Ein Glückspilz
Donnerstag 18 Uhr fiel ich in einen Halbschlaf, der um 18 Uhr 45 jäh unterbrochen wurde, als sich die Krallen von Hündin Anna (die ihre Träume voller eimerweise Nassfutter neben mir und unter der Decke nährte) in meine Schulter bohren und ein unmissverständlicher Knall folgt.
Vom Sofa gestürzt, alle Eimer umgekippt und umringt von einem Rudel Hyänen, vor denen laut Pro Sieben- ,Galileo’ selbst die muskulösesten Löwen flüchten.
In der Schule nervt Lehrerhobbit Gleisberg mit Ausschreibungen zur Verkabelung eines Bürotraktes und ich suche verzweifelt die Daten zu einem Hauptverteilerschrank mit höchstens zehn Höheneinheiten inklusive Patchpanel und Switch, während ein Schrei des Lehrerzwerges die angestaute Ruhe des Unterrichtsraumes zerriss:
„Herr F.- hier wird nicht gegessen. Dazu sind Pausen da!!“
Die Antwort (nicht weniger leise):
„Ich muss essen, ich habe Zucker!“
Die Stunden schleppen sich am Schneegestöber vor dem Fenster vorbei, der letzte Heftchenschreiber ohne Drucker im trauten Heim jagt ein Blatt nach dem anderen durch das Netzwerk, ohne das der ,Brother- Laserdrucker BH sonst was’, auch nur ein Zettelchen ausspuckt.
Wenn man schon kein Wissen mitnimmt, dann wenigstens selbstgebastelte CD- Cover.
Einwahl ins Netz, eine RJ 45 Anschlussdose, geschirmt, Kategorie 5, einschließlich Wandgehäuse liefern und montieren, fehlt mir noch. Gelandet bin ich im Blauen Drachen. Ein Heim für Berlins verkannte Künstler.
Scheiße, was will ich hier und warum habe ich im Gästebuch dieser Seite schon zweimal „aus dem vereisten Erzgebirge“ gegrüßt?
Werbung darf doch nicht alles!
Beinahe schäme ich mich und fügte einen Eintrag aus dem „verschneiten Erzgebirge“ hinzu.
Und entdecke:
„Wann kommt der Marcel Reich- Ranitzky aus dem Erzgebirge endlich mal zu uns ans offene Mikrofon, was lesen?“
Ähem.
Ich träume.
200 Studenten vor einer Bühne. 150 haben die 3,00 Euro Eintritt berappt. 30 hatten gezinkte Schwerbeschädigtenausweise, 10 haben sich über Nacht hinter dem Bühnenvorhang versteckt, um den Obolus zu sparen, weitere 10 haben freiwillig die Stuhlreihen aufgebaut.
„Was ist denn nun mit der Aktiv- Komponente? 10 Base T- Ethernet- Hub 12- Port, inklusive 3m AUI- Anschlusskabel und Koax- Kaskadenkabel liefern und installieren?“
Psssssst! Ich spreche gerade vor Menschen.
Die ersten Reihen lichten sich, nachdem ich aus dem Vorwort zum Buch „Das Tor“ lese. Parteifunktionäre mit Klobürsten im Arsch sind nicht jedermanns Sache.
Ich kalkuliere wie viele Leute dableiben müssten, um mit dem Kauf von Büchern und Heften ein Zehntel meiner Reisekosten nach Berlin zu decken.
„Wo zum Teufel, Herr Reichelt, ist ihre Kopfzeile? Die gehört auf jede Ausschreibung!“
Hatte nicht der FRÖSI- Macher eine Lesetour durch die Schweiz mit seinen zwei Social- Beat- Freunden „Ärger“ und „Streit“ aus dem Kanton Toblerone? Waren dort nicht Feministinnen ausgetickt, als er über Liebe und Sex zwischen serbischen Uniformträgern und Kosovoladies fabulierte? Unverschämtheit, eine Ohrfeige für die vergewaltigten Frauen im Balkankrieg.
Ich blicke vorsichtig auf.
Feministinnen hier?
Kaputte Docs mit über den Rand gestülpten Handstricksocken? Denken die jetzt ich will unter ihre Röcke gucken? Die Leselampe beginnt zu flackern, meine Kippe fällt vom Aschenbecherrand.
Ich huste verlegen und bücke mich um einen Flächenbrand zu vermeiden. Dabei schießt mir das Blut in den Kopf und Herr Ulmen fällt mir ein, der sich in einer Mitfahrzentrale als freundlicher Trampermitnehmer vorstellt und sich eintragen lassen will.
Bedingung: nur Frauen, nur kurze Röcke- weil die Fußheizung zuviel Hitze macht.
Mir ist auch heiß.
Glücklicherweise öffnet Herr Weiß vor mir das Fenster, nachdem er im Netz seine Börsenstände überprüft hat. Schneeflocken wirbeln auf den letzten funktionierenden Ausdruck.
Männer mit Titten drängeln sich um meinen provisorischen Verkaufsstand.
„Eine Widmung, bitte!“
Kleingeld kullert auf den Tisch, der schon bessere Zeiten gesehen hat.
Mein Hund kraxelt zu mir auf die Couch.
Draußen fegt ein Hortkind auf einer Schlittenquadriga vorbei.
Typisch Berlin.
Mich mit den Intelligenzlern allein lassen.
In Bagdad heiratet ein übergelaufener GI eine Schleiereule.
Bei Kati, neben mir, fliegen Tetrisquadrate in ungeheurem Tempo von oben nach unten.
Herr Ulmen wird aus der Mitfahrzentrale entfernt.
(Später am Abend kauft er vier Dosen Nassfutter für seinen Seeigel.)
Brigitte aus der ökologischen Wohngemeinschaft leert den Aschenbecher des schreibenden Dorflümmels aus Sachsen. Die zehn Stühlerücker fegen den Saal aus. Dabei findet einer einen Zehn- Euro- Schein.
Ein Glückspilz.
Hallo, ich möchte mich als Erstveröffentlicher kurz vorstellen. Bisher habe ich Fussballbanalitäten in Geschichten gepackt und mit bunten Bildchen garniert. Dies erscheint in unregelmäßigen Zeitabständen als Heftchen mit bis zu 108 Seiten. Nebenbei ist in Eigenregie und als tränenschwere Kommerzversage ein Buch erschienen, was zur Hälfte eine abstrakte Horror/Fantasy- Story enthielt. An eine Fortsetzung in Groschenromangröße ist gedacht.
Die hier veröffentlichte kleine Geschichte ist ein Auszug aus dem Folgeheft, welches August 2003 erscheint.
Bisher habe ich (leider nur) ca. 1200 Hefte/Bücher im Handverkauf und per Postversand vertrieben.
Nun- schreibt mir eure Beurteilung, auch über massive Kritik würde ich mich freuen.
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