Ein Tag in Jericho

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Smuhssa

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Um sieben Uhr, nur ein kurzes Nickerchen nach dem bereits vertrauten Morgengebet in der Jerusalemer Altstadt machte ich mich auf den Weg. Mit Kamera und Wasser, einigen Keksen und Geld wollte ich in die gesperrte palästinensische Zone, die bis auf das Kerngebiet um Jericho geschrumpft war. Ich war froh, endlich einmal meinen „Trapperidealen“ (‘einsam durch die Öde streifen’) nachkommen zu können. Zunächst musste ich einige Kilometer motorisiert zurücklegen. Am Busbahnhof wurde mir gesagt, durch die Sperrung führe schon länger kein Linienbus mehr in die Gegend. Meine Hoffnungen die älteste Stadt der Welt zu sehen schrumpften jedoch erst radikal, als mir an den Treppen zum Damaskus Tor die Scheruttaxifahrer sagten, dass es in Jericho kein raus- noch reinkommen gab.
Trotzdem wollte ich es versuchen. Geld sollte heute keine Rolle spielen (Mira war ja nicht dabei).Endlich konnte ich einen Fahrer überzeugen mich nach Vadi Qelt, einem kleinen Naturreservat in der Nähe der alten Ruinen (ca. 6 km querfeldein), zu bringen. Nach einer guten halben Stunde nicht wenig beeindruckender Fahrt, vorbei an Schluchten und Geröllmassen, war ich dort. Der Taxifahrer verschwand in seinem alten Auto, eingehüllt in eine Staubwolke. Trotz der räumlichen Nähe zu Jerusalem war hier ein ganz anderes Klima (Jerusalem liegt auf 830 Meter über dem Meeresspiegel; Jericho im weiten Kessel des Toten Meeres bei 250 Metern unter Normalnull). Es war kein Mensch weit und breit zu sehen. Die Kasse vor dem Park war nicht besetzt, so entschloss ich mich für einen kleinen Besuch. In einem natürlichen Bassin unterhalb eines Wasserfalls fühlte ich mich wie in einer gigantischen Badewanne mit Wasserstrahlmassage. Wer noch nie in einem Wasserfall gebadet hat, wird begeistert sein (doch es gibt beeindruckendere „natürliche Whirlpools“). Mir gefiel besonders die Ruhe, die meine Nerven ebenso intensiv massierte, wie das stürzende Wasser meinen Rücken.
Nach einer zeitlosen Pause machte ich mich auf den Fußweg zum Hisham’s Place oder Khirbet al-Mafjar wie die Araber zur spätrömischen „Jagdresidenz“ aus dem 5. bis 6. Jahrhundert sagen. Ich freute mich auf die beeindruckenden Mosaiken der Jiftlik-Road-Synagogenruine und in unmittelbarer Nähe davon auf die Ruinen des alten Jericho. Mein Weg führte durch ein Vadi, vorbei an einem Aquädukt für das nahe St. George Kloster, das in den senkrechten Fels der Vadischlucht gehauen wurde.
Irgendwann in der hochstehenden Sonne traf ich in der ockertonlastigen Umgebung auf eng ausgelegten Natodraht (das ist der Stacheldraht, der statt Spitzen Rasierklingen hat). Einige Meter dahinter zog sich eine weitere Drahtrolle dem Horizont entgegen. Wie zwei riesige schlangenartige Reptilien blitzten ihre Körper in der Sonne.
Ich entschied mich für eine Richtung und hoffte, bald auf Soldaten zu treffen, die mir mehr sagen konnten. (Hier sei schon einmal angemerkt, dass ich die Situation völlig unterschätzt und „vereuropäisiert“ habe. Für mich war es nur ein knisterndes Spiel - noch.)
Nach einer Weile sah ich einen Jeep, der mit einem großen Maschinengewehr ausgestattet war zwischen den Drahtlinien stehen. Im Näherkommen konnte ich zwei gelangweilte Soldaten erkennen, die sich im Schatten des Autos lümmelten. Tatsächlich war dort ein Durchgang. Eine auf beiden Seiten nur mit Holzböcken versperrte Straße ließ mich hoffen. So wie der Sandmann den Schlaf bringt, brachte ich den Soldaten den Wachzustand wieder. Je dichter ich kam, desto reger wurden sie. Sie hängten sich ihre Uzis um und redeten miteinander. Endlich kam ich an die Holzböcke, wo mich die Beiden schon mit nicht sonderlich froher Mine erwarteten. Sie ließen einige laute Sätze auf mich niederprasseln, die ich nicht einmal im Ansatz verstand. „Hi, I am an English tourist!“ log ich, um den ersten Bann zu brechen. (Ich vermied es, mich in dieser Situation als Deutscher auszugeben, um meine Chancen auf den Besuch der Kulturstätten nicht zu erschweren. Ich versprach mir in diesem Fall einen Vorteil davon, ansonsten, schien es mir, sind die einzigen Leute in Israel, die ein Problem mit der Nazivergangenheit haben die Deutschen selber, was immer am entschuldigenden Unterton zu erkennen ist.)
Schweres Misstrauen ließ sie einige Momente schweigen. In dem nun aufkommenden Gespräch entwickelte sich eine gewisse gegenseitige Sympathie. Wir scherzten und lachten. Sie redeten über Israel und ich über meinen Wunsch. Nach einer kurzen Besprechung gaben sie mir ihr o.k. für eine dreistündige Exkursion. Ich sollte nicht in die Stadt gehen, was ohnehin ein großer Umweg gewesen wäre (zumal es dort nicht viel zu sehen gibt) und sollte Kontakt zu anderen vermeiden, mich aber auch nicht verstecken. So gelangte ich in das gesperrte Gebiet und fühlte mich wie der „Adventurekönig“. Ich kramte meinen Marschkompass hervor und peilte meine grobe Richtung an. Über die Kimme suchte ich mir einen Fixpunkt am Horizont und stiefelte los. (Natürlich hätte ich keinen Kompass gebraucht, das gehört aber einfach dazu!)
Nach etwa einer Stunde war ich schon am Ziel. Im Schnelldurchlauf schritt ich durch die Zeiten zurück, bis ich im biblischen Jericho angelangt war. Hier wurden die Trompeten geblasen, die die Stadtmauer einstürzen ließen. Hier war die älteste Stadt der Welt und ich war mitten in ihr. (Mich als Archäologen bewegt so was!) Nach einigen andächtigen Minuten tiefster „In-mich-Gekehrtheit“ trat ich meinen Rückweg an. (Wie viel mehr von der Aura kann man spüren, wenn man alleine solche großen Orte aufsucht? Die eigene Schwingung kann sich ganz mit der Energie der Umgebung verbinden, ein echtes Gefühl der Größe.)
Die Sonne hatte schon längst Süden überschritten und warf mich als Schatten auf das Geröll. Irgendwann kam ich an den Natodrahtzaun und folgte ihm - dieses mal auf der anderen Seite in die andere Richtung. Der Jeep tauchte am Horizont auf und wurde mit jedem Schritt größer. Mir schwirrte der Satz von Einstein (oder war es Gauß?) durch den Kopf, der auf einer Bahnreise den Schaffer fragte, wann Bern an ihnen vorbei käme. Wieder standen die Soldaten auf, als ich mich auf etwa dreihundert Meter genähert hatte. Wieder hängten sie sich ihre Uzis um. Diesmal gingen sie mir ein Stück entgegen. Von weitem hörte ich sie rufen, ich winkte ihnen zu. Der eine Soldat nahm seine Uzi ab, fummelte am Gewehr herum und schoss in die Luft. Ich blieb erschreckt stehen. Der Schuss hallte in den Schluchten wider. Ein einziger Schuss. Was hatte der zu bedeuten? Ein Spaß? Ein Versehen? Oder was war eigentlich los?
Ich beschloss weiter in die Richtung der Soldaten zu gehen. Erst zögerlich, dann etwas fester. Ihr nächstes Rufen hörte sich nicht freundlich an, ich ging wieder etwas langsamer. Es waren immer noch hundertfünfzig Meter zwischen uns. Die Gesichter blieben unklar.
Dann nahm der eine seine Waffe in die Taille und gab einen weiteren Schuss ab. Die Kugel pfiff ein paar Meter an mir vorbei, erst einen verzögerten Moment später hörte ich den Schuss. Wieder blieb ich stehen, diesmal erstarrt. Dafür flossen meine Gedanken umso schneller. Was war jetzt das? Ein israelischer, derber Scherz? Oder wollten die Soldaten irgendeine Macht demonstrieren?
In diesem Moment pfiffen weitere Projektile dicht an mir vorbei, eingeholt von einer donnernden Salve aus der Uzi. Auch wenn ich etliche „Coolnispunkte“ verlieren würde, schien es mir am Sinnvollsten mich auf den Boden zu werfen, was die Soldaten scheinbar als Angebot ansahen näher zu kommen. Mit vorgehaltener Waffe pirschten sie sich näher. Bis zu diesem Zeitpunkt war alles für mich ein großes Abenteuerspiel, doch dann sah ich ihre Gesichter. Es waren nicht ihre versteinerten Minen, die mir die Todesangstendorphine in alle Poren schießen ließ, sondern es waren die Gesichter selbst, denn ich hatte diese noch nie vorher gesehen. In dem Moment wurde mir klar, dass ich für diese Soldaten ein palästinensischer Terrorist war, bei dem es sich allemal gelohnt hätte ihn schon eher zu erschießen. Ganz langsam streckte ich meine Arme so weit vom Körper weg, wie es ging. Ich lag dort im Geröll wie damals, wenn beim Cowboy- und Indianerspiel einer „totgeschossen“ wurde. Ich lag dort im Dreck, so wie Jesus am Kreuz hing, was für eine schöne Geste in diesem Land, nicht wahr.
Jetzt erreichten sie mich. Ich hatte mir immer ausgemalt nach einem Standgericht irgendwelcher Guerillas vor dem Erschießen gefragt zu werden: „Haben sie noch einen letzten Wunsch?“ um dann zu sagen: „Ja, lassen sie die Augenbinde weg, hä, hä!“ Jetzt war ich in einer solchen Situation und das einzige, was ich machte, war meine Augen zu schließen und mein Gesicht in den Dreck zu legen.
Während sie mich beschimpften stupsten sie mich hart mit ihren Gewahrläufen. Was sollte ich tun? Sollte ich schweigen oder sollte ich mich als Ausländer zu erkennen geben. Die Spannung war schon fast überreizt. Ein englischer Satz konnte Erstaunen und Rehabilitierung bedeuten oder den Exitus (als Überläufer oder so). Nach weiteren harten Stupsen, die wohl endlich meine Zunge lockern sollten entschied ich mich zum „Outen“ (ja, auch ich habe mich schon „geoutet“). „I am just a tourist.“ (Ein Land ließ ich jetzt besser weg.) Tatsächlich hörte augenblicklich das Stechen auf. „O.K. Get up!“ brüllte einer der Soldaten. Gott sei Dank verstanden sie Englisch (ihre Schulbildung rette vielleicht mein Leben). Ich zog die Arme an den Körper und richtete mich auf die Knie. Nun sah ich das erste Mal den Soldaten in die Augen. Neben der leichten Verwirrung konnte ich nur Hass erkennen. Ein Lauf zeigte in mein Gesicht, der andere war von mir abgewandt, doch nur damit mich der Griff hart am Kopf treffen konnte. Leider wurde ich nicht ohnmächtig wie in den Actionfilmen immer zu sehen ist, was wohl auch den Soldaten kurz verwunderte. Neben dem lauten Krachen am Kopf begannen meine Ohren augenblicklich zu pfeifen. Ich taumelte, konnte mein Gleichgewicht aber halten, ab jetzt sah ich alles nur noch als ein Außenstehender. Die Geräusche waren wie durch Watte gedämpft, die Sicht ähnelte der, eines umgedrehten Fernrohrs. Mein warmes Blut floss mir über mein rechtes Ohr auf die Schulter und den Rücken hinab. Der Soldat überlegte, ob er noch einmal zuschlagen sollte, doch entschied sich dagegen. Ich wurde hochgerissen und zum Jeep geführt. Lethargisch setzte ich ein Bein vor das andere. Sie durchwühlten meinen Rucksack und meinen Brustbeutel, aus dem sie sich meinen Reisepass nahmen, jedoch nicht das Geld. Lange unterhielten sie sich angeregt über meinen Pass. Sie sahen sich meine Visa und Stempel an, verglichen das Foto mit dem, was von mir übrig geblieben war. Endlich verlor ich für einen Augenblick die Besinnung.
Mein letztes Wasser aus der Flasche kühlte meinen Kopf. Merkwürdiger Weise war ich plötzlich wieder voll da. Ich war wieder ich. Die Waffenläufe blickten mich stechend an. Der Ton der Soldaten war weiterhin aggressiv. Immer und immer wieder wurden mir die gleichen Fragen gestellt, die ich ruhig beantwortete. Nach dem Schlag hatte es scheinbar die Hypophyse aufgegeben, weiter Hormone auszustoßen, so blickte ich dem, was kommen mochte recht gelassen ins Antlitz. Nur einmal keimte ein neuer Schub hysterischer Angst auf, als ich eine Frage (die zum zwanzigsten Mal gestellt wurde) etwas patzig beantwortete. Der kleinere Soldat entsicherte seine Uzi direkt vor meinem Gesicht und schoss, noch während er die kleine Maschinenpistole von mir wegdrehte direkt neben mir in den Sand. Schon schwenkte er wieder zurück und brüllte wirklich kreischend auf mich ein. Erst sein Kollege konnte ihn etwas beruhigen. In keiner Situation sah ich mich dem Tod so nah, wie da. Ich konnte förmlich das unendliche Schwarz schon anfassen, ich sah von irgendwo den kleinen Zeitungsartikel: Tourist von Unbekannten erschossen - nichts weiter; und ich wäre tot gewesen, einfach so, weil es solch ein nettes Abenteuer war.
Dann ging alles schnell. Sie nahmen sich mein Geld aus dem Brustbeutel (was nicht besonders viel war) und behielten, als bleibende Erinnerung sozusagen, mein Taschenmesser und meinen Kompass. Als letzte Empfehlung gaben sie mir den Tipp: „Run!“ den ich auch beherzigte. Ich spürte, wie ihre Gewehrläufe auf meinen Rücken zielten. Endlich hatten die Todesangstendorphine vollen Einsatz. Ich rannte und rannte und versuchte mir nicht auszumalen was für einen Grund die Soldaten hatten mich nicht zu erschießen. Es war eine unendlich lange Gerade, die ich überwinden musste, bis ich aus ihrem Schussfeld war. Langsam wurde mir bewusst, dass ich es geschafft hatte. Ich hatte überlebt.
Trotzdem rannten meine Beine weiter. Langsam stieg ohnmächtige Angst in mir auf. Meine Beine begannen zu zittern und versagten ihren Dienst. Irgendwo, schon kurz vor meinem Ausgangspunkt Vadi Qelt brach ich zusammen. Mein ganzer Körper zuckte und ich musste mich explosiv übergeben, hatte dabei eine Wein-Kolik. Die Angst musste aus dem Körper, so schnell wie möglich. Nach einiger Zeit fiel ich vor völliger Erschöpfung in eine Art Ohnmachtschlaf. Es war wohl keine Stunde vergangen, bis mein Körper wieder etwas Kraft getankt hatte und mich aufwachen ließ. Der Abend hatte bereits die Überhand, doch noch war es wohl zwei Stunden hell. Ich schleppte mich bis nach Qelt, wusch mir das Blut und den Schweiß von Körper und Kleidung und entschied mich dafür noch an diesem Abend irgendwie nach Jerusalem zurückzukommen. Ich konnte keinen Augenblick länger in dieser (mir scheinbar) unsicheren Einsamkeit verweilen. Ich musste unter Leuten sein, ich musste meine Geschichte erzählen - wieder und wieder, um den Stress abzubauen. Ich brauchte die entsetzten Stimmen und die, die darüber blöde Sprüche wagten. Also wankte ich Richtung Jerusalem. Noch nie hatte ich solches Heimweh, ich sah unsere Reise schon frühzeitig enden; ich musste nach Jerusalem. Tatsächlich hatte nach einiger Zeit eine höhere Macht ein Einsehen mit mir und schickte mir einen unglaublich netten Juden, der mich bis zum Damaskus Tor brachte. Mit Tausenden Danksagungen verabschiedete ich mich und schob mich durch die Menschenmenge des späten Basars zum Hostel zurück. Nach einer ordentlichen Dusche, einem kleinen Falaffel und einem Bier begann ich meine Erzählung anderen Hostelbewohnern zu erzählen, die mich noch sehr mitnahm. Irgendwann fiel ich in einen traumlosen Schlaf, der bis zum nächsten Mittag dauerte.
Schon am nächsten Tag erinnerte nur noch eine große Beule an den Vorfall. Natürlich wollte ich nicht mehr früher nach Hause. Es war fast alles wieder in Ordnung. Ein wenig mehr Respekt vor Uzis und Grenzen ist geblieben, genauso, wie einige schweißgebadete Alpträume bis zum heutigen Tag.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Das hat Potential: Mach es bewusst noch ein bisschen mehr wie eine Erzählung und weniger wie einen Tagebucheintrag! Das ist es ja – so aus der Entfernung – ja sowieso nicht.



Um sieben Uhr, nur ein kurzes Nickerchen nach dem bereits vertrauten Morgengebet in der Jerusalemer Altstadt machte ich mich auf den Weg.
Hier ist was entgleist – nicht gut für einen ersten Satz. Meinst du „Um sieben, nach dem kurzen Nickerchen nach dem Morgengebet, machte ich mich auf den Weg.“?

… palästinensische Zone, die bis auf das Kerngebiet um Jericho geschrumpft war.
Klingt wie „alles geschrumpft – bis auf das Kerngebiet“. Du meinst aber vermutlich „… Zone, die auf das Kerngebiet rund um Jericho zusammengeschrumpft war.“


Am Busbahnhof wurde mir gesagt, durch die Sperrung führe schon länger kein Linienbus mehr in die Gegend.
wegen der Sperrung

Meine Hoffnungen die älteste Stadt der Welt zu sehen schrumpften jedoch erst radikal, als mir an den Treppen zum Damaskus Tor die Scheruttaxifahrer sagten, dass es in Jericho kein raus- noch reinkommen gab.
Komma nach „Hoffnung“ und „zu sehen“; unschöne Dopplung von „schrumpfen“; Damskus-Tor, Rein- und Rauskommen; weder ein Rein- noch ein Rauskommen ODER kein Rein- und/oder Rauskommen.


Trotzdem wollte ich es versuchen. Geld sollte heute keine Rolle spielen (Mira war ja nicht dabei).Endlich konnte ich einen Fahrer überzeugen mich nach Vadi Qelt, einem kleinen Naturreservat in der Nähe der alten Ruinen (ca. 6 km querfeldein), zu bringen.
Der Mira-Satz ist hübsch, aber zu schade für die Klammer. (Übrigens: Was hat Mira am Ende eigentlich zu der ganzen Sache gesagt? Wenn du sie hier erwähnts, muss sie am Ende noch mal auftauchen!)
Leerzeichen vor „Endlich“, Komma nach „überzeugen“.

Der Taxifahrer verschwand in seinem alten Auto, eingehüllt in eine Staubwolke.
Klingt, als verschwände er, indem er in sein Auto steigt.

Trotz der räumlichen Nähe zu Jerusalem war hier ein ganz anderes Klima (Jerusalem liegt auf 830 Meter über dem Meeresspiegel; Jericho im weiten Kessel des Toten Meeres bei 250 Metern unter Normalnull).
Nicht schön: Info ohne jeden sinnlichen Aspekt. WIE anders ist das Klima dort? Vor allem in dem Moment, in dem die Geschichte hier ankommt.



Die Kasse vor dem Park war nicht besetzt, so entschloss ich mich für einen kleinen Besuch.
Weil die Kasse unbesetzt ist? Du Schlawiner! Ich denke, Geld soll „heute“ keine Rolle spielen! * zwinker *
entschließen ZU etwas

Wer noch nie in einem Wasserfall gebadet hat, wird begeistert sein (doch es gibt beeindruckendere „natürliche Whirlpools“).
… du hast doch den Leser gar nicht zum Hinkommen eingeladen. Es gibt auch sonst keinen Grund, so aus der Geschichte Richtung „Whirlpools“ auszusteigen. Außerdem klingt der Satz wie „Naja, wer das gut findet, hat eben keine Ahnung …“


Nach einer zeitlosen Pause …
Schöne Formulierung

… machte ich mich auf den Fußweg zum Hisham’s Place oder Khirbet al-Mafjar wie die Araber zur spätrömischen „Jagdresidenz“ aus dem 5. bis 6. Jahrhundert sagen.
Komma nach „Mafjar“

Irgendwann in der hochstehenden Sonne traf ich in der ockertonlastigen Umgebung auf eng ausgelegten Natodraht (das ist der Stacheldraht, der statt Spitzen Rasierklingen hat).
IN der Sonne?
Die Erklärung wirkt – so in Klammern nachgeschoben – unbeholfen.

Wie zwei riesige schlangenartige Reptilien blitzten ihre Körper in der Sonne.
Keine Angst vor Bildern! Die Drahtrollen sehen doch aus wie „Schlangen“ (und nicht wie „Reptilien“) also schreib es auch: Wie zwei riesige Schlangen …
Und: Bild richtig mnachen: Nicht die Körper der Drähte blitzen (Drähte haben keine Körper) sondern: … entgegen – wie zwei Schlangen, deren silberne Leiber im Licht blitzten.


Ich entschied mich für eine Richtung und hoffte, bald auf Soldaten zu treffen, die mir mehr sagen konnten. (Hier sei schon einmal angemerkt, dass ich die Situation völlig unterschätzt und „vereuropäisiert“ habe. Für mich war es nur ein knisterndes Spiel - noch.)
NEIN! Wenn schon der Vorgriff, dann viel weniger zeigefingerartig! Viel besser wäre aber, die Klammer-Sache einfach weg zu lassen – das dicke Ende kommt später viel besser weil eindrücklicher!


Nach einer Weile sah ich einen Jeep, der mit einem großen Maschinengewehr ausgestattet war zwischen den Drahtlinien stehen.
Komma nach „war“

Im Näherkommen konnte ich zwei gelangweilte Soldaten erkennen, die sich im Schatten des Autos lümmelten. Tatsächlich war dort ein Durchgang.
Wo? Im Schatten des Autos?

Eine auf beiden Seiten nur mit Holzböcken versperrte Straße ließ mich hoffen.
Moment! Weit und breit nichts und plötzlich taucht eine Straße auf? Die muss doch von irgendwo kommen, warum hast du die nicht vorher gesehen?


So wie der Sandmann den Schlaf bringt, brachte ich den Soldaten den Wachzustand wieder.
Och nö: „So wie es Nacht wird, wird es Tag.“ Außerdem stimmt der Vergleich üüberhaupt nicht, denn der Sandmann bringt den Schlaf ja nicht (nur ganz kleine Kinder glauben das), du aber hast den Wachzustand wirklich gebracht.


Je dichter ich kam, desto reger wurden sie.
Dicht ist schon sehr nah dran, noch dichter heißt quasi, ihnen an die Wäsche zu gehen. „Je näher ich kam …“

Endlich kam ich an die Holzböcke, wo mich die Beiden schon mit nicht sonderlich froher Mine erwarteten.
beide klein

…bis ich im biblischen Jericho angelangt war.
Ich dachte, er sollte nicht in die Stadt gehen …

Hier wurden die Trompeten geblasen, die die Stadtmauer einstürzen ließen. Hier war die älteste Stadt der Welt und ich war mitten in ihr. (Mich als Archäologen bewegt so was!) Nach einigen andächtigen Minuten tiefster „In-mich-Gekehrtheit“ trat ich meinen Rückweg an. (Wie viel mehr von der Aura kann man spüren, wenn man alleine solche großen Orte aufsucht? Die eigene Schwingung kann sich ganz mit der Energie der Umgebung verbinden, ein echtes Gefühl der Größe.)
Der erste Klammersatz ist hübsch (und fast zu schade für die Klammer), der zweite hat mit dieser Geschichte nicht viel zu tun. Entweder weglassen oder sich (ausnahmsweise) doch einen etwas größeren Ausflug in das erhabene Gefühl, an diesem Ort zu sein, gönnen.

Die Sonne hatte schon längst Süden überschritten und warf mich als Schatten auf das Geröll.
Das Bild mag ich.


Irgendwann kam ich an den Natodrahtzaun und folgte ihm - dieses mal auf der anderen Seite in die andere Richtung. Der Jeep tauchte am Horizont auf und wurde mit jedem Schritt größer. Mir schwirrte der Satz von Einstein (oder war es Gauß?) durch den Kopf, der auf einer Bahnreise den Schaffer fragte, wann Bern an ihnen vorbei käme. Wieder standen die Soldaten auf, als ich mich auf etwa dreihundert Meter genähert hatte. Wieder hängten sie sich ihre Uzis um. Diesmal gingen sie mir ein Stück entgegen. Von weitem hörte ich sie rufen, ich winkte ihnen zu. Der eine Soldat nahm seine Uzi ab, fummelte am Gewehr herum und schoss in die Luft. Ich blieb erschreckt stehen. Der Schuss hallte in den Schluchten wider. Ein einziger Schuss. Was hatte der zu bedeuten? Ein Spaß? Ein Versehen? Oder was war eigentlich los?
GUT! Aber der Huch-Effekt verpufft durch die Nicht-Pause nach dem Schuss. Am „schlimmsten“ ist die letzte Frage – das „Was’n los?“ wird durch die anderen Fragen mehr als deutlich.

Ich beschloss weiter in die Richtung der Soldaten zu gehen.
Komma nach „beschloss“

Erst zögerlich, dann etwas fester. Ihr nächstes Rufen hörte sich nicht freundlich an, ich ging wieder etwas langsamer. Es waren immer noch hundertfünfzig Meter zwischen uns. Die Gesichter blieben unklar.
Dann nahm der eine seine Waffe in die Taille und gab einen weiteren Schuss ab. Die Kugel pfiff ein paar Meter an mir vorbei, erst einen verzögerten Moment später hörte ich den Schuss. Wieder blieb ich stehen, diesmal erstarrt.
Auch hier: Das Erstarren wird zerredet. … weiteren Schuss ab. Die Kugel pfiff ein paar Meter an mir vorbei, nah genug, dass ich erstarrte. Was zum T…?! Weitere Projektile pfiffen …


Auch wenn ich etliche „Coolnispunkte“ verlieren würde, schien es mir am Sinnvollsten mich auf den Boden zu werfen, was die Soldaten scheinbar als Angebot ansahen näher zu kommen.
Coolness ?
Schöner Satz, aber nach „werfen“ eine Punkt machen, dann wirkt er noch besser.

Es waren nicht ihre versteinerten Minen, die mir die Todesangstendorphine in alle Poren schießen ließ, sondern es waren die Gesichter selbst, denn ich hatte diese noch nie vorher gesehen. In dem Moment wurde mir klar, dass ich für diese Soldaten ein palästinensischer Terrorist war, bei dem es sich allemal gelohnt hätte ihn schon eher zu erschießen.
Starke, wichtige Sätze! Die müssen konzentrierter, wie kleine Schläge kommen (so wie es damals „einschlug“). Also keine „Todesendorphine“ (die schießen eh nicht in alle Poren) sondern schlicht und einfach Todesangst. Und: Punkt nach „Terrorist war“ – was da heißt, kann der Leser sich denken.

Ganz langsam streckte ich meine Arme so weit vom Körper weg, wie es ging. Ich lag dort im Geröll wie damals, wenn beim Cowboy- und Indianerspiel einer „totgeschossen“ wurde. Ich lag dort im Dreck, so wie Jesus am Kreuz hing, was für eine schöne Geste in diesem Land, nicht wahr.
Fast top! Das doppelte „dort“ stört mich, das „nicht wahr“ stört mich und ich würde des Klangs wegen nach „am Kreuz hing“ einen Punkt oder einen Gedankenstrich machen.

Jetzt erreichten sie mich. Ich hatte mir immer ausgemalt nach einem Standgericht irgendwelcher Guerillas vor dem Erschießen gefragt zu werden: „Haben sie noch einen letzten Wunsch?“ um dann zu sagen: „Ja, lassen sie die Augenbinde weg, hä, hä!“ Jetzt war ich in einer solchen Situation und das einzige, was ich machte, war meine Augen zu schließen und mein Gesicht in den Dreck zu legen.
Top!
Haben Sie noch einen letzten Wunsch?

Während sie mich beschimpften stupsten sie mich hart mit ihren Gewahrläufen. Was sollte ich tun? Sollte ich schweigen oder sollte ich mich als Ausländer zu erkennen geben.
Komma nach „beschimpften“, Gewehrläufe
Hier kann die Hektik mehr durchklingen. Nicht einfach nur „Was sollte ich tun?“ sondern „Fieberhaft überlegte ich, ob ich mich als Ausländer zu erkennen geben sollte oder doch lieber schwieg.“ Oder „Meine Gedanken rasten. Schweigen oder mich als Ausländer outen? Ein englischer Satz konnte mich retten oder töten, je nachdem, ob er mich als Tourist oder Überläufer markierte.“


Nach weiteren harten Stupsen, die wohl endlich meine Zunge lockern sollten entschied ich mich zum „Outen“ (ja, auch ich habe mich schon „geoutet“).
… was soll dieser Satz in der Klammer??

„I am just a tourist.“ (Ein Land ließ ich jetzt besser weg.)
Guter „Nebensatz“: Ohne Klammer!

Tatsächlich hörte augenblicklich das Stechen auf. „O.K. Get up!“ brüllte einer der Soldaten. Gott sei Dank verstanden sie Englisch (ihre Schulbildung rette vielleicht mein Leben).
rettete
Die Idee, dass sie kein Englisch hätten verstehen können, kommt für mich hier überraschend (bei aller Logik) – vielleicht vorn beim fieberhaften Nachdenken vorbereiten?

Ich zog die Arme an den Körper und richtete mich auf die Knie.
aufrichten / auf die Knie erheben /

Leider wurde ich nicht ohnmächtig wie in den Actionfilmen immer zu sehen ist, …
Top!

Ich taumelte, konnte mein Gleichgewicht aber halten, ab jetzt sah ich alles nur noch als ein Außenstehender.
Das sind zwei verschiedene Dinge: Den letzten Teil als Einzelsatz abtrennen. Eventuell sogar einen Absatz machen.


Die Geräusche waren wie durch Watte gedämpft, die Sicht ähnelte der, eines umgedrehten Fernrohrs.
Ein Fernrohr sieht nichts. Du meinst „die Sicht ähnelte der durch ein umgedrehtes Fernrohr“, oder?

…Sie sahen sich meine Visa und Stempel an, verglichen das Foto mit dem, was von mir übrig geblieben war. Endlich verlor ich für einen Augenblick die Besinnung.
Top!

Mein letztes Wasser aus der Flasche kühlte meinen Kopf.
Das wusstest du in dem Moment aber nicht, bleib lieber nah am Geschehen: Erst fühlen, dann sehen und einsortieren. „Das nächste, was ich spürte, war Wasser, das meinen Kopf kühlte. Es stammte aus meiner Flasche, die einer der Soldaten über mir/mich entleerte.“

Merkwürdiger Weise war ich plötzlich wieder voll da. Ich war wieder ich. Die Waffenläufe blickten mich stechend an. Der Ton der Soldaten war weiterhin aggressiv. Immer und immer wieder wurden mir die gleichen Fragen gestellt, die ich ruhig beantwortete. Nach dem Schlag hatte es scheinbar die Hypophyse aufgegeben, weiter Hormone auszustoßen, so blickte ich dem, was kommen mochte recht gelassen ins Antlitz.
Hier kannst du noch etwas „näher ans Gefühl“ – ein leichtes Wundern, über die Ruhe vielleicht? „… Fragen gestellt. Ich beantwortete sie mit einer stoischen Ruhe, die mich selbst überraschte. Vielleicht hatte meine Hypophyse nach dem Schlag aufgehört, Hormone auszuschütten. Ein Teil von mir fand die Idee witzig, aber der große Rest wurde nicht mal davon zu einem Gefühl gereizt.“


Nur einmal keimte ein neuer Schub hysterischer Angst auf, als ich eine Frage (die zum zwanzigsten Mal gestellt wurde) etwas patzig beantwortete. Der kleinere Soldat entsicherte seine Uzi direkt vor meinem Gesicht und schoss, noch während er die kleine Maschinenpistole von mir wegdrehte direkt neben mir in den Sand.
zweimal klein
Komma nach „wegdrehte“

Schon schwenkte er wieder zurück und brüllte wirklich kreischend auf mich ein. Erst sein Kollege konnte ihn etwas beruhigen.
„wirklich“ streichen – dass er kreischt, reicht

In keiner Situation sah ich mich dem Tod so nah, wie da.
Top! Kurz und treffend und doch mit dem Abstand des „nachhinein“, das verhindert, dass es kitschig wird. Diese Gefahr besteht ja, wenn man einen Ich-Erzähler benutzt und gleichzeitig versucht, die Frage „ob er wohl überlebt?“ zu suggerieren.

Ich konnte förmlich das unendliche Schwarz schon anfassen, ich sah von irgendwo den kleinen Zeitungsartikel: Tourist von Unbekannten erschossen - nichts weiter; und ich wäre tot gewesen, einfach so, weil es solch ein nettes Abenteuer war.
Top!

Dann ging alles schnell. Sie nahmen sich mein Geld aus dem Brustbeutel (was nicht besonders viel war) und behielten, als bleibende Erinnerung sozusagen, mein Taschenmesser und meinen Kompass. Als letzte Empfehlung gaben sie mir den Tipp: „Run!“ den ich auch beherzigte. Ich spürte, wie ihre Gewehrläufe auf meinen Rücken zielten. Endlich hatten die Todesangstendorphine vollen Einsatz. Ich rannte und rannte und versuchte mir nicht auszumalen was für einen Grund die Soldaten hatten mich nicht zu erschießen. Es war eine unendlich lange Gerade, die ich überwinden musste, bis ich aus ihrem Schussfeld war. Langsam wurde mir bewusst, dass ich es geschafft hatte. Ich hatte überlebt.
Hier kann es wieder näher an Geschehen, weniger „Erklärung“, mehr „Action“: „… Tipp: „Run!“, den ich auch beherzigte. Das Gefühl auf mich zielender Gewehrläufe im Rücken lief ich los. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass niemand die Soldaten hindern konnte, auf mich zu schießen, sondern rannte und rannte und rannte. Ich rannte um mein Leben, eine unendlich lange Gerade entlang. Nur raus aus dem Schussfeld, nur weg hier! Selbst als mir klar wurde, dass ich es geschafft hatte, dass ich überlebt hatte, rannten meine Beine weiter.“

… wie möglich. Nach einiger Zeit fiel ich vor völliger Erschöpfung in eine Art Ohnmachtschlaf. Es war wohl keine Stunde vergangen, bis mein Körper wieder etwas Kraft getankt hatte und mich aufwachen ließ.
Absatz nach „Ohnmachtschlaf“

Der Abend hatte bereits die Überhand, doch noch war es wohl zwei Stunden hell.
klingt verkünstelt So: „Die Sonne stand schon tief, ich würde noch etwa zwei Stunden Licht haben.“ ?

Ich schleppte mich bis nach Qelt, wusch mir das Blut und den Schweiß von Körper und Kleidung und entschied mich dafür noch an diesem Abend irgendwie nach Jerusalem zurückzukommen. Ich konnte keinen Augenblick länger in dieser (mir scheinbar) unsicheren Einsamkeit verweilen.
Gut! Nur der letzte Satz ist etwas verkünstelt. „Der Gedanke, auch nur eine Nacht hier zu bleiben, in dieser „Einsamkeit mit Soldaten“, war unerträglich.“

Nach einer ordentlichen Dusche, einem kleinen Falaffel und einem Bier begann ich meine Erzählung anderen Hostelbewohnern zu erzählen, die mich noch sehr mitnahm.
Komma nach „begann ich“, „meine Geschichte zu erzählen“.
Das mit dem „mitnehmen“ klingt komisch. „… zu erzählen. Die Erinnerung weckte wieder die Ohnmacht und Angst, aber beim Reden atmete ich sie aus. Wieder und wieder und wieder bis ich irgendwann in einen traumlosen Schlaf fiel … “ (Ok, ist auch nicht soo gut, aber vielleicht diese Richtung?)
 

Smuhssa

Mitglied
Wow Jon

Hallo Ulrike,
ich bedanke mich mit einer tiefen Verneigung, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Text intensiv zu lesen und zu lektorieren. Es ist eine große Hilfe und ich werde mich am Wochenende daran setzen und mit der Energie der Hilfestellung sofort viele Anmerkungen übernehmen oder umsetzen. Das ist Leselupe wie ich mir gewünscht habe.
Viele Grüße von
Marco
 

Smuhssa

Mitglied
Sieben Uhr: Ich war noch einmal nach dem bereits vertrauten Morgengebet in der Jerusalemer Altstadt, im Hostel, eingenickt. Bald machte ich mich auf den Weg. Mit Kamera und Wasser, einigen Keksen und etwas Geld wollte ich in die gesperrte palästinensische Zone, die sich in den letzten Monaten des Friedensprozesses auf das Kerngebiet um Jericho verkleinert hatte. Ich war froh, endlich einmal meinen „Trapperidealen“ - ‚einsam durch die Öde streifen‘ - nachkommen zu können. Zunächst musste ich einige Kilometer motorisiert zurücklegen. Am Busbahnhof wurde mir gesagt, wegen der Sperrung führe schon länger kein Linienbus mehr in die Gegend. Meine Hoffnungen, die älteste Stadt der Welt zu sehen schwanden jedoch erst massiv, als mir an den Treppen zum Damaskus Tor die Sheruttaxifahrer sagten, dass es in Jericho weder ein Rein-, noch ein Rauskommen gab.
Trotzdem wollte ich es versuchen. Endlich konnte ich einen Fahrer überzeugen, mich nach Vadi Qelt, einem kleinen Naturreservat, ein paar Kilometer entfernt der alten Ruinen, zu bringen. Nach einer guten halben Stunde nicht wenig beeindruckender Fahrt, vorbei an Schluchten und Geröllmassen, war ich dort. Das alte Taxi verschwand, eingehüllt in eine Staubwolke. Trotz der räumlichen Nähe zu Jerusalem war hier ein ganz anderes Klima. Die Steine vor mir strahlten schon jetzt Hitze ab, trocken flimmerte die Luft in der Ferne. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Das Kassenhäuschen vor dem Park war nicht besetzt. Doch diese kleine, grüne Oase wollte ich erleben und erreichte bald ein natürliches Bassin unterhalb eines Wasserfalls. Während des besonderen Morgenbades fühlte ich mich wie in einer gigantischen Badewanne mit Wasserstrahlmassage. Mir gefiel besonders die Ruhe, die meine Nerven ebenso intensiv massierte, wie das stürzende Wasser meinen Rücken.
Nach einer zeitlosen Pause machte ich mich auf den Fußweg zum Hisham’s Place oder Khirbet al-Mafjar, wie die Araber zur spätrömischen „Jagdresidenz“ aus dem 5. bis 6. Jahrhundert sagen. Ich freute mich auf die beeindruckenden Mosaiken der Jiftlik-Road-Synagogenruine und in unmittelbarer Nähe davon auf die Ruinen des alten Jericho. Mein Weg führte durch ein Vadi, vorbei an einem Aquädukt für das nahe St. George Kloster, das in den senkrechten Fels der Vadischlucht geschlagen wurde.
Irgendwann im gleißenden Licht der hochstehenden Sonne erreichte ich in der ockertonlastigen Umgebung eng ausgelegten, rasierklingenscharfen Sperrdraht. Einige Meter dahinter zog sich eine weitere Drahtrolle dem Horizont entgegen - wie zwei Schlangen, deren silberne Leiber im Licht blitzen. Ich entschied mich für eine Richtung und hoffte, bald auf Soldaten zu treffen, die mir mehr sagen konnten.
Nach einer Weile sah ich einen Jeep, der mit einem großen Maschinengewehr ausgestattet war, zwischen den Drahtlinien stehen. Im Näherkommen konnte ich zwei gelangweilte Soldaten erkennen, die sich im Schatten des Autos lümmelten. Tatsächlich konnte ich sehen, dass der Sperrdraht unterbrochen war, bei den Soldaten war ein Durchlass. Erst jetzt konnte ich die schmale, staubige Straße erkennen, die aus den israelischen Hügeln kommend nur mit Holzböcken versperrt war. Je näher ich der Straßensperre kam, desto reger wurden die Soldaten. Sie hängten sich ihre Uzis um und redeten miteinander. Endlich erreichte ich die Holzböcke, wo mich die beiden schon mit nicht sonderlich froher Mine erwarteten. Sie ließen einige laute Sätze auf mich niederprasseln, die ich nicht einmal im Ansatz verstand. „Hi, I am an English-speaking tourist!“ sagte ich, um den ersten Bann zu brechen. Ich log nicht, da ich ja Englisch sprach, doch vermied ich es, mich in dieser Situation als Deutscher auszugeben, um meine Chancen auf den Besuch der Kulturstätten nicht zu erschweren. Ich versprach mir in diesem Fall einen Vorteil davon, ansonsten, schien es mir, sind die einzigen Leute in Israel, die ein Problem mit der Nazivergangenheit haben die Deutschen selbst, was immer am entschuldigenden Unterton zu erkennen ist.
Schweres Misstrauen ließ sie einige Momente schweigen. In dem danach aufkommenden Gespräch entwickelte sich eine gewisse gegenseitige Sympathie. Wir scherzten und lachten. Sie redeten über Israel und ich über meinen Wunsch. Nach einer kurzen Besprechung gaben sie mir ihr o.k. für eine dreistündige Exkursion. Ich sollte nicht in den heutigen, palästinensischen Ort Jericho gehen, der abseits des biblischen Jericho lag. Zudem sollte ich Kontakt zu anderen vermeiden, mich aber auch nicht verstecken. So gelangte ich in das gesperrte Gebiet und fühlte mich wie der „Abenteurerkönig“. Ich kramte meinen Marschkompass hervor und peilte meine grobe Richtung an. Über die Kimme suchte ich mir einen Fixpunkt am Horizont und stiefelte los. Natürlich hätte ich keinen Kompass gebraucht, das gehört aber einfach für das ultimative Gefühl dazu!
Nach etwa einer Stunde war ich schon am Ziel. Im Schnelldurchlauf schritt ich durch die Zeiten zurück, bis ich im frühgeschichtlichen Jericho angelangt war. Hier wurden die Trompeten geblasen, die die Stadtmauer einstürzen ließen. Hier war die älteste Stadt der Welt und ich war mitten in ihr. Nach einigen Minuten tiefster areligiöser Andacht trat ich voller Energie meinen Rückweg an. Wie viel mehr von der Aura der vergangenen Zeiten kann man spüren, wenn man alleine solche großen Orte aufsucht? Die eigene Schwingung kann sich ganz mit der Dynamik der Umgebung verbinden, ein echtes Gefühl der Größe, auch wenn es sehr esoterisch klingt.

Die Sonne hatte schon längst Süden überschritten und warf mich als Schatten auf das Geröll. Irgendwann kam ich an den Sperrdraht und folgte ihm - dieses Mal auf der anderen Seite in die andere Richtung. Das Geländefahrzeug tauchte am Horizont auf und wurde mit jedem Schritt größer. Mir schwirrte der Satz von Einstein - oder war es Gauß? - durch den Kopf, der auf einer Bahnreise den Schaffer fragte, wann Bern an ihnen vorbei käme. Wieder standen die Soldaten auf, als ich mich auf wenige hundert Meter genähert hatte. Wieder hängten sie sich ihre Uzis um. Diesmal gingen sie mir ein Stück entgegen. Von weitem hörte ich sie rufen, ich winkte ihnen zu. Der eine Soldat nahm seine Uzi ab, fummelte am Gewehr herum und schoss in die Luft. Ich blieb erschreckt stehen. Der einzelne Schuss hallte in den Schluchten wider. Ein einzelner Schuss! Ein Missgeschick? Ein befremdlicher Spaß?
Ich beschloss, weiter in die Richtung der Soldaten zu gehen. Erst zögerlich, dann etwas fester. Ihr nächstes Rufen hörte sich nicht freundlich an, ich ging wieder etwas langsamer. Es waren immer noch hundertfünfzig Meter zwischen uns. Die Gesichter blieben unklar.
Dann nahm der eine seine Waffe in die Taille und gab einen weiteren Schuss ab. Die Kugel pfiff dicht an mir vorbei, so nah, dass ich erstarrte. Der Schuss hallte ungewöhnlich lange nach. Was war das? Weitere Projektile zischten an meinem Körper vorbei, eingeholt von einer donnernden Salve aus der Uzi. Auch wenn ich etliche „Coolnesspunkte“ verlieren würde, schien es mir am Sinnvollsten mich auf den Boden zu werfen. Mit vorgehaltener Waffe pirschten die Soldaten sich näher. Bis zu diesem Zeitpunkt war alles für mich ein großes Abenteuerspiel, doch dann sah ich ihre Gesichter. Es waren nicht ihre versteinerten Minen, die mich in Todesangst versetzten. Es waren die Gesichter selbst, denn ich hatte diese Menschen noch nie vorher gesehen. In dem Moment wurde mir klar, dass ich für diese Soldaten ein palästinensischer Terrorist war. Ganz langsam streckte ich meine Arme so weit vom Körper weg, wie es ging. Ich lag im Geröll wie damals, wenn beim Cowboy- und Indianerspiel einer „totgeschossen“ wurde; einfach im staubigen Sand, so wie Jesus am Kreuz hing - was für eine schöne Geste in diesem Land.
Jetzt erreichten sie mich. Ich hatte mir immer ausgemalt nach einem Standgericht irgendwelcher Guerillas vor dem Erschießen gefragt zu werden: „Haben Sie noch einen letzten Wunsch?“ um dann zu sagen: „Ja, lassen sie die Augenbinde weg - hä, hä!“ Jetzt war ich in einer solchen Situation und das einzige, was ich machte, war meine Augen zu schließen und mein Gesicht in den Dreck zu legen.
Während sie mich beschimpften, stießen sie mich hart mit ihren Gewehrläufen. Fieberhaft überlegte ich, ob ich mich als Ausländer zu erkennen geben sollte oder doch lieber schwieg. Die Atmosphäre war zum zerreißen gespannt. Konnten die Soldaten Englisch verstehen? Schweigen oder mich als Ausländer zu erkennen geben? Meine Gedanken rasten. Ein englischer Satz konnte mich retten oder töten - je nachdem ob ich als Tourist oder Überläufer eingestuft wurde. Nach weiteren harten Stupsen, die wohl endlich meine Zunge lockern sollten entschied ich mich dazu etwas zu sagen: „I am just a tourist.“ Ein Land ließ ich jetzt besser weg. Tatsächlich hörte augenblicklich das Stechen auf. „O.K. Get up!“ brüllte einer der Soldaten. Ich zog die Arme an den Körper, richtete mich auf und kniete mich hin. Nun sah ich das erste Mal den Soldaten in die Augen. Neben der leichten Verwirrung konnte ich nur Hass erkennen. Ein Lauf der Schnellfeuerwaffe zeigte in mein Gesicht, der andere war von mir abgewandt, doch nur damit mich der Griff hart am Kopf treffen konnte. Leider wurde ich nicht ohnmächtig wie in den Actionfilmen immer zu sehen ist, was wohl auch den Soldaten kurz verwunderte. Neben dem lauten Krachen am Kopf begannen meine Ohren augenblicklich zu rauschen. Ich schwankte, taumelte auf den Knien hockend.
Von diesem Moment an hatte ich das Gefühl, alles nur noch als ein Außenstehender zu betrachten. Die Geräusche waren wie durch Watte gedämpft, die Sicht ähnelte der, wie dem Blick durch ein umgedrehtes Fernrohr. Mein warmes Blut floss mir über mein rechtes Ohr auf die Schulter und den Rücken hinab. Der Soldat überlegte, ob er noch einmal zuschlagen sollte, doch entschied sich dagegen. Ich wurde hochgerissen und zum Geländewagen geführt. Lethargisch setzte ich ein Bein vor das andere. Sie durchwühlten meinen Rucksack und meine Gürteltasche, aus dem sie sich meinen Reisepass nahmen. Lange unterhielten sie sich angeregt über meinen Pass. Sie sahen sich meine Visa und Stempel an, verglichen das Foto mit dem, was von mir übrig geblieben war. Endlich verlor ich für einen Augenblick das Bewusstsein.
Das nächste, was ich spürte, war Wasser, das meinen Kopf kühlte. Es stammte aus meiner Flasche, die einer der Soldaten über mich entleerte. Merkwürdiger Weise waren meine Gedanken plötzlich wieder ganz klar. Ich war wieder ich. Die Waffenläufe blickten mich stechend an. Der Ton der Soldaten war weiterhin aggressiv. Immer und immer wieder wurden mir die gleichen Fragen gestellt. Ich blieb ganz seltsam gelassen und beantwortete jede Wiederholung der Fragen in stoischer Ruhe, die mich selbst verwunderte. Vielleicht hatte nach dem Schlag meine Hypophyse aufgehört Hormone auszuschütten. Die Idee amüsierte mich innerlich, der große Rest jedoch blieb gleichgültig, ohne von einem Gefühl gereizt zu werden. Nur einmal keimte ein neuer Schub hysterischer Angst auf, als ich eine Frage - die zum zwanzigsten Mal gestellt wurde - etwas patzig beantwortete. Der ältere Soldat entsicherte seine Uzi direkt vor meinem Gesicht und schoss, noch während er die kleine Maschinenpistole von mir wegdrehte direkt neben mir in den Sand. Schon schwenkte er wieder zurück und brüllte dröhnend auf mich ein. Erst sein Kollege konnte ihn etwas beruhigen. In keiner Situation sah ich mich dem Tod so nah, wie da. Ich konnte förmlich das unendliche Schwarz schon anfassen, ich sah von irgendwo den kleinen Zeitungsartikel: „Tourist von Unbekannten erschossen“ - nichts weiter; und ich wäre tot gewesen, einfach so, weil es solch ein nettes Abenteuer war.

Dann ging alles schnell. Sie nahmen sich mein Geld aus der Gürteltasche und behielten, als bleibende Erinnerung sozusagen, mein Taschenmesser und meinen Kompass. Als letzte Empfehlung gaben sie mir den Tipp: „Run!“ den ich auch beherzigte. Das Gefühl auf mich zielender Gewehrläufe im Rücken lief ich los. Ich versuchte nicht daran zu denken, dass niemand die Soldaten hindern konnte, auf mich zu schießen, sondern rannte und rannte und rannte. Ich rannte um mein Leben - eine unendlich lange Gerade entlang. Nur raus aus dem Schussfeld, nur weg von diesem Ort! Selbst als mir klar wurde, dass ich es geschafft hatte, dass ich überlebt hatte, rannten meine Beine weiter.
Endlich stieg ohnmächtige Angst in mir auf. Mein Körper begann zu zittern. Irgendwo, schon kurz vor meinem Ausgangspunkt Vadi Qelt brach ich zusammen, nachdem meine Beine ihren Dienst verweigerten. Mein ganzer Körper zuckte und ich musste mich übergeben, hatte eine Wein-Kolik. Die Angst musste aus dem Körper, so schnell wie möglich. Nach einiger Zeit fiel ich vor völliger Erschöpfung in eine Art Ohnmachtschlaf.
Es war wohl keine Stunde vergangen, bis mein Körper wieder etwas Kraft getankt hatte und mich aufwachen ließ. Die Sonne stand schon tief. Es waren vielleicht nur noch zwei Stunden bis die Nacht herein brach. Ich schleppte mich bis nach Qelt, wusch mir das Blut und den Schweiß von Körper und Kleidung und entschied mich dafür noch an diesem Abend irgendwie nach Jerusalem zurückzukommen. Der Gedanke, auch nur eine Nacht hier zu bleiben, in dieser Einsamkeit, war unerträglich. Ich musste unter Leuten sein, ich musste meine Geschichte erzählen - wieder und wieder, um das Erlebte zu verarbeiten. Ich brauchte die entsetzten Stimmen und die, die darüber blöde Sprüche wagten. Also wankte ich Richtung Jerusalem. Noch nie hatte ich solches Heimweh, ich sah mich schon nach Deutschland fliegen; ich musste nach Jerusalem. Tatsächlich hatte nach einiger Zeit eine höhere Macht ein Einsehen mit mir und schickte mir einen orthodoxen Juden samt seinem Auto - ich wurde bis zum Damaskus Tor gebracht. Mit tausenden Danksagungen verabschiedete ich mich und schob mich durch die Menschenmenge des späten Basars zu meinem Hostel zurück. Nach einer ordentlichen Dusche, einem kleinen Falaffel und einem Bier begann ich, meine Geschichte anderen Hostelbewohnern zu erzählen. Die Erinnerung weckte wieder die Ohnmacht und Angst, aber mit jedem Satz, mit jedem Wort atmete ich sie aus. Irgendwann fiel ich in einen traumlosen Schlaf, der bis zum nächsten Mittag dauerte.
Bereits am nächsten Tag deutete äußerlich nur noch eine große Beule auf den Vorfall hin. Natürlich wollte ich nicht mehr meine Reise vorzeitig beenden. Es war fast wieder alles wie vorher. Ein wenig mehr Respekt vor Maschinengewehren und Grenzübergängen ist geblieben, genauso, wie einige schweißgebadete Alpträume bis zum heutigen Tag.
 

Smuhssa

Mitglied
Endlich...

Hallo Jon,
heute habe ich endlich die Zeit gefunden den Text mit deinen Anmerkungen und meinen Ideen zu überarbeiten - Ich habe ihn schon online gestellt. Danke noch einmal, für die Mühe.
 



 
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