Ein Grund gegen die Abschaffung von Strafarbeiten

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masi

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Ein Grund gegen die Abschaffung von Strafarbeiten

Heute habe ich wieder einmal sehr viel gelernt in der Schule. Ich weiß nun zum Beispiel, dass unser Lehrer Herr Lassmirruh überhaupt kein Kälteempfinden besitzt. Dazu muss ich erklären, dass wir uns im schönen Monat Dezember befinden. Es ist eisig, jedenfalls für meine Verhältnisse. Aber Herr Lasmirruh sieht das anders, das ist offensichtlich. Umso mehr frage ich mich, wie ich dazu kam, ihn zu fragen, warum er Sandalen anhat und ob er sich keine guten Winterschuhe leisten könne. Ich machte ihm auch den hilfreichen Vorschlag, sich welche zu Weihnachten schenken zu lassen, ich gutherzige Glucke. Er jedoch reagierte ganz anders, als erwartet. Das heißt, zunächst dachte ich er würde gar nicht reagieren, wie sonst auch, aber dann, völlig unvermittelt sagte er: „Ich habe auch einen Vorschlag für dich. Zu Hause setzt du dich hin und schreibst auf, was sich an deinem Verhalten heute nicht gehörte. Dann kümmerst du dich ausnahmsweise einmal um deine eigenen Angelegenheiten.“ Ich fragte mich zwar, welches Verhalten er meinte, nahm mir aber fest vor, die Hausaufgaben, die er normalerweise erst am Ende der Stunde aufgab, zu machen. Schließlich wollte ich ihn nicht verärgern.
Und jetzt sitze ich hier, den Stift in der Hand und denke nach. Also, wann habe ich mich heute falsch, oder besser gesagt nicht ganz richtig, verhalten? Ich schreibe auf:

Heute bin ich zu spät aufgestanden, weil ich es schöner fand, im warmen Bett zu bleiben.

Das ist doch ein guter Anfang, finde ich. Kurz nachdenken:

Zum Frühstück habe ich Wurst mit Ketchup und Majo gegessen, weil ich es ausnutzen wollte, dass meine Mutter nicht zu Hause gewesen ist.

Als ich daran denke, lecke ich mir die Lippen. Das heutige Frühstück hatte wirklich vorzüglich geschmeckt. Lass dich nicht ablenken, ermahne ich mich. Also weiter:

In der Schule habe ich mein restliches Taschengeld für ein großes Käse-Salat-Brötchen und für eine Schokowaffel ausgegeben. Das würde meiner Mutter, wenn sie es wüsste, sicher nicht gefallen.

Schnell eine neue Tintenpatrone in den Füller stecken und dem Gedankenfluss freien Lauf lassen:

Als ich nach der Schule nach Hause gekommen bin, habe ich mir vor der Tür nicht die Schuhe ausgezogen und so in der ganzen Wohnung Schmutz verteilt.

Den muss ich noch beseitigen, fällt mir da ein.

Zum Schluss muss ich sagen, dass mir nichts mehr einfällt, was ich schreiben könnte, was bestimmt an meiner unkreativen Seite und an meiner Faulheit liegt.

Fertig! Ich finde, der Aufsatz ist prima geworden. Und er hat mir gezeigt, dass ich mich oft unbewusst falsch verhalte. Morgen werde ich alles besser machen, nehme ich mir vor; ich werde nur gesunde Sachen essen und meine Mutter nicht durch meine Faulheit ärgern. Jetzt fällt mir doch noch etwas ein:

Vielen Dank, Herr Lassmirruh. Das war eine sehr sinnvolle Aufgabe, die sie mir gegeben haben. Aber eines würde mich noch interessieren: woher wussten sie eigentlich, dass ich mich heute ein paar Mal daneben benommen habe?
 

Gorgonski

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Hallo Masi,

Der Aufsatz ist ja ziemlich kurz, also hat der Erzähler auch wirklich nicht viel verbrochen. Ich vermute das dies Dir selbst passiert ist, oder?

MfG; Rocco
 
An sich eine liebe Geschichte, allerdings gäbe es noch Raum für Steigerung.

In der sehr empfehlenswerten Sammlung "Der kleine Nick" von Goscinny (dem Texter der Asterix-Bände) gibt es eine Geschichte, wo der kleine Nick in Abwesenheit seiner Eltern sein Zimmer aufräumt und dabei mit besten Absichten die Wohnung verwüstet. Sein Zimmer ist am Schluss dann sauber, der Rest der Wohnung eine Bruchbude.

Bei Deiner Geschichte ist das umgekehrt ähnlich, könnte aber noch durchaus in der Krassheit gesteigert werden. Der Protagonist bekommt eine Strafarbeit wegen (relativ harmlosen) Widerspruchs. Dabei schreibt er in dieser Arbeit, was er denn so Schlimmes angestellt hat und soll das beschreiben. Natürlich fällt ihm nicht der (relativ harmlose) eigentliche Grund ein (dass er seinem Lehrer widersprochen hat), sondern andere, ebenfalls relativ harmlose Dinge.

Ich würde das textlich in schärferen Gegensatz zu stellen versuchen. Was ist, wenn er wirklich was Superschlimmes in der Schule angestellt hat (z.B. unabsichtlich die Schultafel bei Reinigen mit Spiritus angezündet hat), und dafür die Strafarbeit bekommt. Natürlich erkennt er nicht die "Schlimmheit im Tafelanzünden - weil er es ja in der besten Absicht gemacht hat - sondern in harmlosen Dingen (so wie Du sie erzählst), die aber - und jetzt kommt's - Ursache oder Ergebnis eines noch Superschlimmeren Vor- oder Nachspieles waren.
Z.B.
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Zum Frühstück habe ich Wurst mit Ketchup und Majo gegessen, weil ich es ausnutzen wollte, dass meine Mutter nicht zu Hause gewesen ist. Und ausserdem konnte der Herd die Kartoffel nicht mehr erwärmen, weil das Papier, in das die Wurst verpackt war, in einer Stichflamme aufging und die Herdschalter abgeschmolzen waren. Und irgendwas muss man ja zu Wurst essen, oder nicht?
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oder
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In der Schule habe ich mein restliches Taschengeld für ein großes Käse-Salat-Brötchen und für eine Schokowaffel ausgegeben. Das würde meiner Mutter, wenn sie es wüsste, sicher nicht gefallen. Aber was hätte ich tun sollen? Das Butterbrot von Mama blieb beim Wurftest in der Pause an der Klassenzimmerdecke kleben. Erst als unser Physiklehrer Herr Eiles vorbeiging, fiel es hinunter. Dabei stieg er drauf, rutschte aus und brach sich ein Bein.
Nun mal ehrlich: soll ich so ein zermatschtes Butterbrot etwa essen?
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...und so ähnlich.

Marius
 

masi

Mitglied
Vielen Dank für eure Vorschläge. Solche kann ich immer gut gebrauchen.
Die Geschichte ist mir nicht selber passiert, sondern so ähnlich meiner kleinen Kusine.
 
Ist schon OK, dass diese Geschichte Deiner Cousine so passiert ist, allerdings sind meistens so geschehene Geschichten in einer mündlichen Erzählung stärker, als geschrieben. Da muss man oft nacharbeiten und den humoristischen Effekt verstärken.

Marius
 



 
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