Ein Selbstmord
„Viele Glitzersteine!“ hatte ich als Kind gerufen, als ich zum ersten Mal das Meer sah. Und auch jetzt traf die Beschreibung zu. Der blutrote Sonnenuntergang ließ das azurblaue Wasser diamanten funkeln und nahm keine Rücksicht auf mangelnde Zuschauer. Selbst auf dieser verlassenen, steilen Klippe, die so weit abgelegen vom Hotel war, bot sie mir diesen herrlichen Anblick.
Zum letzten Mal.
Ich würde nie mehr ans Meer zurückkehren. Nie wieder.
Eine leichte Brise umspielte meine Haarsträhne und hinderte sie an ihrer Gewohnheit, mir ständig ins Gesicht zu fallen. Plötzlich schien mir alles viel klarer zu sein, viel schärfer, als es mein ganzes Leben bisher gewesen war. Die Einsamkeit hatte ich hier gesucht und die Einsamkeit würde ich hier wieder finden.
Ich tat einen Schritt zu auf die Endlosigkeit des Horizonts.
Noch einen Schritt.
Noch einen.
Ich hatte eine gute Stelle ausgesucht. Keine Häuser, keine Straße, keine Touristen, kein Geländer.
Ein weiterer Schritt.
Ich sah, ohne den Kopf zu neigen, auf die spitzen Felsen unter mir. Tosend brachen sich die Wellen an ihnen und schäumten. Ich hatte einst auch geschäumt. Vor Wut. Aber diese Wut war nun einer Ruhe gewichen wie das Meer weit draußen. Und mit der Ruhe kam ein Entschluss. Ein eiserner Entschluss, so hart wie der Stein, auf dem ich stand.
Noch ein Schritt.
Und ein zweiter.
Ich breitete langsam die Arme aus und musste plötzlich lächeln. Mir kam ein Drama in den Sinn in der die gleiche Szene vorkam. Nur ein Mann stand statt meiner an diesem Platz. Ich wusste noch, dass ich den Mann nicht gemocht hatte, aber ob es am Schauspieler oder an der Rolle lag... Ich wusste es nicht mehr. War das jetzt überhaupt wichtig? Nein. Mein weites Oberteil wurde von der Brise erfasst und kitzelte leicht meine nackte Haut. Ein weiterer Grund zu lächeln.
Mein letzter Schritt.
Ich balancierte nun am Klippenrand. Die Tiefe zog mich hinunter... Nein, das war nur eine Metapher, die man so dahinsagte.
Nichts zog.
Ich wartete darauf, dass mich eine Windböe erfasste und ich das Gleichgewicht verlor... Aber ich wartete vergebens. Kein leichter Stoß, gar nichts.
Nichts stieß.
Ich schloss die Augen und dachte daran, dass alles hätte anders laufen können. Aber jetzt war ich ja hier, um aus dem Kreis auszubrechen, mein Leben auf die Bahn eines Anderen zu lenken. Mein Zentrum zu wechseln.
Ich atmete tief aus und lehnte mich nach vorn.
„Hör auf mit dem Schwachsinn!“ Seine große Hand packte mich grob am rechten Unterarm und zerrte mich vom Abgrund weg.
Richtig. Ich war nicht allein.
„Du bist doch nicht etwa mit mir hierher gefahren, um dich jetzt da hinunter zu stürzen, oder?! Du hast wohl zu viel TV gesehen. Oder Titanic hat dir den Kopf verdreht...“
Richtig. Ich musste mich wieder daran erinnern, weshalb ich hier war. Ich wollte die Einsamkeit finden.
Und er war auch hier.
Mein Zentrum, um den sich seit jeher meine Lebensbahn gewunden hat. Er erinnerte mich an den Mann aus dem Drama. Ich mochte ihn nicht. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dass ich nicht der Mittelpunkt seines Lebens bin. Vielleicht, weil ich überhaupt kein Gefühl habe. Ich weiß es nicht.
Jetzt ist es auch egal.
Der eiserne Entschluss kam mir wieder in den Sinn. So hart wie Stein.
„Wie würdest du dich denn fühlen, wenn ich hier stehen würde, wie du?“ Er ließ endlich meinen Arm los und hörte auf, wie wild mit der freien Hand zu gestikulieren. Stattdessen ging er einen Schritt auf den Abgrund zu und breitete die Arme aus. „Na, was wäre dann? Wie würdest du dich denn fühlen, wenn ich nicht mehr hier wäre, wenn ich springen würde?“
„Einsam“, antwortete ich.
Noch ehe er den eisernen Entschluss in meinen Augen ablesen konnte, spürte er meine Hand für einen kurzen Moment in seinem Rücken.
Ich hatte meine Einsamkeit gefunden. Endlich, nach langen Jahren.
Nichts deutete auf einen Unfall hin. Er war gesprungen. Ein Selbstmord. Es war offiziell. Ein Selbstmord.
Nur ein Selbstmord.
„Viele Glitzersteine!“ hatte ich als Kind gerufen, als ich zum ersten Mal das Meer sah. Und auch jetzt traf die Beschreibung zu. Der blutrote Sonnenuntergang ließ das azurblaue Wasser diamanten funkeln und nahm keine Rücksicht auf mangelnde Zuschauer. Selbst auf dieser verlassenen, steilen Klippe, die so weit abgelegen vom Hotel war, bot sie mir diesen herrlichen Anblick.
Zum letzten Mal.
Ich würde nie mehr ans Meer zurückkehren. Nie wieder.
Eine leichte Brise umspielte meine Haarsträhne und hinderte sie an ihrer Gewohnheit, mir ständig ins Gesicht zu fallen. Plötzlich schien mir alles viel klarer zu sein, viel schärfer, als es mein ganzes Leben bisher gewesen war. Die Einsamkeit hatte ich hier gesucht und die Einsamkeit würde ich hier wieder finden.
Ich tat einen Schritt zu auf die Endlosigkeit des Horizonts.
Noch einen Schritt.
Noch einen.
Ich hatte eine gute Stelle ausgesucht. Keine Häuser, keine Straße, keine Touristen, kein Geländer.
Ein weiterer Schritt.
Ich sah, ohne den Kopf zu neigen, auf die spitzen Felsen unter mir. Tosend brachen sich die Wellen an ihnen und schäumten. Ich hatte einst auch geschäumt. Vor Wut. Aber diese Wut war nun einer Ruhe gewichen wie das Meer weit draußen. Und mit der Ruhe kam ein Entschluss. Ein eiserner Entschluss, so hart wie der Stein, auf dem ich stand.
Noch ein Schritt.
Und ein zweiter.
Ich breitete langsam die Arme aus und musste plötzlich lächeln. Mir kam ein Drama in den Sinn in der die gleiche Szene vorkam. Nur ein Mann stand statt meiner an diesem Platz. Ich wusste noch, dass ich den Mann nicht gemocht hatte, aber ob es am Schauspieler oder an der Rolle lag... Ich wusste es nicht mehr. War das jetzt überhaupt wichtig? Nein. Mein weites Oberteil wurde von der Brise erfasst und kitzelte leicht meine nackte Haut. Ein weiterer Grund zu lächeln.
Mein letzter Schritt.
Ich balancierte nun am Klippenrand. Die Tiefe zog mich hinunter... Nein, das war nur eine Metapher, die man so dahinsagte.
Nichts zog.
Ich wartete darauf, dass mich eine Windböe erfasste und ich das Gleichgewicht verlor... Aber ich wartete vergebens. Kein leichter Stoß, gar nichts.
Nichts stieß.
Ich schloss die Augen und dachte daran, dass alles hätte anders laufen können. Aber jetzt war ich ja hier, um aus dem Kreis auszubrechen, mein Leben auf die Bahn eines Anderen zu lenken. Mein Zentrum zu wechseln.
Ich atmete tief aus und lehnte mich nach vorn.
„Hör auf mit dem Schwachsinn!“ Seine große Hand packte mich grob am rechten Unterarm und zerrte mich vom Abgrund weg.
Richtig. Ich war nicht allein.
„Du bist doch nicht etwa mit mir hierher gefahren, um dich jetzt da hinunter zu stürzen, oder?! Du hast wohl zu viel TV gesehen. Oder Titanic hat dir den Kopf verdreht...“
Richtig. Ich musste mich wieder daran erinnern, weshalb ich hier war. Ich wollte die Einsamkeit finden.
Und er war auch hier.
Mein Zentrum, um den sich seit jeher meine Lebensbahn gewunden hat. Er erinnerte mich an den Mann aus dem Drama. Ich mochte ihn nicht. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dass ich nicht der Mittelpunkt seines Lebens bin. Vielleicht, weil ich überhaupt kein Gefühl habe. Ich weiß es nicht.
Jetzt ist es auch egal.
Der eiserne Entschluss kam mir wieder in den Sinn. So hart wie Stein.
„Wie würdest du dich denn fühlen, wenn ich hier stehen würde, wie du?“ Er ließ endlich meinen Arm los und hörte auf, wie wild mit der freien Hand zu gestikulieren. Stattdessen ging er einen Schritt auf den Abgrund zu und breitete die Arme aus. „Na, was wäre dann? Wie würdest du dich denn fühlen, wenn ich nicht mehr hier wäre, wenn ich springen würde?“
„Einsam“, antwortete ich.
Noch ehe er den eisernen Entschluss in meinen Augen ablesen konnte, spürte er meine Hand für einen kurzen Moment in seinem Rücken.
Ich hatte meine Einsamkeit gefunden. Endlich, nach langen Jahren.
Nichts deutete auf einen Unfall hin. Er war gesprungen. Ein Selbstmord. Es war offiziell. Ein Selbstmord.
Nur ein Selbstmord.