Ein Bett in der Höhe

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Raniero

Textablader
Ein Bett in der Höhe
„Schau mal, Schatz, ist das nicht ein Traum?“ schwärmte Ute, „Stell dir vor, wir beide da oben drin, phantastisch.“
Ute und ihr Freund Peter, ein verliebtes junges Paar, befanden sich in einem Einrichtungshaus und bestaunten ein sogenanntes Hochbett, ein spezielles Raumsparbett für kleinere Zimmer. Dieses Hochbett, welches man bisher nur im Zusammenhang mit Etagenbetten beispielsweise von Kinderzimmereinrichtungen her kannte, mit einer Rutsche als besondere Attraktion für die Kleinen, wurde als letzter Schrei der Möbelindustrie gefeiert und war besonders bei jungen Leuten aufgrund der Platzeinsparung sehr beliebt. Das Bett wurde in zwei Varianten angeboten, in einer Breite von neunzig Zentimetern für Singles und in Einmetervierzig Breite als Doppelbett.
Ute und Peter betrachteten die Doppelbettversion, deren Liegefläche sich in einer Höhe von Einmeterundachtzig Höhe über dem Fußboden befand.
„Guck mal, Peter, ich passe noch darunter, du aber nicht, da hast du Pech gehabt, warum bist du auch so lang? Musst halt den Kopf einziehen.“
Peter zog den Kopf ein und nahm das gesamte Bett von unten prüfend in Augenschein.
„Solide Konstruktion“, befand er schließlich, „da brauchen wir keine Angst zu haben, Ute, da können wir unbesorgt Kinder zeugen, da oben drin, in dem Bett.“
„Woran du zuerst denkst“, gab Ute zurück.
In der Tat erweckte die tragende Konstruktion des Hochbettes einen stabilen Eindruck, und Peter machte sich daran, die Liegefläche über eine angeschraubte Metalleiter zu erklimmen.
„Doch nicht hier, im Geschäft, vor allen Leuten“, sprach Ute mit leiser Stimme.
„Warum nicht, Schatz“, rief Peter von oben herab und wälzte sich hin und her, dass die Matratzenfedern knirschten und die Unterkonstruktion ein wenig schwankte, „man darf doch wohl noch zur Probe liegen, bevor man so ein gutes Stück kauft. Komm hoch, Schatz, das Bett ist doch für Zwei gemacht!“
Ute lehnte energisch ab und bekam einen roten Kopf.
„Ich brauch nicht probezuliegen, ich kann mir auch von hier unten ein Bild davon machen.“
„Wie du willst, Ute, aber beschwer dich bitte nicht hinterher, dass dir etwas nicht passt. Also, von mir aus können wir es nehmen.“
„Nein, nein, Peter, mir gefällt das Bett, so wie es da steht. Also, von mir aus auch, lass uns das Bett kaufen. Aber sag einmal, kriegen wir das denn auch richtig zusammengebaut?“
„Aber ja doch, Ute, du wirst staunen, du kennst meine handwerklichen Qualitäten noch nicht.“
Diese sollte sie alsbald kennenlernen, die handwerklichen Qualitäten ihres Lebensgefährten.
Das Hochbett hatte nämlich einen Vor-, aber auch einen Nachteil. Der Vorteil bestand darin, dass es keine Lieferzeit gab, man konnte es gleich mitnehmen; der Nachteil: man musste es daheim selbst zusammenbauen. Auf Utes vorsichtige Nachfrage über den Schwierigkeitsgrad dieser handwerklichen Übung lachte der Verkäufer des Möbelhauses nur.
„Dieses Bett zusammenzubauen ist dermaßen einfach, glauben Sie mir, das brächte selbst meine Großmutter, sie ist dreiundneunzig, fertig, wenn sie nicht ihren Rheumatismus hätte; nein, da brauchen Sie keine Angst zu haben, dieses Bett kriegt selbst ein Buchhalter fertig.“
Nun war es an Peter, einen roten Kopf zu bekommen; er war von Beruf Buchhalter, Hauptbuchhalter sogar, doch was hatte das mit seinen unbestrittenen handwerklichen Fertigkeiten zu tun? Immer diese Buchhalterwitze, dachte er verdrießlich. Ute freute sich ein wenig über Peters Gesichtsfärbung, während der Verkäufer fortfuhr: „Außerdem bekommen Sie von uns eine exakte Bedienungsanleitung mit auf den Weg, darin ist Schritt für Schritt aufgezeichnet und bildlich dargestellt, sodass dies sogar ein..“
„Buchhalter versteht“, ergänzte Peter mit grimmiger Miene, „wir nehmen das Bett.“

Daheim angekommen transportierten Ute und Peter das Hochbett, welches als solches noch nicht direkt zu erkennen war und aus lauter Paketen verschiedener Größe bestand, direkt ins Schlafzimmer. Hier breiteten sie all diese Pakete auf dem Fußboden aus, öffneten sie und machten sich daran, die Bedienungsanleitung zu studieren, die nach Aussage des freundlichen Verkäufers dessen dreiund - neunzigjährige Großmutter sozusagen im Schlaf beherrschte. In der Tat war in dieser Anleitung jeder einzelne Arbeitgang exakt beschrieben und zu Veranschaulichung mit schönen Bildern eines jungen Mannes nebst einem bildhübschen Mädchens untermalt, vom ersten bis zum letzten Schritt, wobei dieser letzte Arbeitsgang der Illustration nach eigentlich nicht mehr als solcher zu bezeichnen war, denn das Abschlussbild zeigte das glückstrahlende Paar nach vollbrachter Tat, auf dem fertigen Bett ausgestreckt, welches Anstalten zu Handlungen zu machen schien, die mit dem Aufbau des Hochbettes nun absolut nichts mehr zu tun hatten…
„Oh, Peter“, seufzte Ute und betrachtete das Bild, wenn wir schon einmal soweit wären…“
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, lachte Peter, los, fass mal mit an!“
Der Aufbau des Hochbettes gestaltete sich anfangs tatsächlich nicht sehr kompliziert und bereitete Ute und Peter ein gewisses Vergnügen, solange, ja, solange die Teile am Boden zusammengeschraubt wurden. Darüber hinaus war nach den Illustrationen eines jeden einzelnen Arbeitsschrittes eine kleine Pause symbolhaft eingefügt, in welcher sich das Paar laut Abbildung küssen durfte, wovon Ute und Peter natürlich ausgiebig Gebrauch machten. Während all dieser Tätigkeiten herrschte zwischen den beiden eine mehr als zärtliche Ausdrucksweise, in die sogar die Werkzeuge einbezogen wurden:
„Liebes, reich mir doch einmal den zuckersüßen Schraubenschlüssel“.
„Sofort, Schätzchen, soll ich dir dazu noch das niedliche Hämmerchen darbieten?“
Nachdem jedoch die ersten Teile der Unterkonstruktion montiert waren und es aus Platzgründen unumgänglich wurde, das Teilgestell aufzurichten und im Stehen weiter zusammenzuschrauben, änderte sich abrupt das Verhalten und der Tonfall zwischen den beiden Turteltäubchen.
Nun hieß es plötzlich:
„Verflucht noch mal, warum hält das denn hier nicht, warum geht denn die blöde Schraube nicht ins Loch, was hast du dir da bloß für ein Bett andrehen lassen, Ute?“
„Ich? Also da hört sich ja wohl alles auf, Männe. Wer wollte denn unbedingt das Ding haben, wer hat denn schon zur Probe drin gelegen?“
„Red keinen Quatsch, gib mir mal den Hammer, du dumme Pute!“
„Ich schmeiß ihn dir gleich an den Kopf, du Blödmann!“
„Das wagst du nicht, du, du…“
Obgleich Ute und Peter noch nicht verheiratet waren, erlebten sie nun genau das, was man landläufig einen handfesten Ehekrach nennt, und bevor sie auch nur einen einzigen Schritt weiterkamen, mit dem Aufbau des Bettes, waren sie weiter als je davon entfernt, in den heiligen Stand der Ehe zu treten; stattdessen lösten beide, die Frau unter Tränen und der Mann weiß vor Zorn, das einstmals gegebene Ehe- versprechen kurzerhand auf.
„Morgen gehe ich zu einem Anwalt, du Scheusal“, schluchzte Ute, stürzte aus dem Schlafzimmer und verbarrikadierte sich im Bad.
„Was willst du denn mit einem Anwalt?“ schrie Peter ihr hinterher, „Wir sind doch noch gar nicht verheiratet.“
„Dazu wird es gar nicht erst kommen“, klang es zurück.
„Das glaube ich auch“, entgegnete Peter, stürzte aus der Wohnung, um im nächsten Bordell Zuflucht zu suchen.

Zwei Tage lang hielt er sich der gemeinsam genutzten Wohnung fern, was eine gewisse Unruhe bei Ute auslöste, doch am dritten Tag ließ er sich wieder blicken, aber er war nicht allein, sondern hatte seinen Anwalt mitgebracht.
„Was soll der denn hier?“ wollte Ute wissen, verärgert und gleichzeitig verblüfft.
„Herr Doktor Gutkappe ist mein Rechtsbeistand“, klärte Peter seine Lebensgefährtin auf, und in dieser Funktion soll er den weiteren Aufbau unseres Hochbettes überwachen sprich anwaltlich begleiten und dafür Sorge tragen, dass es nicht zu weiteren Zerwürfnissen durch Verbalinjurien zwischen uns kommt. Schließlich ziehen wir doch an einem Strang und haben uns doch einmal geliebt.“
„So nicht, mein Lieber, wie du mir, so ich dir“, erwiderte Ute kühl und schaltete auf der Stelle ihren eigenen Anwalt ein, damit die Parität gewahrt bliebe, wie sie es formulierte.

So nahm denn der weitere Aufbau des Hochbettes auf eine etwas eigentümliche Art und Weise seinen Lauf; unter anwältlicher Aufsicht und latenter Option einstweiliger Verfügungen, ein absolutes Novum in der Rechtsgeschichte. Es zeigte sich aber, dass dieser Schachzug von Ute und Peter gar nicht so abwegig war, wie er zuerst schien, denn die beiden Anwälte hatten, nachdem sie in ihre Roben geschlüpft waren – wenn schon, denn schon, sagten sie sich - alle Hände voll zu tun, im wahrsten Sinn des Wortes, wo doch jede zusätzliche Hand, je weiter es mit dem Bett in die Höhe ging, willkommen war.
Darüber hinaus herrschte nun eine ganz andere Atmosphäre als zuvor; nicht so zärtlich wie in der ersten Phase aber auch nicht so emotional überladen wie in der zweiten. Stattdessen ging es sachlich, kühl und distanziert zuwege wie vor Gericht, wobei sich vor allem die beiden Rechtsvertreter bemühten, äußerste Höflichkeit walten zu lassen:
„Herr Kollege, würden Sie liebenswürdig sein, mir die glänzende Metallstange zu halten?“
„Aber natürlich, Herr Doktor, wie lange darf ich sie denn halten?“
Auf diese Weise gelang es Ute und Peter, mit Hilfe ihrer Rechtsbeistände die komplette Unterkonstruktion ohne weitere Zwischenfälle fertig zu stellen. Nun konnte man befreit in die Höhe schauen und an die Montage des eigentlichen Kerns des Gesamten, des Hochbettes selbst, herangehen.
Beherzt schritten sie zur Tat, alle vier, doch sei es, dass es an der räumlichen Enge lag, in der vier erwachsene Personen mit langen Stangen umherfuchtelten, oder sei es, dass die Hände zweier Rechtsanwälte, eines Buchhalters und einer Sekretärin nun letztendlich doch nicht dafür geeignet waren, den schwierigsten Part des Hochbetts zu vollenden, der weitere Aufbau schließlich endete in einer mittleren Katastrophe. Während Ute und Peter sich dieses Mal bemühten, einen kühlen Kopf zu bewahren und sachlich zu bleiben, gerieten ausgerechnet die als besonnen geltenden Anwälte selbst aneinander, zuerst verbal, dann in handgreiflicher Form. So blieb dem jungen inzwischen wieder verliebten Paar schließlich nichts anderes übrig, als zwei Krankenwagen zu bestellen, denn in einem gemeinsamen, das verbaten sich die beiden Anwälte, wollten sie nicht ins Krankenhaus gebracht werden. Nachdem die Rechtsbeistände abtransportiert worden waren, schauten sich Ute und Peter lange in die Augen.
„Sollen wir, Schatz?“ fragte Ute.
„Wir müssen, Schätzchen“, antwortete Peter und griff zum Telefonhörer.
Er wählte die Nummer des Einrichtungshauses, ließ sich mit dem Handwerkerservice mit dem sinnigen Namen Aufbauhilfe – den gab es dort auch, natürlich gegen Extrazahlung - verbinden, und bereits ein paar Stunden später lag er mit seiner Ute im fix und fertig montierten Hochbett und dachte nicht mehr an die Strapazen der vergangenen Tage, da er mit seinen Gedanken - und nicht nur mit diesen - schon ganz woanders war.
Die beiden gegnerischen Anwälte jedoch, so erfuhr man später aus der Zeitung, hatten sich wieder zusammen gefunden und eine Klage gegen den Hersteller des Hochbettes auf den Weg gebracht, eine Sammelklage wegen der Abfassung einer an Volksverdummung grenzenden Bedienungsanleitung zum Aufbau eines Hochbetts.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
einfach köstlich.

das haste sauber hinbekommen und die nachfolgenden zusammenbauer werden weniger schwierigkeiten haben. sehr gute geschichte.
lg
 

Raniero

Textablader
na,
wollen wir mal hoffen, dass die nachfolgenden Bastler nicht so viele Schwierigkeiten damit haben werden. Ich hatte enorme Probleme damit, weit mehr als beim Abfassen der Story

Gruß Raniero
 



 
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