Ein Test

Ein Test

Immer wieder legten ihm grüne Traumtänzer Steine in den Weg. Schneidig, Geschäftsführer eines mittleren Chemieunternehmens, schob ärgerlich eine soeben eingegangene Beschwerde wegen Geruchsbelästigung von Anwohnern durch die NE-Anlage beiseite. Wegen dieser Bagatelle wollte er sich nicht unter Druck setzen und zu unproduktiven Investitionen nötigen lassen.
Aber völlig ignorieren konnte er die Angelegenheit nicht. Wenn ihm wenigstens die Belegschaft keine Schwierigkeiten machen würde!
Er vergewisserte sich bei der Personalabteilung, dass der ganz überwiegende Teil seiner Leute in weiter entfernt liegenden Gemeinden wohnte. Die wenigen ortsansässigen Firmenmitglieder hatten sich Gott sei Dank am Westrand niedergelassen, wo bei der vorherrschenden Windrichtung kaum Anlass zur Klage gegeben sein würde.
Aber er wollte sicher gehen, und da hatte er eine Idee.
Er ahnte im Voraus, die Sache würde - wunschgemäß - ausgehen wie das Hornberger Schießen. Immerhin bot sich eine Gelegenheit, sich als sozial denkender väterlicher Freund seiner zweihundert Untergebenen zu präsentieren.
So wurden mit der Einladung zur alljährlichen Weihnachtsfeier nach dem Zufallsprinzip Nummernzettel verschickt.

Dem Leiter der Einkaufsabteilung war die Nr. 5 zugefallen.
Der Paul von der Verladerampe hatte die Nr. 6.
Der Herr Oberingenieur erhielt die Nr. 7
Die Putzfrau für das Betriebslabor hatte Nr. 8 erwischt.

Dies also ein kleiner Ausschnitt aus der vorgesehenen Sitzordnung einer quasi klassenlosen Gesellschaft.
Weihnachten, das Fest der Nächstenliebe, als Experimentierfeld. Im Betriebsrat bildeten sich Fronten. Einige fürchteten eine Verbrüderung von oben und unten, andere hielten es für wünschenswert, dass man sich näherkam.
Kaum waren die Einladungen verschickt, breitete sich Unmut aus. Nach längeren Diskussionen entschloss sich der Betriebsratsvorsitzende zu einem klärenden Gespräch mit dem Chef. Dieser bedauerte es sehr, dass seine Idee auf so wenig Gegenliebe gestoßen war.... Gott sei Dank.
Und so hockten die Mitarbeiter am Tage der großen Festlichkeit wieder genauso zusammen wie immer. Das alte Sprichwort "Gleich und Gleich gesellt sich gern" hatte recht behalten.
Aber im Grunde sei der Chef doch ein feiner Kerl, meinte man ziemlich einhellig. Immerhin hätte er ja in edler Absicht gehandelt.
Seine Rechnung war aufgegangen. Vor der Belegschaft würde er sich auch in Zukunft nicht fürchten müssen. Sie würde ihm auch nicht in den Rücken fallen, wenn er das anrüchige Problem unter den Teppich kehrte.
Eine profitschädigende Abluftreinigungsanlage konnte er sich sparen. Das bisschen Ammoniakgas könnte man ein paarmal in der Woche ruhig der Umwelt anvertrauen. Zwischen 2 und 4 Uhr nachts würden es sowieso nur einige wenige Anwohner merken, wenn sie versehentlich ein Fenster offen ließen. Außerdem hatte er es schwarz auf weiß: in geringer Konzentration war Ammoniakgas unschädlich - es stank halt ein bisschen.
Schneidig grinste sich eins. Genosse Trend - wie verhasst waren ihm sonst Genossen - arbeitete ohnehin für ihn. Die Sorge um den Arbeitsplatz würde den grünen Spinnern sowieso das Wasser abgraben. Und wenn er demnächst flexible Arbeitszeiten einforderte, würde die Belegschaft das mehr oder weniger klaglos schlucken. Auf der Weihnachtsfeier hatte er sich das volle Vertrauen seiner Leute erschlichen. Er konnte sich auf die Schulter klopfen.
 



 
Oben Unten