Effeff - ein Gedicht!

- ...mittlere rotweiß mit Krautsalat, macht drei Euro neunzisch, Liebschen. Thanks. Un eins zehn zurück. Yes, very diet. Juten Appetit. Enjoy Your meal.
Das ist wirklich kein Nachmittag um ein Buch zu schreiben. Im Schatten des Kölner Doms drängelt sich eine lange Schlange Kunden vor meiner Frittentheke. Heute sind es hauptsächlich Japaner und Amerikaner. Europa in zehn Tagen. Manche versuchen sogar, deutsch zu sprechen. Eine wirklich rührende Geste. Ich lasse sie sich lächerlich machen, ermutige sie nicht, noch entmutige ich ihre Versuche. Ich meine damit, wenn Touris sich schon die Mühe machen, verschollene Schulkenntnisse zusammenzukratzen oder extra einen Sprachführer bemühen, ist es ihr gutes Recht auszuprobieren, ob der Unterricht auch zu was nütze war. Bei mir wird Gastfreundschaft groß geschrieben. Die Bildung, die ich genossen habe, ist nicht mal den Piekser für die Pommes wert. Ich habe sie mir angeeignet, nachdem ich mir einen Job suchte, mich im Leben umschaute und danach trachtete, einfach glücklich zu sein. Das ist keine Frage der Intelligenz oder der Vernunft. Ich habe mein Studium hingeschmissen, weil es mir nichts mehr brachte. Es sprach mich einfach nicht mehr an; die Uni war wie die Statuen drüben im Dom: mit starrem Blick, Staub auf den Schultern, völlig gleichgültig gegenüber dem Echo meines diskreten Hüstelns. Die Bücher waren leer wie die Flasche Ketschup am Abend. Es war nicht meine Intelligenz die damals stiften ging; es war die Langeweile die hochkroch, sich ausbreitete und von allem Raum ergriff. So wie erhitztes Gas im Glaskolben eines Chemielabors. Dabei hatte ich doch mein ganzes Herz, meine ganze Kraft hineingelegt.

Nun, ich werde niemals Physiker, Anthropologe, Arzt oder Sinologe sein. Wenn ich verreisen will, lese ich GEO. Doch bin ich in guter Gesellschaft. Viele Schriftsteller landen irgendwann in den Fängen des Kommerz.

- Haben Sie Backfisch? Man soll Fisch essen. Fisch ist gesund.
- Hilft das wirklich? Ich meine, was bringt...?“
- Oder Phosphor.
- Den hab ich in den Zeigern meines Weckers.
- Es ist spät, ich muss gehen.
- Darf ich Ihnen ein Gedicht vorlesen?
- Das nächste Mal. Ich hab es eilig.

Am Tag nach Vaters Beerdigung habe ich die Uni verlassen. Es war ein Donnerstag. Als ich in der Kirche hinter dem Sarg herging, hatte ich eine Pfirsichhaut. Am Ende der Trauerfeier wuchs mir ein Bart. Ich konnte nicht mehr zurückkehren. Nichts in den Lehrbüchern konnte mich noch erreichen. Ich hatte Lust, mich zu bewegen, Dinge zu berühren, mit Leuten zu sprechen. Ein Kuli, sanfte Worte. Es ist verrückt.
Bewusstsein beginnt mit dem Wissen. Also erfahre dich selbst. Sokrates.


- Dann werde ich es den Tauben vorlesen.
- Was machen die denn da?
- Die kommen um Toastbrot aufzupicken. In der Luft sind sie schön wie Papierflieger, aber auf dem Boden hinterlassen sie einen Haufen Dreck. Doch die Touristen mögen sie.
- Ich komme Mittwoch wieder. Gute Geschäfte!

Tauben sind nicht meine Lieblingsvögel. Das sind die Nebelkrähen auf den Rheinwiesen. Ich werde zurückkehren wenn ich Zeit habe, mich wiederfinden in meinen Papieren, Notizen, Aufzeichnungen, Gedanken, Worten, Gedichten. Gedichte wie ein Sandhaufen: sie trocknen und überlassen sich der Sonne und dem Wind. Auf dem Ring um die Stadt schlägt der Asphalt Wellen, in der Hitze flimmern Bäume wie Libellen, schnüren die Türme des Doms ihr Bündel, rollerbladende Kinder lärmen auf der Domplatte gebräunt wie gebratene Zwiebel. Alle Augenblicke wische ich mir die Hände an meiner Schürze ab. Ohne ein kühles Kölsch wird das nie was mit meiner Schreiberei. An solch einem Mittag steigt mir das Blut zu Kopf wie der Senf in die Nase. Zu viel geliebt, zu viel verziehen. Das ist keine Art zu leben und noch viel weniger der richtige Ansatz, ein Buch zu beginnen.

Die Idee, ein Buch zu schreiben, kam nicht einfach von außen über mich. Ich bin niemand, den der Heilige Geist eines schönen Morgens besucht um ihm mitzuteilen: deine Frau ist schwanger. Nicht vom Nachbarn, und Schorsch musst du auch nicht an die Eier gehen. Sei so gut, Josef, es war der Same Gottes der seinen Weg gesucht hat. So einer bin ich nicht. Meine Gangart sind Fußtritte in den Hintern wie beim Bund, wie bei den Musikgruppen im Rosenmontagszug. Klar bin auch ich Opfer unseres Bildungssystems. Lange vor Pisa. In einem von Jesuiten geführten Internat. Dieses Pflichtschulprogramm spielt wohl eine Rolle in meiner Geschichte. Meine Lehre: keine Lehre. Kein Unterricht – kein Kummer! Wer unterrichtet wird, will verstehen, träumt, macht Pläne, liest, ist unglücklich, unruhig. Bildung als Sakrament. Die Idee der Pflichtschule war ein Einfall der damaligen High Society. Die hatte es satt, sich alleine Fragen stellen zu müssen ohne Antworten aus dem Ärmel schütteln zu können. Die anderen, und zu denen hätte ich vor hundertfünfzig Jahren auch gehört, konnten sich unschuldig und herrlich des Lebens erfreuen. Daher sagten sich die Reichen: verpflichten wir die Armen, rechnen, schreiben und lesen zu lernen, Latein zu sprechen, Sinus und Kosinus zu verstehen. Was ist eine Halbinsel, wozu dient der Magnetismus? Die Welt breitet sich aus, und unser Sonnensystem ist eines der kleinsten im Kosmos. Wo befindet sich die Hölle, war Ötzi einsam? Was habt ihr mit den Indianern gemacht, wann begann die Industrielle Revolution?

Nehmt eure Taschenrechner raus: Wenn zwei SMS sendende Menschen a den Punkt klein b an Bord eines, sagen wir mal eines grauen Gefährts das wir x nennen und mit einer Geschwindigkeit y verlassen, war die Wiege der westlichen Zivilisation dann Zeuge Babylonischer Gesänge? Da Atome sich in Protonen und Neutronen unterteilen und diese anderseits... Was passiert, wenn zwei Kaninchen mit blauen Augen und acht Kaninchen mit regressivem Langhaar Kriterium... Die gebildeten Schichten wussten, was sie taten. Teilen wir die schweren Bürden. Das ist kein Grund, auch die Euros zu teilen.

Die Idee zu einem Buch reifte also ganz alleine in mir, ohne Übergabe durch Erzengel, UPS oder Fahrradkurier. Es war seit langem reif und ich übervoll. Trotz des dringenden Bedürfnisses mich zu leeren, hätte ich es nie gewagt, wenn Rita mich nicht getreten hätte.
- Frank, wenn die Leute dein Buch lesen, ist das eine super Werbung für den Imbiss.
Eine Werbung, die im Frittengeschäft ihresgleichen sucht.

Warum wollen Frauen so gern Lotte von Stein eines Goethe oder Simone de Beauvoir eines Sartre sein? Ich will damit sagen: meine Frittenbude ist mein Refugium. Dort bin ich, und dort bleibe ich. Sie haben mich mit Wissen gefüttert? Nun gut, aber sie sollen mich in Ruhe lassen. Ich mag das einfache Leben und den Duft von Pommes Frites. Warum ein Buch? Um es als Drehbuch nach Hollywood zu verkaufen? Ihre lausigen Filme hängen mir jetzt schon zum Hals raus. Vorgestern, als ich kurz nach Mitternacht den Imbiss abschließen wollte, stand ich plötzlich drei Eminemverschnitten gegenüber, die es auf die Abendkasse abgesehen hatten. Pickelfressen mit nervösen Augen und Stinkefinger.

- Eh Jungens, nu hördemal jut zu! Eendweder jeb isch eusch die 112 Euro von heut Abend, odder isch stell eusch meinem Bruder vor. Der schreibt Drehbühscher für et Fernsehen un sucht Daarsteller fürene Horrorstreifen.

Sie wollten meinen Bruder sehen.

Das ist der schlechte Einfluss der Medien. Die Leute denken nicht weiter als bis zu ihrer Nasenspitze.

Apropos Nase. Die beste Erfindung aller Zeiten ist Raumspray. Du schließt die Augen, sprühst, und schon riecht der ganze Raum nach Pinienwald. Zu Hause habe ich in jedem Zimmer einen Duftspender mit unterschiedlichen Aromen. Rose, Frühlingswiese, Meeresbrise... Ich löse mich; es ist das Paradies der Nase, eine Duftreise. Wenn ich Pommes frittiere, hat das den gleichen Effekt: der hochsteigende Duft des Rauchs trägt mich. In meinen Gedichten spreche ich hauptsächlich von Düften. Ritas Duft am Morgen, wenn die Sonne durch die Lamellen der Jalousie blinzelt. Der Duft der Felder, wenn Onkel Anton mich mit auf Krähenjagd nimmt. Die Krähe weiß, dass es ein Spiel ist, dass ich nicht wirklich auf sie ziele und erhebt sich nur träge ein kleines Stückchen, wenn ich in die Luft ballere. Trotzdem hält sie misstrauisch Abstand. Sie hat vollkommen Recht. Wem kann man schon vollständig vertrauen? Wer von meinen Kunden weiß, wenn ich ihnen eine Cola rüberreiche, dass ich nach der Schule Geografie studieren wollte? Die Uni versuchte, meine Welt mit einem Rasternetz zu überziehen und sie in Kästchen zu stecken.

Da lob ich mir mein Schloss: Franks Frittenpalast – ein Gedicht! Dort bin ich Papst und Minister. Sobald ich keinen Bock zum Arbeiten habe, mache ich den Laden einfach dicht und dichte. Wenn ich Würstchen grille, stelle ich mir vor, es sind Pfaffen aus dem Dom oder Politiker aus der fernen Hauptstadt die da brutzeln. Ich mache meine Revolutionen auf dem Pfannenrost. Das ist äußerst effizient. Ich gewinne immer. Ich kontrolliere die Volksentscheide, warte bis sie alle sterben, und dann reinige ich den Grill. Es gibt Tage, da sage ich mir: „Frank, du bist herzlos.“
Das kann schon sein, aber um ein Herz zu haben, hätte mir jemand eines geben müssen. Statt dessen hat man sich damit begnügt, mir eines zu leihen. Bereit, es jederzeit zurückzufordern. Beispielsweise an einem Tag wie heute, wo der Regen in breiten Rinnsalen die Scheiben am Imbiss herunterströmt zu Flüssen, breiter als der Rhein, die Donau und der Mississippi zusammen.

Rita drängte mich, den Imbiss „BEI RITA“ zu nennen. Als Zeichen meiner Liebe wie sie ständig wiederholt. Und sicher auch um ihr zu schmeicheln. Doch was passiert, wenn sie mich eines Tages stehen lässt wie einen alten Schirm? Nein, nein, Liebe hin oder her – man muss nicht gleich übertreiben. Eintausenddreihundertfünfundsiebzig gute alte deutsche Mark hat mich die Leuchtreklame

FRANKS FRITTEN – EIN GEDICHT!

kurz vor der Euroeinführung gekostet. Ich gehe mit Rita ins Bett und mach keine Werbung mit ihr! Die Pommesschälchen, Servietten und Visitenkarten habe ich mit dem Logo „F.F. – ein Gedicht“ bedrucken lassen. Meine Mailadresse effeff@eingedicht.com ist das Tor zur weiten Welt. Für den Fall, dass mein Buch ein Erfolg wird, hat mir Ralf (mein Drehbuch schreibender Bruder) die Domain http://www.effeff-eingedicht.com gesichert.

Heute brennt die Sonne noch schrecklicher als gestern. Wie konnte ich es nur so lange aushalten ohne zu schreiben? Natürlich bastelte ich an meinen Gedichten, aber zwanglos. Ich wartete einfach auf die nächste Eingebung. Ein richtiges Buch zu schreiben hat ein ganz anderes Kaliber. Die Schreibkladden Seite für Seite zu schwärzen bevor ich die Notizen abends in den PC hacke. Die Hefte begleiten mich überall hin. Liegen offen hinter dem Grill oder zusammengefaltet in meiner Jackentasche, harren auf dem Fernseher, in der Toilette oder auf dem Speicher auf mich.
- Frank, ziehst du mich aus?
- Ich schreibe.
- Frank, ich frag nicht zweimal.
- Schon passiert.
- Gehst du heute nicht zum Imbiss?
- Später, Rita. Später.
- Und was bringt es, hier zu bleiben?
- Verstehen. Ich fange an zu verstehen. Ist dir eigentlich klar, dass wir bald alle wieder Opfer eines Krieges werden, den wir nicht wollen?
- Warum sagst du so was? Liebst du mich nicht mehr?
- Warte ab. Ich habe ihre dreckigen Pläne durchschaut. Eine Art Intuition. Intuitionen sind gefährlich. Schlimmer als Biowaffen. Sie durchdringen das Innerste der Seele.
- Wenn du nicht sofort aufhörst mit der Kacke gehe ich. Auf der Stelle.
- Genau, das ist Teil ihres Plans.
- Das reicht. Ralf wird dir den Kopf zurecht rücken. Ich ruf ihn sofort an. Wo ist das Handy?
- Das ist nicht nötig. Ich halte ja schon die Klappe. Komm her, ich zieh dich aus.

Rita ist eine gradlinige Frau mit gesundem Menschenverstand. Sie müsste das doch verstehen. Sie will nicht. Verdammt, mit wem kann ich sprechen? Ich bin überzeugt, Rita glaubt, dass ich verrückt werde. Sie hat mich sogar zu ihrem Arzt geschleppt. Der konnte nichts außer einer nervösen Reizung feststellen. Leichte Zuckungen. Zuckungen? Lächerlich! Das passt überhaupt nicht zu mir. Ich bin eher ein verschlossener Typ, eingeschlossen in der Hitze meines Imbiss. Das ist wahrlich kein gesundheitsfördernder Job!

- Frank, ich will doch nicht, dass dich das Schreiben krank macht. Hör auf, wenn es dich zu sehr erschöpft. Aber du würdest mir eine riesengroße Freude machen, wenn du das Buch trotzdem fertig schreibst.
- Keine Sorge, das wird schon. Ich habe immer weniger Kopfschmerzen wenn ich nach Worten suche. Außerdem bin ich mittlerweile fieberfrei, das Schreibfieber mal ausgenommen.
- Hast du heute viel geschrieben?
- Das erste Heft ist fast voll. Ralf meint, zwei reichen für den Anfang.
- Darf ich lesen, was du geschrieben hast? Ich will nur mal schnuppern.
- Und was bringt dir das?
- Das ändert vielleicht meine Meinung über dich.
- Ich bin immer noch der gleiche Frank.

Aha, sie will das Gefühl ausprobieren mit einem Schriftsteller zu schlafen.

- Wenn du mich nicht lesen lässt, gehe ich eben mit Ralf ins Kino.
- Amen.
- Den ganzen Abend hängst du vor dem PC oder kaust an deinem Kuli.
- Soll ich das Buch nun schreiben oder nicht?
- Wie du willst, dann gehe ich eben ins Kino.
- Das hatten wir schon. Tu, was du nicht lassen kannst.

Rita sollte selber ein Buch schreiben. Die Abende gleichen einander wie Klone. Mir macht das nichts aus; es gibt mir die Gelegenheit, nachzudenken. Am Freitag lud uns Ralf zu seinem Lieblingsitaliener und anschließend ins Kino ein.
- Immer nur Arbeit und kein Vergnügen! Das ist ungesund Frank. Ich hole euch um sieben Uhr ab.
Ich weiß nicht, was Ralf geritten hat. Normalerweise ist ihm meine Freizeitgestaltung völlig schnuppe. Rita sprang natürlich gleich auf die Idee an. Der Abend wurde zu meinem persönlichen Supergau. Wir hatten uns in Schale geschmissen: dunkler Anzug und Rita in einem so umwerfenden Kleid, dass ich ihr beinahe einen Heiratsantrag gemacht hätte. Ralf holte uns in Jeans und Poloshirt ab und maß mein Outfit mit einem spöttischen Grinsen. Dann steuerte er zielsicher zum Kühlschrank und kehrte mit einer Flasche Prosecco aus der Küche zurück. Nach dem zweiten Glas beschloss er, noch schnell zu duschen. Mein Drehbuch schreibender Bruder ist eben Exzentriker. Er nennt es spontan. So spontan, dass er sich spontan gleich die Klamotten vor Ritas Augen vom Leib riss und pfeifend im Bad verschwand. Als wir kurz nach neun endlich im Auto saßen, hätte ich einen halben Ochsen verputzen können. Statt dessen hatte Salvatore als Special Event Maître Jean-Luc eingeladen. Der setzte auf Klassik und servierte ein Fleischfondue. Bingo! Da werde ich zum Essen eingeladen und muss auch noch selber kochen! Nach einer vollen Schicht in der Frittenbude. Ralf entschuldigte sich mit zwei Flaschen Wein noch vor dem Essen. Dann versuchte er, Rita am Busen zu grabschen, und unter dem Tisch hatten ihre Knie und Füße bereits auf Schmuseblues umgeschaltet. Ich war zu angeschickert um ihm eine reinzuhauen. Wenn ich etwas getrunken habe, ziehe ich mich auf meinen Beobachterposten zurück. Mit steigendem Alkoholspiegel wird mir die Umgebung zunehmend gleichgültiger. Wie durch eine Watteschicht filtere ich mit unbeweglicher Miene das Geschehen. Von Zeit zu Zeit flattert lediglich kurz mein linkes Augenlid. Ein nervöser Tick. Im Kino ging die Knutscherei weiter. Das gab mir den Rest. Und machte mich auf einen Schlag stocknüchtern. Als wir in Ralfs Wohnung ankamen, blitzte in Ritas Augen die Lust auf meinen Bruder.
- Du siehst müde aus, Frank. Willst du dich nicht ein wenig hinlegen?
- Ja, du hast Ringe unter den Augen. Hat dir der Arzt...
- Halte einfach die Klappe wenn du nicht willst, dass ich dir die Weinflasche über den Schädel ziehe.
- Frank!
- Du bist still Rita! Geh schon mal ins Schlafzimmer und lass dich überraschen wer von uns beiden dir ins Bett folgt!
- Er hat getrunken.
- Ich habe nicht mehr getrunken als ihr.
- Warum hast du nur immer so eine Scheißlaune? Wenn du in deinem Buch auch...
- Lass das Buch aus dem Spiel! Damit habt ihr nichts mehr zu tun. Das ist ausschließlich meine Sache. Ihr drängt mich laufend, schneller zu schreiben. Könnt es gar nicht abwarten. Du willst Korrektur lesen um dich zu zerstreuen. So läuft das nicht, Ralf! Ganz und gar nicht! Ich verschimmele nicht, wenn ich stundenlang über meinen Heften sitze. Im Gegensatz zu euch denke ich nach. Ich habe es satt, den Kasper zu spielen um euch zu amüsieren. Ihr glaubt, ich langweile mich in der Bananenrepublik meiner Frittenbude? Frank langweilt sich, beschäftigen wir ihn mit Schreiben? Ich schau mich um Ralf, und weißt du, was ich sehe, Bruderherz? Nichts als Sauereien und egoistische Drecksäcke. Nur Egoistereien.
- Egoismen. Die neue Rechtschreibung empfiehlt sogar nur den Singulargebrauch.
- Du musst es ja wissen.
- Und du dramatisierst alles.
- Wenn ich dramatisieren würde, wärst du das erste Opfer eines Familiendramas, Ralf. Ich gehe. Du wirst mir sicher schreiben. Das liegt dir ja im Blut. Leb wohl, Rita.
- Frank! Was hast du vor?
- Ich fahre nach Hause. Dort hast du dem Haus deinen blauen Stempel aufgedrückt, Rita. Ein wenig von dir liegt auf den Wänden. Ich werde alles ganz langsam runterreißen. Bahn für Bahn, Wand für Wand werde ich dich ausziehen bis nichts mehr übrig bleibt. Kein einziger Zwiebelmusterteller bleibt heil. Blau ist schön, sagst du immer. Es ist wie Himmel im Haus und Leben auf meiner Haut. Deine lächerlichen Spitzenvorhänge werde ich noch heute Abend verbrennen. Ich schmeiße die Teppiche raus, gehe in den Puff, setze dein Foto ins Internet mit einer 0190er Nummer, ich...
- Frank! Das reicht! Rita...
- In spätestens drei Wochen lässt du sie sitzen. Du bist ein schneller Hirsch, Ralf. Ein nervöser Intellektueller, ein Häppchennascher am Buffet. Mach ihr Spiegeleier zum Frühstück. Aber ohne Speck. Danach giert Rita zwar nach der Liebe, aber sie bekommt Pickel davon. Und Tschüss.

Schluss mit den Illusionen, Frank! Sie kam zu mir, beteuerte ihre Liebe. Klar hatten wir wenig Geld. Es gab nicht jeden Tag frische Blumen. Ich bin auch kein außergewöhnlicher Liebhaber, kein Champ wie Ralf. Ich besitze nicht das Temperament eines Stiers, keine zarten fantasievollen Fingerspitzen um sie zu streicheln. Meine Hände riechen nach Frittenfett. Das konnte nicht gut gehen. Schluss, Frank! Werde erwachsen. Geh nach Hause und schlafe dich aus. Wir sprechen morgen weiter. Morgen.

Nächste Woche lasse ich eine Mauer rund um Haus und Garten ziehen. Dennis hat versprochen, sich fortan um den Imbiss zu kümmern. Bisher jobbt er an den Wochenenden und in den Semesterferien bei mir. Er teilt sich die Schichten jetzt mit zwei Kommilitonen der Anglistik. Kein Nachteil bei den ganzen Touristen. Im Grunde wäre es ehrlicher, die Steinmauer durch eine Papiermauer zu ersetzen. Eine Mauer aus Worten und Buchseiten. Die Menschen jenseits der Mauer könnten lesen oder die Seiten zerreißen. Dann stünden wir einander endlich Auge in Auge gegenüber. Schreiben ist meine Art des Schweigens. Ich begrabe Rita unter Worten. Sie atmet nicht länger; in den Nasenflügeln stecken Adjektive und Verben in den Ohren. So bestrafe ich sie. Ich erhalte sie nur lebendig mit den Gedichten die ich ihr unter die Haut schreibe.
- Frank Förster, ab in den Garten! Halte dich in Form, jogge eine Runde innerhalb deiner Mauern.
- Lust auf ein Stück Melone?
- Wir können welche pflanzen. In der Küche liegen getrocknete Kerne in einer gesprungenen Tasse auf der Spüle.
- Dauert es lange, bis du sie ernten kannst?
- Es dauert lange.
- Wiederhole nicht ständig, was ich dir sage.
- Ich tue, was ich kann. Fragen. Antworten. Du lässt mich sogar sprechen, wenn ich absolut keine Lust dazu habe.
- Du probst den Aufstand? Darf ich dich daran erinnern, dass du nur einer meiner Protagonisten bist? Du wirst genau das sagen, was ich dich sagen lasse. Sei so gut. Darauf muss ich bestehen. Ich bin nicht wie die Anderen.
- Welche Anderen?
- Die auf der anderen Seite der Mauer. Die glauben, frei zu sein weil sie laut hinausposaunen, was ihnen auf dem Herzen liegt. Sie wissen nicht, dass sie krank sind. Sentimentaler Dünnpfiff, und niemand weit und breit, der sie heilen könnte. Also hüpfen sie von Bett zu Bett um ihr Heil zu suchen.
- Wie ist es auf der anderen Seite?
- Im Prinzip wie hier. Nur weniger harmonisch.
- Du bist blass. Sollen wir reingehen und den Fernseher einschalten?


Allmählich fühle ich mich wie in einem Atomschutzkeller. Ich habe nichts zu tun. Das Schreiben ist zwar faszinierend, aber es füllt meine Tage nicht aus. Inzwischen komme ich mir reichlich albern vor. Ich sammle Ahornblätter die der Wind über die Mauer weht und beklebe damit die Schlafzimmerdecke. So schlage ich den Jahreszeiten ein Schnippchen. Im Keller fand ich einen Rest blauer Farbe von Rita. Damit male ich Kornblumen auf die Wände. Mit den roten Blättern an der Decke und den Blumen an der Wand wird der Winter keinen Einzug halten.

Die Fernbedienung in der Hand zappe ich mich von Werbespot zu Werbespot. Ich fertige Listen von Produkten an, die mir knackige Mädchen anpreisen. Die Sendungen selbst sind mir schnuppe. Jauch, Christiansen, Gottschalk, Schmidt, Wickert können mir gestohlen bleiben. Alles falsch. Aber in der Werbung lerne ich die Menschen auf der anderen Seite der Mauer besser kennen. Das sind saubere, mit allen Wassern gewaschene Menschen auf der Suche nach dem kleinsten Fleck auf der weißen Weste. Sie sind von einer herrlichen Reinheit beseelt, untadeligem Weiß, einer unerbittlichen und kontinuierlichen Läuterung. Sie sind Nachfahren von Johannes dem Täufer: nach täglich Waschung tauchen sie einander im Jordan unter.

- Vaporisieren. Mit Aqua-Vapo Hans Dampf in allen Gassen. Damit sinkt sie in deine Arme. Wie die Titanic. Oh, Di Caprio...
Ihre Welt ist vollkommen desinfiziert, wunderbar sauber und rein. Wenn ich daran denke, zwischen wieviel Fettflecken ich gelebt habe wenn ich im Imbiss das Frittenfett an meiner Schürze abwischte! Dabei gibt es dermaßen viele fettlösende Reinigungsmittel, dass ich kopfüber hineinspringen könnte!

- One & All - reinigen und waschen mit Exzess
Exzess für Küche und Boden
Exzess hat neun Leben
Wie meine Katzen
Aber Achtung vor dem Hund
Der liebt Margeritenduft
Wie im Weichspüler
Ein wasserfester weißer Kormoran
In Netzstrumpfhosen aus Seidenlycra
Kleine Füßchen an langen Beinen
Bequem
Zu jeder Gelegenheit
Meine Fasern widerstehen jeder Wäsche
Sie schütten Tiger in den Tank
Und weiße Riesen
Welch ein Unterschied!
Es lebe die Armee
Aktiver Kristalle
Für den flachen Bauch
Der aktiven Menschen
Glücklich
Entspannt
Die großen Insider
Verwegene Macher
Die Aktivpillen schlucken
Ihr Innerstes absolut In
Blank und sauber
Wie die Karosserie
Ihrer Firmenwagen
Schuppenfrei auf den Schultern
Mein alter Prof kannte kein
Head’n Shoulders
Sogar die alten Wölfe
Packen zu
Mit ihren falschen Zähnen
Weil sie Dentagard vergaßen
Mit Fluor
Verankert
Am Firmament
Evas Apfel Adamsapfel
Eine Sünde unschuldig
Wie ein Riegel Schokolade
Mit flüssigem Karamell
Auf weißen Zähnen
Sauberer Kleidung
Geruchloser Haut
Reinen Körpern
In einem Leben
Unbefleckter Empfängnis

Ich sehe nicht ein, warum ich noch länger hinter den vier Wänden meines Gartens bleiben soll. Diese Leute brauchen mich dringend damit ich ihre Antisepsis verunreinige!

Endlich wieder konstruktiv! Ich baue mir die ideale Leserin! Ein Mädchen wie in der Werbung, mit braunen Augen und großen Brüsten. Sie wird meine Vertraute sein, meine Psychotherapeutin, meine Schweigende, meine Trunkene. Ich mache sie mit dem Schmutz vertraut. Mit dem ganzen Dreck. Sie wird meine Worte trinken wie Cola mit Eis, lächelt großzügig wie ein Kind. Sie haben mich vom Schreiben abgehalten wie einen über Bord gegangenen Segler bei einer Regatta? Ich werde sie mit meinen Tintenflecken übersäen!
 



 
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