Dschingis Khan in der Kantine

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Arthur erscheint zunächst alles andere als jung. Da sind unverkennbar Altersspuren – oder doch nicht: Stirnglatze, schon lichtes braunes Haar und darin graue Strähnen. Doch die Haut am Hals und im Gesicht wirkt jugendlich glatt. Und sein Auftreten, sein Gehen ist knabenhaft leicht wie das des Gehilfen im Kontrakt des Zeichners von Greenaway: „Trabe nicht, Philipp!“ Oder er gleitet wie auf Kufen dahin, das Tablett mit dem warmen Essen umsichtig auf den Händen tragend, dabei eilig. Es ist eine umsichtige Eile, die Stiefel verlangsamen ihn. Er liebt sie und trägt sie auch im Winter, wenn er ohne Motorrad da ist, dann auch ohne die schwere lederne Motorradhose. Als er einmal einen anderen Gast ausnahmsweise in schwarzer Lederhose erblickt, wirft er ihm überraschte, aufmerksame Blicke voller Bejahung zu (die der andere gar nicht bemerkt): Der andere schien auch dazuzugehören. Wozu? In der Kleidung versagt er sich wie Prousts Baron die Farbe, allenfalls billige Sportpullis oder Leibchen in fahlen Braun- und Grüntönen; sonst nur Schwarz oder Grau. Und von diesem Einerlei hat er Unzähliges. Dafür ist der Tank seines mittelschweren Motorrades leuchtend zinnoberrot, ein sehr warmes Rot.

Und dann der T-förmige Kinnbart mit dem Querbalken unter der puerilen Lippe: Er soll wohl bei ziemlich kleinem Kopf die markanten länglich-eckigen Züge unterstreichen. Es soll fernöstlich wirken, kampfsportlich, hunnenhaft, mongolisch: Dschingis Khan und Tamerlan. Aber wer hat Verlangen nach ihnen, vielleicht er selbst? Wenn er länger anstehen muss, zupft er am Querbalken des T-förmigen Kinnbartes. Eine andere Verlegenheitsgeste, die man in der Kantine an ihm beobachten kann, nicht mit der Hand, sondern mit der Zunge ausgeführt, wenn es nur langsam vorwärts geht: Er drückt dann die Zungenspitze gegen das Innere der Wange – als wäre auf diese Weise irgendein Durchbruch zu erzielen.

Sicher treibt er Sport, nämlich Kraftsport. Dadurch ist aus einem ursprünglich schön gebauten, relativ leichten Körper etwas Disproportioniertes, stellenweise Wuchtiges geworden. Er zeigt kräftige Arme und vor allem einen mächtigen Thorax gewissermaßen vor einer insgesamt immer noch schmalen Silhouette. Wenn er länger anstehen muss, nimmt er eine extreme Standbein-Spielbeinhaltung ein mit in der Lederhose stark herausgedrehter Hüfte. Dann sieht man fast einen Moriskentänzer vor sich – oder eine verdüsterte männliche Ballerine unbestimmten Alters.

Seine Stimme ist männlich-sanft, helldunkel, von ziemlichem Wohlklang; sie kann wohlerzogen bitten, ohne dabei zu schmeicheln. Er trägt einen silberfarbenen Freundschaftsring am Ringfinger rechts. Nennen wir ihn Arthur. Er ist der subalterne Engel, der nie lächelt und dennoch sehr reizvoll ist. Er blickt aus einer Brille mit kleinen, runden Gläsern (Bügel und Fassung silberfarben) und fasst nichts scharf ins Auge – Ausnahme: siehe oben.

Dann sein Versuch, einen Vollbart zu bekommen, ohne die architektonische Wirkung des Kinnbartes zu zerstören. Nach einem Wochenende sah man dichten, weichen Flaum auf den bisher unbebarteten Wangenpartien. Im Sprießen sah sein Gesicht noch knabenhafter aus. Dass ein Bart (der in der Folge kurz gehalten wurde, um das plastische, fast schwarze T herauszumodellieren) seinen Träger derart sanft erscheinen lassen kann! Er beendete den Versuch und stellte wie schon früher sozusagen kalligraphische Experimente mit Längs- und Querbalken des T an, indem er den Strich abwechselnd verstärkte oder verminderte. Manchmal krümmten sich auch die beiden Striche, und es ähnelte dann einem chinesischen Schriftzeichen. Nur welchem? Das für zehntausendfaches Glück war es wohl nicht. Nun schien er einen voller Misstrauen anzusehen, doch brauchte er nur auf seine Art das Kinn der Welt bereitwillig entgegenzurecken, und man war wieder von seiner natürlichen Gutartigkeit überzeugt.
 

rothsten

Mitglied
Hallo Arno,

da ist das Ding, wie ein anderer Kahn, äh Khan, jetzt sagte. :)

Ehrlich gesagt habe ich mir Deine Geschichte ungefähr so vorgestellt: Dschingis Khan stürmt mit einer Gruppe berittener Bogenschützen die Kantine, und weil heute Veggie-Day ist, mäht er die gesamte Küchencrew nieder usw.

Natürlich bin ich empört, dass Du mir solch einen Text immernoch vorenthälst! :D

Dein Text legt Dschingis Khan unter die Lupe, Du zeigst ihn in Großaufnahme. Die Art der Beschreibung ist Dir exzellent gelungen. Du kommst auf Details und originäre Eigenheiten, die Deine Figur klar umreißen, ohne bloß zu beschreiben.

und man war wieder von seiner natürlichen Gutartigkeit überzeugt.
... als plötzlich Mutter Theresa mit einer riesigen Streitaxt durch die Reihen stob und ihm mit einem einzigen Hieb den architektonisch gepflegten Bart vom Kinn rasierte ...

So geht der Text doch bestimmt weiter, oder? Sag bitte ja! :D

lg
 
Danke, rothsten, für deine Anmerkungen voller Erwartungen, denen nicht entsprechen zu können mir sehr unangenehm ist. Tatsächlich ist das hier eine abgeschlossene Porträtstudie. Zwar hat die Figur dann in einem größeren Zusammenhang doch noch Karriere gemacht, aber das steht hier nicht zur Debatte.

Schönen Abendgruß
Arno
 



 
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