Du

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anbas

Mitglied
Du

Ich bin vernarrt in dich.
Ich bin in dich vernarrt, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe.
Ich sah, wie du in jenem kleinen Bistro Tee trankst.
Ich fand, dass du eine unbeschreibliche Ruhe und Anmut ausstrahltest.
Ich wollte dich gleich ansprechen, doch ich traute mich nicht.
Ich folgte dir durch die Stadt, nachdem du das Bistro verlassen hattest.
Ich war gespannt darauf, wo du mich überall hinführen würdest.
Ich ging meistens nur wenige Schritte hinter dir, und du hast es nicht bemerkt:

- vom Bistro durch die Fußgängerzone zum Bahnhof
- vom Bahnhof fuhrst du mit der U-Bahn und stiegst nach zwei Stationen wieder aus
- von der Haltestelle gingst du zu einem Friseur, wo du etwa eine Stunde lang bliebst
- vom Friseur folgte ich dir in den Supermarkt und sah, wie du Tiefkühlkost kauftest
- vom Supermarkt eiltest du dann zu einem Mietshaus, das du ohne Zögern betratst

Ich warte seitdem vor diesem Haus.
Ich vermute, dass du dort wohnst.
Ich schaue mich um und stelle fest, wie heruntergekommen die Gegend hier ist.
Ich finde, dass dies kein schöner Ort ist, an dem du lebst.
Ich male mir aus, wie unsere erste direkte Begegnung verlaufen könnte.
Ich stelle mir aber auch vor, wo du vorhin noch überall hättest hingehen können.
Ich wäre dir so gerne weiter gefolgt, um dich zu beobachten:

- vom Bistro in die Fußgängerzone
- von dort direkt in den nächsten Buchladen

Ich wäre gespannt darauf gewesen, zu erfahren, welche Bücher dich interessieren.

- vom Buchladen in ein Schuhgeschäft

Ich hätte vielleicht deine nackten Füße sehen können.

- vom Schuhgeschäft in die Damenabteilung eine Kaufhauses

Ich hätte zugesehen, wie du dir verschiedene Kleidungsstücke anschaust.
Ich hätte es genossen, dass du einige davon anprobierst.
Ich hätte dich in jedem Kleid, in jeder Hose, in jeder Bluse wunderschön gefunden.
Ich hätte mir vorgestellt, wie es ist, wenn du die Sachen an- und wieder ausziehst.

- von der Damenabteilung zu den Schreibwaren
- von den Schreibwaren zu den CDs und DVDs

Ich möchte wissen, welche Musik du gerne hörst und welche Filme du gerne siehst.

- von den CDs und DVDs in die Abteilung mit der Bettwäsche

Ich hätte mir ausgemalt, in welcher Bettwäsche wir zusammen liegen würden.

- von der Abteilung mit der Bettwäsche wieder hinaus in die Fußgängerzone
- von dort weiter in eine Parfumerie
- von der Parfumerie in einen Blumenladen

Ich hätte dir dort eine Blume geschenkt und dich endlich angesprochen.

Ich finde es schade, dass dies alles nicht geschehen ist.
Ich stehe nun schon seit Stunden vor diesem Haus.
Ich friere, da es kalt ist und regnet.
Ich habe weder eine Regenjacke noch einen Schirm dabei.
Ich spiele mit dem Gedanken, dich zu besuchen.
Ich weiß aber nicht, in welcher Etage du wohnst.
Ich will nicht überall klingeln.

Ich finde, du hättest wirklich noch weiter shoppen gehen sollen.
Ich hätte dann sicherlich die Möglichkeit gehabt, dich anzusprechen.
Ich wäre dir erst gefolgt und hätte dich später angesprochen.
Ich denke, wir wären dann zu dir in deine Wohnung gegangen.
Ich würde mich wohl fühlen und nicht frieren.

Ich stehe aber stattdessen vor diesem beschissenen Haus und warte auf dich.
Ich ärgere mich.

Ich bin mir im Grunde sicher, dass du mich bemerkt hast.
Ich denke, deshalb hättest du mich auch ansprechen müssen.
Ich weiß, dass du mich absichtlich ignoriert hast.

Ich friere deinetwegen.
Ich werde deinetwegen vielleicht noch krank.
Ich schätze, dass dir das egal ist.
Ich bin dir egal.
Ich finde, dass du absolut rücksichtslos bist.
Ich werde mir deine Ignoranz nicht gefallen lassen.
Ich verachte dich.
Ich hasse dich.
Ich denke, jemand wie du hat es nicht verdient, weiter zu leben.
Ich weiß schon, weshalb ich hier auf dich warte.

Du …
 
A

aligaga

Gast
Die wohl recht naturgetreue Schilderung eines verklemmten Lurchs, der hinter seinem Opfer herstalkt. Schade, dass das Mädchen sich so ungesund ernährt - das nimmt einem die Lust, sich vorzustellen, wie der Möchtegern-Werwolf später seine Zähne in das Lämmchen schlägt.

Vielleicht ist die Kleine aber gar nicht so blöd, wie sie uns geschildert wird, sondern hat tatsächlich längst bemerkt, wer ihr da schon den ganzen Tag hinterherschleicht, sieht den Typen draußen vor dem Haus im Regen auf sie warten und telefoniert gerade.

Mädchen sind heutzutage meist ziemlich taff. Spanner wie den da lassen sie wegräumen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Heiterer Gruß

aligaga
 
S

steky

Gast
Visuell ist dieser Text sehr hübsch gestaltet, da gibt es nichts zu meckern. Für meinen Geschmack ist der Text allerdings zu lange, betrachtet man den lapidaren Schreibstil, als dass man ihn unangestrengt zu Ende lesen könnte - mit der Zeit wird’s monoton.

Mit dem Ende habe ich auch ein Problem: Was willst Du mit den Auslassungspunkten sagen? Ich denke, ich kann diese Lücke füllen. Aber warum schreibst Du es nicht einfach aus? Wer A sagt, muss auch B sagen!

Besonders gefällt mir die Entwicklung des Erzählers - erinnert mich an Falco’s Jeanny.

LG
Steky
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Moin Andreas,

mich hat das Ende dieser Geschichte sofort an Watzlawick, vor allem die Geschichte mit dem Hammer, erinnert. Natürlich ist das Mädchen selbst schuld, wenn es den tollen Verehrer nicht beachtet, und macht sich dadurch unglücklich …

Ein wenig zu lang ist die Geschichte geraten, da schließe ich mich steky an. Ich hätte vielleicht auch nicht jeden Satz mit „Ich“ begonnen, das wirkt wirklich zu monoton und ermüdet beim Lesen. Zudem zerreißen die vielen Absätze den Text ziemlich. Ich meine, die vom Konzept her gute Geschichte könnte durch einen Fließtext noch gewinnen.

Gruß Ciconia
 
S

steky

Gast
Einen Fließtext würde ich nicht daraus machen, das zerstörte das Visuelle. Eine Straffung tut allerdings not, finde ich.

LG
Steky
 

anbas

Mitglied
Hallo in die Runde,

danke für Eure Rückmeldungen!



@ aligaga

Den Aspekt mit der ungesunden Ernährung, und was dies beim Leser auslösen kann, habe ich nicht bedacht ;). Danke für Deine Gedanken!



@ steky

Hinsichtlich der Kürzung muss ich nachdenken. Beim Schreiben und Konzipieren dieses Textes hatte ich viele Gedanken, die irgendwo ihren Platz zwischen den Zeilen gefunden haben. Meine Befürchtung ist, dass hier Dinge wegfallen könnten, die mir wichtig sind. Ein Aspekt ist sicherlich auch, dass ich die Veränderung des Prots nicht zu plötzlich stattfinden lassen möchte. Es soll Platz für seine Wünsche und Phantasien sein, die natürlich enttäuscht werden müssen.

Hinter den Auslassepunkte steckt eine kleine Lawine an (Hinter-)Gedanken. Die möchte ... nein "muss" ich so stehen lassen. Allerdings will ich an dieser Stelle auch nichts "vorkauen", was der Leser denken soll.

Vielen Dank auch für die 8!



@ Ciconia

Zum Thema "Kürzen" habe ich in meiner Antwort an steky schon viel gesagt. Vielleicht hier noch das: Grundsätzlich bin ich offen für Kürzungen (vielleicht nicht immer so radikal, wie es mir manchmal vorgeschlagen wird ;) ). Hier tue ich mich im Moment schwer, würde mir aber entsprechende Vorschläge schon genauer ansehen. Mit etwas Abstand, finde ich vielleicht auch selber die Stellen, an denen ein kleiner Schnitt sinnvoll wäre.

Einen Fließtext möchte ich aus diesem Text auf keinen Fall machen. Auch, was den immer gleiche Satzanfang betrifft, so ist das schon sehr genau überlegt. Das "Ich" steht ganz bewusst als Gegenpol zu dem "Du" aus der Überschrift am Satzanfang.


Also, ich werde mir hinsichtlich der Kürzungen Gedanken machen, bin für Anregungen offen und danke Euch noch einmal für die Auseinandersetzung mit dem Text!


Liebe Grüße

Andreas
 

HerbertH

Mitglied
Für mich war hier nichts zu lang. Bitte so lassen wie es ist. Erst durch die scheinbaren Wiederholungen tappt der Leser am Ende in die Falle wie der Prot.
 
A

aligaga

Gast
Ich seh hier keine "Falle", in die ein Protagonist "tappt", sondern von Anfang an einen Täter - einen Psychopathen, der hinter einem unschuldigen Opfer her ist. Deshalb ist mir auch die völlig unerotische "Tiefkühlkost" so aufgefallen. Ich würde das Mädchen Frischgemüse oder Obst kaufen lassen, statt Gammelfleischlasagne und Presshuhnbrocken. Das Auge isst mit ...

Gruß

aligaga
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo anbas,

diese Variation des Uralt-Themas Mann-Frau kommt in meinen Augen einfach langweilig daher. Mann stalkt Frau und es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Happyend oder das Ganze kippt. Hier kippt es.

Einzig die Anordnung von Ich-Anfängen und den Du-Sätzen ist interessant.

Und natürlich geht die Angebetete auch in einen Schuhladen. Ein bisschen mehr Pfeffer wäre angebracht. Vielleicht schaut sie mal in einem Beerdigungsinstitut vorbei, das günstige Angebote macht. Oder bei Dr. Müller. Oder ...

LG Doc
 

Ji Rina

Mitglied
Zu lang fand ich den Text nicht. Auf mich wirkte er, um so mehr er ins Detail ging, recht lustig (von der Damenabteilung zu den Schreibwaren, von den Schreibwaren zu den CDs und DVDs),…alles so rasant schnell, dass ich schon wieder am Ende war.
Das Ende war eine Bremse: Zwar erfährt man, dass “sie” es nicht verdient hat, weiterzuleben (oha, ein Mörder...wirkt stark) Aber der Satz danach, so ausgedrückt: Ich weiss, schon weshalb ich hier auf dich warte – wirkte dann im Gegensatz ein bisschen fad . Geschmunzelt hab ich allemal. Lieben Gruss, Ji
 

anbas

Mitglied
Hallo,

bin mal wieder in meiner Antwort leicht verzögert - aber besser spät, als gar nicht ;):



@ Herbert

Ich tendiere auch dazu, den Text nicht zu kürzen - behalte mir die Option aber weiterhin offen. Danke für Deine Wertung!


@ steky

Freut mich - lass sie funken:D!


@ aligaga

Zu Deinem Vorschlag hinsichtlich des Tiefkühlfleisches habe ich meine Gedanken längere Zeit kreisen lassen (müssen). Ich kann Deiner Idee durchaus etwas abgewinnen. Letztendlich werde ich den Teil aber doch nicht ändern.
Der Grund ist folgender: In der Realität ist die Situation nicht so toll, wie es sich der Prot. im Laufe seiner Wartezeit zurechtphantasiert. Da passt die triste Wohngegend und die Tiefkühlkost gut zusammen. Das zarte Gemüse hätte gepasst, wenn der Supermarkt mit dem Einkauf in den weiteren Gedankenspielen des Prots stattgefunden hätte. Daher ist es für mich so stimmig, wie es jetzt dort steht.
Aber, wie ich schon schrieb, ich kann Deine Sichtweise durchaus nachvollziehen.


@ Ji Rina

Schön, dass Dir der Text gefallen hat. Was Deine Anmerkung zu den beiden letzten Sätzen betrifft, so überlege ich, ob es schon ausreicht, sie zu tauschen - wobei dann der dann letzte Satz etwas knackiger daherkommen muss. Was denkst Du?



Euch allen danke ich sehr für die Auseinandersetzung mit diesem Text und Eure Rückmeldungen!


Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo Doc,

die Langeweile kann ich nur teilweise nachvollziehen. An einigen Reaktionen ist ja auch zu sehen, dass es nicht allen so geht.

Bei manchen "Großen Themen" wie eben "Mann-Frau", "Liebe", "Tod" undwasesdasonstnochsoallesgibt ;) sind oft nur wenige Möglichkeiten vorhanden, wie das Ganze enden kann. Trotzdem, werde ich mir mal Gedanken machen, ob es noch ein paar andere, "interessantere" Stationen gibt (Sauna? :D).

Doch Achtung: Es geht bei den meisten Stationen um die Phantasie des Prots. Denkst Du, er würde in seinen Gedanken die Frau zu einem Arzt oder Beerdigungsinstitut laufen lassen? Ihm geht es um Stationen, bei denen er sie beobachten kann, und die für IHN interessant sind. Da passt der Schuhladen und die nackten Füsse besser zusammen ... oder wirklich die Sauna ... :D

Insgesamt ist es tatsächlich ein etwas monotoner Aufbau. Würde es im Prosa-Bereich auch die Sparte "Experimentelle Prosa" geben (wie bei den Lyrikern), hätte ich es vielleicht auch dort reingestellt.

Wie auch immer - ich danke Dir für Deine Rückmeldung! Mir war klar, dass dieser Text nicht so einfach "durchgewunken" werden würde.


Liebe Grüße

Andreas
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Andreas,

Die beiden letzten Zeilen zu vertauschen, daran hatte ich auch gedacht, nachdem ich den Text gelesen hatte. Abgesehen davon: Gefällt Dir die Zeile:
"Hat es nicht verdient weiter zu leben?"
Ich finde den Text einfach schizophren lustig (ernst nehmen kann ich ihn nicht). Aber diese eine Zeile "wirkt sehr ernst". Vielleicht möchtest Du die beiden letzten Zeilen tauschen, und als letzte, etwas lustigeres, hinschreiben: Ich werd Dir den Hals umdrehen...(oder so ähnlich). Ich hab den ganzen Text nochmal durchgelesen - und konnte (für mein Geschmack) nichts weiteres finden, was unpassend wär. Wir sind keine Hemingways...Aber wir versuchen es...
Viel Spass!
Ji
 
K

Karn Hardt

Gast
Ich finde Ji Rinas Idee ausgesprochen gut, hierdurch käme es "noch" szenischer rüber.

Insgesamt eiskalt niedergeschrieben, obwohl ich zwischendurch "über"-lesen habe, um auf den Punkt zu kommen. Verdichtung käme dem Plot vielleicht gut, aber das ist Lesersache. Die Kernaussage passt, der Plot arbeitet stringent darauf zu, mehr kann ich nicht verlangen:
Fazit: ein geiler Text - aufgebaut auf einem glaubwürdigem Spin, den ich "so" noch nie gelesen habe. Herzlichen Glückwunsch hierfür!!!

LG, Karn
 
A

aligaga

Gast
Fazit: ein geiler Text - aufgebaut auf einem glaubwürdigem Spin, den ich "so" noch nie gelesen habe. Herzlichen Glückwunsch hierfür!!!
O je, @Karn - was liest du denn so den lieben langen Tag? Die "Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt"-Nummer, wo ein Lurch hinter unschuldigen Mädchen herschleicht, um ihnen bei Gelegenheit den Fangschuss zu geben, ist doch eine der abgenudeltsten überhaupt!

Sie ist mit den verschiedensten Sch(l)üssen zu haben, manche sind sogar recht fantasievoll. Von Poe gibt's ein paar, von Bram Stoker ("Dracula"), von Thomas Harris ("Das Schweigen der Lämmer") etc. etc. Mich hat früher mal Thomas Manns "Tobias Mindernickel" beeindruckt. Da geht's zwar nicht um ein Mädchen, das erst geliebt und dann geschlachtet wird, sondern um ein Hunderl namens Esau, aber du solltest dir die Kurzgeschichte dennoch mal reinziehen, um zu erkennen, wie solche Genreliteratur muss. Glaub mir, es lohnte sich!

Gruß

aligaga
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Andreas,

verstehe Deine Absicht, mich haben nur die Klischee geärgert, dass die Frau zum Friseur, zum Supermarkt und auch in einen Schuhladen geht. Irgendwie öde.

Eine Mordabsicht habe ich übrigens gar nicht herausgelesen, sondern es anders interpretiert: Am liebsten sähe er sie tot, aber real natürlich nicht. So ähnlich wie "Morgen bringe ich sie um" - aber erst morgen. :)

Amüsant finde ich den Text auch nicht. Aber es ist gut, wenn er so unterschiedliche Meinungen auslöst!

LG Doc
 

AnjaW

Mitglied
Ich finde die Klischees in diesem Fall gut, da Menschen, die stalken oder verfolgen lediglich zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß unterscheiden, hierzu passen auch die Klischees, die sich solche Menschen ausdenken und für wahr halten.

Viele Grüße
Anja
 

anbas

Mitglied
Hallo Doc,

Aber es ist gut, wenn er so unterschiedliche Meinungen auslöst!
Genau so isses ;)




Hallo Anja,

danke für Deine Rückmeldung! Meine Überlegungen gingen beim Schreiben in die Richtung, die Du aufzeigst.




Liebe Grüße an Euch beide

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo in die Runde,

herzlichen Dank an Euch alle für die z.T. sehr guten aber auch die "zurückhaltenden" Wertungen!

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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