Dr. John befand die Zeit

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ENachtigall

Mitglied
Dr. John befand die Zeit

für reif genug
für eine Kur
für eine leichte
Lustveränderung die könne mir
alleinentziehungsberechtigt
nicht schaden sagte er
und schickte mich nach

Amnesia
da hing ich für eine Weile
an den Lippen des Meeres
setzte tausend Schritte
in den Sand und einen
in eine unvorhersehbare Richtung
ansonsten hielt ich die Füße still
nicht im Garten meines Herzens
die Vögel zu zertreten
wer weiß warum
die nicht fliegen
wollten nicht in den Ästen
sitzen nicht hocken
in den versteckten Nestern

jetzt bin ich umgänglich
geworden und konsonant
wechsele hin und wieder
meine paar Worte mit Noah
über den Regen und die Typen
die nachts in Träumen rumhängen
ich bringe ihnen legendäre Sprachen
bei manchmal machen sie sich nützlich
helfen suchen nach verloren gegangenen Schuhen
tragen widerstandlos geliehene Gesichter
Dr. John sagt sie könnten nur Metaphorisch
und früher einmal das war da habe ich geliebt


© Elke Nachtigall
Mai 2011
 

ENachtigall

Mitglied
Dr. John befand die Zeit

für reif genug
für eine Kur
für eine leichte
Lustveränderung die könne mir
alleinentziehungsberechtigt
nicht schaden sagte er
und schickte mich nach

Amnesia
da hing ich für eine Weile
an den Lippen des Meeres
setzte tausend Schritte
in den Sand und einen
in eine unvorhersehbare Richtung
ansonsten hielt ich die Füße still
nicht im Garten meines Herzens
die Vögel zu zertreten
wer weiß warum
die nicht fliegen
wollten nicht in den Ästen
sitzen nicht hocken
in den versteckten Nestern

jetzt bin ich umgänglich
geworden und konsonant
wechsele hin und wieder
meine paar Worte mit Noah
über den Regen und die Typen
die nachts in Träumen rumhängen
ich bringe ihnen legendäre Sprachen
bei manchmal machen sie sich nützlich
helfen suchen nach verloren gegangenen Schuhen
tragen widerstandslos geliehene Gesichter
Dr. John sagt sie könnten nur Metaphorisch
und früher einmal das war da habe ich geliebt


© Elke Nachtigall
Mai 2011
 
F

Fettauge

Gast
Toll! Auf sowas muss man kommen: die Lippen des Meeres. Die erste Fassung gefällt mir zumindest im zweiten Teil beinahe noch besser. lg Fettauge
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Elke,
noch ein wenig schwerfüßig tritt die Alleinentziehungsberechtigte (herrlich!) den verordneten Kuraufenthalt an. Doch auch in Amnesia weiß sie zunächst nichts mit sich anzufangen, bewegt sich kaum und hütet ängstlich ihren verschollenen Garten, bzw. das, was davon übriggeblieben ist.
Jedoch nach einiger Zeit beginnt die Heilmaßnahme zu wirken; die Kranke sucht sich Beschäftigung und beginnt sich mit der Sprache der einheimischen Bevölkerung und deren Einfällen auseinanderzusetzen.

Ein klug durchdachtes Werk über die Schaffenskrise einer Poetin und deren schweren Weg hinaus (Kris = Dolch der Malaien).

Dein Gedicht birgt so viele Schmakerl, dass ich sie kaum aufzuzählen vermag: Das Land Amnesia mit seinen Meereslippen, Noah und die Wörterflut, und den resignierten Schluss:
und früher einmal das war da habe ich geliebt.
GroßArtig.
Heidrun
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo fettauge (toller Name!),

danke für das Hinterlassen Deines netten Leseeindrucks. Meine korrigierte (zweite) Version unterscheidet sich von der ersten allerdings nur um ein hinzugefügtes "s", das ich bei "widerstandslos" vergessen hatte.

Grüße von Elke
 

ENachtigall

Mitglied
und früher einmal das war da habe ich geliebt

Liebe Heidrun,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Bitte nicht zuviel hineininterpretieren!
Literatur funktioniert meist gut als Konglomerat aus Realität und Fiktion; Übertreibungen können da nicht schaden. So ist auch dieses Stückchen angelegt und es will entführen, unterhalten und nachhallen.

Daher sei der Schlusssatz zwar wehmütig aber nicht resgnativ. Die wirklich frappierenden Lebensgefühle vergessen wir nicht und so zaubern sie im Untergrund weiter; verklären die Vergangenheit und arbeiten vehement an einem erhofft/gefürchteten Comeback. So ist das Leben.

Mit besten Wünschen für einen gelungenen Sonntag,

Elke
 
H

Heidrun D.

Gast
und früher einmal das war da habe ich geliebt
Nicht immer ist nur die Interpreteuse "schuldig."
Besonders hoffnungsfroh, in die Zukunft gerichtet, hört sich der bewusste Satz nun wirklich nicht an. - Aber gerade deshalb wirkt er so authentisch auf mich: Habe ich lange nichts geschrieben, fürchte ich mich ein wenig, traue mir nichts zu, denke gar, es klappte überhaupt nie mehr ...
Aber vielleicht ist das bei dir ganz anders.
;)
Grüßle aus dem Vaddertach
Heidrun
 

ENachtigall

Mitglied
Liebe Heidrun,

da gebe ich Dir wohl recht - und von "Schuld" kann hier gar keine Rede sein.
Früher schrieb ich pro Woche ein Gedicht; aus Besessenheit und vielleicht auch Bangen, aus der Übung kommen zu können. Bei der Schlagzahl erübrigt sich das mit dem Lampenfieber vorm Veröffentlichen. Schöner aber ist es mit. Besonders, wenn es dann noch so gemocht wird.

LG Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo revilo,

"Ginsberg pur und daher richtig gut.........."

Hm, ein bisschen Ginsberg sind wir vielleicht alle. Hab´s aber wenigstens nicht abgeschrieben.

LG Elke
 
Tja Elke,
was soll man dazu sagen?

da hing ich für eine Weile
an den Lippen des Meeres
setzte tausend Schritte
in den Sand


Fast perfekt!

Dr. John sagt sie könnten nur Metaphorisch
und früher einmal das war da habe ich geliebt


Klingt Französisch (Satzbau)

wunderbar!

Liebe Grüße

Serge
 

Ralf Langer

Mitglied
Auf der Suche nach Dr.John...

Auf der Suche nach Dr.John...

Rätsel über Rätsel...wer ist Dr. John...wohin
geht diese Reise...

Ich sehe das Ende am Anfang:
Ein Befund über die Zeit;
Und die Reife der selben.
lyri wird auf eine Reise geschickt, nach Amnesia.
Dort herrscht Mnenosyne, die Göttin des Vergessens, und ihr wird gelauscht.
Was hat sie uns zu erzählen, die Zeit, wenn sie nackt ist, ganz ohne Worte.
Die Gedanken wollen nicht ziehen. Sie haben sich nieder gelassen, vielleicht noch nicht
flügge?
Und doch soll hier alles " curare " -"Heilung" - bringen.
Denn " mit der Zeit" sind wir, nie ohne, wir haben sie nicht die Zeit,
wir gehen in ihr auf.
Das macht uns umgänglich, und wir reden wieder mit dem Bootsbauer in unserem Kopf
sind wieder "con-sonare" im ein-gleich-mitklang!
Unser Gehirn, eine Arche ohne Tiere, aber gleichwohl kehren die Gedanken zurück an Bord,
wenn die Bilder, erst einaml, im Kopf in Bewegung geraten.
So setzen wir wieder über " meta-phorein"" hinübersetzen".
Wohin? Vielleicht in das alte Leben?
Was haben wir schon verloren?
Ein paar alte Schuhe und die Zeit.
Was ist das ?
EIn Gebilde aus Erinnerungen.
Ein Netz, so zart,
dass es manchmal reif ist für eine Kur,
oder auch nur für einen Spaziergang, bis man sich wieder findet?

Die Frage bleibt:
Wer ist Dr. John?

Vielleicht Marcel Proust: A la recherche du temps perdu....

lg
ralf
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Ja, Dr. John ist ein wirklich Guter! Wer ihn hören mag: Ende des Monats spielt er in Rudolstadt.

Das Gedicht hält mit: ein wirklich gutes! Gekonntes Spiel mit mythischen Bildern, gefällt mir sehr. Zeigt auch, wie tief bestimmte Grunderzählungen in uns sitzen, wirken, wurzeln - und Äste, Blätter, frische Blüten treiben...
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Robert,

Klingt Französisch (Satzbau)
das war mir bislang nicht aufgefallen, aber jetzt wo Du´s sagst ...
Eine hübsche Nebenwirkung der unterlassenen Satzzeichen, dass die Lesesicht frei bleibt für diverse Nuancen.

Danke und lieben Gruß,

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Ralf,

das Ende am Anfang:
Ein Befund über die Zeit;
Und die Reife der selben.
damit hast Du einen Schlüssel gefunden, der Dir erstaunlich viele Blickwinkel in den Text erlaubt. Ich finde Vieles wieder, das mir "auf der Reise um diesen Text herum", auf der Empfindungsebene begegnet ist.

Wer ist Dr. John?
Der gegebene Hinweis auf den Musiker ist richtig.
Allerdings hat es sich so ergeben, dass ich seinen Namen bereits in einem früheren Gedicht im Sinne eines fiktiven Arztes benutzt habe. Im lyrischen Damals hatte er eine Kur für das Lyrische Ich abgelehnt.
Bei der Suche nach einem Einstieg in den neuen Text kam mir die Idee, daran anzuknüpfen. Das eröffnete eine ganz andere Perspektive auf die Bausteine des Gedichtes.
Deine wiederholte Frage nach der Figur dieses Dr. John, Ralf, zeigt eine gewisse Skepsis, dass es auf die Frage eine kurze, knackige Antwort gebe, wenn ich das nicht missverstehe. Dr. John ist ein konstruierter Ratgeber, ein Quasitherapeut, dessen Hilfe mir im wahren Leben schon einige Male tatsächlich gefehlt hat oder wie von Geisterhand verwehrt wurde. So habe ich mir den Kunstgriff erlaubt, mir diesen hier zu backen, zu stricken, zu basteln. Und er funktioniert!

Ich danke Dir sehr für Deine aufgeräumte Sicht(ung) der Dinge, das Erkennen der Linie der Zeit in den Zwischenräumen der Zeilen. Manche nennen es Narbe, manche Horizont.

Liebe Grüße,

Elke
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Elke,
ich hatte was den Titel angeht schon einiges
fantasiert.
So hatte ich auch " Dr.John" gegoogelt, fand jenen Musiker,
aber mit ihm keinen Zugang zu diesem Stück.
Also schloss ich es - für mich - als Zugang aus.
Dann habe ich ein wenig Permutation mit dem Namen betrieben,
kam aber auch hierüber zu keinem Ergebnis.

also wählte ich für mich frei:
John sei nur der Vorname und "Doo" der Nachname.
Ich glaube in Amerika ist es übliche Praxis, Menschen die man z.B. in eine Krankenhaus bringt, deren Personalien man aber nicht kennt, einfach John,bzw. Joan Doo zu nennen.
Denn alles muß ja einen Namen haben.

Das fand ich gut, und hierüber asozierte ich mich in deine
Bilder.
Der Arzt ohne eigenen Namen hilft dem lyri aus der Falle.
Das gefiel mir...
und so wars.
lg
Ralf
 



 
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