Ein Heimweg

Ein Heimweg

Wer über die Berge will, muss früh losgehen. Das hat sein Vater ihm beigebracht, als er noch klein war.

Er liegt auf dem Boden und friert. Eine vergammelte Hütte in den Bergen. Kalte Holzbohlen unter ihm. Sie bohren sich in seinen Rücken, hart und unangenehm. Er hat sich dort zusammengerollt, wo einmal am Tag die Sonne den Boden wärmt. Es ist Stunden her; die Schatten in der Hütte verlieren erneut ihre Farbe. Er wickelt die graue Decke noch enger um seinen Körper, doch die Kälte bleibt ihm erhalten. Sein Zittern ist gleichmäßig, hartnäckig. Er muss unbedingt weiter, die Tage werden kürzer. Der nasse Fleck auf seiner Brust sticht beim Atmen.

Neben der Kälte wohnt der Hunger. Schwarze Flecken tanzen vor seinen Augen, als er versucht sich aufzusetzen. Ihm ist schwindlig und sein Magen krampft sich schmerzhaft zusammen.
Ein Fisch. Ich habe einmal einen Fisch gefangen. Groß war er, mit einem wilden Raubtiergebiss. Blaugrünes Glänzen der Schuppen, die einzeln wie kleine silberne Scheiben herumlagen. Der Vater hat beim Tragen geholfen. Die Mutter hat ihn ausgenommen und zubereitet. Ein Festessen. Ein Fisch für die Familie.
Er meint, den Duft des gebratenen Zanders zu riechen, sein Mund ist plötzlich feucht. Er leckt mit der Zunge über die trockenen Lippen und spart sich einen Schluck aus der Feldflasche.

Dragon, der Schmied. Seine Schwerter sollten helfen, den Krieg zu gewinnen. Doch der Krieg ist verloren, und Dragon, der Schmied, flieht nach Hause über das Hochgebirge. Die Grenze liegt bereits hinter ihm, blutig sein Hemd seit dem Schuss des Grenzers. Doch er ist nur einer, dessen Verfolgung nicht lohnt. Es ist fast Winter, der Boden bereits gefroren vor Kälte. Wer weiß schon, wie weit so einer ganz alleine kommt?

Der Schlaf stillt seinen Hunger. Im Schlaf hat der Hunger keine Macht mehr über ihn.

***

Der Junge steht im Dampf und Rauch der Schmiede. Es zieht ihn magisch an, doch näher kommen darf er nicht. Der Mann hat es verboten, und er muss gehorchen. Rotweiß glüht das Metall, Funken spritzen mit jedem Schlag des schweren Eisenhammers. Metall schmiedet Metall, ein anderer Ton als die Schläge von kaltem Eisen auf einander. Der Ton ist wichtig, das weiß er schon. Ein trockenes Singen zeigt dem Schmied das fertige Schwert.

Der Mann nimmt das glühende Metall, taucht es mit der Zange in den Bottich. Heiß zischend steigt Wasserdampf auf. Jetzt ist es fertig.
„Darf ich?“ die Frage drängt in ihm, doch er wartet. Wartet bis blaue Augen ihn ansehen aus einem rußschwarzen Gesicht. „Na, komm gucken!“ Er ist schon da.
Der letzte Test; das Kunstwerk zerspringt in neun von zehn Fällen. Bei diesem ist alles gelungen. Die Klinge hält stand, biegsam und scharf zugleich.
„Dragon, komm essen,“ ruft Marysia vom Zaun her, „Mutter wartet schon.“

Das schwarze Gesicht des Schmiedes wird zur Erinnerung, und er spürt die Härte des Bodens unter sich. Das Feuer vor seinen Augen will nicht vergehen, es brennt so hell. Er stöhnt auf, es ist grell, zu grell. Seine Augen brennen vom Feuer. Die Sonne glüht auf seinem Gesicht, sie scheint durchs Fenster, und es ist wieder eine Nacht vergangen. Er blinzelt. Das quälende Wühlen in seinem Magen ist fort. Er ist froh darüber.

Das Feuer brennt in seinen Adern, seiner Brust; das Feuer und das schwarze Gesicht des Schmiedes. „Ich bin der Schmied,“ murmelt er. Aber wie kann das sein? Er ist der Schmied, aber der Schmied ist ein alter Mann und er ist nur ein Junge, der nicht ans Feuer darf. Es war später – ein Gedanke, der dahintreibt im Fieber. Ich war der Junge und später war ich der Schmied. Und jetzt liegt er in einer Hütte auf dem Boden, während sein Körper den eigenen Kampf mit dem Feuer kämpft.

Durst. Die Zunge klebt am Gaumen. Der Durst ist am schlimmsten, jetzt, nachdem er den Hunger schon vergessen kann.
Er kämpft mit dem Verschluss der Feldflasche. Es ist zu wenig, nur ein Schluck, doch der Weg ist weit und er ist müde. Beim nächsten Mal, nimmt er sich vor. Beim nächsten Mal hole ich neues Wasser.

***

Ihr Kleid ist weiß, mit Blumen darauf. Es sieht aus wie eine Wiese. Und wie Blumen ist ihr Lächeln.
Sie gehen den Feldweg entlang, hinauf zum Wald. Nach vielen Minuten nimmt er scheu ihre Hand. Was, wenn er zu verwegen war, wenn sie ihm jetzt davon läuft?
Er zittert mit der linken, mit der rechten hält er ihre Hand. Klein in seiner großen Pfote. Er ist der Schmiedejunge, und sie ist wunderschön.
Sie ist immer noch da, ihre Hand in seiner. Und ihr Lächeln – eine Sonnenblume, die zum Himmel hinaufwächst. „Helianka,“ sagt er und schluckt nur noch. Sie ist so schön. Sie ist hier mit ihm. „Ja, du,“ sagt sie nur. Schwenkt seine Hand und geht neben ihm.

Sie wird zurück bleiben. Ihre Hand wird hart werden vor Arbeit. Er träumt ihr Lächeln. Ihr Kuss brennt auf seinen Lippen, die aufgesprungen sind, getrocknetes Blut in den Rissen. „Helianka,“ murmelt er. Ihr Kleid – eine Wiese aus Sommerblumen. Seine Brust schmerzt beim Atmen.

***

Feine Sprühtropfen umnebeln sein Gesicht, er kann die Feuchtigkeit auf den Wangen spüren. Regen. Das Dach der Hütte ist undicht, seine Decke schon ganz nass.

Einmal, kurz vorm Krieg, hat er ihr einen Schirm geschenkt. Für sonntags, für die Kirche. „Damit du nicht nass wirst,“ hat er gesagt. Sie hat gelacht, „Ich bin doch keine feine Dame.“ Und, dass sie sich freut. An dem Tag sind sie unter dem Schirm spazieren gegangen, ein rotes Leuchten am Himmel.
Sie hat den Schirm dann nicht mehr gebraucht, der Krieg war schneller als der Regen. Da gibt es Wichtigeres als trockene Haare.

Die nasse Decke wärmt nicht mehr und er spürt das Zittern seines Körpers. Fremd ist der ihm geworden, als gehörte er bereits einem anderen. Er muss weg von hier, darf nicht länger liegen bleiben.

Wenn das Fieber gesunken ist, wird er die Hütte verlassen und nach Hause gehen. Wer über die Berge will, muss früh los.

Seine Hände greifen tiefer in die Decke. Er liegt ganz still.
 



 
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