Ein Blindenalltag

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Inge Anna

Mitglied
Ein Blindenalltag

Den weißen Stock fest in der Hand,
am Arm das gelbe Blindenband;
so wagt er sich ins Stadtgewühl,
mit jenem mulmigen Gefühl,
dass ihn ein Hindernis belehrt,
was er in dieser Welt entbehrt.

Allein, er möchte nicht verzagen;
auch and're müssen Schweres tragen.
Drum reißt er tapfer sich zusammen,
lässt von der Ungeduld sich rammen;
denn hastende Passanten sind
oftmals vor lauter Eile blind.

Zur Haltestelle ist's nicht weit,
er hat noch zehn Minuten Zeit.
Welch Glück, die Ampel funktioniert,
ward erst vor kurzem installiert.
Ein Lächeln schenkt er allemal
dem stets hilfreichen Tonsignal.

Wartend steht er an der Bahn,
unwirsch flaumt ein Kerl ihn an,
forscht ohne Takt, seit wann er blind
und duzt ihn wie ein kleines Kind.
Matthias hält den Stock bei Fuß;
doch aufgepasst, schon naht der Bus.

Jemand zerrt ihn am Jacket,
zu einem freien Platz - wie nett!
Dicht hinter ihm das alte Lied:
"Schlimm muss es sein, wenn man nichts sieht!"
Die Tonart ist ihm längst vertraut,
unüberhörbar, peinlich laut.

Jeder Halt wird angesagt,
was ihm zweifellos behagt.
So steigt er aus, mit wenig Hast,
fällt seiner Umwelt nicht zur Last;
fühlt sich jetzt irgendwie beschwingt,
neugierig, was der Tag ihm bringt.

Er hat ein Schuhgeschäft gefunden,
dort zeigt man sich kurz angebunden;
man lässt ihn steh'n, zieht and're vor,
er wahrt indessen den Humor
und harret mit der Kraft der Ruhe
geduldig aus um ein Paar Schuhe.

Endlich schlurft mit plumpem "Du"
ein Verkäufer auf ihn zu;
jenseits aller Höflichkeit
macht sich schlechte Laune breit.
Rasch muss der Blinde sich entscheiden,
um noch mehr Ärger zu vermeiden.

Er kauft die sündhaft teu'ren Treter,
verstaut im Rucksack sie, dann geht er.
Der neue Anzug muss nicht sein,
doch im "Laternchen" ein Glas Wein,
fände er jetzt wunderbar:
Vor Freude kräuselt sich sein Haar.

Es ist sein letzter Urlaubstag,
er denkt an Lia, die er mag;
zielstrebig schreitet er nun aus,
und in "Elviras Blumenhaus"
sind seine Wünsche kein Problem:
Die Rosen duften angenehm.

Sehr behutsam, mit Bedacht,
reicht man ihm die Blütenpracht.
Matthias muss sich konzentrieren,
mit Stock und Blumen zu hantieren;
jedoch, er meistert diese Hürde,
voller Eifer und mit Würde..

Einkaufstaschen, Kinderwagen,
Gedränge, leichtes Unbehagen.
"Stufe!" brüllen ein paar Laffen,
die ihn offenbar begaffen;
doch diesmal steht er nicht im Regen,
denn Lia eilt ihm froh entgegen.
 

Vera-Lena

Mitglied
zwei Dinge

Liebe Inge Anna,

das alles ist sehr, sehr schlimm. Zwie Dinge gibt es dazu zu sagen:
1. Andere Menschen werden wegen anderer Dinge schlecht behendelt z.B. Ausländer.
2. Die Menschen sind nun einmal so, in das, was sie selbst nicht kennen, wollen sie sich nicht hineinversetzen.

Es ist gut, dass Du diesen Text geschrieben hast. Er sollte in sämtlichen Tageszeitungen veröffentlicht werden!!! Manchmal nützt es ja doch etwas, solchen Leuten einen Spiegel vor zu halten.

Ganz liebe Grüsse Vera-Lena
 

Inge Anna

Mitglied
Aus eigener Erfahrung

Liebe Vera-Lena,
ich habe Ähnliches selbst erlebt und wollte es jetzt einmal niederschreiben. Eine Behinderung zu meistern, verlangt den Betroffenen oft das Äußerste an Mut und Kraft ab. Ich bin nicht wenig stolz darauf, trotz meines Sehverlustes den Weg gegangen zu sein, den ich gehen wollte.
Ich Danke Dir herzlich für Deinen Kommentar und wünsche Dir eine gute Zeit.
Liebe Grüße kommen von
Inge Anna
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Inge Anna,

darauf kannst Du auch mit Recht sehr stolz sein, und ich gratuliere Dir, dass Du Dir diese Dinge vom Herzen schreiben konntest! Mögen Dir nun auch die Lieben und Guten, die es schließlich auch gibt, auf Deinem Weg begegnen!

Ganz herzlich Vera-Lena
 

Brigitte

Mitglied
Liebe Inge-Anna,

Sehr treffend geschildert, und leider ist es so, auch ich spreche da aus Erfahrung, weil ich selbst nur noch einen geringen Sehrest habe und mein Mann u. Papa völlig blind sind. Aber die Wirklichkeit ist leider so, und ich finde das sehr traurig, denn JEDEM kann es passieren, dass ihm etwas zustößt, und er dadurch auch behindert werden kann. Aber daran denkt keiner, wenn er einen Behinderten verhöhnt.
Aber zum Glück sind ja nicht alle Menschen so.

Dir alles Gute
LG Brigitte
 

GabiSils

Mitglied
Liebe Inge Anna,

ich habe bei diesem Gedicht ein Problem mit der Form.

Sie ist dir gelungen und gut durchgehalten; aber der Rhythmus paßt nicht zu einem so ernsten Thema, er wäre eher geeignet für ein humoristisches Gedicht - in der Tat habe ich eine Wendung ins Scherzhafte oder Ironische fast erwartet, wobei mir natürlich klar war, daß es darum nicht geht.

Oder stehe ich damit allein?

Gruß,
Gabi
 

Vera-Lena

Mitglied
Form

Liebe Gabi,

auf mich wirkt die Form eher wie eine Ballade, aber das empfindet sicher jeder wieder anders.

Liebe Grüsse Vera-Lena
 

Inge Anna

Mitglied
Liebe Brigitte,
ich danke Dir herzlich für Deine Zeilen. Oh ja, ich habe auch viele Menschen kennengelernt, die mir tatkräftig halfen, den steinigen Weg mutig zu gehen. Ich bin im Grunde ein lebensbejahender Mensch.
Ich wünsche Dir eine gute Zeit und sende Dir liebe Grüße
Inge Anna
 



 
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