben sie ja gar nicht - bei den vielen Vorbildern. Und die jungen Leute, die sind nu einmal nicht dumm, die lernen schnell...
 



 
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