Eigentlich

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Vera-Lena

Mitglied
Eigentlich

Als der abgenutzte Tag
verblichen und ausgefranst
in der Küchenecke hockte,
konnte ich ihn nicht wegschicken.
Ich wusste, er würde wiederkommen.

Wenn das Uneigentliche
sich aufgetürmt,
wäre er wieder da
wie ein Paukenschlag.

Eigentlich bist du doch traurig,
wird er mich dann wissen lassen
und das angebliche Lachen
scheuert an meiner Lippe.

Seine Bilder kramt er hervor dann,
die schrecklichen Klänge,
Das Autoquietschen,
das bange Warten sogar.
Erinnere dich, taktet er,
mit müdem Fuß pocht er
seine Symphonie in mein Hirn.

Ja, ich erinnere mich.

Ich bin dein heute, sagt er
erbarmungslos.

Und ich betrachte ihn,
hoffend,
dass er irgendwann
mein gestern sein wird.
 

rosste

Mitglied
Liebe Vera-Lena!
Das sehe ich als ein gelungenes Bild dafür, dass wir Menschen "Gewohnheitstiere" sind.
Wir vermissen "Das Autoquietschen, das bange Warten sogar" ziemlich bald, obwohl wir es so gerne los hätten und aus der Küche schmeißen würden.
Vor dem heute können wir nicht flüchten. Es fordert mit Recht sein Dasein, seine Beachtung und seine Bewältigung.
- "Ich bin dein heute, sagt er
erbarmungslos." - sehr schön.
"das Uneigentliche" ist das einzige Wort im Gedicht, das mich stört.

LG, Stephan
 

lintschi

Mitglied
liebe vera-lena,

ja, auch mir gefällt das sehr gut.
ich habe nur ein paar winzig kleine ...

wenn das Uneigentliche
sich auftürmt (das aufGEtürmt find ich irgendwie nicht passend, aber ...)

und das angebliche Lachen
scheuert [strike]sich[/strike] an meiner Lippe

und letztendlich glaube ich, dass man Heute, so wie du es gebrauchst, groß schreibt. Es geht um DAS Heute und auch um DAS Gestern, oder?

mir passt das "Uneigentliche" wieder sehr gut. da sieht man, wie unterschiedlich die auslegungen oft sind.

wahrscheinlich schon "guten morgen"!
lintschi
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
irgendwie holt uns dieses "gestern" immer wieder ein. gefällt mir gut, liebe vera-lena. lässt raum...dein gedacht.

alles liebe otto
 
L

Lotte Werther

Gast
An Vera-Lena

Eigentlich... hat dein Gedicht eine Strophe. Die erste. Die ist gut und genügt.

Alles was folgt, ist nicht nur schwach und überflüssig, sondern auch in sich nicht schlüssig.

Ein Tag, der erbarmungslos ist, kramt weder rum, noch pocht er müde mit dem Fuß. Und gefühlig feststellen,

Eigentlich bist du doch traurig,

passt auch nicht zu ihm.

Der letzte Absatz gleitet völlig ins Selbstmitleid ab:

Und ich betrachte ihn,
hoffend,
dass er irgendwann
mein gestern sein wird.


Du weißt genau, dass er dein gestern sein wird. Und zwar nicht irgendwann, sondern bald.

Schade, wieder einmal viel vergeben.

Lotte Werther
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Stephan, danke für Deine Antwort!

dass sich jemand aus dem heute flüchten möchte, hatte ich mir nicht gedacht, aber ich sehe, dass der Text mehrere Interpretationsmöglichkeiten offen lässt.

Das "Uneigentliche" ist mir sehr wichtig. Wieviel Überflüssiges türmen wir um uns herum auf, weil es uns so schwer fällt, uns mit dem Wesentlichen auseinanderzusetzen.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe lintschi,

danke! Ja, das "sich" muss unbedingt weg, ich habe es schon herausgenommen.
Bei diesem Text ist es schwierig, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft deutlich werden zu lassen. Das "aufGetürmt" brauche ich, um deutlich zu machen, dass es längere Zeit gedauert hat, bis das Lyri es geschafft hat, um die schweren Dinge halbwegs vergessen zu können, alles Mögliche um sich herum aufzubauen.

Mit dem heute und gestern bin ich auch unschlüssig. Ich vermute ebenfalls, dass man es groß schreiben müsste, aber optisch sah das dann so dick aus, dass ich es erst einmal klein geschreiben dort stehen lasse.

Vielen Dank für Deine Unterstützumg!:)
Ein schönes Wochenende wüncht Dir Vera-Lena, lieb grüßend.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Otto,

ja so habe ich es gemeint. Aber das Lyri hat immerhin die Hoffnung, dass es die schwierigen Dinge eines Tages völlig aufgearbeitet haben wird, so dass sie nicht mehr ungefragt auftauchen, sondern dass es sich nur noch dann damit befasst, wenn es das selbst möchte.

Tut gut, verstanden zu werden!:) Danke!

Dir ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Lotte,

für diesmal hat Dich Dein lyrisches Einfühlungsvermögen im Stich gelassen. Schade!:(

Ich habe auch wenig Lust, Dir meinen Text zu erläutern, denn Du liegst mit Deinem Verständnis deratig daneben, dass ich mir keine Hoffnung machen, das hier eine Erklärung noch helfen könnte. Es geht um ein psychisches Erleben, das mit Selbstmitleid nun überhaupt nichts zu tun hat, sondern da erkennt jemand, dass er alles wird aufarbeiten müssen. Kein heute verwandelt sich automatisch in ein gestern, man muss immer eine psychische Arbeit vollbringen, damit das geschehen kann.

Natürlich ist dieser vergangene Tag es schon "müde" immer wieder aufkreuzen zu müssen, weil das Lyri mit dieser Arbeit noch nicht fertig ist.

Vielleicht habe ich es jetzt doch ermöglichen können, dass Du Dich meinem Text annähern kannst. Jedenfalls habe ich mir nun alle Mühe gegeben, denn mir liegt viel daran, dass Du meine Texte verstehst.

Dir ein schönes Wochenende!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 
L

Lotte Werther

Gast
An Vera-Lena

Nachhilfe in Sachen Lyrik scheint dringend geboten, Vera-Lena.

Ich kann gar nicht daneben liegen, denn mir ist es herzlich egal, was der Autor aussagen wollte. Ich lese ein Gedicht nicht als Detektiv, der hinter die Gründe und Gefühle des Schreibers kommen möchte.

Wichtig ist, dass meine lyrische Seite klingt beim Lesen. Und das tat sie nur bei den ersten Zeilen.

Die Art und Weise, wie du, nicht nur hier, deine eigenen Texte zelebrierst, ist niedlich.


Lotte Werther
 

Vera-Lena

Mitglied
Danke für Deine Empfehlungen und näheren Erläuterungen, liebe Lotte!:)

Nachhilfe in Lyrik muss man sich selbst erarbeiten, in sein Inneres hineinlauschen, sehr viel lesen, um Aufrichtigkeit bemüht sein und dankbar sein für jeden Text, der einem sebst weiterhilft, das sind die Dinge, die mich weiterbringen, und die vielen Tips der LL-Leser, die mir helfen, meinen Text gespiegelt zu sehen, also auch Du! Danke!!!:)

Liebe Grüße von Vera-Lena
 
I

inken

Gast
Liebe Vera-Lena,

sinngemäß stimme ich mit Lotte überein, ich fand den ersten
Vers auch sehr gelungen und vor allem dicht.
Das nachfolgende erschien mir im Vergleich zu deinen
anderen Gedichten auch ein wenig zu wehleidig - was
sonst nicht deine Art ist.
Erst nachdem du einiges zu deinem Gedicht sagtest, verstand
ich, was du meintest - das mit dem Verarbeiten. Aber es
kommt so nicht rüber, wenn es nur an den Tag festgemacht
wird, der gestern wird. Ein Patentrezept habe ich jetzt
auch nicht, vielleicht müßte noch anderes Bild mit
hinein.

Die Art und Weise von Lottes Kommentar finde ich allerdings
sehr unangemessen. Sag mal Lotte, woher nimmst du eigentlich die Arroganz für Formulierungen wie: "Nachhilfe in Sachen Lyrik scheint dringend geboten, Vera-Lena..." Glaubst du, bei dir wäre diese Nachhilfe nicht geboten?

Ich finde auch deine Formulierung "... mir ist es herzlich egal, was der Autor aussagen wollte..." reichlich daneben.
Ich möchte schon wissen, welche Intention der Autor oder die Autorin beim Schreiben hat. Wir kennen das ja alle - wir haben einen Gedanken aber nicht das treffende Bild dafür. Deshalb reden wir miteinander, sofern es um Textarbeit geht. Um zu verstehen, was der eine will
und zu sagen, wie es bei uns ankommt. Das heißt noch lange nicht, dass es einem dann besser gefällt, sondern dass man einen Prozess begreift. Sowas nennt sich dann
Einfühlungsvermögen, was Vera-Lena in hohem Maße besitzt.

Zum Schluß noch dein Satz über Vera-Lena "Die Art und Weise, wie du, nicht nur hier, deine eigenen Texte zelebrierst, ist niedlich". Was soll das, Lotte.

Die Art und Weise, wie du dich hier zelebrierst finde ich schlichtweg arrogant und überheblich.


lg inken
 
S

Sandra

Gast
Hallo Vera-Lena,

ich denke, das Verständnis für Lyrik hat nicht nur mit erarbeitetem Können und Lesen dergleichen zu tun, sondern natürlich auch mit der Vergangenheit des Lesers (und gleichzeitig Schreibers) und dem erlebtem Empfinden von Situationen und lyrischen Vorlieben an der Umsetzung gerade dieser. Ich habe die Kommentare nur zum Teil gelesen. Im Endeffekt interessiert mich die Interpretation des Autors und die der anderen Schreiber nur bedingt. Erst einmal interessiert mich meine und mein spontanes Empfinden zum Geschriebenen. (das hört sich ja ekelhaft an, ist aber so, nicht wahr? ;) ) Somit kann ich Lottes Aussage dahingehend nachvollziehen. Jedoch nicht zur Meinung des Gedichtes. Ich fand deine Bilder zur Gewohnheit, zu den alltäglichen Fesseln, die uns halten und ab und an in ein graues unspektakuläres Dasein zwingen, sehr aussagestark. Ob erste Strophe, zweite oder dritte usw. in jeder wurde ich gefesselt von Metaphern, die sehr gelungen und abwechslungsreich sind, für das was du ausdrücken möchtest. Dabei sagt die erste Strophe längst nicht alles. In der ersten geht es um die Beschreibung, die Einleitung deines Themas. Des weiteren beschreibst du den Kampf gegen den Alltag, das Scheitern an dem Durchbrechen des Immerwiederkehrenden, die visuelle Verdeutlichung, dass der Tag lauert und nur wartet, dich in seine Klauen zu bekommen und zum Schluss steht das Hoffen. Das Hoffen, dass irgendwann einmal (vielleicht morgen?) heute gestern ist. (Hab ich das nicht schön gesagt?) :) So habe zumindest ich es gelesen und so hat es mir gefallen.
Ich sende dir liebe Grüße und danke fürs Lesen dürfen

LG
Sandra
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe inken, danke für Deine Rückmeldung!!!

Ja, das ist wichtig für mich zu erfahrem, ob ein Text sich einem Leser erschließt. So wie Du es schilderst, konnte ich hier nicht verdeutlichen, was ich eigentlich meine.

Ich lasse das Thema erst einmal ruhen. Es war mein allererster Anlauf, es zu bearbeiten. Ich denke, es wird sich wieder melden und dann schon klarere Konturen für eine Bearbeitung in meinem Inneren vorgeben. Auf diese Weise verfahre ich jedenfalls immer mit Dingen, die ich noch nicht richtig deutlich machen konnte.

Danke für Deine klaren Worte und für Deine Unterstützung!

Ganz liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Sandra,

das freut mich, dass Dir die Bilder in diesem Text etwas sagen und stimmig erscheinen.

Mit Deiner Interpretation liegst Du ganz nahe bei dem, was auch "rosste" herausgelesen hat.

Das macht mich jetzt froh, dass ein Text so vielfältig betrachtet werden kann.

Dennoch, das Thema ist für mich noch nicht abgehakt, ich spüre, dass da noch etwas auf mich wartet, was deutlicher beschrieben werden möchte. Ich bin selbst gespannt, was das sein wird.

Ich danke Dir herzlich für Deinen sorgfältigen Kommentar.
Ganz liebe Grüße von Vera-Lena
 
M

mirami

Gast
Liebe Vera-Lena,

mir gefällt diese Version wesentlich besser als die zweite. Einzig das “Uneigentliche“, das sich auftürmt, erscheint mir nicht ganz logisch. denn müsste sich nicht das Eigentliche (das Wesentliche, das Schreckliche, das Unverarbeitete) auftürmen?“ “eigentlich“ bedeutet für mich: wichtigsten Punkt betreffend, der eigentliche Anlass seiner Besuches, oder das warum er wiederkehrt, ist sich dir wieder in Erinnerung zu rufen? In der zweiten Version wird das deutlich, dort fegt er ja das Uneigentliche (den Schutzwall) weg. Da die zweite Version auch sehr schöne und prägnante Bilder beinhaltet versuchte ich mal beide Versionen zu verflechten. Ich hoffe das ist nicht aufdringlich, da es sich um einen sehr persönlichen Text zu handeln scheint. Falls der Inhalt so noch stimmt, kannst du vielleicht ja etwas damit anfangen.

Liebe Grüße
mirami

Eigentlich

12.März 1952

Als der abgenutzte Tag
verblichen und ausgefranst
in der Küchenecke hockte,
konnte ich ihn nicht wegschicken.

Ich wusste, er würde wiederkommen.
wie ein Paukenschlag,
wenn das Eigentliche
sich aufgetürmt,

würde seine Bilder hervorkramen,
die schrecklichen Klänge,
das Autoquietschen,
das bange Warten sogar.


Erinnere dich, taktet er.
Eigentlich bist du doch traurig
und das angebliche Lachen
scheuert an deiner Lippe.

Mit müdem Fuß pocht er
seine Symphonie in mein Hirn.
Ich bin dein heute, sagt er
erbarmungslos.

Bis ich sie einsortiere,
jedes seiner Bilder,
eins nach dem anderen
dort wo die Seiten
Wundränder haben.

Morgen wird das Gestern
kein Heute mehr sein.
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe mirami,

super!!!

Ja, das ist es!

Wenn ich das Uneigentliche herausnehme, dann wird deutlicher, was gemeint ist, worum es geht.

Ich wollte in den Text mit hineinnehmen, wie sehr ein Mensch sich wehren kann, die schwierigen Dinge zu verarbeiten, wenn sie so sehr gewichtig sind. Aber damit war der Text sicher überfrachtet und schlecht nachzuvollziehen.

Wenn es Dir recht ist, möchte ich diese Version ins Lupanum einstellen mit dem Hinweis, dass Du mir diese Überarbeitung vorgeschlagen hast.

Habe herzlichen Dank!:)

Ganz liebe Grüße von Vera-Lena
 
M

mirami

Gast
nichts zu danken, vera-lena. ich hab ja nur ein wenig was hin und her verschoben. :) (die zeichensetzung und die groß-kleinschreibung stimmt infolgedessen, glaube ich an einigen stellen nicht mehr ganz. da musst du vielleicht noch mal nachbessern. freut mich sehr, wenn mein vorschlag für dich hilfreich war.

liebe grüße
mirami
 



 
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