Ein Schuh erzählt
"Man sieht sehr häufig unrecht tun,
doch selten öfter als den Schuhn." (Christian Morgenstern: Die Schuhe)
Ich bin ein Schuh. Ein roter Kinderschuh in der Größe 29 mit einem grinsenden Teddybären auf der Außenseite. Seit Monaten liege ich jetzt schon in einem alten Pappkarton in diesem unangenehm kühlen Keller herum. Ich fühle mich einsam, obwohl ich nicht allein hier bin: Um mich herum drängt sich etwa ein Dutzend von Kollegen, die das gleiche Schicksal teilen. Aber das wirklich Schlimme ist für mich: Ich bin getrennt von meinem Partner, meinem ehemals ständigen Begleiter.
Linker, so nannte ich ihn. Früher hielten wir zusammen wie Pech und Schwefel, waren und sind wir ja vom Aussehen her kaum zu unterscheiden.
Jaja, ich kann mich noch daran erinnern, wie uns unser Besitzer in seiner Hast des Öfteren verwechselte und hilflos versuchte, seinen linken Fuß in mich zu zwängen. Zwar hat der Junge dabei meiner Zunge ein wenig zugesetzt, aber amüsant war es trotzdem. Das waren noch Zeiten! Soviel haben wir gemeinsam erlebt. Und jetzt sind wir einfach ausrangiert worden! Weil wir angeblich nicht mehr passen. Dabei sind doch nicht wir es, die sich nicht anpassen wollen, sondern die Füße des Jungen, die einfach nach Lust und Laune dahinwachsen! Und genauso sind nicht wir schuld daran, wenn sich die Leute vor uns ekeln, schließlich hat der Junge geschwitzt und im Dreck getobt, nicht wir!
Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber noch: Vielleicht kommen wir beide eines Tages zum jüngeren Bruder unseres einstigen Besitzers oder wir werden weiterverschenkt - falls sie uns nicht inzwischen hier unten vergessen haben und falls sie uns überhaupt noch wollen. Dann würden wir beide wieder Seite an Seite über Wiesen und Straßen getragen, dürften in Pfützen baden und leere Dosen über den Pausenhof kicken, dann ließen wir uns von Fußabstreichern angenehm die Sohle kratzen und könnten nach einem anstrengenden, aber erlebnisreichen Tag nebeneinander im warmen Schuhschrank einschlafen. Bis dahin muss ich hier eingequetscht und bewegungslos liegen bleiben, ohne mein Leid mit dem Linken teilen zu können, der sich irgendwo weiter oben in der Kiste befinden muss. So nah und doch so fern. Was für ein elendes Dasein.
"Man sieht sehr häufig unrecht tun,
doch selten öfter als den Schuhn." (Christian Morgenstern: Die Schuhe)
Ich bin ein Schuh. Ein roter Kinderschuh in der Größe 29 mit einem grinsenden Teddybären auf der Außenseite. Seit Monaten liege ich jetzt schon in einem alten Pappkarton in diesem unangenehm kühlen Keller herum. Ich fühle mich einsam, obwohl ich nicht allein hier bin: Um mich herum drängt sich etwa ein Dutzend von Kollegen, die das gleiche Schicksal teilen. Aber das wirklich Schlimme ist für mich: Ich bin getrennt von meinem Partner, meinem ehemals ständigen Begleiter.
Linker, so nannte ich ihn. Früher hielten wir zusammen wie Pech und Schwefel, waren und sind wir ja vom Aussehen her kaum zu unterscheiden.
Jaja, ich kann mich noch daran erinnern, wie uns unser Besitzer in seiner Hast des Öfteren verwechselte und hilflos versuchte, seinen linken Fuß in mich zu zwängen. Zwar hat der Junge dabei meiner Zunge ein wenig zugesetzt, aber amüsant war es trotzdem. Das waren noch Zeiten! Soviel haben wir gemeinsam erlebt. Und jetzt sind wir einfach ausrangiert worden! Weil wir angeblich nicht mehr passen. Dabei sind doch nicht wir es, die sich nicht anpassen wollen, sondern die Füße des Jungen, die einfach nach Lust und Laune dahinwachsen! Und genauso sind nicht wir schuld daran, wenn sich die Leute vor uns ekeln, schließlich hat der Junge geschwitzt und im Dreck getobt, nicht wir!
Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber noch: Vielleicht kommen wir beide eines Tages zum jüngeren Bruder unseres einstigen Besitzers oder wir werden weiterverschenkt - falls sie uns nicht inzwischen hier unten vergessen haben und falls sie uns überhaupt noch wollen. Dann würden wir beide wieder Seite an Seite über Wiesen und Straßen getragen, dürften in Pfützen baden und leere Dosen über den Pausenhof kicken, dann ließen wir uns von Fußabstreichern angenehm die Sohle kratzen und könnten nach einem anstrengenden, aber erlebnisreichen Tag nebeneinander im warmen Schuhschrank einschlafen. Bis dahin muss ich hier eingequetscht und bewegungslos liegen bleiben, ohne mein Leid mit dem Linken teilen zu können, der sich irgendwo weiter oben in der Kiste befinden muss. So nah und doch so fern. Was für ein elendes Dasein.