Du bist es wert (lang)

Rei

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Es nieselte ein wenig, als Jasmin Saalfeld mit ihrem Sportwagen am Restaurant vorfuhr. Sie nahm den Gang heraus und zog die Handbremse an, während ein netter junger Mann in Pagen-Uniform die Fahrertür öffnete. Er spannte gekonnt einen Schirm über sie, während sie ausstieg. Ein zweiter Mann in der gleichen Uniform glitt auf den Fahrersitz, schlug die Tür zu und parkte den Wagen für Jasmin. Sie fröstelte etwas in der kühlen Abendluft, die durch ihren dünnen Hosenanzug drang, lächelte den Mann mit dem Regenschirm aber tapfer an. Er lächelte freundlich zurück. Ein weiterer Wagen fuhr vor, als der Page, der ihren Wagen geparkt hatte, Jasmin ihre Wagenschlüssel überreichte. Sie erkannte den Mercedes ihres Vaters und beschloss, auf ihn zu warten.
Sie waren zum Essen verabredet, um den Geburtstag ihrer Mutter Ruth zu feiern. Jasmin hielt nichts von derlei Angewohnheiten ihrer Eltern, schick essen zu gehen. Ihr wäre es lieber gewesen, sie hätten daheim Pizza bestellt, wie früher… Aber Jasmin war nicht mehr elf Jahre alt, sondern erwachsen. Und so musste sie sich auch wie eine Erwachsene verhalten.
Der Mercedes fuhr vor, bemüht, die Pfütze nicht zu durchfahren, die sich langsam am Haltepunkt bildete. Jasmins Eltern stiegen aus und drängten sich mit unter den Schirm, so dass der Page nun im Regen stand, den Schirm aber tapfer nach oben hielt. Sie begrüßten sich mit Küsschen auf die Wange, dann wandten sie sich zum Eingang, so dass der Page in Not geriet, die Gruppe unter dem Schirm zu behalten. Aber bald hatten sie den Baldachin des Restaurants erreicht, und der Page faltete mit einem kaum hörbaren Seufzen den Schirm zusammen. Sie betraten den einladend warmen Vorraum des Restaurants.
„Herrje, ist das kalt heute“, seufzte Jasmins Mutter. Sie trug auch nicht mehr als einen dünnen Hosenanzug, etwas konservativer geschnitten und gemäßigter in der Farbe als der von Jasmin.
Jasmin schlang einen Arm um ihre Mutter, um sie zu wärmen. „Nicht gerade das beste Wetter für deinen Geburtstag“, bemerkte Jasmin.
Ruth Saalfeld sah ihre Tochter von der Seite an du lächelte. „Ich weiß, du würdest lieber daheim Pizza essen.“
Jasmin sah ihre Mutter an und nickte. Sie lächelte verstohlen.
Dass man ihr das so deutlich ansah, hätte sie nicht gedacht.
Jasmins Vater sprach kurz mit der Empfangsdame, die sie daraufhin in den geschmackvoll eingerichteten Speisesaal führte. Von der Decke hingen Kronleuchter, die im sanften Licht der Kerzen und der matten Beleuchtung an den Wänden des Speisesaals golden schimmerten. Der Boden bestand aus einem weichen Teppich aus feinem Material, der jeden Schritt schluckte. Die Möblierung wirkte antik. Dunkles, glänzendes Holz, das in schwere Tische und Stühle verarbeitet worden war, lud zum Verweilen ein. Eine großzügige Bar drängte sich in den hinteren Teil des Restaurants, dessen Theke blitzte und blinkte und zwei gutgelaunte Barkeeper beschäftigte, von denen einer gerade einen Drink mixte, während der andere ein Glas auf Hochglanz polierte. Im Hintergrund hörte man leise, klassische Musik, die sich mit dem Gemurmel der Gäste mischte und im ersten Moment fast einschläfernd wirkte. Das Restaurant war nicht voll besetzt, aber es war noch recht früh am Abend. Das Restaurant war zurzeit angesagt in bestimmten Kreisen und würde sich im Laufe des Abends sicherlich noch füllen.
Jasmin folgte ihrem Vater und ihrer Mutter an einem Tisch, der für vier Personen eingedeckt war, stehen blieben. Die Gläser waren auf Hochglanz poliert, die Bestecke für die verschiedenen Gänge lag in Reih und Glied, glänzte im matten Licht, und die Serviette war kunstvoll gefaltet auf einem kleinen Teller drapiert.
Jasmins Vater rückte den Stuhl für seine Frau zurecht. Jasmin setzte sich, während ein aufmerksamer Kellner ihren Stuhl zurechtrückte.
Plötzlich sah sie auf. Sie fühlte sich beobachtet und versuchte, herauszufinden, woher das Gefühl kam. Drei Tische weiter entdeckte sie einen jungen Mann, der sie anschaute. Etwas verwirrt senkte sie den Blick und bestellte beim Ober einen Weißwein und ein Glas Mineralwasser.
Und dann sah sie wieder hin.
Er sah immer noch zu ihr hinüber.
Sie empfand es als unverschämt, was er da tat, aber sie fühlte sich gleichzeitig geschmeichelt und bemerkte, wie ihr Röte ins Gesicht schoss.
„Ist dir nicht gut, Kind?“ fragte ihre Mutter besorgt und legte Jasmin eine Hand auf den Arm, mit der sie sie sanft streichelte.
„Nein, mir geht es gut“, antwortete Jasmin, und senkte ihren Blick. Obwohl sie sich kaum losreißen konnte, lächelte sie ihre Mutter an. Aber der junge Mann spukte in ihrem Kopf herum. Er war charismatisch und zog ihren Blick magisch an. Doch kaum sah sie hin, wurde sie noch röter als zuvor.
„Ich bin gleich wieder da.“ Sie strich die Hand ihrer Mutter beiseite, nahm ihre Handtasche und verschwand in Richtung Toiletten.
Ihre Eltern sahen ihr besorgt nach.
„Vielleicht arbeitet sie zu viel“, bemerkte ihre Mutter.
„Sie ist Junior-Chefin. Wenn sie die Firma einmal übernehmen will, muss sie sich an die Arbeit gewöhnen.“ Jasmins Vater sah zwar besorgt aus, aber seiner Stimme war nichts anzumerken, als er seiner Tochter hinterher schaute.
„Du bist immer nur der Geschäftsmann“, beschwerte sich Jasmins Mutter. „Es geht hier um deine Tochter, nicht um irgendwelche Immobilien!“ „Das weiß ich doch, Ruth.“ Er griff nach der Hand seiner Frau. „Vielleicht solltest du einmal nach ihr schauen?“
Ruth nickte und verließ den Tisch, um ihrer Tochter zu folgen. Peter Saalfeld stellte sich darauf ein, eine Weile ohne ihre Gesellschaft auszukommen, als er schon kurz darauf das leise Lachen seiner Frau erkannte. In ihrer Begleitung war eine Dame, die Jasmins Vater sofort bekannt vorkam. Er überlegte trotzdem angestrengt und dann erkannte er die Dame mit den leicht ergrauten Haaren, die sie in einer Hochsteckfrisur trug: Es war Frau Blohm, die Frau eines Konkurrenten.
„Peter, sieh nur, wen wir getroffen haben“, lachte Jasmins Mutter.
Jasmin, immer noch leicht errötet, setzte sich wieder auf ihren Platz.
„Das ist ja ein Zufall“, lachte nun auch Frau Blohm. „Ich habe Ihre Frau erst gar nicht erkannt, weil ich ja nicht damit rechnen konnte, dass Sie heute hier sind.“ Sie machte eine kleine Pause. Trotz aller Rivalität war der Umgangston immer freundlich. „Da wird sich mein Mann aber freuen, wenn ich ihm erzähle, dass Sie hier sind…“
„Nicht heute, Frau Blohm“, unterbrach Jasmins Vater und lächelte charmant. Alle Anwesenden wussten, dass die beiden zwar Konkurrenten, aber im weitesten Sinne auch befreundet waren. „Meine Frau hat heute Geburtstag, da wollen wir die Geschäfte ruhen lassen. Ich habe es ihr versprochen.“
„Oh, da gratuliere ich Ihnen aber herzlichst, meine Liebe.“ Frau Blohm hauchte Ruth ein Küsschen auf die Wange. „Feiern Sie noch schön… Herr Saalfeld?“ Sie hielt Jasmins Vater ihren Arm hin, um ihm zu signalisieren, dass er sie an ihren Tisch geleiten sollte. Souverän ergriff Jasmins Vater den dargebotenen Arm und führte Frau Blohm drei Tische weiter, wo der junge Mann immer noch in Jasmins Richtung starrte.
„Das ist doch…!“
Jasmin und Ruth sahen erschrocken auf.
Warum war Peter plötzlich so laut geworden?
Selbst der junge Mann am Tisch vergaß Jasmin für einen Moment und sah betroffen von Peter zu jemandem, der noch mit am Tisch saß, den Jasmin aber nicht sehen konnte.
„Oh, Herr Saalfeld…“ kam eine erschrockene Antwort. Die Antwort war etwas leiser als Peter Saalfelds Ausruf, aber voller Schreck. „Was machen Sie denn…“
„Das Gleiche könnte ich Sie fragen!“
Ruth und Jasmin war die Situation peinlich. Sie sahen sich kurz an und beschlossen dann stillschweigend, zu dem Tisch hinüberzugehen, um Peter zur Räson zu bringen.
Er blamierte sie ja!
Dort angekommen, entdeckten sie neben dem jungen Mann, Herrn Blohm, der mit hochrotem Kopf neben einem anderen Herrn saß, den Jasmin ebenfalls kannte: Herr Wallschlag, der größte und lukrativste Kunde ihres Vaters.
„Und ausgerechnet mit diesem… Herrn! Ich dachte wir hätten einen Vertrag, in dem mir die Exklusivrechte an Ihren Immobilien zukommen“, wetterte Peter Saalfeld Herrn Wallschlag entgegen.
Jasmin legte ihm eine Hand auf den Arm, doch ihr Vater war zu erzürnt, so dass er ihre Hand grob abschüttelte.
„Ich werde Sie verklagen, Blohm, Sie und Ihre Firma! Das können Sie mir glauben! Mir einfach meine Kunden wegnehmen! Was glauben Sie, wer Sie sind?“
Während Peter Saalfeld weiter schimpfte und drohte, und das Streitgespräch immer lauter und lauter wurde, kam es Jasmin so vor, als ob es um sie herum immer leiser und leiser wurde. Sie verdrängte die lauten Stimmen, ignorierte die neugierigen, fragenden und empörten Blicke der anderen Gäste, und schien nur für eins zu leben: Dem Blick des jungen Mannes.
Sie schaute den jungen Mann an, der sie so faszinierte. Seine blauen Augen schienen so unergründlich und so wunderschön. Seine Haare waren kurz geschnitten und mit etwas Gel in Form gebracht.
Er erwiderte ihren Blick mit unverhohlenem Interesse und einer Wertschätzung, die ihr die Röte in Gesicht steigen ließ. Sie kannte ihn nicht, aber er wies eine gewisse Ähnlichkeit mit Frau Blohm auf, so dass Jasmin annahm, es wäre ihr Sohn. Mark Blohm, wenn sie sich recht an den Namen erinnerte.
„Ich werde Sie verklagen, Saalfeld, wegen Beleidigung!“ Herr Blohm war nun nicht mehr vor Scham rot, sondern vor Wut. Seine Stimme holte Jasmin ins Hier und Jetzt zurück
„Wir sind geschiedene Leute, Wallschlag!“ rief nun Jasmins Vater. Er konnte kaum atmen, so wütend war er. „Und glauben Sie ja nicht, dass die geplante Zusammenlegung unserer Firmen stattfinden wird. Sie hören von meinem Anwalt, Blohm! Sämtliche bisherigen Verhandlungen sind hiermit beendet. Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?“ Wutschnaubend drehte sich Peter Saalfeld um, schnappte Jasmin und Ruth jeweils am Arm und zog die beiden aus dem Speisesaal. Jasmin warf noch einen kurzen Blick zurück auf Mark Blohm, und ihr Herz tat einen Stich.
„Peter, du wirst ihn doch nicht wirklich verklagen?“ Ruths Stimme war zittrig, als sie durch den Empfangsbereich stürmten.
„Unsere Autos, bitte“, rief er den beiden Pagen barsch zu.
Jasmin kramte mit fahrigen Fingern nach ihren Schlüsseln und gab sie dem wartenden Pagen, während ihr Vater seinen Schlüssel einfach dem anderen zuwarf.
„Oh doch, das werde ich. Ich rufe Dr. Schunk gleich an. Er soll ein Schreiben aufsetzen. Sofort, am Besten hat er schon eins vorbereitet. Am Liebsten würde ich diesen Schurken jetzt sofort vor Gericht bringen.“ Er ballte theatralisch die Faust. „Das lasse ich mir nicht gefallen. Erst die große Zusammenarbeit planen und dann heimlich meine Kunden abgraben. Und wenn er sie dann alle bei sich hat, dann lässt er den Vertrag platzen! So nicht, Ruth, nicht mit mir!“
Jasmins Wagen wurde vorgefahren.
„Es tut mir leid, Mama“, sagte sie und drückte ihre Mutter kurz. „Papa, wir sehen uns morgen in der Firma? Und bitte, ärgere dich nicht so. Vielleicht war es gar kein geschäftliches Tre…“
„Ich verklag ihn, darauf kannst du dich verlassen.“ Jetzt war auch sein Wagen vorgefahren. „Wir sehen uns morgen, Jasmin.“
Damit stiegen er und seine Mutter in den Wagen und fuhren mit durchdrehenden Reifen weg.
Jasmin sah zu Boden und seufzte. Sie mochte es nicht, wenn ihr Vater derart wütend wurde. Sogar, wenn sich seine Wut gar nicht gegen sie richtete, fühlte sie sich angesprochen und verletzt.
Ihre Gedanken schweiften ab.
Eine enge Zusammenarbeit mit Blohm? Das wäre es doch gewesen… Jasmin stieg in Gedanken versunken in ihren Sportwagen und verließ den Vorplatz des Restaurants in gemäßigterem Tempo.

**

Jasmin hatte schlecht geschlafen. Die ganze Nacht hatte sie sich herumgewälzt und immer, wenn sie die Augen geschlossen hatte, hatte sie seine Augen gesehen, sein Gesicht. Es hatte ihr fast die Tränen in die Augen getrieben, als sie an die Worte ihres Vaters dachte, die eine Zusammenarbeit mit Blohms in Zukunft ausschlossen. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Vater sich mit Blohm zusammentun wollte, dass er die Firma vergrößern wollte. Wäre dieser Zwischenfall nicht gewesen … Sie fragte sich, wann ihr Vater gedacht hatte, ihr die Veränderungen mitzuteilen. Sie war Junior-Chefin! Hatte sie da nicht eine frühere Information verdient?
Hatte er nicht einmal gesagt, ein Zusammentun mit einem anderen Makler würde nicht in Frage kommen?
Wieso dieser plötzliche Sinneswandel?
Wieder hatte sie die Lider geschlossen, und da waren sie wieder: blaue Augen, unergründlich, die sie so voller Wertschätzung ansahen.
Und über all ihren wirren Gedanken hatte sie ihren Vater mit seinem Anwalt telefonieren hören. Ihre Einlieferwohnung lag direkt neben dem Haus ihrer Eltern, grenzte an die Küche, wo ihr Vater die halbe Nacht telefoniert hatte, was sie zusätzlich wach gehalten hatte.
„Guten Morgen, mein Kind“, begrüßte Peter Saalfeld seine Tochter gutgelaunt, als sie im Büro ankam. Sie ging an seiner offenen Bürotür vorbei, um in ihr Büro zu gelangen. Er hatte zwar auch wenig geschlafen, aber dafür wohl umso besser als Jasmin. „Es ist alles vorbereitet. Dr. Schunk hat heute Nacht tatsächlich noch die Papiere fertig gemacht.“
Jasmin war schon an der Tür vorbei, aber ihr Vater stand nun im Türrahmen und erzählte ihr, was sie nicht hören wollte.
„Ich hoffe, es macht dich glücklich“, murmelte sie.
„Oh, da hat aber jemand schlecht geschlafen“, lachte ihr Vater und strich ihr kurz mit der Hand über den Arm. „Meine Sekretärin soll dir einen Kaffee bringen. Der bringt dich wieder ins Gleichgewicht. Ja, und Dr. Schunk kommt nachher vorbei. Ich möchte, dass du bei diesem Termin dabei bist.“
Jasmin nickte und beeilte sich dann in ihr Büro.
Sie hörte noch, wie ihr Vater seine Sekretärin um einen Kaffee für seine Tochter bat, dann hatte sie auch schon die dunkle Holztür hinter sich geschlossen und stand schwer atmend in ihrem Büro. Die schweren Holzmöbel waren eine Idee ihrer Mutter gewesen, ebenso die ausgesuchten Gemälde, die sich an der Wand befanden. Die antiken Holzschränke an der linken Wand reichten bis zur Decke und waren voll von Ordnern und Unterlagen. Alles in allem wirkte das Zimmer – trotz der großzügigen Fensterfront an der rechten Seite - dunkel und missmutig, genauso, wie Jasmin sich fühlte. Es hatte ihr nie so recht gefallen, das Dunkle, Gediegene, aber noch nie war sie so ungern hier gewesen wie heute.
Es klopfte leise und die Türklinke bewegte sich in Jasmins Rücken. Sie sprang einen Schritt vor und schon lugte Peters Sekretärin herein. „Ihr Kaffee, Frau Saalfeld. Ich habe ihn extra stark gemacht. Ihr Vater sagte, sie könnten das vertragen.“ Sie lächelte warmherzig.
„Danke“, antwortete Jasmin matt und machte der Sekretärin Platz damit sie das kleine Tablett mit dem Kaffee auf ihrem Schreibtisch abstellen konnte.
„Wenn Sie noch etwas brauchen, dann rufen Sie mich“, sagte die Sekretärin und lächelte wieder.
Jasmin wusste die freundliche Art der Frau zu schätzen, die ihrem Vater nun schon so lange die Treue hielt, trotzdem wünschte sie sich nichts sehnlicher, dass sie sie in Ruhe ließ.
Jasmin nickte nur und war froh, als die Tür wieder ins Schloss fiel. Seufzend umrundete sie ihren Schreibtisch und ließ sich in den dunklen Ledersessel fallen. Ihr Blick fiel auf ihr Telefon.
Ein entgangener Anruf blinkte sie an.
Lustlos hob sie ab und drückte auf Rückruf, aber es kam kein Freizeichen, das monotone Tuten in ihrem Hörer blieb gleich. Sie sah auf das Display und war im ersten Moment nur verwundert, weil dort „Keine Berechtigung“ blinkte. Jasmin zog die Stirn kraus und legte auf, um es erneut zu versuchen.
„Keine Berechtigung“
Sie legte wieder auf und wählte die Kurzwahl der Sekretärin.
„Frau Saalfeld?“
„Gibt es Probleme mit der Telefonanlage? Ich habe hier einen Anruf auf meinem Display und wenn ich zurückrufen will, meldet das Display „Keine Berechtigung“.“
„Oh ja, da waren heute Morgen ein paar Techniker da, die an der Anlage etwas gemacht haben, auf Anweisung Ihres Vaters. Aber ich hatte heute auch schon einige Anrufe und mein Telefon funktioniert.“
„Schön für Sie“, murmelte Jasmin.
„Soll ich Ihnen einen Techniker rufen, der sich das mal ansieht?“ bot die Sekretärin an.
„Ja, machen Sie das. Ich bin nachher mit meinem Vater in einer Besprechung, dann soll der Techniker kommen… Und bis dahin möchte ich nicht gestört werden.“
„Gerne.“ Die Sekretärin legte auf.
Eine nette Frau, dachte Jasmin unwillkürlich, aber der Gedanke verflog rasch wieder. Sie stand wieder auf und trat an die Fensterfront. Das Büro ihres Vaters lag hoch über der Stadt und sie hatte einen phantastischen Ausblick auf die Altstadt. Der Nieselregen, der sich über Nacht festgesetzt hatte, war zu einem Bindfadenregen geworden und passte so richtig zu Jasmins trauriger Stimmung. Sie lehnte sich an die Fensterfront, schlang die Arme um sich und dachte an Mark. Mit der Wärme, die sie plötzlich überflutete, wurde ihr klar, dass sie sich verliebt hatte. Sie schüttelte fast erschrocken den Kopf.
Sie kannte ihn nicht einmal!
Sie hatten nicht einmal miteinander gesprochen. Sie hatten sich nur angesehen, und ihre Väter würden sich in Kürze im Gerichtssaal wieder treffen… Wahrlich keine guten Voraussetzungen.
Es klopfte und ihr Vater steckte den Kopf zur Tür herein. „Jasmin, Dr. Schunk ist da.“
Jasmin nickte seufzend und folgte ihrem Vater in dessen Büro, wo der Rechtsanwalt schon mit einem Wust Papiere auf sie wartete.

**

„Mit der Anlage ist alles in Ordnung“, sagte der Techniker gerade zur Sekretärin, als die Besprechung vorüber war, und Jasmin aus dem Zimmer ihres Vaters trat.
„Aber Frau Saalfeld sagte, dass sie eine Nummer anrufen wollte und das ging nicht“, widersprach die Sekretärin.
„Es ist alles in Ordnung, basta.“ Der Techniker wurde ungehalten. „Hören Sie, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Meine Leute haben heute Morgen die Arbeit gemacht, die Herr Saalfeld uns genannt hat, und mehr wurde nicht. Die Anlage funktioniert einwandfrei. Hier bitte unterschreiben, dann bin ich auch schon weg.“
Die Sekretärin unterschrieb widerwillig und entließ den Techniker mit einem knappen Gruß aus seinem Dienst. Sie sprang sofort auf, als sie Jasmin entdeckte.
„Frau Saalfeld…“
Jasmin blieb stehen.
„Die Anlage funktioniert. Es wurden, nun ja, einige Telefonnummern gesperrt, die nun von hier aus nicht mehr erreichbar sind und umgekehrt wurden unsere Apparate für eingehende Anrufe einer bestimmten Nummer gesperrt. Vielleicht hatten Sie eine solche Nummer auf Ihrem Display?“
„Hmm, ich kannte die Nummer nicht…“ murmelte Jasmin und dann sagte sie etwas lauter: „Danke, dass Sie nachgefragt haben.“
Und schon war sie wieder in ihrem Büro verschwunden. Dankbar schloss sie die Tür und lehnte sich an den Rahmen.
Ihr Vater hatte Nummern sperren lassen?
Wieso das denn?
Sie schüttelte den Kopf und legte die Stirn in Falten.
Und die Nummer, die sie zurückrufen wollte…
Sie ging an ihr Telefon und sah sich die Nummer noch mal an…
Nein, die kannte sie nicht.
Sie notierte sie schnell auf einem Zettel und wählte eine Nummer. Während es klingelte, ließ sie sich in ihren Sessel fallen.
„Auskunft, mein Name ist Anna Kramer, was kann ich für Sie tun?“
„Saalfeld, guten Tag. Ich habe hier eine Nummer, zu der ich gerne den Namen wissen wollte.“
„Ja, gerne.“
Jasmin nannte die Nummer.
„Einen Moment… Frau Saalfeld? Der Anschluss gehört einem Herrn Blohm, Mark Blohm. Brauchen Sie auch die Adresse?“
„N…nein, danke. Vielen Dank.“
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“
„Ja, ebenso.“
Jasmin legte auf. Erschrocken und leichenblass, aber mit klopfendem Herzen saß sie nun in ihrem Sessel, die aufgekritzelte Nummer in der schweißnassen Hand.
Mark hatte sie anrufen wollen…
Sie schüttelte den Kopf.
Und ihr Vater hatte die Nummer sperren lassen…
Warum…?
Jasmin sprang auf und griff wieder zum Hörer. Die Sekretärin war sofort am anderen Ende der Leitung. „Die Nummer von Herrn Blohm. Schnell. Alles, was Sie haben: Handy, Festnetz geschäftlich, privat, Pieper, alles.“ Sie legte wieder auf.
Keine Minute später kam die Sekretärin. Ohne Unterlagen. „Es ist nichts mehr da“, sagte sie fast weinerlich. „Die Daten in meinem Computer sind gelöscht und die Visitenkarten von Herrn Blohm sind ebenfalls verschwunden.“
Jasmin knüllte wütend den kleinen Zettel zusammen und runzelte die Stirn. „Danke“, sagte sie und schickte die Sekretärin mit einer knappen Geste weg. Sie warf den zerknüllten Zettel mit der notierten Nummer in den Mülleimer.
Papa, dachte sie und rannte zu seinem Büro. Sie platzte ohne Anklopfen hinein.
„Ich brauche die Nummer von Herrn Blohm.“
Peter Saalfeld sah von einem Schriftstück auf. Das Schreiben, dass sein Anwalt für Herrn Blohm verfasst hatte. „Wozu? Wir haben einen Rechtsstreit mit diesen Leuten.“ Er wedelte mit dem Schreiben in seiner Hand.
„Ich brauche die Nummer… Ich muss…“
„Nein, habe ich gesagt. Wir haben einen Rechtsstreit! Basta. Niemand ruft bei diesen Leuten an! Und auch niemand von ihnen bei uns. Dafür habe ich gesorgt.“ Er lachte triumphierend.
Jasmin schossen die Tränen in die Augen. „Du bist so gemein!“ Sie hastete aus dem Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Sie wusste kaum, wohin sie tränenblind rannte, bis sie sich im Fahrstuhl wieder fand, der nach unten fuhr. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, versuchte, so gut wie möglich ihr Make up nicht zu verwischen, bis der Fahrstuhl unten in der Tiefgarage ankam. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie wollte, als sie ihren Wagen per Fernbedienung öffnete. Sie warf sich wütend auf den Fahrersitz und steckte den Schlüssel ins Schloss, ohne jedoch den Motor zu starten. Sie ballte ihre Hände um das Lenkrad, als ob sie es ausreißen wollte. Ihr kamen erneut die Tränen und so schloss sie die Augen, um sich ganz ihren Gefühlen hinzugeben. Sie rief sich Marks Gesicht in Erinnerung, seine Augen.
Sie öffnete ihre Augen wieder und konnte endlich wieder klare Gedanken fassen.
Er hatte versucht, sie zu erreichen.
Und sie würde es jetzt auch versuchen.
Sie schlug die Wagentür zu und startete den Wagen. Mit quietschenden Reifen schoss sie aus dem Parkplatz und raste aus dem Parkhaus, das sich unter dem Gebäudekomplex befand, in dem ihr Vater seine Immobilienfirma eingemietet hatte. Sie fuhr ohne Rücksicht auf Verluste, überholte verkehrswidrig und benutzt die Busspur, um aus der Stadt zu kommen. Sie fuhr die paar Kilometer Landstraße zum Haus ihrer Eltern und parkte dann quer in der Einfahrt.
„Jasmin“, rief ihre Mutter erstaunt. Sie stand mit dem Gärtner bei einem Busch Rosen, den sie entfernt haben wollte und nun mit dem Gärtner durchsprach, was danach dort gepflanzt werden sollte. „Du bist schon zu Hause?“
Jasmin antwortete nicht, sondern verschwand in ihrer Einliegerwohnung. Dort suchte sie fieberhaft nach dem Telefonbuch, fand es aber zunächst nicht. Deshalb rannte sie wieder nach draußen, vorbei an ihrer Mutter und dem verdutzten Gärtner, nahm gleich zwei Stufen der breiten Terrassentreppe auf einmal und war mit einem Satz im Haus verschwunden. Keine Minute später war sie wieder draußen und an ihrer Mutter vorbei.
„Jasmin!“
„Keine Zeit, Mama!“ rief sie und war schon wieder in ihrer Wohnung verschwunden.
Ruth Saalfeld schüttelte den Kopf. „Versteh einer die Kinder.“
Der Gärtner lächelte „Ich habe daheim zwei von der Sorte, Zwillinge.“
Ruth lächelte. „Sie armer Mann.“
Beide lachten laut heraus und grinsten noch einige Zeit, während sie sich wieder an die Planung machten.
Jasmin lag quer über die Couch gestreckt und blätterte fahrig im Telefonbuch. „Blohm, Blohm…“ murmelte sie immerzu und verfluchte sich, da sie den Zettel mit der Nummer einfach weggeworfen hatte und nicht daran gedacht hatte, zurück in ihr Büro zu laufen, um den Zettel zu holen. „Blohm, Blo…da!“ Sie kam auf alle Viere und griff dann nach dem Telefon, um die Nummer zu wählen, die unter Blohm, Mark eingetragen war.
Es klingelte.
Viermal.
Fünfmal.
Niemand nahm ab.
Enttäuscht legte Jasmin auf und schaute dann, ob sie noch weitere Einträge fand. „Blohm… Immobilien…Ja!“
Sie wählte die angegebene Nummer und bekam ein Freizeichen.
Nervös zählte sie das Tuten mit und beim vierten Mal ging tatsächlich jemand an den Apparat.
„Blohm Immobilien, Sie sprechen mit Maria Weber. Was kann ich für Sie tun?“
„Ja, hallo. Ich… mein Name ist Saalfeld. Ich möchte bitte mit Mark…“
„Oh, tut mir leid. Saalfeld darf ich leider nicht durchstellen. Tut mir leid, auf Wiederhören.“ Und schon hatte die Dame aufgelegt.
Jasmin starrte ungläubig den Telefonhörer an, der ihr eintönig entgegentutete.
Das darf doch nicht wahr sein, dachte sie und warf vor Wut das Telefon ans andere Ende der Couch. Sie schlug mit der Faust auf die Polster und kaute dann an ihrem Daumennagel. Dabei konnte sie am Besten nachdenken.
Und tatsächlich kam ihr eine neue Idee.
Sie schlug schnell die Seite mit dem Telefonbucheintrag der Firma nochmals auf und merkte sich die eingetragene Adresse.
Anrufen und sich unter einem falschen Namen anmelden, das wollte sie nicht. Das wäre ihr nur peinlich. Am Ende erkannte die Empfangsdame sie noch an der Stimme.
Sie verließ ihre Wohnung, rief ihrer Mutter ein kurzes Abschiedswort zu und schon gab sie Vollgas, dass es auf der Auffahrt nur so staubte.
Eine halbe Stunde später hatte sie den Sitz der Immobilienfirma erreicht. Sie suchte einen Parkplatz und sprang aus dem Wagen. Sie wusste selbst nicht, was sie da eigentlich tat, was sie tun wollte, wenn sie Mark gegenüberstand.
„Wo willst du denn hin?“
Verwirrt blickte Jasmin ihren Vater an. „Was…?“
„Was machst du hier?“ Ihr Vater stand da wie eine Statue, groß und bedrohlich.
„Ich…“ Was tat er hier? Sie sah ihn verwirrt an und vergaß vor lauter Überraschung, den Mund zu schließen.
„Du wirst da nicht reingehen. Womöglich willst du Blohm auch noch Informationen über unser Gespräch mit Dr. Schunk geben. Schade, ich dachte nicht, dass man dir sowenig vertrauen kann.“ Er sah Jasmin enttäuscht an. „Wir fahren nach Hause.“
„Papa!“ Jasmin wich seiner Hand aus, die nach ihrem Arm greifen wollte. „Ich will gar keine Informationen weitergeben.“
„Und was machst du dann hier?“
„Papa…“ Jasmin dachte nach. Sie konnte ihm nicht sagen: Weil ich verliebt bin. Das würde er nie verstehen. Vor allem nicht, da sie Mark ja kaum kannte.
Wie sollte sie ihrem Vater klar machen, dass es Liebe auf den ersten Blick war?
„Wir gehen.“ Jetzt hielt er ihren Arm fest und zog sie zu ihrem Wagen. „Ich fahre. Die Schlüssel bitte.“ Er streckte fordernd die freue Hand aus.
Jasmin gab sie ihm mit einem Seufzen und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Die Tränen standen ihr in den Augen, während sie die Beifahrertür zuschlug. Leise schluchzend wischte sie die ersten Tränen weg, presste die Lippen zusammen und versuchte, an nichts zu denken.
Doch Mark kam ihr ganz von alleine in den Sinn…

**

Die Wochen bis zum Prozess zogen sich ewig hin. Jasmin stand während dieser ganzen Zeit unter Beobachtung. Entweder war ihr Vater bei ihr oder ihre Mutter, die – was Jasmin überhaupt nicht verstehen konnte – keinerlei Verständnis für die Tochter aufbrachte. Sie hatten viel geredet, und Jasmin hatte auch versucht, ihrer Mutter ihre Gefühle zu erklären, Gefühle, die sie sich selbst nicht einmal erklären konnte. Sie fand zwar Worte, aber es schienen immer die falschen zu sein und am Ende eskalierten ihre Gespräche in wilde Streits.
Jasmin zog sich immer weiter zurück. Nachdem ihr Vater ihr erst den Telefonanschluß gekappt hatte, war nun auch das Internet gestrichen. Jasmin war wütend. Mit 28 Jahren musste sie sich das nicht mehr gefallen lassen! Aber da hatte sie weit gefehlt. Ihr Vater war ihr Arbeitgeber und so war sie abhängiger, als sie es sich jemals eingestanden hätte. Sie ging nach wie vor arbeiten, hatte aber keine Kundentermine außerhalb und wurde nach und nach zur Schreibkraft ihres Vaters. Ein Job, den sie niemals hatte machen wollen. Die Junior-Chefin – so hatte ihr Vater gesagt – könne sie vergessen, solange sie sich nicht im Griff hätte und jedem dahergelaufenen Kerl hinterher rennen würde.
Trotz aller Schwierigkeiten, die ihr Vater ihr bereitete, glühte Jasmins Herz weiter für Mark. So schlimm alles auch sein mochte, brachte die Erinnerung an ihn immer wieder Licht in ihren dunklen Alltag und brachte sie zum Lächeln. Die Überwachungen ihrer Eltern verblassten zu Schatten.
Jasmin trug ein graues Kostüm mit Rock, die Haare zu Locken gedreht, als ihr Vater sie abholte. Sie fuhren nun zum Gericht, und Jasmin fühlte sich eigenartig. Sie wusste nicht, ob Mark dort sein würde, aber sie verspürte eine angenehme Aufgeregtheit. Sie malte sich den Augenblick aus, in dem sie sich wieder sahen… Aber vielleicht kam er auch gar nicht?
Jasmin seufzte und klappte die Sonnenblende des Beifahrersitzes herunter, um ihr Make up zu kontrollieren. Ihre braunen Augen waren dezent, aber wirkungsvoll geschminkt und ihr Mund glänzte vom Lipgloss.
„Nervös?“ fragte ihr Vater und warf ihr einen kurzen Blick zu. „Deine erste Verhandlung…“ Er grinste versonnen, als er sich an seine erste Verhandlung erinnerte… Dann seufzte er. „Du hörst nur zu, machen musst du nichts. Du warst in die Geschäfte mit Blohm nie verwickelt, aber ich finde es eine gute Gelegenheit, um einen Gerichtstermin mitzuerleben.“ Peter Saalfeld lächelte sie an. „Das wird sicherlich spannend. Blohm ist nicht dumm, das haben schon andere zu spüren bekommen. Oder was meinst du, warum er so erfolgreich ist?“
Jasmin klappte die Sonnenblende wieder nach oben, verschränkte die Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster. Es war ihr egal, wie Blohm alles geschafft hatte. War Mark dabei?
„Ich weiß, dass du sauer auf mich bist.“ Ihr Vater schien es schwer zu fallen, diese Worte zu sagen. „Aber was hätte ich denn sonst tun sollen? Kaum trifft sich Blohm mit diesem Wallschlag, und ich drohe eine Klage an, fängst du an, verrückt zu spielen. Und fährst auch noch zu diesen Leuten!“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich nicht, Jasmin. Ich habe dich als meine Nachfolgerin gewählt, obwohl ich einige Kollegen habe, die ebenso geeignet wären und die großes Interesse an der Firma bekundet haben. Und du machst mein Vertrauen kaputt, in dem du einfach zu Blohm fährst, um ihm Details…“
“Ich wollte ihm gar nichts sagen“, murmelte Jasmin. „Ich wollte nur… jemanden sehen.“
Peter Saalfeld schaute wieder kurz zu seiner Tochter. Sie erwiderte seinen Blick, konnte aber darin nichts lesen. Sie wusste nicht, ob er sie verstand. Er war ein Kopfmensch, ein Denker, der mit Gefühlen möglichst wenig zu tun haben wollte. Gefühle zeugten von Schwäche und Schwäche war etwas, das er sich in seinem Beruf und bei seinem Ruf nicht leisten konnte. Das wusste er und das wusste auch Jasmin. Aber es tat – auch nach all den Jahren, die sie mit dieser Kälte hatte leben müssen – noch immer weh.
„Wir sind da“, verkündete Jasmins Vater und suchte einen geeigneten Parkplatz in der Nähe des Gerichtsgebäudes. „Ah, wie ich sehe, ist Dr. Schunk schon da.“ Sie parkten direkt hinter dem Sportwagen des Anwaltes und stiegen aus. Dr. Schunk lief ihnen schon entgegen, kaum, dass sie das Gebäude betreten hatten.
„Frau Saalfeld, Herr Saalfeld.“ Er nickte >Jasmins Vater kurz zu, nahm dann Jasmins Hand und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken.
„Dr. Schunk!“ Empört zog Jasmin ihre Hand weg, errötete aber leicht. Sie wusste, dass der Rechtsanwalt schon lange eine Schwäche für sie hatte. Es mangelte nicht an versteckten Hinweisen oder Andeutungen, wenn Arndt Schunk mit Jasmin zusammen war. Und – so überholt diese Einstellung auch sein mochte – es war eine Verbindung, die Peter Saalfeld gerne sah. Doch Jasmin erwiderte die Gefühle des jungen Anwaltes nicht, sie dachte nicht einmal darüber nach, was sie eigentlich empfand. Und das war schon so gewesen, bevor ark ihr Herz erobert hatte. Arndt ar ein guter Freund, mehr nicht.
Arndt lächelte charmant. „Nanana.“ Er überspielte seine Überraschung aufgrund ihrer Reaktion, hatte sie sonst doch immer gelacht und sich geschmeichelt gefühlt, wenn er ihr einen Handkuss gab. Er wandt sich an Peter: „Blohm und sein Anwalt sind schon da.“
„Wenigstens hat er soviel Anstand und kommt pünktlich.“ Peter Saalfeld rümpfte die Nase.
„Also dann, wollen wir mal“, sagte Arndt mit einem Seufzen in der Stimme. Er bot Jasmin seinen Ellenbogen zum Unterhacken an, aber sie ließ ihn einfach stehen und lief ihrem Vater in Richtung Gerichtszimmer nach.
Sie war so aufgeregt, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug. Sie war so nervös und gespannt, ob Mark da war, dass sie gar nicht merkte, wie auffällig sie immer wieder um sich schaute. Sie konnte es kaum erwarten und stieß plötzlich gegen ihren Vater.
„Jasmin!“
„Tut mir leid, Papa. Ich… ich bin nur so…“
Peter Saalfeld lächelte. „Mir ging es bei meiner ersten Verhandlung auch nicht anders.“ Er legte ihr kurz seine Hand auf die Wange und betrat dann das Gerichtszimmer.
Jasmin lächelte zurück und folgte ihm. Es linderte ihre Nervosität kein bisschen, dass er sie trösten wollte, aber ihr Vater konnte ja nicht wissen, was mit ihr los war. Sie wollte doch nur wissen, ob…
Da saß er.
Jasmin stockte der Atem und sie verharrte mitten im Schritt.
Arndt prallte sanft gegen sie.
„Hoppla“, sagte er und lächelte.
Jasmin bekam das gar nicht mit. Sie war fasziniert von Mark. Er trug einen dunkelgrauen Anzug mit einem dunklen Hemd und einer passenden Krawatte. Er schien sie noch nicht gesehen zu haben, aber jetzt sah er auf. Seine Augen blitzten auf vor Wiedersehensfreude. Er nickte ihr kurz zu.
Arndt legte einen Arm um Jasmin. „Sie versperren die Tür“, sagte er leise und schob sie sanft zu den Plätzen, wo ihr Vater schon saß. Arndt drückte sie sachte auf den Platz neben ihrem Vater.
Ihre Augen klebten an Mark und sogen jedes noch so kleine Detail auf. Er faszinierte sie, auch wenn sie noch kein Wort miteinander gesprochen hatten. Von ihm ging eine Anziehungskraft aus, der Jasmin nicht widerstehen konnte. Sie vergaß, zurück zu nicken und sah ihn weiterhin an.
Und mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie sich verliebt hatte. Sie erschrak so heftig vor dieser Erkenntnis, dass sie errötete. Sie sah zu Boden. Sie mochte ihn schon seit ihrer ersten Begegnung, aber erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr er ihr Herz zum Schlagen brachte, wie leicht er ihr die Röte ins Gesicht trieb und wie nervös er sie machte. Jasmin fühlte sich fiebrig.
Das war also die Liebe?
Sie sah ihn wieder an. Er lächelte. Sie lächelte zurück. Ein unglaublich schönes Gefühl wallte in ihr auf. Sie fühlte sich wie von einer Welle weggetragen, von warmem Wasser umspült und sanft geschaukelt.
Ja, das musste die Liebe sein.
Und was tat sie? Lächelte dämlich und brachte es nicht fertig, auch nur ein Wort mit ihm zu sprechen.
Aber was hätte sie ihm auch sagen sollen? Ihr Vater verklagte in diesem Moment seinen und danach würden sie sich nie wieder sehen. Abgesehen davon würde ihr Vater sicherlich jeden Kontakt verhindern. So, wie er es ja schon getan hatte, nachdem er Blohm und seinen Konkurrenten beim essen erwischt hatte. Blohms waren für ihren Vater Verbrecher, Leute, die sich nicht an Verträge und Abmachungen hielten. Er würde es nicht verstehen und auch nicht akzeptieren, wenn sie mit Mark eine Beziehung eingehen würde.
Die Verhandlung war schnell vorüber, zu schnell, wie Jasmin fand. Ihr Vater hatte gewonnen und machte sich nicht die Mühe, seinen Triumph zu verbergen. Er schüttelte Arndt großspurig die Hand und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. Er bedachte Blohm und dessen Anwalt mit einem herablassenden Blick und wand sich dann freudestrahlend Jasmin zu.
„Siehst du, mein Kind.“ Er breitete die Arme aus und drückte Jasmin an sich. „Ich sagte doch, dass alles gut geht.“ Er löste seine Umarmung wieder und legte einen Arm um Arndts Schultern. „Und dieser Junge hier ist Gold wert. Den musst du dir warm halten.“ Damit ließ er die beiden stehen, um draußen seine Frau anzurufen, um ihr die gute Nachricht zu erzählen.
„Ihr Vater ist ein kluger Mann“, sagte Arndt und grinste Jasmin an. „Wie wäre es, wenn ich sie zur Feier des Tages zu einem Kaffee einladen würde?“
Jasmin blickte zur Seite, peinlich berührt von den Bemerkungen ihres Vaters. Sie sah zu Mark, aber sein Platz war leer. Sie sah sich fast panisch nach ihm um, erkannte aber nur noch den Anwalt der Blohms, wie er das Zimmer verließ.
Ihr wurde eiskalt. Mark war weg, ohne ein Wort, ohne ein Lächeln, ohne irgendein Zeichen. Warum tat er das? Mochte er sie denn nicht? Was war es denn dann, was sie in seinen Blicken gesehen hatte? War das keine Liebe gewesen? Enttäuscht sah sie Arndt an.
„Nun, was sagen Sie?“ fragte er.
Mark war weg! Wie sollte sie ihn jemals wieder sehen? Ihre Eltern, besonders ihr Vater, würden darauf achten, was sie tat. Sie würde sie beobachten und alle Versuche, mit Mark in Kontakt zu treten, vereiteken.
Es sollte einfach nicht sein.
Jasmin nickte schwach.
„Gut, dann fahren wir gleich los, was meinen Sie? Ich kenne da ein bezauberndes Café in der Altstadt. Die machen einen sensationellen Apfelstrudel.“
Jasmin blinzelte. Sie hatte überhaupt nicht zugehört. „Ja, das… ist gut.“
Arndt bot ihr wieder den Arm an, aber auch dieses Mal ignorierte sie ihn und verließ das Zimmer. Ihre Schritte waren unsicher und schwankend. Für einen Moment wünschte sie sich, sie hätte Arndts Angebot, sie zu führen angenommen. Aber ihr Stolz brachte sie gleich wieder von diesem Gedanken ab. Sie hob den Kopf und straffte ihren Körper, um selbstsicher über den Flur des Gerichtsgebäudes zu schreiten.
Arndt hielt sich dicht hinter ihr, vor Glück strahlend.

**

Ein halbes Jahr später...
Der Stift zitterte in der Luft. Die gepunktete Linie, auf die Jasmin ihre Unterschrift setzen sollte, verschwamm vor ihren Augen. Sie schloss sie kurz, rollte mit den Augen und öffnete sie dann wieder. Jetzt hatte sie wieder einen klaren Blick, aber sie schaffte es nicht, den Stift aufzusetzen und zu unterschreiben.
Das hier war ihre Zukunft. Diese Unterschrift sollte ihr die Firma ihres Vaters anvertrauen, sie zu ihrer eigenen machen. Es war verrückt. Sie war knapp 29 Jahre alt und alles, was ihr Vater aufgebaut hatte, sollte nun ihr gehören?
„Warum zögerst du denn?“ fragte Peter Saalfeld. „Ist etwas mit dem Vertrag nicht in Ordnung?“
„Doch, doch, es ist nur...“ Jasmin legte den Stift zur Seite, froh um die Unterbrechung. „Ich bin so schrecklich aufgeregt.“
„Brauchst du nicht sein, mein Kind.“ Peter Saalfeld lachte.
Jasmin lächelte zurück, nahm den Stift und setzte ihre Unterschrift unter den Vertrag. Es war vollbracht.
Arndt und ihr Vater klatschten Beifall, der ihr die Schamesröte ins Gesicht trieb.
„Ach, hört doch auf“, sagte Jasmin verlegen und winkte ab.
„Das ist ein großer Tag für uns“, sinnierte Peter Saalfeld und legte einen Arm um die Schulter seiner Tochter. „Vor allem für mich, weil ich ab morgen alle Zeit der Welt habe.“
„Und was möchtest du dann tun? Ich habe dich nie mit einem Hobby erlebt.“ Jasmin sah ihren Vater von der Seite an. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Vater daheim auf dem Sofa saß und einem Hobby nachging. Er hatte Zeit seines Lebens gearbeitet, sei es am Wochenende oder im Urlaub. Ständig hatte er telefoniert, Geschäfte abgewickelt und Verträge abgeschlossen.
Nein, dachte Jasmin lächelnd, er kann gar nicht gar nichts machen.
„Das wirst du dann ja sehen. Ich habe mir schon einige interessante Projekte ausgesucht.“ Peter Saalfeld drückte seine Tochter kurz und ließ sie dann los. „Es wird schon etwas Passendes dabei sein. Und wenn nicht, kann ich mich unter einem Vorwand hier bei dir einschleichen und arbeiten.“
Arndt lachte laut auf. „Ich denke nicht, dass das nötig sein wird, Herr Saalfeld. In Jasmin haben Sie eine würdige Nachfolgerin gefunden.“
„Und in Ihnen den idealen Anwalt. Ich denke, ihr beide werdet gut zusammenarbeiten.“ Peter Saalfeld nickte Arndt kurz zu.
Jasmin nickte ebenfalls. Und plötzlich fror sie schrecklich. Trotz der Sonne, die durch die große Fensterfront schien und den Raum gehörig aufheizte, da die Klimaanlage nicht angestellt war, bekam sie eine Gänsehaut. Sie schlang ihre Arme um sich, während Arndt den Vertrag in seiner Arbeitstasche verstaute. Jasmin hatte Angst und fühlte sich nicht bereit, die Firma jetzt schon zu übernehmen. Sie hatte viel gelernt im letzten halben Jahr. Ihr Vater hatte ihr wertvolle Tricks verraten und sie in seinen Kundenkreis nach und nach eingeführt. Viele erinnerten sich noch an Jasmin als kleines Mädchen, und manche staunten nicht schlecht, als sie sie nun wieder sahen und erfuhren, dass sie bald die Geschicke der Firma leiten sollte. Aber Jasmin fühlte sich noch zu jung, viel zu jung. Sie presste ihre Lippen zu einem farblosen Strich zusammen und versuchte krampfhaft, ihre Tränen zurückzuhalten. In ihrem Hals steckte ein Kloß, der ihr das Schlucken fast unmöglich machte und ihr den Atem nahm. Wieso hatte sie solche Angst?
„Dann wollen wir unsere Gäste nicht länger warten lassen, nicht wahr?“ Peter Saalfeld unterbrach Jasmins Gedanken, wofür die insgeheim dankbar war.
Jasmin lächelte und mumrlete ein kaum hörbares „Ja.“, dann griff sie nach ihren Blazer, den sie über eine Stuhllehne gehängt hatte, und zog ihn über. Er schenkte ihr ein wenig Wärme und verrückterweise auch Sicherheit, so dass sie sich einen Moment lang geborgen fühlte wie lange nicht mehr. Sie wusste, dass draußen ein Buffet aufgebaut war und ausgewählte Kunden eingeladen waren, um die Übergabe der Firma an Jasmin gebührend zu feiern. Aber ihr war nicht nach Feiern zumute. Sie wollte lieber nach Hause, raus aus den feinen Kleidern und in Jogginganzug und mit einer Tüte Chips auf die Couch. Doch sie konnte es sich nicht aussuchen. Sie atmete tief durch, setzte ein falsches Lächeln auf und öffnete dann die Tür des Büros ihres Vaters. Sie trat nach draußen, wo sie von den etwa zwanzig geladenen Gästen erwartungsvoll angestarrt wurde.
„Sie hat unterschrieben.“ Peter Saalfeld winkte einer Mitarbeiterin des Cateringservies, die ein Tablett mit gefüllten Champagnergläsern trug, zu sich, während die Anwesenden höflich Beifall klatschten. Jasmin nickte ihnen mit falschem Lächeln zu. Der Beifall ebbte ab, als Peter, Arndt und Jasmin ein Glas Champagner in der Hand hielten. „Saalfeld Immobilien gehört nun meiner lieben Tochter Jasmin, und sie wird eine würdige Nachfolgerin werden. Ichhabe ihr alles über Sie erzählt, meine Herrschaften, auch über die Tricks, die Sie schon seit so vielen Jahren bei mir anzuwenden versuchen.“
Allgemeines Gelächter unterbrach Peter Saalfeld, aber er ließ die Unterbrechung gerne zu. Dann hob er sein Glas. „Auf Jasmin! Und dass sie viel Glück und Freude in ihrer neuen Funktion erfährt.“
Asmoin hob ihr Glas, weil alle es taten, nicht, weil sie es wollte. Sie fühlte sich vollkommen fehl am Platz, während alle an ihr vorbeiliefen, um mit ihr anzustoßen und Glückwünsche auszusprechen. Keinerlei feierliche Gefühle kamen in ihr hoch, alles fühlte sich falsch an. Aber sie lächelte tapfer und gespielt weiter, lauschte Anekdoten über ihren Vater und lachte, wenn man es von ihr erwartete.
Sie war so, wie man sie haben wollte.
Etwas später am Abend stand sie am Buffet, um sich eine kleine Stärkung zu genehmigen. Nach all dem Champagner brauchte sie jetzt einfach etwas zu essen. Arndt gesellte sich z ihr, und sie lächelte ihn freundlich an.
Ihr Verhältnis zueinander war im letzten halben Jahr um vieles enger geworden. Nach anfänglicher Zurückhaltung, genoss Arndt nun Jasmin volles Vertrauen und ihre ehrliche Freundschaft. Arndt hatte sich – mehr noch als früher, als sie nur geschäftlich miteinander zu tun hatten – als hervorragender Gesprächspartner erwiesen. Beruflich wie privat war er stets informiert, souverän, charmant und unterhaltend. Er umgarnte Jasmin in seiner charmant unauffälligen Art, die ihr trotz allem deutlich machte, wie viel sie ihm bedeutete und dass er, wenn es sein musste, ewig warten würde.
„Eine gelungen Party“; sagte Arndt zufrieden und griff nach einem kleinen Teller, um sich ebenfalls eine Kleinigkeit zu nehmen.
„Ja, das kann man wohl sagen“, bestätigte Jasmin und nahm sich ein Käsespießchen. Gedankenverloren hielt sie es in der Hand und beobachtete ihren Vater im Umgang mit seinen Kunden. Es hatte etwas so herzliches an sich, dass es Jasmin einen Stich versetzte und ihre Zweifel weiter schürte. Ihr wurde – wieder einmal bewusst – wie viel diese Firma, die Kunden, die Arbeit ihrem Vater bedeutet hatte, und dass sie… Ob sie genauso viel Herzblut hineinstecken könnte wie er?
„Jasmin?“ Arndts Stimme unterbrach ihre Gedanken. Sie schaute verwirrt auf das Käsespießchen in ihrer Hand und legte eszurück, Sie hatte keinen Hunger mehr.
„Jasmin?“ Wieder Arndt. Sie schaute zu ihm hinüber, in einer Mischung aus Dankbarkeit, dass er sie von ihren trüben Gedanken abbrachte, und Neugier, was er von ihr wollte. Er hielt den Teller nach wie vor in der Hand, aber er hatte sich nichts vom Buffet genommen. Er schluckte hart und schaute sich fast gehetzt um. Dann stellte er den Teller zurück zu den anderen, dass es leise klirrte.
„Jasmin, bitte heirate mich.“
Jasmin hielt für einen Augenblick den Atem an. Was…?
„Arndt…“, sagte sie und lachte hilflos. Peinlich berührt schaute sie sich um in der Annahme, Arndt mache einen Scherz, den gleich alle lachend auflösen würden.
Aber da war niemand.
Sie waren allein am Buffet.
„Es ist mein Ernst, Jasmin.“ Arndt verschränkte seine Finger vor Aufregung ineinander, nur, um sie gleich wieder zu lösen. „Ich habe dich sehr gern.“ R lachte verlegen auf und schüttelte den Kopf. „Aber das weißt du ja… Ach, was soll’s. Ich liebe dich, seit dein Vater uns vor sechs Jahren einander vorgestellt hat. Seit meinem ersten Tag hier in dieser Firma… Bitte Jasmin, werde meine Frau.“
Jasmin sah ihn mit unergründlicher Miene an. Ja, sie waren sich näher gekommen in der letzten Zeit, das konnte Jasmin nicht leugnen. Sie verspürte eine tiefe Sympathie und ehrliche Freundschaft für Arndt, aber mehr?
War da mehr?
Sie wusste es nicht. „Arndt, ich…“
„Lass dir Zeit, Jasmin“, sagte Arndt heftig. „Ich… Lass dir Zeit, soviel du für deine Entscheidung brauchst. Ich dränge dich nicht. Ich warte.“ Damit schloss er sie kurz in die Arme und ging. Jasmin ash ihm nach, wie er seine Arbeitstasche nahm und dann die Party verließ.
Verwirrt blieb Jasmin am Buffet zurück. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit einem Heiratsantrag. Und dann noch von Arndt…
In sich fühlte sie nur Leere. Keine Freude, keine Wut, keine Angst. Es war nichts da, das sie nach ihren Gefühlen für Arndt fragen konnte.
Sie griff nach einem Käsespießchen und begann gedankenverloren daraufherumzukauen.

**

Zwei Wochen später – Jasmin war Arndt ihre Antwort noch immer schuldig, aber er drängte sie nicht, wie er es versprochen hatte – war sie mit einem Kunden zu einem Objekt unterwegs. Sie unterhielten sich ausgezeichnet über Kleinigkeiten und lachten oft.
„Ihr Vater hat mit Ihnen eine gute Wahl getroffen“; sagte Herr Dube, als sie am Objekt angekommen waren.
„Danke“, nahm Jasmin das Kompliment gerne an.
„Wissen Sie“, Dube warf die Tür von Jasmins Sportwagen zu und Jasmin schloss ab. „Ich habe gern mit Ihrem Vater gearbeitet. Aber Sie sind um einiges hübscher.“
„Ach, Herr Dube.“ Jasmin lachte geschmeichelt, obwohl sie wusste, dass es zum Geschäft gehörte. Dube – so hatte sie von ihrem Vater gelernt – war jedes Mittel recht, um den Preis für ein Objekt zu drücken. Und je charmanter er das versuchte, umso mehr konnte man davon ausgehen, dass er großes Interesse an dem Objekt hatte. „Dann wollen wir mal.“
„Nach Ihnen, meine Liebe.“
Jasmin lächelte ihn an und ging an ihm vorbei. „Wir haben hier ein wunderschönes Fünf-Familien-Haus. Vier Wohnungen jeweils mit Balkon und eine Penthousewohnung mit einem großen Balkon. Alles ist frisch renoviert und vermietet.“ Jasmin klingelte an der ersten Klingel.
„Ja?“ meldete sich jemand am anderen Ende.
„Saalfeld, guten Tag. Wir kommen zur Besichtigung.“
„Ach ja, kommen Sie doch herein.“ Der Summer ertönte und Jasmin drückte die Tür auf. Eine ältere Dame wartete im Gang auf sie.
„Ich habe Sie schon erwartet“, sagte die Dame und gab erst Jasmin, dann Dube die Hand, der sich bei dieser Gelegenheit gleich vorstellte.
Die Dame ging wieder in die Wohnung zurück und führte ihre Gäste durch ein Sammelsurium von Möbeln, Pflanzen und Erinnerungen und erzählte ihnen dabei, wie froh sie gewesen war, nach dem frühen Tod ihres Mannes diese Wohnung gefunden zu haben.
„Ach“, sagte Dube plötzlich leise zu Jasmin. „Liegen Sie eigentlich noch immer im Rechtsstreit mit Blohms?“
Jasmin blieb einen Moment irritiert stehen.
Mark… Es gab keinen Tag, an dem sie nicht an ihn dachte und ihn sich in ihre Arme wünschte. Aber der Überwachungsapparat ihres Vaters funktionierte gut, zu gut. Auch noch nach so langer Zeit.
„Warum fragen Sie?“ brachte Jasmin mit heiserer Stimme hervor. Sie räusperte sich. „Mein Vater war bei Gericht und danach… kam nie wieder ein Kontakt zustande.“ Sie hoffte, dass Dube nicht merkte, wie sehr sie dieses Thema aufwühlte.
„Na ja, ich dachte nur… Ich habe nämlich eine Einladung zu einem Polterabend bekommen. Blohm Junior kommt unter die Haube… Jasmin, ist Ihnen nicht gut? Sie sind ja auf einmal so blass! Setzen Sie sich.“ Dube drückte die bleiche Jasmin in einen Sessel im Wohnzimmer und sah sich nach der Mieterin um. „Frau, ahmt, haben Sie vielleicht ein Glas Wasser? Der jungen Dame ist nicht gut.“
Während die Mieterin das Wasser holte, war Jasmin elend zumute.
Mark… Wie konnte er das nur tun? Wie konnte er ihr das nur antun? Jasmin wollte schreien, wollte ihrem Schmerz und ihrem Zorn einfach nur Luft machen. Sie wollte aufspringen und davonlaufen, egal wohin, einfach nur weg.
Wie konnte er nur?
„Das Wasser.“
Jasmin trank widerwillig, aber es ging ihr wirklich etwas besser.
Dube legte eine Hand auf ihre Schulter. „Wir verschieben den Termin, Jasmin. Sie sehen nicht gut aus, ganz blass. Ich bringe Sie heim. Nein, keine Widerrede. Ich bringe Sie heim. Nicht, dass Ihnen unterwegs etwas passiert.“ Dann wandt er sich an die ältere Frau. „Frau Saalfeld meldet sich bei Ihnen dann wegen einem neuen Termin. Ich hoffe, das macht Ihnen nicht allzu viele Umstände.“
„Nicht doch.“ Die Dame lächelte. „Das arme Kind. Hoffentlich geht es ihr bald wieder besser.“
„Wir melden uns.“ Dube legte einen Arm um Jasmin, um ihr beim Aufstehen zu helfen und sie dann beim Gehen zu stützen.
In Jasmin breitete sich wieder diese Leere aus, wie bei Arndts Heiratsantrag. Sie wollte jetzt alleine sein, die Decke über den Kopf ziehen. Alleine sein und weinen. Dube war zwar sehr aufmerksam, aber sie fühlte sich dadurch nicht besser.
Mark… Der Name brannte wie Feuer in ihrem Herzen. Sie fühlte sich verraten und hintergangen. Wie konnte er ihr das antun? Sie hatte doch gefühlt und gesehen, dass von seiner Seite aus auch Gefühle da waren. In seinem Blick hatte soviel Wärme und Zuneigung gelegen… Oder hatte sie sich das Ganze nur eingebildet? Hatte er vielleicht gar nichts gefühlt?
„Ich muss telefonieren“, sagte Jasmin matt und machte sich kraftlos von Dube los. Sie hangelte sich am Treppengeländer hinunter und stürmte mit stolpernden Schritten nach draußen. Die frische Luft schlug ihr entgegen und machte sie einen Moment taumeln. Mit fahrigen Fingern und auf ihr Gleichgewicht achtend, durchsuchte sie ihre Tasche nach ihrem Handy. Sie wählte eine Nummer und schon nach dem zweiten Klingeln sagte sie: „Arndt? Meine Antwort ist ja. Ich will dich heiraten.“

**

„Das ist ja…“ Peter Saalfeld war sprachlos.
Jasmin und Arndt saßen mit ihm und Ruth im geräumigen Wohnzimmer der Saalfelds.
„Ich freue mich so für euch“, sagte Ruth Saalfeld. Ihr standen Tränen in den Augen und ihre Stimme zitterte leicht vor Freude.
„Das ist ja wunderbar!“ Peter Saalfeld hatte seine Worte wieder gefunden. Er sprang auf, umrundete den Wohnzimmertisch und zog Arndt in seine Arme. „Ach Kinder!“ Er ließ Arndt wieder los, der nun ein wenig verloren wirkte. Peter Saalfeld zog nun Jasmin an sich und drückte sie herzlich. „Wenn ihr wüsstet, wie glücklich ihr mich damit macht.“ Er ließ Jasmin wieder los und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Er stellte sich zwischen Jasmin und Arndt und legte jeweils einen Arm um die Schultern der beiden.
Seine Jasmin und Arndt, der ihm über die Jahre ihrer Zusammenarbeit so sehr ans Herz gewachsen war, sollten heiraten. Wie sehr er sich das gewünscht hatte!
„Ach Kinder“, sagte er wieder. „Ich bin so froh, dass ihr euch gefunden habt.“
Jasmin lächelte gezwungen und gab sich alle Mühe, glücklich auszusehen. Die Sache mit Mark drückte ihr schwer aufs Herz. Ihr ganzer Körper wand sich vor Schmerzen, weil er sich so sehr nach Mark sehnte.
Und sie stand hier und gab ihre Verlobung mit Arndt bekannt.
Was tat sie hier eigentlich?
Nachdem sie Arndt in einer Kurzschlussreaktion angerufen hatte, hatte Dube sie nach Hause gebracht. Er war dann mit einem Taxi zurück in die Stadt gefahren und hatte sich anscheinend nochmals gemeldet, um sich nach Jasmins Befinden zu erkundigen. Und um einen neuen Termin brauche sie sich auch nicht zu sorgen. Er würde die Immobilie nehmen, zum vereinbarten Preis. Sie solle ihm die Verträge zusenden, wenn sie wieder wohlauf sei.
Keine Stunde nach Jasmins Heimkehr stand Arndt vor ihrer Tür, mit vor Aufregung ganz rotem Gesicht. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, ihm fehlten die Worte, um überhaupt etwas zu sagen, und so schloss er Jasmin nur in die Arme und hielt sie fest. Er bemerkte, dass sie blass und zittrig war, schob das aber auf die Entscheidung, die sie getroffen hatte.
„Ach, Jasmin“, brachte er schließlich doch noch heraus.
Jasmin schälte sich aus seiner Umarmung, ließ ihn in der Tür stehen und setzte sich auf die Couch, wo sie sich wieder in eine Decke wickelte. Arndt folgte ihr und setzte sich dicht neben sie und wollte den Arm um sie legen, aber Jasmin wich so erschrocken vor ihm zurück, dass er sein Vorhaben abbrach.
Es dämmerte ihr langsam, was sie in ihrer Panik getan hatte. Wollte sie es Mark wirklich so heimzahlen? Was sollte das bringen, wo er doch offensichtlich bei seinen Plänen nicht an sie gedacht hatte? Wie konnte sie sicher sein, dass ihre Hochzeit ihn genauso verletzen würde wie seine sie? Warum sollte es Mark auch nur im Geringsten interessieren, was sie tat?
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, als sie nach Dubes Eröffnung Arndt anrief?
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und ließ sie schaudern.
Auch jetzt, im Wohnzimmer ihrer Eltern, wurde ihr wieder beklemmend bewusst, was sie getan hatte. Sie liebte Arndt nicht. Das, was sie empfand, war tiefe Freundschaft, Sympathie und Respekt für den aufstrebenden Anwalt. Aber Liebe war nie da gewesen, egal, was sie sich irgendwann einmal eingeredet haben mochte.
Und jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Sie blickte in die strahlenden Gesichter ihrer Eltern, sah Arndts glückliches Lächeln, und da wusste sie es: Sie konnte nicht mehr zurück. Sie würde alle drei verletzen und das war das letzte, was sie tun wollte. Jasmin blickte zu Boden und verfluchte den Moment mit Dube, als dieser von Marks Heiratsabsichten erzählt hatte. Ihre Unwissenheit, was er tat und wie es ihm ging, hatte sie bedrückt, doch sie hatte noch immer einen Funken Hoffnung auf eine weitere Begegnung gehabt. Und von dieser Begegnung hatte sie sich soviel versprochen. Jetzt stand sie hier vor den Scherben ihrer Liebe und kämpfte die bitteren Tränen nieder, die in ihr aufstiegen.
Sie konnte nicht mehr zurück.

**

Da stand es, schwarz auf weiß.
„Wir werden heiraten: Jasmin Saalfeld und Dr. Arndt Schunk“
Jasmin schluckte hart und versuchte erst gar nicht, gegen die Tränen anzukämpfen, die in ihr aufstiegen. Sie war allein in ihrem Büro. Es war egal.
Der Termin für die standesamtliche Trauung war – dank Peter Saalfelds Einfluss – kurzfristig zustande gekommen. Einladungen waren in aller Eile geschrieben und verschickt worden. Sie und Arndt hatten unzählige Weine probiert und in unzähligen Restaurants probe gegessen. Alles sollte perfekt werden. Die treibende Kraft hinter dieser Perfektion war Ruth Saalfeld. Sie wollte nicht nur, dass diese Hochzeit für Jasmin und Arndt wunderschön wurde, nein, sie wollte ein gesellschaftliches Ereignis daraus machen, von dem lange gesprochen werden sollte. Trotz aller Kurzfristigkeit legte sie auf alles wert, was diese Hochzeit unvergesslich machen würde.
Und Jasmin spielte einfach mit. Sie ging ohne Murren und fast mechanisch zu allen Terminen, die die Mutter mit diversen Kosmetikerinnen, Schneiderinnen, Konditoreien, Weinkontoren und Restaurants machte. Sie brauchte sich um nichts kümmern, nur ja oder nein zu etwas zu sagen. Aber ihre Mutter hatte wertvolle Vorarbeit geleistet, so dass Jasmin kaum in die Verlegenheit kam, etwas abzulehnen.
Jasmin erinnerte sich an den ersten Termin bei der Schneiderin, als ihre Mutter plötzlich in Tränen ausbrach, obwohl Jasmin nur ein paar Stoffmuster angelegt worden waren, um den richtigen Farbton zu ihrer Haut zu finden. Jasmin hätte in diesem Moment am Liebsten alles hingeworfen und wäre am Liebsten weggerannt. Aber sie hatte es nicht getan. Sie war geblieben, hatte ihre Mutter zusammen mit der Schneiderin getröstet und hatte sich anschließend für einen champagnerfarbenen Ton für das Kleid entschieden.
Jasmin riss sich von den Gedanken los und faltete die Zeitung zusammen. Sie starrte auf die Titelseite, ohne etwas zu lesen. Ihr ging es nicht gut. Seit sie wusste, dass Mark eine andere heiraten würde – und das war nun gute vier Wochen her – war sie ständig kränklich. Sie hatte auffallend oft Kopfschmerzen und klagte über allgemeines Unwohlsein. Ihr Vater – in der Annahme, das käme von der Nervosität – übernahm immer häufiger, aber immer wieder gerne Termine mit Kunden. Bald tat sie gar nichts mehr und saß nur noch eigenbrötlerisch hinter ihrem Schreibtisch, und brach jedes Mal in Tränen aus, wenn jemand etwas zu ihr sagte. Selbst die Sekretärin traute sich bald kaum noch, nach ihrem Befinden zu fragen, weil sie befürchtete, Jasmin könne wieder stundenlange Weinkrämpfe bekommen. Sie hatte zu nichts Lust und erschien im Büro nicht wie sonst immer gepflegt, wirkungsvoll geschminkt und gut frisiert, sondern in Jeans, T-Shirt und Pferdeschwanz. Make-up benutzte sie nicht mehr, es verlief nur im Gesicht.
Sie alle schienen sich Sorgen um Jasmin zu machen – ihr Vater, ihre Mutter, Arndt, die Sekretärin, Freunde. Aber niemand traute sich zu fragen, was wirklich los war.
„Einen Kaffee bitte“, bat Jasmin mit zitternder Stimme über die Gegensprechanlage. Dann stand sie auf und ging an die Fensterfront. Verträumt lehnte sie den Kopf an die Scheibe und starrte nach draußen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Sie schlang schützend die Arme um sich und zuckte erschrocken zusammen, als die Sekretärin mit dem Kaffee kam.
„Ich stelle ihn auf den Tisch“, sagte sie schnell und beeilte sich, das Büro wieder zu verlassen.
„Danke“, murmelte Jasmin, als die Tür hinter der Sekretärin ins Schloss fiel. Aber sie bewegte sich nicht. Sie blickte weiterhin starr nach draußen und dachte mit Schrecken daran, dass sie bald Schunk heißen würde.
Jasmin Schunk… Das klang so lieblos, so kalt. Vielleicht sollte sie ihren Namen einfach behalten? Dann müsste sie nicht einmal die Firma umbenennen…
Jasmin hielt diesen Gedanken einen Moment fest und nickte dann. Ja, sie würde Jasmin Saalfeld bleiben. Egal, was die anderen dazu sagten.
Jetzt erst kam sie vom Fenster los und griff nach der Kaffeetasse.
Sie hatte ein wenig Kraft getankt.

**

„Wo bleibt sie denn?“ Arndt sah nervös auf seine Uhr, schüttelte sie kurz, als ob er befürchtete, sie ginge vor. Seine Augen huschten hin und her, sahen durch die etwa fünfzig Leute hindurch, die sich vor dem Standesamt versammelt hatten. Wieder warf er einen Blick auf die Uhr.
„Ganz ruhig, Arndt.“ Peter Saalfeld, nicht weniger nervös wie Arndt, nur besser unter Kontrolle, klopfte seinem baldigen Schwiegersohn auf die Schulter. „Das hat sie von ihrer Mutter.“
„Was hat sie von mir?“ mischte sich Frau Saalfeld ein, die gerade zu den beiden trat. Siw war ebenso nervös und an dem nachgebesserten Makeup sah man an, dass sie geweint hatte.
„Du bist damals auch zu spät zu unserer Hochzeit gekommen.“
Ruth lachte gepresst. „Ja, ich hatte schreckliche Angst zu stolpern und zu stürzen. Wenn meine Mutter nicht gewesen wäre, würde ich wohl noch heute eingeschlossen in meinem Zimmer sitzen. Ich erklärte ihr, dass ich Angst hätte, dich zu blamieren, aber sie sagte nur: Papperlapapp, du kommst jetzt raus, sonst hol ich dich!“ Ruth lachte noch einmal, diesmal etwas freier ob der Erinnerung. Doch ihr war nicht wohl dabei.
„Wann war der Termin bei der Kosmetikerin?“ fragte Arndt, der gar nicht zugehört hatte. „Vielleicht sollten wir dort anrufen? Vielleicht ist ihr was passiert?“
„Arndt!“ Ruth warf ihm einen bitteren Blick zu und Peter tätschelte beruhigend seine Schulter. Sie hatte diese Möglichkeit auch schon in Betracht gezogen, so schrecklich ihr dieser Gedanke auch erschienen sein mag. Es könnte sein… „Beschwör es nicht!“
„Hast du die Telefonnummer, Ruth?“ fragte Peter Saalfeld mit bleichem Gesicht. „Vielleicht sollten wir wirklich dort anrufen. Oder, wer hat sie denn hingefahren?“ Er sah Ruth betreten an. „Nicht einmal du warst eine Stunde zu spät.“
Ruth suchte mit fahrigen Fingern in ihrer Tasche nach ihrem Handy.
„Es ist sicherlich alles in Ordnung mit ihr“, murmelte sie.
Sie hatte es gefunden und sichte nun nach der Nummer der Kosmetikerin.
„Sie wird jeden Moment hier sein“, murmelte sie. Mit einem plötzlichen Tränenausbruch drückte sie Peter Saalfeld plötzlich das Handy in die Hand und verließ fluchtartig die nähere Umgebung. Sie versteckte sich seitlich am Gebäude und holte ein Taschentuch hervor, um ihre Tränen zu trocknen. Sie presste die Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein weißer Strich waren und hoffte, als ob es nichts Wichtigeres gäbe, dass sie ihr Makeup nicht schon wieder erneuern müsste.
Warum kam Jasmin nicht?
Heute Morgen hatte sie noch gut gelaunt gescherzt. Als sie in ihren Sportwagen stieg, um zu ihrer Trauzeugin zu fahren, hatte sie ihnen eine Kusshand zugeworfen und fröhlich gewunken.
Wo war sie nur?
„Ruth, die Trauzeugin kam eben an. Allein.“ Peter Saalfeld stand die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Er hielt das keine Handy in seinen großen Händen und sah verzweifelt wie noch nie in seinem Leben aus.
„Was?“ Ruth sah ihren Mann entsetzt an. Sie war sprachlos. Sie konnte nicht einmal weinen. „Was?“ fragte sie stattdessen erneut.
„Die Trauzeugin ist völlig aufgelöst. Sie hat Jasmin zur Kosmetikerin gefahren, hat im Wartezimmer gewartet, etwa eine Stunde. Dann kam es ihr komisch vor und sie ging nachsehen. Aber Jasmin war weg.“
„Und was sagt die Kosmetikerin?“ Ruth schneutze sich und ignorierte ihr Makeup.
„Sie sagt nur, sie wäre kurz weggegangen, um einen anderen Pinsel zu holen und als sie zurückkam, war Jasmin weg.
„Hast dus auf ihrem Handy probiert?“ Ruth klammerte sich an diesen Strohhalm.
„Mailbox“, sagte Peter Saalfeld betreten. „Aber ich habe darauf gesprochen. Es ist nur die Frage, ob sie die Nachricht auch abhört.“ Er zuckte mit den Achseln. Eine einzige, verzweifelte Geste.
„Warum tut sie das?“ fragte Ruth kraftlos.
Peter Saalfeld schloss seine Frau in die Arme. „Es wird alles gut, glaub mir. Sie wird noch kommen, bestimmt“, sagte er ebenso kraftlos wie seine Frau.
Aber sie kam nicht.
Jasmin rief weder zurück, noch tauchte sie bei irgendjemandem auf, der von ihren Eltern ob ihres Verschwindens informiert waren. Ihr Handy war den ganzen Tag ausgeschaltet, ihre Mailbox quoll über mit besorgten Nachrichten ihrer Eltern und Arndt.
Dube, einer der wenigen Kunden, die sich vor dem Standesamt versammelt hatten, um am Seltempfang nach der Trauung teilzunehmen, schüttelte den Kopf, als Peter Saalfeld betreten vor die Hochzeitsgesellschaft trat und ihnen mit Bedauern mitteilte, dass die Hochzeit heute nicht stattfinden würde. Jasmin – so log er mit zitternder Stimme – sei plötzlich krank geworden. Sie sei bei einem Arzt, der alles versuchte, ihre Genesung noch am heutigen Tage sicherzustellen. Aber er schien es nicht zu schaffen. Er entschuldigte sich mehrfach und nahm befangen die Genesungswünsche der Gäste entgegen.
„Herr Saalfeld, was ist nur mit der Jugend los?“ Dube trat nah an seinen alten Geschäftspartner heran.
„Ich weiß es nicht“, sagte Peter Saalfeld und seufzte. „Aber ich denke, Jasmin wird sich bald erholen. In dem Alter steckt man so einiges weg.“
„Das denke ich auch. Ich hoffe, es geht ihr bald wieder besser. Von ihrem Schwächeanfall damals bei der Besichtigung des Objektes in der Innenstadt ging es ihr ja auch bald wieder gut.“
„Davon gehe ich aus, Herr Dube.“
„Na, dann hoffe ich mal, dass die Hochzeit von Mark Blohm besser verläuft.“
„Oh, Blohm heiratet?“ Peter Saalfeld sah überrascht auf.
„Ja, in zwei Wochen. Ich habe mit Ihrer Tochter darüber gesprochen, als wir unseren Termin hatten. Ich muss sagen, Blohms haben sich mit den Vorbereitungen mehr Zeit gelassen, aber wir werden sehen, wie diese Feier abläuft.“ Dube nickte bedächtig. „Herr Saalfeld, noch einmal die besten Genesungswünsche an Ihre Tochter. Grüßen Sie mir Ihre Frau herzlich.“ Er gab Peter Saalfeld die Hand und verschwand dann um die Ecke des Standesamtes zum Parkplatz.
Peter Saalfeld sah ihm nach. In ihm arbeitete es.
Blohm!
Er erinnerte sich nur zu lebhaft an die Kämpfe, die er mit Jasmin ausgetragen hatte, weil sie unbedingt Kontakt zu Blohm haben wollte. Aber Blohm senior hatte ihn – Peter Saalfeld – für dumm verkaufen wollen… Mit Wut dachte er an den Tag zurück, als er seinen besten Kunden bei Blohm am Tisch hatte sitzen sehen.
Peter Saalfeld verengte seine Augen zu Schlitzen.
Jasmins Fehlen konnte nur etwas mit Blohm zu tun haben. Aber was? Er hatte alle Möglichkeiten, mit ihm in Kontakt zu treten, unterbunden.
Und was hatte das alles mit dieser Hochzeit zu tun? Warum hatte sie Arndt heiraten wollen?
In Gedanken versunken, verabschiedete er die letzten Gäste. Mechanisch schüttelte er Hände und bedankte sich fürs Kommen. Das nächste Mal würde es ganz bestimmt eine Trauung geben.
Blohm…
Peter Saalfeld konnte seinen Zorn kaum bändigen.
Was hatte dieser Kerl an sich, dass Jasmin derart reagierte? Sie hätte es mit Arndt nicht besser treffen können. Sie hätte es gutgehabt. Sie hätte die Firma verkaufen und daheim bleiben können. Arndt war fleißig. Er würde bald das große Geld verdienen. Sehr bald.
Warum tat Jasmin ihm – ihrem Vater – das an?
„Peter, ich möchte nach Hause.“ Ruth Saalfeld brachte ihren Mann aus seinen Grübeleien. „Vielleicht ist sie ja schon daheim.“
„Das würde mich wundern“, murmelte Peter Saalfeld. „Das würde mich sehr wundern.“
Er legte den Arm um seine Frau und führte sie Richtung Parkplatz.
„Arndt…“ Ruth blieb stehen und legte dem jungen Mann eine Hand auf den Arm, zog ihn aber gleich wieder zurück „Möchtest du bei uns mitfahren?“
Arndt wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Gesicht und nickte wortlos. Sein Gesicht war ganz grau vor Kummer. Er verstand überhaupt nicht, was los war.
Wieso war Jasmin nicht gekommen? Wieso hatte sie ihn einfach sitzen lassen? Was hatte er denn falsch gemacht? Er hatte sie immer mit Liebe und Respekt behandelt. Nicht einmal hatten sie sich gestritten, waren sich immer einig gewesen. Was war nur passiert?
Arndt schüttelte ratlos den Kopf. Er hatte keine Kraft mehr, Gründe zu suchen und Ursachen zu erforschen. Enttäuscht schloss er kurz die Augen, öffnete sie wieder und folgte dann mit gesenktem Haupt Ruth und Peter Saalfeld zum Parkplatz.

**

Zwei Tage später meldete sich Jasmin telefonisch.
„Kind“; rief ihre Mutter mit schriller Stimme „Wo bist du? Dein Vater ist ganz verrückt vor Sorge und Arndt wollte heute die Polizei einschalten.“
„Es tut mir leid“, kam Jasmins Stimme zögerlich über den Lautsprecher des Telefons. Ruth Saalfeld hatte ihn sofort angestellt, als sie Jasmin erkannte. „Ich will euch keine Umstände bereiten.“
“Das hast du schon getan, junge Dame“, sagte Peter Saalfeld. „Weißt du eigentlich, wie sehr du mich vor all diesen Leuten blamiert hast? Was die über uns reden, will ich gar nicht wissen!“
„Das ist typisch für dich!“ Trotz der Müdigkeit in ihrer Stimme klang Jasmin jetzt schnippisch. „Dir geht es wieder mal nur um deinen Ruf, um deine Firma…“
„Die inzwischen deine Firma ist und droht, den Bach hinunter zu gehen, weil du dich nicht kümmerst. Du hast Kunden verloren, sehr gute Kunden. Wie stellst du dir die Zukunft der Firma vor?“
„Das ist nicht wahr! Ich habe keine Kunden verloren.“ Jasmin schnappte hörbar nach Luft.
„Kern, Weidemann, Dube… Sie wechseln alle zu Blohm.“
Es war eine Sekunde lang still an der anderen Leitung. „Das stimmt nicht. Kern vielleicht, aber Dube auf keinen Fall. Ich habe erst gestern mit ihm telefoniert und…“
„Erist zu Mark Bohms Hochzeit eingeladen“, warf ihr Vater ein. „Deutlicher kann man die Sache nicht machen.“
„Er wechselt nicht, Papa“, beschwor Jasmin. „Er genießt das Tauziehen um seine Gunst, aber er wird nicht wechseln. Allein schon wegen mir.“
„Wegen dir?“ Peter Saalfeld warf seiner Frau einen fragenden Blick zu. „Was soll das heißen?“
„Er mag mich, Papa. Also wird er nicht wechseln.“
„Er mag dich, ja? Wirst du davon satt, ja?“
„Peter, bitte!“ Ruth Saalfeld legte ihrem Mann eine Hand auf den Arm.
„Eins noch, Jasmin: Mit Arndt hättest du ein sorgenfreies Leben gehabt. Der Bursche wird es noch zu etwas bringen, glaub mir. Und dann wirst es bereuen, einem Hirngespinst wie Mark Blohm hinterher gerannt zu sein. Weil im Gegensatz zu dir wird er heiraten und sich nicht wie ein Fähnlein im Wind bewegen. Und du wirst allein auf der ruinierten Firma sitzen, die mein Vater damals…“
„Peter!“ Ruth schnitt ihm hart das Wort ab. „Lass sie in Ruhe. Sie hat nichts Schlimmes getan. Sie ist verliebt, das ist alles.“
„Verliebt, dass ich nicht lache! Er heiratet eine andere, da kann es mit seiner Liebe ja nicht weit her sein. Nicht jeder benimmt sich wie Jasmin und geht ein Eheversprechen ein, nur in der Absicht, es wieder zu brechen.“
„Papa, es tut mir wirklich leid, was ich getan habe. Aber ich kann nichts für meine Gefühle. Hätte ich Arndt für den Rest meines Lebens anlügen sollen? Ich liebe ihn nicht, versteh das doch. Ich wäre nicht glücklich geworden, und das willst du doch nicht, oder?“
Peter Saalfeld schüttelte den Kopf, ohne daran zu denken, dass Jasmin ihn gar nicht sehen konnte.
„Bitte versteh, dass ich das hier nicht tue, um dir weh zu tun oder dir zu schaden. Und die Firma ruiniere ich schon nicht. Ich habe einen Mitarbeiter eingestellt, der die Besichtigungstermine wahrnimmt. Und ich habe den Laptop dabei, mit dem ich online über alle Informationen zugreifen kann. Es wird alles gut, glaub mir. Und vor allem, glaub an mich.“ Sie schluckte hart. „Kern gewinne ich bald zurück. Ich habe vor ein paar Minuten ein interessantes Objekt entdeckt. Um Dube und Weidemann mach dir mal keine Sorgen. Für Weidemann habe ich schon einen richtigen Leckerbissen…“
„Ach Kind…“ Peter Salfelds Stimme zitterte, und er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Ruth streichelte ihm besänftigend über den Arm, was noch mehr Tränen brachte, die er nicht mehr wegwischte. „Bitte komm nach Hause. Bitte, Jasmin.“
„Was ist mit Arndt?“ wechselte Jasmin abrupt das Thema, da ihr der Gefühlsausbruch ihres Vaters unheimlich vorkam. Sie kannte ihn so nicht und wusste im ersten Moment nicht, wie sie damit umgehen sollte.
„Er packt“, antwortete Ruth Saalfeld. „Aber ich hoffe, du sprichst noch einmal mit ihm?“
Jasmin zögerte einen kurzen Moment. „Ja, das werde ich auf jeden Fall tun. Ich bleibe noch ein paar Tage und gebe Arndt Zeit für… seinen Auszug.“
„Wo bist du überhaupt?“ fragte Ruth Saalfeld. Ihr Mann wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Er sah an seiner Frau vorbei, weil es ihm peinlich war, dass er – der harte Geschäftsmann – geweint hatte. Aber Ruth rührte diese Geste, und sie war froh, dass ihr Mann endlich einmal Gefühle zeigte.
„Ich bin bei Oma“, sagte Jasmin leise.
„Bei Oma?“ fragte Ruth ungläubig. „Aber wieso hat sie denn nichts gesagt? An der Hochzeit war sie so aufgewühlt wie wir alle, dabei wusste sie, dass…“
„Sie hat mich verstanden“, unterbrach Jasmin müde. „Ich durfte mich bei ihr verstecken und sie hat versprochen, mich nicht zu verraten.“
„Ich wusste gar nicht, dass deine Mutter so gut schauspielern kann“, sagte Ruth an Peter gewand und lachte.
Peter lächelte. „Ich hätte es mir denken können. Für solche Dinge war sie schon immer zu haben. Je verschworener, desto besser.“ Er schüttelte den Kopf.
„Grüß Oma schön von uns und lass dir Zeit mit deiner Rückkehr“, sagte Ruth erleichtert. „Mit Arndt kommen wir schon zurecht.“
„Danke“, sagte Jasmin mit belegter Stimme. „Es wird alles wieder gut, nicht wahr?“
„Ja, das wird es“, sagte Peter Saalfeld überzeugt.

**

Weitere zwei Tage später kehrte Jasmin zurück. Heimlich, ohne es jemandem zu sagen. Und sie begegnete Arndt, der seine letzte Nacht in der Einliegerwohnung verbringen wollte.
Er schien schon geschlafen zu haben, denn er sah sie mit müden Augen an. Sein Blick war trotz aller Müdigkeit vorwurfsvoll und zutiefst verletzt. Aber er mochte sie noch, denn hinter all den Vorwürfen und der Enttäuschung in seinem Blick blitzte Zuneigung auf. Jasmin war total verwirrt.
„Arndt…“
„Lass mich zuerst…“ Er rang sichtlich nach Worten und begann, ihrem Blick auszuweichen. Immer wieder sah es so aus, als ob er die passenden Worte gefunden hätte, verwarf sie dann aber immer wieder. Dann, nach einigen Minuten Kampf, sagte er schließlich: „Morgen wäre ich weg gewesen.“
Jasmin war noch immer verwirrt.
„Dann wäre dir diese Begegnung erspart geblieben.“
„Arndt, ich wollte sie mir nicht ersparen. Ich wollte… Nur nicht so früh.“ Jasmin unterbrach sich. Sie hatte einen Kloß im Hals, der ihr das Sprechen erschwerte.
Arndt lachte bitter. „Wie lange hättest du denn warten wollen?“
Jasmin schüttelte den Kopf. „Nicht lange, denke ich. Mir fällt das hier nicht leicht.“
„Aber es fiel dir leicht, mich vor dem Standesamt sitzen zu lassen.“
„Arndt, bitte.“ Jasmin fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und klemmte sich die Strähnen hinter die Ohren, dann ließ sie die Hände wieder sinken. „Es war nicht leicht. Ich wollte dir schon seit längerem sagen, dass ich dich nicht heiraten kann.“
„Warum kannst du das nicht, Jasmin? Meine Liebe ist stark, ich würde…“
„Rede dir doch nichts ein.“ Jasmin seufzte. „Du wohnst hier, ja, wir teilen uns ein Schlafzimmer… Aber sag mir Arndt, haben wir uns nur einmal geküsst?“
Arndt sah zur Seite.
„Nein, und du erwartest, dass wir eine glückliche Ehe führen, wenn es von Anfang an schon nicht stimmt?“ Jasmin klemmte sich eine vorwitzige Strähne wieder hinters Ohr. „Deine Gefühle sind nicht stark genug, um für uns beider zu reichen.“
„Doch, das sind sie!“ Arndt sah sie mit funkelnden Augen an, und Jasmin wurde in diesem Moment bewusst, dass er glaubte, was er da sagte.
„Aber mein Herz wäre bei einem anderen gewesen. Hättest du das gewollt?“
Arndt sah zu Boden, aber Jasmin sah, wie das Funkeln in seinen Augen erlosch. „Aber warum hast du nichts gesagt? Warum hast du meinen Antrag angenommen? Warum warst du nicht ehrlich zu mir?“
„Ich…“ Jasmin hob eine Hand, um ihren Protest Ausdruck zu verleihen, senkte sie aber gleich wieder. Diese Geste schien ihr zu übertrieben. „Ich war verzweifelt. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Der Mann, den ich liebe, heiratet eine andere.“ Jasmin holte tief Luft. „Er hat mich tief verletzt, und ich…“ Sie lachte bitter. „Und ich will es ihm mit gleicher Münze heimzahlen. Was ich mir dabei gedacht habe? Gar nichts habe ich gedacht. Ich war der vollen Überzeugung, dass er es erfahren würde. Ich war mir sicher, dass ich ihn damit genauso treffen würde, wie er mich getroffen hatte. Aber sei doch mal ehrlich: Liest du jeden Tag diese Anzeigen? Läufst du jeden Tag die Standesämter ab, um herauszufinden, wer sich angemeldet hat? Nein.“ Sie fuhr sich noch einmal durch die Haare und strich sie nicht zurück. „Ich wusste, ich hätte dir und meinen Eltern das Herz gebrochen, wenn ich die Hochzeit einfach abgesagt hätte.“
„Und das, was du getan hast, war besser?“ fragte Arndt bitter und hob den Kopf. In seinen Augen funkelte es wieder, diesmal waren es Tränen.
Jasmin wurde schmerzlich bewusst, wie sehr sie ihn verletzt hatte. Sie wusste, dass sie ihn verletzt hatte, aber sie hatte sich das Ausmaß nicht vorstellen können. Ihr war beim Telefonat mit ihren Eltern klar geworden, dass sie alles falsch gemacht hatte, was man nur falsch machen konnte. „Nein, aber das weiß ich. Ich weiß es. Jetzt würde ich alles anders machen. Ich wäre von Anfang an…“
“Hätte, würde, könnte!“ Arndt unterbrach sie barsch. Die Tränen in seinen Augen versiegten augenblicklich. „Klare Entscheidungen, klare Worte, mehr nicht, Jasmin.“ Er fuhr sich mit der flachen Hand über den Mund. „Ich habe dir gesagt, lass dir Zeit, denk darüber nach. Ich wollte, dass du ehrlich bist, dir gegenüber und mir gegenüber. Stattdessen spiele ich plötzlich in deinem Theaterstück mit, werde ausgelacht und von Leuten vertröstet, die das Ganze wohl noch witzig finden.“ Er schwieg kurz, aber Jasmin sagte nichts, weil sie spürte, dass er noch nicht fertig war. „Ich habe dich immer mit Liebe, Respekt und Wertschätzung behandelt, wie einen Freund und eine geliebte Frau. Ich habe erkannt, dass ich keine Fehler gemacht habe, so sehr ich sie auch bei mir gesucht habe. Aber du hast uns alle für dumm verkauft. Du warst nicht ehrlich zu dir selbst. Und was hast du nun davon? Nichts, gar nichts. Weder hast du den Mann, den du liebst, erobert, noch hast du etwas anderes erreicht.“ Er machte wieder eine kurze Pause, in der er sich zu seinen gepackten Sachen umdrehte. „Da du ja jetzt wieder da bist, ist es wohl das Beste, ich gehe gleich. Meine Sachen habe ich soweit gepackt…“
„Nein, blieb ruhig.“ Jasmin hob in einer hilflosen Geste die Hand, ließ sie aber kraftlos wieder sinken. „Ich… ich werde drüben bei meinen Eltern schlafen. Sie werden sich freuen, dass ich wieder da bin…“
Arndt schüttelte den Kopf, als er sich zu einer der Taschen hinunterkniete und eine Jeans und einen Pulli herauskramte.
„Und du hast recht. Ich habe nichts gewonnen, nur alles verloren. Nichts kann wieder gut machen, was ich dir angetan habe, das ist mir klar geworden in den letzten Tagen. Es tut mir leid, von Herzen leid.“
„Das macht es nicht weniger schmerzhaft“, sagte Arndt, der nun wieder aufstand und ihr den Rücken zuwandte. Er verschwand rasch im Schlafzimmer und zog sich um. Als er wieder herauskam, stand Jasmin noch immer mitten im Raum.
„Gute Nacht, Arndt“, sagte Jasmin und ging an ihm vorbei, Richtung Bad.
„Gute Nacht“, sagte Arndt zitternd und flüsterte: „Ich liebe dich, Jasmin.“
Aber sie war schon im Bad und das Knallen der Tür verschluckte seine Worte. Sie war regelrecht geflüchtet vor den Wahrheiten, die Arndt ihr gezeigt hatte.

**

Heute, dachte Jasmin.
Heute, das war zwei Wochen nach Arndts Auszug.
Betrübt saß sie an ihrem Küchentisch, vor ihr stand eine Tasse Kaffee, die sie aber noch nicht einmal angerührt hatte.
Heute sollte es also soweit sein: Mark heiratete.
Eine andere.
Jasmin atmete tief ein und bekämpfte gleichzeitig ihre Tränen.
Sie hatte es nicht getan, sie hatte keinen Kontakt zu Mark aufgenommen, auch wenn nach ihrer Rückkehr alle Vorkehrungen, die ihr Vater hatte treffen lassen, wieder aufgelöst worden waren. Nichts und niemand hätte sie gehindert, den Telefonhörer zu nehmen und seine Nummer zu wählen.
Aber sie hatte nicht die Kraft dazu gehabt.
Die Tage in der Firma waren lang und anstrengend. Mehr als einmal hatte sie sich ihren Vater an ihre Seite gewünscht, als seelische Unterstützung, nicht zum Arbeiten. Sie hatte ihn bei sich haben wollen, ganz nah, damit er sie hätte auffangen können, wenn sie wieder in ein schwarzes Loch gefallen wäre. Aber er war nicht bei ihr gewesen, war nicht da, ebenso wir Arndt.
Der hatte ganz unbürokratisch seinen Vertrag mit Saalfeld Immobilien beendet, indem er ihn einfach zerrissen hatte. Er hatte, wie er sagte, gute Angebote von diversen Unternehmen und Kanzleien, die ihn schon länger im Auge hatten und froh über die Nachricht waren, ihn nun endlich in ihr Team bringen zu können. Um ihn brauche man sich keine Sorgen machen, er würde seinen Weg machen. Er bot an, auch nach seinem Ausstieg, seinen Nachfolger in die wichtigsten Fälle einzuarbeiten, aber Jasmin hatte sich noch nicht dazu durchringen können, überhaupt einen Nachfolger zu suchen. Es war ein seltsamer Gedanke, jemand anderem als Arndt die Rechtsgeschäfte anzuvertrauen, der Jasmin nachhaltig daran hinderte, zu suchen. Arndt war der Beste, den sie kriegen konnten. Sie gab sich keine Mühe, scheute jeden Gedanken und war Arndt unendlich dankbar, dass er der Firma noch so loyal gegenüberstand, dass er Termine für Saalfeld Immobilien wahrnahm. Diese Termine – so hatte er aber gefordert – erledigte er allein. Auch ihre Kommunikation war auf das Nötigste beschränkt, hauptsächlich verständigten sie sich per Fax oder E-Mail. Für beide keine besonders guten Voraussetzungen, aber sie arrangierten sich. Er war immer da, wenn es brannte, aber rein geschäftlich. Und – so musste Jasmin zugeben – ihr fehlte seine Freundschaft mehr, als sie jemals gedacht hätte. Sie hatte ihre Plaudereien, Verabredungen, sein ständiges Werben als gegeben hingenommen. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass es einmal anders sein würde. Denn es hatte vor zehn Jahren, als Arndt die Nachfolge des alten Anwalts angetreten hatte, genauso angefangen.
Zehn Jahre!
Und jetzt fehlte ihr das so schrecklich, was sie sich früher immer weggewünscht hatte: sein Werben, seine Anwesenheit, ihn.
Und zu all dem kam noch, dass Mark heute heiraten sollte.
Eine andere.
Nach wie vor.
Und sie konnte nichts tun. Gar nichts.
Seufzend griff sie nach einer Tageszeitung in der Hoffnung, dadurch abgelenkt zu werden. Sie blätterte lustlos hierhin und dorthin, las Artikel an, die sie nicht im Geringsten interessierten, überflog die Comics, die niemals weniger komisch gewesen waren als heute. Im Anzeigenteil fand sie Geburten, Geburtstage und… Marks Hochzeitsanzeige.
„Was…“ Jasmin runzelte die Stirn.
Warum war die Anzeige…?
Sie warf einen Blick auf das Datum der Zeitung. Sie war nicht von heute.
Aber wieso lag sie hier?
Dann fiel ihr ein, dass Arndt ihre Angewohnheit, Altpapier erst dann in die Tonne nach draußen zu tragen, wenn sie draußen zur Abholung bereit stand, nicht gemocht hatte. Er hatte alles zusammengetragen, um es zu entsorgen, aber dann…
Sie sah wieder zur Anzeige.
Heutiges Datum, 11 Uhr, Standesamt.
Jasmin warf einen Blick auf die Uhr.
Eine Stunde noch.
Und dann wusste sie plötzlich nicht mehr, was sie tat. Sie hatte keine Kontrolle mehr.
Sie legte die Zeitung beiseite und stand langsam auf. Dann brach sie in ein irres Gelächter aus, drehte sich einmal um sich selbst und rannte ins Bad. Noch unter dem eiskalten Prasseln der Dusch zog sie sich den letzten Socken aus und warf ihn, klatschnass, wie er war, ins Waschbecken gegenüber. Sie spürte nicht, wie eisig das Wasser war, spürte nur, wie es an ihr entlang rann und alle Sorgen und Nöte fortwischte. Fast beschwingt trat sie aus der Dusche, trocknete sich nachlässig ab und schlang dann das Handtuch um die nassen Haare. Nackt, wie sie war, rannte sie in ihr Schlafzimmer, zerrte Unterwäsche, eine Jeans und eine weiße Hemdbluse heraus. Mit fahrigen Fingern schloss sie erst die Knöpfe an der Jeans, dann die an der Bluse. Sie hatte keine Zeit, sich Gedanken zu machen, ob sie die Knöpfe richtig zugeknöpft hatte. Voller Schreck sah sie auf die Uhr, schon zehn Minuten vor halb elf! Und sie brauchte mindestens eine halbe Stunde in die Stadt. Und heute, am Samstag wohl eher noch länger. Da war alles voller Menschen mit Freizeit und das gute Wetter lockte sie womöglich alle in die Innenstadt. Sie rannte ins Bad, riss das Handtuch vom Kopf, und band die noch nassen Haare zu einem Zopf zurück. Sie wusste, dass ihre Haare sie nicht im Stich lassen würden, wenn sie sie so trocknen ließ. Sobald sie trocken waren, konnte sie den Zopf lösen. Dann hätte sie unter Locken und die Haare oben waren glatt. Aber für solche Gedanken hatte sie keine Zeit, sie musste sich sputen, wollte sie überhaupt etwas erreichen.
Sie rauschte aus dem Bad, schlüpfte in ihre Ballerinas, schnappte sich den Autoschlüssel und die Handtasche und schon war sie zur Tür hinaus, die knallend ins Schloss fiel.
Schon kurz vor halb elf.
Es würde knapp werden.
„Jasmin, wo willst du denn hin?“ rief ihre Mutter, die gerade kritisch die Rosen betrachtete, die der Gärtner ihr empfohlen hatte.
„Keine Zeit!“ rief Jasmin gehetzt, winkte kurz und schon saß sie in ihrem Sportwagen. Sie brauste los, dass nur noch eine Staubwolke von ihr übrig blieb.
Ruth Saalfeld schüttele den Kopf ob dieser bekannten Szene und lächelte. Was immer das Kind vorhatte, es würde das Richtige tun.
Jasmin holte alle aus dem Wagen heraus. Sie fuhr wie der Teufel und Verkehrsregeln waren ihr zum ersten Mal unwichtig.
Sie hatte keine Zeit, konnten die anderen das nicht sehen?
Kurz nach halb elf. Sie zweifelte zum ersten Mal, ob sie es überhaupt rechtzeitig schaffen würde und nahm automatisch den Fuß vom Gas. Aber dann packte sie wieder der Wille, um das zu kämpfen, was ihr gehörte, und sie drückte das Pedal durch. Mit quietschenden Reifen beschleunigte der Wagen und schlidderte um eine Kurve, ohne, dass Jasmin das Tempo verringerte.
Kurz vor elf war sie in der Innenstadt und steckte fest. Der Verkehr war um diese Uhrzeit und für dieses Wetter typisch. Aber hinderte Jasmin nicht daran, wie wild zu hupen, zu drängeln, zu überholen und Verkehrsregeln zu missachten, wo es nur ging.
Sie war besessen von dem Gedanken, das Standesamt zu erreichen. Es gab nichts Wichtigeres für sie ein diesem Moment, gar nichts.
Elf Uhr.
Sie bretterte mit einhundert Sachen durch eine verkehrsberuhigte Zone, eine Abkürzung, die ihr Vater ihr einmal gezeigt hatte, und überfuhr eine rote Ampel.
Sie musste einfach dahin.
Sie musste Mark sehen.
Und dann war sie da.
Ungläubig legte sie eine Vollbremsung hin und stand nun quer auf dem Vorplatz des Standesamtes. Unnötige Sekunden verstrichen, in denen sie nur dasaß und das Standesamt anstarrte.
Sie war da, fünf Minuten zu spät.
Dann kam endlich wieder Leben in sie. Sie sprang aus dem Wagen, ließ den Schlüssel stecken und die Tür offen stehen.
Es interessierte sie nicht.
Sie lief die Stufen zum Eingang hoch und polterte gegen die Eingangstür. Einen entsetzlichen Moment lang dachte sie, die Tür wäre verschlossen, aber sie hatte sie nur falsch öffnen wollen. Sie zog die Tür auf und rannte hinein. Es war angenehm kühl, aber dafür hatte Jasmin kein Empfinden.
Wie erstarrt stand sie da und wusste nicht, wohin. Panisch suchte sie nach einem Hinweis, wo Mark sein könnte, als ihr der Aushang an der Pinnwand gegenüber auffiel. Marks Name sprang sie förmlich an, und die Zimmernummer war leicht zu merken. Jasmin rannte los und zählte atemlos die Zimmer, bis sie das richtige erreicht hatte.
Sieben Minuten zu spät.
Sie atmete schwer und schwitzte vor Anstrengung.
Was, wenn sie zu spät kam?
Was, wenn sie eine große Dummheit beging?
Aber, dachte Jasmin, das bekomme ich nur heraus, wenn ich etwas tue.
Und damit öffnete sie die Tür.
Der Raum war nicht groß, aber voll gestellt mit Stühlen. Alle Stühle waren besetzt und einige der Gäste, die weiter hinten saßen, drehten sich zu Jasmin herum. Sie schauten sie neugierig und gleichermaßen verärgert an.
Aber Jasmin hatte dafür keinen Blick. Sie sah nur nach vorne, dort, wo Mark und diese andere Frau saßen.
Das Gemurmel der Gäste wurde inzwischen immer lauter und immer mehr Gäste drehten sich zu Jasmin herum.
Aber sie stand nur da und starrte auf Marks Rücken.
„Herrschaften, bitte.“ Der Standesbeamte stoppte mitten in seiner Rede und sah verärgert auf, um herauszufinden, was dieser Tumult bedeutete. Seine Stirnfalten zeigten tiefe Furchen, als er Jasmin entdeckte, die atemlos im Mittelgang stand. „Ja?“ fragte er mehr neugierig, und die Stirnfalten glätteten sich urplötzlich.
Jetzt drehten sich auch Mark und seine Braut um. Mark starrte sie an, als ob sie ein Geist wäre. Er blinzelte ein paar Mal, um sicher zu sein, dass sie wirklich dort stand.
„Wer sind Sie denn?“ fragte Marks Braut und beäugte sie misstrauisch. „Was wollen Sie hier?“
Jasmin öffnete den Mund, um zu antworten, aber es kam kein Ton heraus. Schamesröte stieg ihr ins Gesicht, denn plötzlich wurde ihr klar, wie dumm das war, was sie hier tat.
Was hatte sie sich eigentlich gedacht?
Wie hatte sie nur annehmen können, sie würde mit ihrer Aktion etwas ausrichten können?
Wer gab ihr das Recht, Marks Hochzeit zu ruinieren?
Sie drehte sich um und floh aus dem Zimmer.
„Frau Saalfeld!“ Blohm senior hatte sie erkannt, aber sie hörte nicht mehr, wie er nach ihr rief.
Jasmin rannte, so schnell sie konnte zum Ausgang. Tränenblind polterte sie schon nach kurzer Zeit gegen die Ausgangstür, verwechselte wieder „ziehen“ mit „drücken“ und stand schließlich draußen im gleißenden Sonnenlicht. Sie wischte sich mit einer Hand über das Gesicht und entdeckte dann ihren Wagen auf dem Vorplatz: quer stand er da, mit offener Fahrertür. Entsetzt über diesen Anblick stand sie einfach nur da.
Was hatte sie sich dabei gedacht?
Wie dumm musste sie sein, anzunehmen, er würde alleine bei seinem Anblick alles stehen und liegen lassen?
Sie schämte sich so schrecklich und neue Tränen füllten ihre Augen. Sie wischte sie achtlos weg und konnte sich endlich wieder bewegen. Mit einer fahrigen Geste strich sie das Haargummi aus ihren Haaren und streifte es über ihr Handgelenk. Sie fuhr sich ein paar Mal durch die Haare und machte dann die ersten Schritte auf ihren Wagen zu.
Dann flog die Tür hinter ihr auf.
Jasmin drehte sich erschrocken mitten im Schritt herum. Ihr graute davor, wer da durch die Tür kam. Ihr graute davor, Erklärungen abliefern zu müssen. Ihr graute davor, ihrem Vater sagen zu müssen, was sie getan hatte.
Die Tür schien sich jetzt, wo Jasmin hinsah, in Zeitlupe zu bewegen. Sie hörte Rufe und Schreie, die ihr undeutlich ins Ohr drangen, aber sie konnte keinen Sinn in ihnen entdecken. Alles war durcheinander, wild und wirr.
Und die Tür öffnete sich noch immer.
Jetzt konnte sie sehen, wer die Tür öffnete.
Mark.
Er rannte die paar Meter, die sie Vorsprung hatte, und ergriff sie am Arm. Es tat weh.
Aber nicht, weil er so fest zupackte, sondern die Wärme seiner Berührung explodierte in Jasmin. Sie knickte fast in den Knien ein, als er ihren anderen Arm ergriff. Seine Augen funkelten und einen verrückten Moment lang glaubte Jasmin, er würde sie jetzt schütteln und anschreien, was sie sich dabei dachte, sein Hochzeit zu ruinieren.
Aber dann erkannte Jasmin, dass das Funkeln kein Zorn war, es war Freude, Überraschung, Anerkennung.
Mark kam immer näher und bald war sein Gesicht so nah an ihrem, dass sie fast in seinen Augen zu ertrinken drohte. Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem tränennassen Gesicht und dann war er so nah bei ihr, dass sie seine Körperwärme spürte. Sie schloss die Augen.
Dann spürte sie seinen Atem auf ihren Lippen, dann seine Lippen auf ihren.
Ein Strudel erfasste Jasmin: Glück, Unglaube, Liebe packten von allen Seiten gleichzeitig zu, hoben sie hoch und schienen sie zu tragen wie Wellen. Die Welt schrumpfte für sie zusammen auf diesen einen Moment.
Sie hörte nichts, fühlte nichts.
Da waren nur sie beide.
Und dann war es vorbei.
Seine Lippen lösten sich von ihren, sein Körper löste sich von ihrem, sein Griff um ihre Arme ließ los. Er ging.
Jasmin öffnete die Augen.
Der Tumult brach ganz unerwartet auf sie herein. Sie waren umgeben von teils empörten, teils amüsierten Hochzeitsgästen. Braut- und Bräutigamseltern schalten auf Jasmin ein. Die Braut zerrte an Marks Arm, den sie ihm fast auf den Rücken drehte. Hände griffen nach Jasmin, zogen sie nach hinten. Stimmen drangen auf sie ein, deren Worte sie nicht verstand. Ihre Augen waren auf Mark fixiert, der nur sie anstarrte. Sein Arm war schmerzhaft nach hinten gebogen, seine Braut zog und zerrte an ihm, schrie auf ihn ein und weinte.
Mit einer einzigen Bewegung riss Mark sich los und kam die paar Schritte, die die Hochzeitsgäste sie auseinander getrieben hatten, auf Jasmin zu.
Er griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich.
Fassungslos erstarrten die Braut, die Eltern und die Hochzeitsgäste. Schlagartig war es still.
Mark zog Jasmin mit sich zu ihrem Wagen. Unter den Augen der Gäste stiegen sie ein, doch keiner tat etwas.
Jasmin startete den Wagen, zu perplex, um etwas zu sagen. Gerade, als sie Gas gab, warf sich die Braut vor das Auto. Donnernd polterten ihre Fäuste auf die Motorhaube. Jasmin bremste mit voller Wucht und kam zum Stehen, ohne, dass der Braut etwas passiert wäre.
Ihr Gesicht war verzerrt vor Wut und Tränen. Makeup war verlaufen und ihre Haare lösten sich aus der kunstvollen Frisur. Sie schrie, aber Jasmin konnte sie kaum verstehen.
Mark öffnete plötzlich die Wagentür und stieg aus.
Das Gesicht der Braut hellte sich ein wenig auf, als er zu ihr kam und sie am Arm fasste. Sie sprachen miteinander, aber Jasmin konnte nichts hören. Er wirkte so ruhig und besonnen. Sie wirkte dagegen wie eine Furie, sie gestikulierte wild, scheinbar wahllos. Mal schrie sie ihn an, mal sprach sie ganz ruhig. Jasmin folgte dem Schauspiel vor ihrer Motorhaube fasziniert.
Dann zog Mark die Braut bestimmt zur Seite und steig wieder in den Wagen. Kaum hatte er die Tür zugeknallt, gab Jasmin Gas. Sie forderte dem Sportwagen und ihrem fahrerischem Können alles ab, bis sie endlich aus der Stadt waren und an einem Seitenweg anhielten. Jasmin schaltete den Motor aus und starrte einen Moment geradeaus, dann sah sie zu Mark.
Er lächelte und in seinem Blick lag eine Zärtlichkeit und Zuneigung, die sie kaum beschreiben konnte. Ihr wurde warm, und sie fühlte sich sicher und geborgen.
Mark hob eine Hand und streichelte ihre Wange. Dann rückte er näher, bis dicht beieinander waren. Sie blickten sich in die Augen.
„Ich liebe dich“, sagte er.
Jasmin hatte nie schönere, erste Worte gehört.
 

Rei

Mitglied
Hallo,

ist die Geschichte zu lang oder zu schlecht, daß keiner antwortet? 45 Leute haben sie bisher gelesen...

Ich erwarte keine Erörterung oder so, nur im Grobem, ob die Geschichte geht oder einfach nur grottenschlecht ist. Dann habe ich wenigstens einen Anhaltspunkt.

Danke!

erwartungsvolle Grüße, Rei
 

Mazirian

Mitglied
Hallo Rei,

zu lang? Weiß ich nicht: Ein Text ist dann richtig, wenn er so lang ist, wie er sein muss (Blöder Kommentar, ich weiß - aber auch zenmäßig weise ;)).

Grottenschlecht? Auch nicht. Zumindest handwerklich hab ich nicht viel daran auszusetzen, wenn ich auch zugeben muss, dass mir einfach die Zeit gefehlt hat, um ihn ganz zu lesen.

Aber nicht nur die Zeit. Auch die Lust. Nachdem ich die ersten Absätze gelesen habe, und absolut nichts passiert ist, außer dass Stühle gerückt wurden und man sich auf Autositzen zurecht geschoben hat, konnte ich nicht absehen, ab wann denn nun die interessanten Dinge geschehen, und hab einfach aufgehört zu lesen.

Naürlich gehört es zu den Aufgaben eines Autors/einer Autorin, das Setting so zu beschreiben, dass der Leser es visualisieren kann. Aber ich glaube (!), dass du hier mit den Detailbeschreibungen ein wenig zu viel des Guten tust. Ein "gekonnt aufgespannter Regenschirm" ist zu sublim, um mich als Leser (zumindest am Anfang eines Textes) zu erreichen.
Du verlierst dich in diesen Detailbeschreibungen, statt die Handlung voranzutreiben (oder überhaupt erst beginnen zu lassen) und dem Leser einen "Teaser" zu bieten, der ihn in die Geschichte zieht.
Details sollten immer der Handlung "dienlich" sein. Wo sie für die Geschichte keine Bedeutung haben, kann man sie weglassen oder entsprechend kurz behandeln.
Beispiel:
Dass Jasmin einen dünnen Hosenanzug trägt, mag für sie als View-Point-Charakter noch erwähnenswert sein, dass aber ihre Mutter auch einen trägt, interessiert mich (Einzelmeinung!) schon sehr viel weniger. Wenn du bei den Beschreibungen so in die Tiefe gehst, wird es dir schwer fallen, eine vernünftige Grenze zu ziehen. Warum nicht auch die Nagellackfarbe erwähnen? Das Metall der Schuhschnallen? Das Material des Uhrenambands? Wenn du kein Argument dafür findest, dass es wichtig ist, dann ist es nicht wichtig ("Ich will möglichst anschaulich beschreiben" ist KEIN Argument! Das einzige Argument ist: "Ich will, dass der Leser weiter liest")
Auf der anderen Seite versäumst du oft, zu zeigen, was du behauptest.
Noch ein Beispiel:
Er war charismatisch und zog ihren Blick magisch an
Als Leser bekomme ich keinen Hinweis darauf, warum er charismatisch ist. Was tut er? Wie guckt er?. Was ist so besonderes an ihm? Das würde mich als Leser interessieren, um mit Jasmin mitfühlen zu können. Aber diese Information übergehst du.
Ein weiterer Kritikpunkt wären die Dialoge, die ich als etwas "papiern" empfinde. Wenn du innerhalb der Dialoge, die richtigen Formulierungen findest, brauchst du auch die umständlichen Beschreibungen, wie "voller Schreck", etc. nicht. Emotionen beim Leser entstehen nicht dadurch, dass du Bescheid sagst: "Hier Herzklopfen", sondern dadurch, dass er beim Lesen miterlebt und durch das Gesehene von selber Herzklopfen bekommt. Sei geizig mit Gefühlsbeschreibungen. Zeige einfach, was passiert.

Alles in allem würde ich behaupten, dass du den Text auf ein Drittel kürzen kannst, ohne dass dem Leser etwas an wesentlicher Information verloren ginge. Dafür würdest du einiges an Tempo und Spannung gewinnen.

So, ich hoffe das war "grob" genug und hilft dir vielleicht etwas weiter. Natürlich ist es nur eine Meinung unter vielen, auch wenn sie nicht alle niedergeschrieben werden.

schönen Gruß

Achim
 

Rei

Mitglied
Hallo Achim,

danke für Deine Rückmeldung.

Und Du hast meine Befürchtung bestätigt, daß ich zu viel beschreibe und zu wenig passieren lasse. *seufz* Da dies meine erste Geschichte in diese Richtung war, war ich mir nicht sicher, wieviel ich hinzufügen und / oder weglassen kann. Ich wollte viel Details bringen, um den Leser alles so genau wie möglich vor Augen zu führen. Und bin dabei wohl über das Ziel hinaus geschossen.

Vielen Dank! Damit kann ich schon was anfangen!!

Gruß, Rei
 
B

Bluomo

Gast
Hallo Rei,

ein paar kurze Anmerkungen: (Meine Meinung und nur meine Meinung).

1. Überdenke deine Liebeskonzeption: Du hast den Standart: Jemand sieht jemand anderen und verliebt sich. Dann wird ihm heiß. Deine Figur stellt dann mindestens drei Mal überrascht fest- ich bin verliebt.
Aber das Entscheidende ist, daß du es nie erklärst. Warum verliebt sie sich in ihn, was sieht sie in ihm, was macht ihn so besonders, anders, interessant.
Wenn ich Menschen frage, was sie an ihrem Partner lieben, dann kriege ich sehr skurille antworten. Da mag es ein Grübchen sein, die Unordnung, die riesigen Segelohren, die Art die Augen zu rollen. Zeige warum sie ausgerechnet ihn will.

2. Deine Beschreibungen sind nicht nur lang, sondern teilweise auch langweilig und überflüssig. Nimm das Beispiel mit dem Regenschirm am Anfang: Welche Funktion haben diese Zeilen für deine Geschichte?? Keine. Sie charakterisieren nur sehr wenig und sind überlang. Diesen Teil kannst du komplett streichen und dabei kommt er sogar zweimal, einmal für sie, einmal für die Eltern.
Und so könntest du einige weitere Beschreibungen direkt streichen, da sie keine Funktion in der Geschichte haben.

Andere Beschreibungen versuchen alles zu beschreiben- aber das wichtige ist nur das wichtige zu beschreiben, und ein Teil für das Ganze zu beschreiben: Als Beispiel: Ein Restaurant kennt jeder, also brauchst du das übliche nicht zu beschreiben. Sondern nur das, worin sich das Restaurant von anderen unterscheidet. Und das kurz: Ein vornehmes Restaurant: Hat einen Empfang (Nebensatz), einen Sommelier- und dann zwei Sätze zum Interieur. Das reicht.

3. Deine Hauptfigur wirkt wie eine 16jährige, und verhält sich zumindest bis zur Mitte so. Hier sollte sie sich gegen den Vater früher durchsetzen und etwas unternehmen. So wirkt sie extrem jung und unerfahren. Niemand nimmt ihr ab, dass der Vater ihr so die Firma übergibt. Und das sie ihn nicht anruft- wirkt als wäre sie 15.

4. Überlege dir bitte mal, ob du bestimmte Zwischenszenen wirklich wichtig sind: Warum bringst du z.Bsp. eine lange Szene, daß sie ihn nicht anrufen kann. Warum den Gerichtsprozeß. Ich würde das auf maximal 5 Zeilen zusammenfassen, weil kaum etwas passiert. Und die umfangreichen Szenen waren mir viel zu viel.

5. Dialoge wirken nicht echt!, sondern konstruiert.

Das war erst einmal das wichtigste. Nicht entmutigen lassen!! Die ausführlichen Beschreibungen sind ein Schreibexperiment wert- und gerade wenn es nicht ganz so klappt, lernt man am meisten. ( Weiß ich aus eigener Erfahrung).

Gruss

Bluomo
 



 
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