Durch die Nacht

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rothsten

Mitglied
Dein Name friert sich in mein Herz und zerbricht es wie Scheiben. Die Scherben kichern, und aus jeder Ecke brüllen zerrissene Fratzen. Ich muss raus.

Bäume im Wind. Mit knöchernen Ästen greifen sie in die Kälte. Ich höre die Blätter seufzen, sie mögen endlich fallen, und Totenköpfe klammern sich fest an den Türmen der Nacht.

Die Straßen sind Trichter, sie führen zu Dir. Ich folge dem Blendwerk Deiner schlohweißen Haare, ihr Duft webt mir ein süßliches Netz. Deine Augen sind tiefe Brunnen aus schwarzen Tränen. Ich trinke aus ihnen, schlucke wieder Dein Gift und lösche Deine brennenden Narben mit dem Blut meiner Lippen. Du bist bei mir, mein Mädchen. Der Wind, der Wind. Er bläst die Kerze. Aus.
 
A

aligaga

Gast
Ein bisschen zu viele Versatzstücke auf einmal, finde ich, @rothsten - das Herz bricht, Blätter seufzen und fallen, Fratzen brüllen, Totenschädel klammern, Straßen führen, Haare sind schlohweiß, Düfte weben, Narben brennen, Brunnen sind tief und die Tränen schwarz, Lippen bluten und der Wind bläst.

Die aufgefädelten Sprachhülsen machen zwar einen Mordsradau, aber dem Hörer erschließt sich nicht recht, was sie einem denn vorklappern wollen. Es fehlt am Takt, den Vorzeichen und der Intonation. Ist da jemand? Ist er betrunken? Unglücklich? Depressiv? Nur eine pathetische "Scheiße, sie ist weg"-Nummer? Oder irgendwas anderes?

Zum wirklich Ergriffensein reicht das nicht. Ein bisschen unglücklich schon der erste Satz mit den unbestimmten "Scheiben". Der Leser denkt erst an Aufschnitt und muss nachkorrigieren: Ach so, der Autor meint Glasscheiben. Ein Herz aus Glasscheiben? Sag doch einfach "Glas". Dann hast du zwar noch ein Klischee mehr im Text, aber es läse sich besser.

Tipp: lass den Leser ahnen, warum hier die Welt schon wieder untergeht. Dann kann er entscheiden, ob er mit ergriffen sein möchte oder dein lyrische Ich für ein Weichei halten soll.

Gruß

aligaga
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo rothsten,
wilde Sache, die Du uns hier zeigst. Inhaltlich bin ich noch nicht durch, das braucht noch.

Vorab eine Anregung für den ersten Absatz. Vorschlag:

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Dein Name friert sich in mein Herz und zerbricht es wie [blue]Glas[/blue]. Die Scherben kichern, und aus jede[blue]m[/blue] [blue]Splitter[/blue] brüllen zerrissene Fratzen. Ich muss raus.
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lg
die dohle
 
D

Die Dohle

Gast
Zum Thema, hallo rothsten, auch ich rätsle.

Zum einen kommt mir das Thema Eros-Thanatos in den Sinn, passt aber irgendwie nicht wirklich. Eher vielleicht eine Betrachtung über das Sterben. Der Versuch, dem furchterregenden, bedrohlichen & zerstörerischen Sterben etwas liebevolles, respektvolles abzugewinnen. Mich würde eine dürre Skizze Deines Unterbaues, der Dich zu diesem Text geführt hat, interessieren.

lg
die dohle
 

rothsten

Mitglied
Hallo Ihr Beiden,

vielen Dank für die ausführliche Beschäftigung mit meinem Text.

@aligaga:
Ich nehme Deinen Haupt-Einwand ernst, denn es geht nur darum, dass der Leser abgeholt wird. Klischeehaft ist zwar ein starker Vorwurf, aber ich stelle mich auch diesem.

Ein "Totenschädel" kommt allerdings nicht vor, es ist ein Totenkopf, das ist ein Nachtfalter, so genau will ich bleiben. Aber das ändert nicht das Problem.

@Dohle:
Ich will nicht zuviel erklären. Mein Standpunkt ist auch der, dass ein Text, den der Autor lange erklären muss, gescheitert ist. Nur so viel: Deine Überlegungen kommen meiner Absicht nahe.

Ich ahne, dass ich zuviel wollte. Zumindest aber nehme ich Eure Beschreibungen "Mordsradau" und "wilde Sache" mit. Mal schauen, ob ich den Text noch retten kann.

Sehr lehrreiche Kommentare, ich danke Euch!

lg
 
A

aligaga

Gast
Das mit den Totenköpfen schnallt wirklich niemand, @rothsten. Lass sie wenigstens über den Türmen schwärmen, dann könnte wirkliche einer draufkommen - vorausgesetzt, er läse deinen Text.

Aber wer machte das schon?

Gruß

aligaga
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo rothsten,
... meinte nicht erklären, vielmehr berichten. Warum? Darum: Es ist sehr schwierig, einen zunächst sich nicht ohne Weiteres erschließenden Text zu beurteilen, wenn einem "die Schuhe des Verfassers" nicht vertraut sind. Daher meine Frage. Falls ich mit meiner Deutung Deiner Spur in etwa nahe komme, kann ich sagen, der Text entwickelt sich. Der Tod ist eine Frau. cool.
Der Wind bläst die Kerze. Aus.
Hm, spannende Sache, im Arabischen ist der Wind Geist, der das Leben trägt. Der Geist der das Leben beflügelt, bläst die Kerze aus. Nachdem das menschliche Leben, einer begrenzten zeitlichen Distanz unterworfen, Teil eines unverstandenen Ganzen sein könnte, kann ein Schuh daraus werden, wie Du die Sache behandelst.


... ich glaub dieser Komm braucht noch keine Erwiederung. Ich denk hier einfach by myself i laut & entlang des Textes an den Keys ...

einstweilen
lg die dohle
 

rothsten

Mitglied
@ali: Das ist witzig, denn bis kurz vor Redaktionschluss stand da bei mir wirklich "schwärmen". Ich nahm es raus, weil ich dachte, die Viecher wehen mir sonst davon.

@Dohle: Trotzdem Danke. ;-)
 
Hallo rothsten,

dein Text ist zwar als Prosa geschrieben, aber ich finde ihn sehr lyrisch, fast ein Gedicht. Die Sprache ist wortmächtig, ob jede Formulierung trifft, bin ich mir nicht ganz sicher, aber das ist auch nicht entscheidend. Denn du erzeugst - und das mit wenigen Zeilen - eine dichte und eindrückliche Gesamtstimmung, die einen wirklich erfasst. Vielleicht sind einige Wortkompositionen von dir auch bewusst etwas „strange“ gewählt, eine Art satirischer Provokation.
Wie auch immer, es hat sich auf jeden Fall gelohnt, diesen Text zu lesen.

Viele Grüße
Stefan Sternau
 



 
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