Ein Terrorist unter vielen

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Pola Lilith

Mitglied
Falludscha


Einzuhalten inmitten der Bewegungen
ist Schlaf zwischen Türmen.

Der Mensch an der Wand mit vornübergebeugtem Körper
bleibt Mensch. - In der Berichterstattung ist er Soldat
oder Aufständischer. - Wir erfahren nicht,
hat er eine Mutter, einen Vater, einen Bruder,
eine Schwester, hat er ein Kind oder viele,
eine Freundin oder Freund.
Was liebt er? Was wehrt er ab?
Welche Erfahrungen liegen hinter ihm
und welche der Zukunft wurden ihm geraubt?
Für was hat er gekämpft,an was hat er geglaubt,
für wen hat er sein Leben gelassen?
Wann hat er seinem Zuhause den Rücken gekehrt?
Welchen Namen hat er, welches Alter?
Wie heißen die, die ihn beweinen?
Welche Träume formten welche Sehnsucht?

Vornübergebeugt lehnt an der Wand ein Mensch.
Kalt ist der Raum und namenlos wie er
bleiben die anderen Körper. - Vielleicht
liegt zuhause ein Buch, ein Brief der Geliebten.
Vielleicht konnte er aber auch
weder schreiben noch lesen.
Hatte er überhaupt ein Zuhause?
Und wenn ja, werden mit ihm
auch seine Träume in weißem Kissen aufbewahrt?
Vielleicht fehlen hierzu aber auch die Mittel,
gibt es niemanden, der um ihn weint,
weil alle schon tot sind, die er kannte.

Vielleicht ist das aber auch alles
gar nicht geschehen, scheint hier die Sonne,
lacht drüben der Mond; gehen wir auseinander,
vereinigen sich andere in einem Zimmer;
gibt es hier ein Dach, besudeln wir dort die Erde.
Und wenn wir uns küssen: sterben Momente.

So brennt die Sonne, wenn Winter ist;
sind wir satt, wenn andere dürsten;
kehren wir heim, wenn welche die Heimat verlassen.

Sicher ist nur:
Hoch über den Grenzen ziehen die Wolken
weiter ins Nichts, lodern die Himmel,
erlischt das Licht,wenn seine Zeit gekommen ist.
 
H

Haki

Gast
Liebe(r?) Pola,

dein Prosatext fällt zunächst aufgrund der Zeielnbrüche aus der Reihe. Beim Lesen wird aber schnell klar: Sie dienen dem Rhythmus des Textes, lassen die Melodie schnell werden und das ist auch gut so.

"Falludscha" ist eine Provinz im Irak, die 2004 von amerikansichen Truppen belagert worden war. Hunderte Iraker starben.

"Einzuhalten inmitten der Bewegungen
ist Schlaf zwischen Türmen."

Das Einhalten wird mit dem Schlaf die Bewegungen mit den Türmen gleichgesetzt, jedenfalls so, wie es dort steht müssen die Bezüge so sein. Einhalten=Schlaf ist verständlich, dass aber die Bewegungen Türmen entsprechen sollen, bleibt mir unverständich.

Im Folgenden wird ersichtlich, dass der Erzähler von einem vornübergebeugten Mensch an einer Wand berichtet. Mensch bleibt Mensch tritt hier als plakative Parole zutage.
Später erfahren wir, dass wir nichts erfahren. Der Erzähler zeichnet uns einige Aspekte eines Menschen auf, mithilfe von Fragestellungen, und lässt diese unbeantwortet. Der Mensch dort an der Wand, vornübergebeugt, Aufständischer oder Soldat, bleibt ein Schatten.

Auch im folgenden Anbschnitt werden Fragen aufgeschmissen, die allesamt alleine stehen bleiben, ohne jegliche Erklärung, nur die Vermutung, dass es Antworten gibt, wir sie nur nicht kennen, steckt noch im Leser.

Schließlich erfolgt ein Bruch.
"Vielleicht ist das aber auch alles gar nicht geschehen"
Hier halte ich ein und frage mich, warum dann all die Ausführungen, mach meine Scheuklappen aber nicht zu und lese weiter.
Idyllische Momente werden im Leser hervorgerufen, vielleicht mit einem Hauch von Kitsch, aber das hält sich noch in Grenzen. Dann ein toller Satz:
" Und wenn wir uns küssen: sterben Momente."
Das beeindurckt, auch wenn man den bezug zum Menschenschatten nicht wirklich herstellen kann.

Dem Leser bleibt am Ende nur noch eine Gewissheit, nicht die, dass da ein Mensch war, nicht die, dass da keiner war, sondern:
Hoch über den Grenzen ziehen die Wolken
weiter ins Nichts, lodern die Himmel,
erlischt das Licht,wenn seine Zeit gekommen ist.

Ein apokalyptisches Bild, das scheinbar in dem Moment eintritt, wenn "seine Zeit" gekommen ist. Wer aber zu deisem "sein" gehört, wird nicht deutlich.

Vieles bleibt also unklar. Sicher ist: Die BEschreibung des Menschen, der vornübergebeugt an einer Wand steht, und die anderen Körper im kalten Raum, sind als Kritik an der Unmenschlichkeit im Irak oder überhaupt im Krieg zu verstehen.

Dann erfolgt ein Bruch, der in mir eher Fragen als Antworten hinterlässt, vor allem die eine:
Was hat das mit dem Menschen dort hinten an der Wand zu tun?

Vielleicht kannst du ja etwas mit meinen Gedanken anfangen.
Am Stil möchte ich nicht herummäkeln, da du hier sehr eigenwillige Zeilenbrüche und eine Mischung aus Prosa und Lyrik verwendest, an der ein zweiter oder dritter wohl nicht herumwerkeln sollte.

Liebe Grüße,
Haki
 

Pola Lilith

Mitglied
Terror - und deine Kritik

Lieber Haki,

herzlichen Dank für deine wundervoll konstruktive Kritik an diesem Text (der im Original ganz ohne Zeilenbrüche geschrieben ist). Sobald ich Zeit finde, werde ich dir auf die einzelnen Betrachtungen deinerseits antworten.

Pola (die..!)
 

Pola Lilith

Mitglied
Hallo, Haki

nun das Zugesagte:

"Einzuhalten inmitten der Bewegungen
ist Schlaf zwischen Türmen."

Das Einhalten wird mit dem Schlaf die Bewegungen mit den Türmen gleichgesetzt, jedenfalls so, wie es dort steht müssen die Bezüge so sein. Einhalten=Schlaf ist verständlich, dass aber die Bewegungen Türmen entsprechen sollen, bleibt mir unverständich.

[red]Türme = Bedrohung
Schlaf = Tod oder Todstellung[/red]

... Der Mensch dort an der Wand, vornübergebeugt,
Aufständischer oder Soldat, bleibt ein Schatten.

[red]Wir sind alle nur Schatten[/red]

"Vielleicht ist das aber auch alles gar nicht geschehen"

[red]weil alles geschieht und vielleicht doch nicht geschieht[/red](Relativität)

" Und wenn wir uns küssen: sterben Momente."

[red]denk an die Lichtgeschwindigkeit oder den Hauch, der eine Kerze ausbläst[/red]

Dann erfolgt ein Bruch, der in mir eher Fragen als Antworten hinterlässt, vor allem die eine:
Was hat das mit dem Menschen dort hinten an der Wand zu tun?

[red]Vielleicht ist dieser Mensch dein Schatten?[/red]

Lieben Gruß, Pola
 
H

Haki

Gast
Hallo Pola,

Türme = Bedrohung
Schlaf = Tod oder Todstellung
Das funktioniert hier m.E.n. nicht wirklich. Denn Türme bieten im Leser viel zu viele Assoziationsmöglichkeiten, weshalb ein Turm auch als etwas Ruhendes, Festes gesehen werden kann, was zweifelsohne auch mit Schlaf in Verbindung zu bringen ist. Ich würde also diesen Teil noch ein Mal überarbeiten, da der Leser deine Gedankengänge dazu nicht kennt und der Text für sich sprechen muss.

... Der Mensch dort an der Wand, vornübergebeugt,
Aufständischer oder Soldat, bleibt ein Schatten.

Wir sind alle nur Schatten
Das war keinesfalls eine Kritik, bloß eine Feststellung, hier brauchtest du dich nicht zu rechtfertigen, ich habe einfach versucht deinen Text für mich zu analysieren.

"Vielleicht ist das aber auch alles gar nicht geschehen"

weil alles geschieht und vielleicht doch nicht geschieht(Relativität)
Schön, schön, die Relativität habe ich mir auch beim Lesen gedacht, meine Frage zielt eher hierhin: Was nützt dir dieser philosphische Schwenker? Er ist in meinen Augen nicht elementar für den Text, eher eine künstlich eingefügte Nebenstraße, deren Bedeutung für den Sachverhalt(insofern ich es richtig verstanden habe, und du die Grausamkeit beschreiben wolltest im Krieg oder nur speziell im Irak)unerheblich ist.

Mit dem Bruch meinte ich eher, die Stelle "Aber vielleicht ist das alles auch nciht geschehen", den ich, wie gesagt, als unnötigen Ballast, gar als störend empfinde.

Danke für diesen Dialog, der gerne weitergeführt werden kann.

Liebe Grüße,
Haki
 

Pola Lilith

Mitglied
Hallo Haki, Hallo Odilo,

merci erst einmal für die positive Resonanz !

Hier mein Statement zu Hakis Auseinandersetzung mit dem Text:

Das funktioniert hier m.E.n. nicht wirklich. Denn Türme bieten im Leser viel zu viele Assoziationsmöglichkeiten, weshalb ein Turm auch als etwas Ruhendes, Festes gesehen werden kann, was zweifelsohne auch mit Schlaf in Verbindung zu bringen ist. Ich würde also diesen Teil noch ein Mal überarbeiten, da der Leser deine Gedankengänge dazu nicht kennt und der Text für sich sprechen muss.
Da widerspreche ich Dir, lieber Haki:
Jeder Text spricht für sich, wenn der Leser oder die Leserin mit der eigenen Assoziation stimmig ist. Du assoziierst in dem Moment des Lesens mit den Türmen etwas anderes, als ich es mit diesem Text getan habe. Deshalb stimmt der Text hier für dich nicht. Das ist ok. Berücksichtige bitte, daß ich keinen journalistischen Text geschrieben habe, sondern (fast lyrische) Kurzprosa.

[blue]"Vielleicht ist das aber auch alles gar nicht geschehen"

weil alles geschieht und vielleicht doch nicht geschieht(Relativität)[/blue]

Schön, schön, die Relativität habe ich mir auch beim Lesen gedacht, meine Frage zielt eher hierhin: Was nützt dir dieser philosphische Schwenker? Er ist in meinen Augen nicht elementar für den Text, eher eine künstlich eingefügte Nebenstraße, deren Bedeutung für den Sachverhalt(insofern ich es richtig verstanden habe, und du die Grausamkeit beschreiben wolltest im Krieg oder nur speziell im Irak)unerheblich ist.
Es war keinesfalls philosophisch gemeint und als Mittel zum Zweck gedacht. Es gibt lediglich eine Stimmung wider, die man u.a. auch mit der Relativität begründen könnte. Etwas geschieht und es geschieht, weil ich mir dessen bewußt bin. Etwas geschieht und ist vielleicht doch nicht geschehen, weil ich es nicht wissen möchte, es verdränge. Etwas geschieht, und ich bin betroffen. Etwas geschieht, und es geht mich nichts an, berührt mich nicht. Etwas, zu dem man nicht in der Lage ist, dieses zu erfassen, zu bewältigen (z.B. strukturierte Massenvernichtung), ist kein unnötiger Ballast. Störend aber ist es auf alle Fälle; jedoch nicht im Text, sondern im Umgang mit unserem Leben.

Mit dem Bruch meinte ich eher, die Stelle "Aber vielleicht ist das alles auch nicht geschehen", den ich, wie gesagt, als unnötigen Ballast, gar als störend empfinde.
Sicher wollte ich auch die Grausamkeit - (hier aktuell des Irak-)Krieges "rüberbringen"; mehr geht es mir aber um unsere Mitverantwortlichkeit fern jeden schwarz-weiß-Denkens, und ich wage, bezogen auf diesen Text zu sagen: Wir sind alle Terroristen, wenn wir nicht in jeder Situation eintreten für die Menschlichkeit. Der Terror, der auch von uns - den westlichen (reichen) Ländern ausgeht - ist subtiler Art; nicht aber subtil sind seine Folgen. Wir sind alle Schatten, solange wir nicht hinterfragen, uns nicht stellen, nicht eintreten, nicht verteidigen (gleich vor unserer Wohnungstür).

Das habe ich damit gemeint.

Gruß, Pola
 



 
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