Ein Rucksack erzählt

Ludowika

Mitglied
Ein Rucksack erzählt

Mit vielerlei Artgenossen präsentierte ich mich auf einem Ständer,der an einer sehr belebten Straße stand. Ob mich wohl einer mag? überlegte ich. Manch ein Käufer war inter-essiert, hing mich aber wieder zurück. Als ich schon glaub-
te hängen zu bleiben, sah ich, daß mich zwei Frauen begut-achteten. Eine davon sagte: „Das ist er,“ nahm mich mit, bezahlte und hielt mich fröhlich im Arm.
Was mag wohl nun mit mir geschehen, dachte ich. Na ja, die Hauptsache war für mich, ich wurde für schön befunden. Einige Tage später wurden Reisevorbereitungen getroffen. Meine erste Reise führte mich nach Mallorca. Dort lernte ich das Land und die Menschen kennen. Sogar die Unterwas-serwelt erlebte ich. Mein Platz auf dem Rücken war ange-
nehm, nur wenn das Gedränge zu groß wurde, wünschte ich mich auf meinen Ständer zurück. Bei dieser Reise blieb es nicht. Das zweite Abenteuer brachte mich nach la Gomera. Der Rücken, der mich trug, war jung und dynamisch. Ich wippte lustig mit. Nach vielen Ausflügen in die herrliche Natur, ins Landesinnere, machte es plötzlich Knack, und mein Verschluß war kaputt. Es war ein komisches Gefühl, mich nicht mehr vor der Welt verschließen zu können. Und
nun geschah einiges mit mir.
Wieder daheim, wurde ich zum Schuhmacher an der Ecke ge-bracht, der zusagte, mich in drei Tagen zu reparieren. Nichts geschah, ich lag dort zwischen Schuhen mit schiefen Absätzen herum. Die Maschinen dröhnten, und wenn etwas ge-
schliffen wurde, quietschte es fürchterlich. Nein, hier war es schrecklich.
Meine Besitzerin wollte mich abholen, kriegte aber zu hö-
ren, daß der richtige Knopf noch nicht da sei. Sie ging wieder, ohne einen Blick auf mich zu werfen.
Wieder passierte dasselbe, - Dröhnen, Quietschen und Klopfen -, was so alles in einer Schuhwerkstatt anfällt. Ich wartete und wartete, kam immer noch nicht an die Reihe. Ich zappelte hin und her, ließ mich auf den Boden fallen, um auf mich aufmerksam zu machen.
Zweimal sah ich das mir bekannte Gesicht vor der verschlos-
senen Tür stehen und verständnislos den Kopf schütteln. Auch dieses Mal wurde mir kein Blick geschenkt.
Nach weiteren acht Tagen erkundigte sie sich erneut nach mir. Auf die knappe, mürrische Antwort, „den richtigen Knopf habe ich noch nicht gefunden“, wurde meine Besitzerin nun schon etwas lauter, und fragte den Schuhmacher: “Nennen Sie das Kundendienst?“
Der schrie daraufhin ruppig: „Sie reden ja mit mir wie mit einem Knasti! Soll ich Ihnen vielleicht auch noch einen Gebetsteppich auslegen? Muß ich mich wegen eines Druckknop-fes von -,25 Pfennig so anmachen lassen?
Hoffentlich gibt sie es ihm ordentlich zurück, schoss es mir durch den Kopf, damit ich endlich wieder an die frische Luft komme. Der Kerl ist ja wirklich ein Ekel. Stiefel und Sandaletten um mich herum kicherten derart, daß ich fast aus der Haut gefahren wäre.
Bevor die Frau verärgert den Laden verließ, hörte ich sie sagen, daß sie in acht Tagen wiederkommen würde. Na hof-fentlich, dachte ich, ich halte den Geruch von altem Leder fast nicht mehr aus.
Dann endlich, nach einer Woche, es war bereits ihr siebter Versuch, betrat sie erneut das Geschäft.
„Ich möchte meinen Rucksack mitnehmen, auch wenn er noch nicht fertig ist.“
„Das ist ja toll“ hörte ich ihn brüllen, „gestern habe ich endlich den Knopf bekommen. Wissen Sie überhaupt, was es heißt, so etwas zu besorgen?“
„Nein, aber schließlich sind Sie der Schuster.“
Was dann geschah, war wie in einem Krimi. Der Mann sprang mit einem Hechtsprung über die Theke und fauchte die Frau an: “Ich bin kein Schuster, ich bin Meister.“
Warum nur führt er sich so auf, dachte ich, er ist doch Schuster. Ist denn Schuster oder Schuhmacher nicht das selbe? Sie wollte ihn doch bestimmt nicht beleidigen. Es herrschte eine verständnislose Stille im Raum, als ich sie entschieden sagen hörte:
„Dann kann ich ja den Rucksack jetzt mitnehmen.“
„Nein, der ist in meiner Werkstatt.“
Ich hätte am liebsten laut protestiert, denn das stimmte nicht. Ich lag noch immer unangerührt an meinem Platz.
„Kann ich morgen kommen und ihn mitnehmen?“
„Weiß ich doch nicht, ob Sie das können“ tobte er
„Kann ich meinen Rucksack morgen bekommen, ja oder nein?“ fragte sie in bedrohlich, ruhigem Ton
„Kommen Sie her, entweder er ist da, oder Sie haben Pech gehabt..“
Ich sah nur noch, wie sie sich umdrehte und wortlos den Laden verließ. Nun wird mein Ende hier wohl besiegelt sein, denn so etwas kann sich doch kein Mensch bieten lassen.
Zwei Tage später betrat sie freundlich grüßend den Raum. Er ignorierte sie, drehte sich zu seiner Maschine um und repa-
rierte einen Schuh. Mensch, habe ich gedacht, die Frau ist toll. So ruhig könnte ich nicht bleiben.
Ganz plötzlich stand er hinter ihr. - Sie schaute inzwischen auf die Straße, in der einiges los war - und sagte mürrisch:
„Guten Tag! „Grüßen ist wohl das wenigste, was man tut, wenn man ein Ladenlokal betritt.“
„Das habe ich getan,“ bekam er zu hören.
Süffisant fragte er: „Was kann ich für Sie tun?“
Das ist ja wohl eine Unverschämtheit. Achtmal war sie nun schon hier, und er sollte nicht wissen, was sie von ihm wollte?
Ruhig antwortete sie: „Ich möchte meinen Rucksack!“
Er ging hinter die Theke und zog mich heraus, und gab mich ihr. Ich war glücklich, aber da stockte mir der Atem, als ich sie hörte:
„Sie haben ihn nicht repariert? Geben ihn mir so wieder, wie ich ihn vor sieben Wochen brachte?“
„Ja, da hätten Sie sich schon deutlicher ausdrücken müssen. Ich kann ja nicht wissen, was Sie wollen.“
Sie nahm mich liebevoll in den Arm, sagte nur noch:
„Mit Ihnen laß ich mich auf keine Diskussion mehr ein!“
Und schnell waren wir draußen.
Endlich frische Luft.
Endlich fort aus dem Schuhgetümmel!
Was aus mir nun wird, weiß ich nicht. Nichts kann schlimmer sein, als ein Dasein zwischen stinkenden Schuhen. Mann, bin ich froh!
 
R

Ruth-Marion Flemming

Gast
Hallo Ludowika,

ich gratuliere Dir zu diesem Beinahe-Krimi! Wo sind die Zeiten geblieben, als der Kunde noch König war in Deutschland (gab es sie wirklich einmal?)? Vielleicht hättest Du Dein Rucksäckel in La Gomera reparieren lassen sollen! Mein Tip: Nicht ärgern (macht Falten), nur wundern!

Mit nächtlichem Gruß
Ruth
 

Ludowika

Mitglied
Liebe Ruth,
Gott ssei Dank gibt es die kundenfreundlichen Schuhmachermeister auch noch in Deutschland.
Ich fand, nachdem ich mich sieben Wochen hinhalten ließ(darüber ärgere ich mich heute noch) einen sehr netten Älteren Herrn aus dieser Branche. Er reparierte mir den Verschluß innerhalb von drei Tagen.
Ich danke Dir für Dein Interesse und grüße Dich, vielleicht bis zum nächsten Mal
Ludowika
 

Kunigunde

Mitglied
Liebe Ludowika

nun bin ich bei Deinen Erzählungen gelandet. Die Rucksackgeschichte konnte ich mir super gut vorstellen. Ähnliche Erfahrungen habe ich auch schon gemacht. Echt originell. Nur eine Frage, wie kommt denn der Rucksack nach La Gomera? Ich las die Antwort von Ruth und konnte mir darauf keinen Reim bilden.
Lieben Gruß Kunigunde
 

gladiator

Mitglied
Ich will ja nicht rummosern...

...aber ich finde, aus der Idee hätte man sehr viel mehr machen können. Ziemlich bald war mir klar, hier geht's nur darum, den ruppigen Schustern dieser Welt eins auszuwischen. Daß es aus der Sicht des Rucksacks erzählt wird, macht es nicht origineller.

Vor allem ist es dem Rucksacke nicht würdig. Ich möchte gerne mehr erfahren über seine Sicht der Dinge. Wie fühlt es sich an, wenn er zu vollgepackt ist? Wenn er lieblos in die Ecke gefeuert wird? Was ist seine Definition von einem perfekten Rücken? Kann ein Rucksacke seiner Trägerin über die Schulter schauen? Wie werden eigentlich kleine Rucksäcke gemacht? ;)

Fragen über Fragen.

Gruß
Gladiator
 

Ludowika

Mitglied
Liebe Kunigunde,
Du möchtest wissen, was der Rucksack mit La Gomera zu tun hat. Ganz einfach, er hat dort Urlaub gemacht und in dieser Zeit ging sein Verschluß kaputt.
Wie er sich da gefühlt hat, weiß ich nicht.
Lieben Gruß
Ludowika
 

Ludowika

Mitglied
Hallo, Gladiator,
Du hast es richtig erkannt. Ich mußte meinen Frust über den blöden Schumacher los werden. Und habe mir damit Luft geschaffen. Das, was Du aus der Geschichte machen möchtest, wollte ich nicht. Man könnte sicher noch einiges erzählen.
Danke für Deine Kritik
lieben Gruß
Ludowika
 



 
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