Ehrlichkeit ist eine schöne Sache

Alex

Mitglied
Als ich Cristine zum ersten mal sah, war ich sofort verliebt. Eine Weile sträubte ich mich, weil ich nach der Trennung das Leben als Single gerade erst in den Griff bekommen hatte, aber am Ende wurden wir dann doch ein Paar.
Durch meine vergangene Beziehung gereift, wusste ich, wie man es nicht macht und versuchte eine einigermaßen ausgewogene Partnerschaft zu führen.
Merkt man es? Ich habe geübt, das Schreiben meine ich.
Es begann alles so großartig, ihr wisst schon, dieses Gefühl im Bauch, romantische Spaziergänge, Dinner bei Kerzenschein. Mir wurde immer schwindelig, wenn ich sie ansah, was ich praktisch ständig tat.
Was wir nicht alles gemeinsam hatten. Besonders gut stimmten unsere Vorstellungen von einer Beziehung überein. So was hört man ja ständig, aber bei uns war es wirklich so. Für uns beide stand Offenheit über allem, absolute Ehrlichkeit gegenüber dem Partner. Das wir treu sein würden, stand sowieso schon von vornherein fest, also konnten wir ja auch nie ein Problem mit so was haben. Verständnis für den Partner, immer ein offenes Ohr haben, war mir geradezu unheimlich, wie gut wir zusammenpassten.
Cristine war ja so lieb, ganz anders als meine erste Freundin. So gefühlsbetont, so romantisch. Stundenlang konnten wir über Poesie reden, wobei ich sie die ganze Zeit ansah und unglaublich glücklich war.
Wir redeten auch viel, über alles was uns bewegte.
Oh wie ehrlich Cristine doch war, sie erzählte mir immer alles, lies nie etwas aus.
Und wie verständnisvoll, immer mit einem offenen Ohr für meine Probleme.
Kein Wunder, dass ich nur Augen für sie hatte, es war eine Zeit in der ich absolutes Glück kennen lernte.
Es dauerte Monate, bis die Schmetterlinge im Bauch nachließen. Wir waren gerade auf einer Party bei Freunden, als ich zum ersten mal wieder ein anderes weibliches Wesen wahrnahm. Sie war wirklich hübsch, und da ich wusste wie verständnisvoll Cristine ist, hatte ich keine Scheu ihren Anblick zu bewundern. Logisch, dass Cristine mich fragte, wie ich die Andere fand und da ich ja wusste, dass sie Ehrlichkeit genauso schätzte wie ich, teilte ich meine Begeisterung natürlich gerne mit ihr.
Auf dem Rückweg war Cristine sehr schweigsam, was eigentlich überhaupt nicht zu ihr passt.
Vielleicht wusste sie da ja schon, dass sie unsere Beziehung am nächsten Tag beenden würde und hatte deshalb ein schlechtes Gewissen.
Was sie mir ruhig hätte sagen können, oder zumindest, was ihr an mir nicht passte.
Ich war doch auch immer absolut ehrlich gewesen!
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Alex,

ich habe die kleine, locker aber auch ein wenig besinnlich geschriebene - und wie mir schien, mit etwas Ironie durchsetzte - Geschichte mit Interesse gelesen. Am Ende wurde ich nachdenklich. "Was wollte uns der Dichter sagen?" hörte ich im Geiste die Stimme meines alten Deutschlehrers. Und so beginne ich unsicher zu stammeln:

1. Der Satzteil "...war mir geradezu unheimlich, wie gut wir zusammenpaßten" machte mich mißtrauisch. Selbst der Protagonist [der ehrliche Alex? ;-)] hätte hier stutzig werden müssen. Frauen, deren Bestreben ausschließlich auf ungetrübte Harmonie zielt, sind in der Regel - Scheiße - im Normalfall nicht allzu belastbar.

2. Absolute Ehrlichkeit kann auch schaden. Hätte der Ich-Erzähler das hübsche Mädchen auf der Party nur heimlich bewundert, sie aber auf Christines Frage hin als eine häßliche und obendrein strohdumme Kuh bezeichnet, wäre das bis dato ungetrübte Glück sicher noch erhalten geblieben. Das heißt: Kleine Lügen können durchaus der Harmonie dienlich sein.

3. Vielleicht wollte uns der Dichter auch etwas ganz anderes sagen, und ich habe es nur nicht kapiert?

Na, mal sehen, was der Künstler selber dazu spricht. Er weilt ja noch unter den Lebenden.

Gruß Ralph
 

Alex

Mitglied
Hallo Ralph,
Den Kontext der einen Geschichte hast du exakt erfasst.
Der Protagonist (nicht ich) hat ein einigermasen großes Problem, er glaubt alles 100%ig.
"Absolute Ehrlichkeit kann auch schaden. Hätte der Ich-Erzähler das hübsche Mädchen auf der Party nur heimlich bewundert, sie aber auf Christines Frage hin als eine häßliche und obendrein strohdumme Kuh bezeichnet, wäre das bis dato ungetrübte Glück sicher noch erhalten geblieben. Das heißt: Kleine Lügen können durchaus der Harmonie dienlich sein" Exakt, aber sie hatte ihm gesagt, dass sie für Ehrlichkeit ist, also verhält er sich danach, obwohl ihm sein Gefühl auch sagt, er sollte es lassen.

Danke für dein Feedback

Alex
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Tja Alex,

wie heißt es so schön? Durch Erfahrung wird man klug. Noch klüger wird man, wenn man über solche Erfahrungen schreibt. Das zwingt nämlich zur Analyse, auch wenn Analyse im Hinblick auf eine Liebesbeziehung ein wenig unpassend klingt.

Aber weißt Du, was mir hier gar nicht gefällt? Das ist die Tatsache, daß wir hier so etwas wie ein einsames Duett abgeben. Muß man unbedingt Poet sein, um mit dem Thema "Liebe und so" ernst- bzw. überhaupt wahrgenommen zu werden? Kann doch nicht sein!
"Heh, ihr da! Wir Prosa-Fritzen ham auch was dazu zu sagen!"
Na, wird wohl nicht viel helfen. Gute Nacht Alex. Ich hau mich in die Klappe, muß morgen schon wieder schindern.

Tschüs Ralph
 

Alex

Mitglied
Das wird sicher noch werden, hab schon mal Nummer drei in der Reihe gepostet.
Besser ein Duett, als ein Monolog, und mit genug Zeit kommen auch noch andre Stimmen unds wird ein Chor.

Tschau, Alex
 

Andrea

Mitglied
5 von 10 Punkten

Klar, wir haben ja auch nix anderes zu tun.. ;)

So kommen wir zu der Geschichte. Es ist die zweite Beziehungsgeschichte, die ich von dir lese, und daher beurteile ich einfach beide in einem Wisch (keine Angst, habe deine Aufrufe in der anderen Geschichte nicht künstlich hochgetrieben, sondern sie über <zurück> wieder verlassen - das wird nämlich nicht gezählt!).

Beide (die zweite war die mit der Frauenrechtlerin, ich kann mir Titel so schlecht merken) sind ja im selben Stil erzählt, so daß ich mir fast vorstellen kann, du hast einen ganzen Ordner dieser Storys und könntest sie als Anthologie unter "Das Liebesleiden des jungen ABZY" veröffentlichen.
Beide Texte sind durch einen fast nüchternden Erzählton geprägt, beides Mal ist es der Mann, der durch seine 100%-Meinung die Fehler macht (sehr angenehm.. :) ) - und beide sind sehr neutral. Man kann sie wirklich gut durchlesen, aber bei mir bleibt nichts haften.
 

Alex

Mitglied
Tja, wäre zwar schön wenn was haftengeblieben wäre, aber es muss ja nicht unbedingt sein.
"beides Mal ist es der Mann, der durch seine 100%-Meinung die Fehler macht (sehr angenehm..;))" Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Seine Freundinnen vermitteln ihm, dass sie es genau so haben wollen, wahrscheinlich denken sie es auch am Anfang, aber es stimmt eben nicht.
Die wenigsten Menschen wissen wirklich, was sie wollen.
Nüchtern und neutral, danke Andrea, so wollte ich es haben, scheine ich auch erreicht zu haben.
Würde mich freuen, mal wieder was von dir zu hören

Alex

Ach so, ein Ordner sollte es eigentlich nicht werden, im Moment sind es drei, und wahrscheinlich wirds dabei auch bleiben.
 
H

Henning Willers

Gast
Liebe - Prosa - : Kunst

Hallo Alex, Ralph und Andrea,

nachstehend ein paar Gedanken (ohne Anspruch auf Wahrheit oder Gültigkeit) zur Geschichte und dem anschließenden Meinungsaustausch.

1. Die Geschichte beschreibt einen Problemkreis, den vermutlich jeder schon mal mehr oder weniger unheilvoll erfahren hat, nämlich die Frage, wie weit man anderen, insbesondere Partnern Einblick in das "ICH" gewähren sollte. Wegen dieses quasi populären Themas müßte sie eigentlich recht publikumswirksam sein.

Die in der Tat recht distanzierte Sprache bewahrt den Text vor der Kitsch-Gefahr, die jeder Versuch über eine einzelne Gefühlslage nunmal in sich birgt.

Die sehr direkt beschriebene Situation läßt allerdings, zumindest mir, wenig Raum für eigene Phantasien beim Lesen. Alles ist unmittelbar und eindeutig, ich kann höchstens noch ein bißchen über Charakter und Motive der Protagonisten rätseln. Hier wäre weniger vielleicht mehr.

Der Aufbau hat in meinen Augen das Problem, daß er sehr viel Raum für die Beschreibung einer (Grund-) Situation verbraucht, die letztendlich nur Voraussetzung für den vergleichsweise kurzen, entscheidenden Knalleffekt ist, ohne nach dem Lesen dieses Effektes noch einen eigenen Stellenwert zu behalten. Beim zweiten Lesen habe ich mich dabei erwischt, die Harmonie-Schilderung nur noch zu überfliegen, weil ich sie ja im Sinne meiner Rezeption mit: "Wir waren uns einig!", zusammenfassen konnte.

Ich weiß sehr wohl um den Reiz solcher Effekt-Geschichten, aber leider eben vor allem für den Verfasser. Nachher werde ich auf dieser Seite eine vom Aufbau ähnliche Geschichte einstellen, über die Ihr dann lästern dürft.

Schließlich: es hat mir wirklich Vergnügen gemacht, Deine Geschichte zu lesen, grade weil ich mich an verschiedenes erinnert fühlte, was ich selbst in Beziehungen erlebt habe. Nimm also bitte meine Kritik als Ermunterung (Lob schmeichelt - Kritik hilft), ja?

2. Die Frage "Was wollte der Dichter uns damit sagen?" empfinde ich als ähnlich unsinnig, wie die Aussage "Du hast den Kontext ... exakt erfasst." als anmaßend. Sobald eine Geschichte einmal entäußert ist, steht sie für sich alleine. Was immer der Verfasser sich dabei dachte; wenn nicht die Geschichte es erzählt, war es egal.

Die Rezeption einer Geschichte, also die Re-Assoziierung verdinglichter Gedanken, ist ein genauso künstlerischer Prozeß, wie das Schreiben selbst. Es geht mE nicht um ein Verstehen, um ein Nachvollziehen des Verfassers, sondern nur um das eigene Verständnis des Werkes. Sagt dieses mir nichts (die Gründe können bei mir oder bei der Geschichte liegen), ist es für mich belanglos, was immer "der Dichter damit vielleicht hatte sagen wollen" - mir hat er es dann eben nicht gesagt. Und es ist auch egal, ob mein Verständnis vom Willen des Verfassers getragen wird: ICH lese eine Geschichte, und nur meine Rezeption und nur dieser Geschichte ist allein entscheidend.

3. Also Brüder (und Schwester) im Geiste, versteht mich nicht falsch. Ich freue mir ein Loch in..., diese Seite mit ihren Beiträgen und dem anschließenden Austausch gefunden zu haben. MACHT WEITER - DIE WELT LEBT VON GEDANKEN !
 

Neziri

Mitglied
Sach mal Henning, biste Deutsch Lehrer? *grins* Klings wie einer. Nichts für ungut! War nicht bös gemeint!

Zur Story:

Hab mich nicht gerade königlich amüsiert, weil ich mit Beziehungen auch schon ähnlich leidvolle Erfahrungen gemacht habe, hab's aber trotzdem gern gelesen, da man ja doch ein Rudeltier ist und immer erfreut ist, wenn's dem restlichen Rudel auch dreckig geht oder gegangen ist. ;-P
Kritik? Hab ich keine mehr auf Lager, Henning hat meine Versuche im Keim erstickt. :)
 
H

Henning Willers

Gast
Deutschlehrer ?

Hallo zusammen,

Deutschlehrer, = NEIN, gleich aber möglicherweise Sprach-fetischist.

Mit ganz eigenen Vorstellungen

Euer Henning
 



 
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