Du bist ja ein Rechter

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

steinbox

Mitglied
Du bist ja ein Rechter

„Bitte treten sie zurück, die Türen schließen sich automatisch.“ Pieeeeep, Pieeeeep. Rumms!
Nach einer langen, durchzechten Nacht war das Piepen der sich schließenden U–Bahntüren besonders schrill. Ich ließ mich auf eine Edding – verschmierte Sitzbank sinken und überflog die Überschriften in der TAZ.
„Nächste Haltestelle Hermannplatz.“
Das Bremsen verursachte ein übles Gefühl in meinem Magen.
„Bitte treten sie zurück, die Türen schließen sich automatisch.“ Pieeeeep, Pieeeeep. Rumms!
An der Haltestelle Hermannstraße setzte sich ein Mann mit zerrissener Hose, Bundeswehrstiefeln und Kapuzenjacke mir gegenüber.
Kaum war U-Bahn angefahren, da schlägt er mir mit der Hand auf die Zeitung und raunzt mich an: „Du bist ja ein Rechter!“
Ich nahm die Zeitung herunter.
„Ich?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Ja, du!“ Er rammte seinen Arm samt ausgestrecktem Zeigefinger in den Luftraum zwischen uns.
„Wieso denn?“ fragte ich ungläubig und kam mir mit einem mal vor wie ein Angeklagter der Nürnberger Prozesse.
„Die Zeitung!“
„Aber das ist die TAZ.“ Ich hielt ihm das Titelblatt entgegen.
„Egal!“ schrie er,„Alle, die Zeitung lesen, sind Rechts!“ Ich schätzte seine und meine alkohollädierte körperliche Verfassung ein, dann sagte ich:
„Und du, da liegt doch auch eine Bildzeitung neben dir.“ Und wies auf die Zeitung neben ihm.
„Die ist nicht von mir!“ kläffte er zurück und seine Adern begannen sich deutlich auf seiner Stirn abzumalen.
„Klar ist die von dir. Du hast sie doch sicherlich gelesen, oder?“
„Du weißt genau, daß das nicht wahr ist! Die habe ich noch nie gelesen!“
„Doch!“ sagte ich entschieden und nahm die Zeitung wieder hoch.
Er spuckt mir auf den Schuh.
Ich nahm die Zeitung wieder herunter und spucke ihm auf die Hose.
Er spuckte mir auf die Jacke.
Da stand ich auf und setze mich zwei Reihen weiter.
Als nächstes pöbelte er einen Mann an, der aussah wie ein türkischer Familienvater auf dem Weg zur Arbeit.
„Du blöder Schneuzerfaschist.“ Grölte er, den Mittelfinger hochgereckt. „Ihr Türken, ihr seid doch alle rechts!“
Der Mann blieb ruhig.
„Nächste Haltestelle Nogatstrasse.“
„Du Mörder!“ die Stimme des Kapuzenmannes überschlug sich im Eifer, die Lautstärke der Durchsage zu übertreffen.
Als die U-Bahn gehalten hatte ging der „Schneuzerfaschist“ auf den Schreihals zu, holte weit aus, gab ihn eine schallende Ohrfeige und den Rat:
„Geh arbeiten!“
Dann verließ er die U-Bahn.
Der Zurückgebliebene saß eine Weile mit weit geöffneten Augen und Mund still auf seinem Platz. Dann zerknüllte er die neben ihm liegende Bild-Zeitung zu einem Ball, warf ihn in meine Richtung unter den Worten:
„Siehste, du Idiot! Das hast du jetzt von deinem Zeitung lesen“
 

Zefira

Mitglied
Ulkige Momentaufnahme...

... ist amüsant - wirklich passiert?
Ich würde mir nur wünschen - auf die Gefahr hin, daß man mir jetzt Schubladendenken unterstellt -, daß der Choleriker mit der zerrissenen Hose etwas deutlicher wird. Ist das nun ein Penner, ein Punk oder was?
Vielleicht wäre da eine ungefähre Altersangabe schon hilfreich.
Ansonsten - herrlicher Erzählton, der Absatz

"Er spuckt mir auf den Schuh.
Ich nahm die Zeitung wieder herunter und spucke ihm auf die Hose.
Er spuckte mir auf die Jacke.
Da stand ich auf und setze mich zwei Reihen weiter."
... der ist allein schon preiswürdig.
*Schlapplach* *nie im Leben U-Bahn fahr*
Zefira
 



 
Oben Unten