Doppelfehler

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Doppelfehler

Der junge Mann lag bäuchlings auf dem Parkettboden des Wohnzimmers. Im Rücken, schön genau zwischen den Schulterblättern ragte noch der Brieföffner heraus.'Wie in einem drittklassigen Krimi', schoss es Möllenbach durch den Kopf. 'Nur dass die Leiche echt ist und ich bin der Kommissar.'
Möllenbach guckte sich um. Alles vom Feinsten: die Designermöbel, die Kleidung des Opfers, der neueste Krimi vom angesagten Schreiberling. Und die Mordwaffe war aus schwerem, altem Silber, besetzt mit Halbedelsteinen. 'Fast wie bei Agatha Christie.' Möllenbach musste sich zwingen, an das Hier und Jetzt zu denken und nicht an irgendwelche Krimifiguren.
"Gibt's schon was, Frau Müller?", wandte sich Möllenbach an die schlanke Frau im weißen Overall. Die Rechtsmedizinerin zog gerade das Messer aus dem Rücken, behutsamer als sonst, wie Möllenbach registrierte.
"Abwarten, Herr Möllenbach. Da ist ein Fingerabdruck. Könnte vom Täter sein, wahrscheinlich aber vom Opfer selbst. Außerdem noch keine klitzekleine Schleimspur. Könnte von einem Nieser stammen. Muss man sehen." Sie deutete auf den kleinen Stapel Briefe, der auf dem Schreibtisch verteilt war und hielt die Tatwaffe so, dass Möllenbach alles genau sehen konnte. Der Kommissar nickte. "Sonst noch was von Bedeutung?" Frau Müller zuckte mit den Schultern. "So, wie der Brieföffner steckt, kann der Stich nur von einer weiteren Person ausgeführt worden sein. Selbstmord scheidet definitiv aus. So ersticht sich keiner! Der Rest wie gehabt und in zwei Tagen." Frau Müller packte ihre Siebensachen zusammen, überwachte den Abtransport der Leiche.
"Herr Möllenbach, ich bin dann fertig. Bis Montag." Möllenbach zuckte zusammen, gerade so als hätte jemand einen Kanonenschuss hinter ihm abgefeuert. "He, Herr Möllenbach, warum denn so schreckhaft? Haben Sie nen Geist gesehen?"
Der Kommissar drehte sich langsam um. Er wies mit der Linken auf das Familienfoto an der Wand, das er die ganze Zeit über angestarrt hatte. "Nein Frau Müller, keinen Geist, aber den Mörder." "Herr Möllenbach", die Angesprochene wusste nicht ob lachen oder weinen, "sie wollen mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass Ihnen das Foto da erzählt hat, wer der Mörder ist. Auf dem Bild sind doch nur das Opfer, die Eltern und der Zwillingsbruder zu sehen. Und das ganze ist mehrere Jahre alt. Ein Schnappschuss von irgendeiner Hochzeit." "Sie sagen es, Frau Müller. Sie sagen es. Zwillinge."

"Wie sind Sie mir drauf gekommen?" Der junge Mann auf dem Besucherstuhl vor Möllenbachs Schreibtisch hatte seine Fassung immer noch nicht ganz wiedergefunden. "Was hat Sie auf die Idee gebracht, stehenden Fußes, direkt von der Leiche meines Bruders, zu mir zu kommen, meine Fingerabdrücke zu nehmen und mir auf den Kopf zuzusagen, dass ich den Peter umgebracht habe?" Möllenbach zuckte mit den Schultern, grinste ein bisschen verlegen. Schien fast, als wollte er sich bei Martin Wonmars entschuldigen, dass er ihn - wie der junge Mann so schön sagte - stehenden Fußes verdächtigt hatte. "Es hat damit zu tun, Herr Wonmars, dass Sie ein Zwilling sind. Ich bin übrigens auch ein Zwilling, wäre sonst nie auf die Idee gekommen."
Wonmars verstand keine Silbe. Hilfe suchend schaute er die Frau an, die neben dem Fenster stand. Frau Müller hatte alles stehen und liegen lassen, als sie von der Verhaftung Martin Wonmars hörte. Spitzte nun die Ohren und ließ sich nichts entgehen. Ihre Untersuchungen hatten zwar Möllenbachs Verdacht bestätigt, aber von alleine hätte sie den Bruder nie verdächtigt.
"Das ist ganz einfach, Herr Wonmars. Schon bei der ersten flüchtigen Untersuchung des Tatorts fiel Frau Müller auf, dass sich ein Fingerabdruck auf dem Brieföffner befand. Vom Opfer war er nicht, also musste er vom Täter stammen. Nur - wer hinterlässt heutzutage noch Fingerabdrücke auf einer Mordwaffe? Ein absoluter Dummkopf oder einer, der gar keine Angst hat, Spuren zu hinterlassen. Können Sie mir folgen?" Der Gerichtsmedizinerin ging langsam ein Licht auf. Wonmars kapierte immer noch nichts. Ein feines Lächeln huschte über Möllenbachs Gesicht. "Sie und Ihr Bruder, Herr Wonmars, waren Zwillinge. Ich nehme an, Sie gingen davon aus, dass eineiige Zwillinge identische Fingerabdrücke haben." Martin Wonmars nickte.
Er war der festen Überzeugung gewesen, dass seine und die seines Bruders Fingerabdrücke identisch seien, dass er gar keine Handschuhe benötigte, um irgendwelche Fingerabdrücke zu vermeiden. "Ich habe mit Absicht keine Handschuhe übergezogen, Herr Kommissar. Die letzten Abdrücke sollten die meines Bruders sein. Es sollte ein Rätsel sein, ein unlösbarer Fall."
"Damit haben Sie Ihren ersten Fehler gemacht. Auch eineiige Zwillinge sind nicht vollständig identisch. Es gibt da kleine Abweichungen, z. B. bei den Fingerabdrücken. Sie und Ihr Bruder haben, wie alle anderen Zwillinge auch, verschiedene Fingerabdrücke." "Und mein zweiter Fehler?" "Nun, Herr Wonmars. Ihr zweiter Fehler bestand darin, dass Sie und Ihr Bruder gar keine eineiigen Zwillinge sind bzw. waren."
"Zweieig? Der Peter und ich zweieiig?" Möllenbach nickte. "Mir fiel das sofort auf, als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe. Es waren nämlich die Augen. Sie, Herr Martin Wonmars, haben graue Augen mit einem Stich ins blaue, Ihr Bruder Peter hatte graue Augen mit einem Stich ins grüne. Minimal nur, man muss schon wissen, wonach man suchen muss.Wie ich schon sagte, bin ich auch ein Zwilling. Zweieiig. Ich wusste, wonach zu suchen war. Und der kleine Schleimtropfen von Ihrem Nieser lieferte nur noch das Vergleichsmaterial für den DNA-Test."
 
Hallo Michael,

danke für deinen netten und vor allen Dingen prompten Kommentar. Dass mit den nicht identischen Fingerabdrücken bei eineiigen Zwillingen ist kaum verbreitet. Habe selber Zwillinge in der Verwandschaft - und die sind der festen Meinung, VÖLLIG identisch zu sein. Ich selber habe von der Sache mit den verschiedenen Abdrücken vor Jahren mal gelesen. Der Irrtum meines Protagonisten ist also verständlich.
Und was die Schleimspur angeht: Ich wollte unbedingt einen zweiten Fehler einbauen, der Überschrift wegen. Da fiel mir auf die Schnelle halt nur der Nieser ein. Hab gerade selber ein bisschen Schnupfen.

Grüße
Marlene
 
Hallo Marlene,

der Doppelfehler paßt doch gut zum Zwillingsthema. Und diese Unkenntnis von Martins solltest du besser herausstellen ( oder den Zufall herausstreichen, dass der Kommissar es weiß ).

Bis bald,
Michael
 



 
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