Ein doch nicht so wichtiger Brief

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Chris

Mitglied
Als ich heute Morgen die Post aus meinem Briefkasten nahm, traf mich beinahe der Schlag vor Erschrecken.
Unter einigen anderen entdeckte ich einen eigentlich unscheinbaren Brief, der als Absender den Namen unseres Ministerpräsidenten trug.
„Was, Ich bekomme einen Brief vom Ministerpräsidenten, ich?“ war mein erster Gedanke.
Wieder in meiner Wohnung angekommen legte ich den geheimnisvollen Brief zuerst einmal auf den Schreibtisch, nein drapiert habe ich ihn dort und ging zunächst einmal einkaufen.
„Eigentlich“, überlegte ich auf dem Weg zum Supermarkt, „war es ja höchste Zeit für ihn, sich endlich einmal bei mir zu melden!“ und ich beschloss, später in meiner Wohnung eine fundierte Antwort darauf aufzusetzen.
Der Brief ging mir nicht mehr aus dem Kopf, obwohl ich seinen Inhalt noch gar nicht kannte und ich fragte mich bei jedem Passanten, den ich traf, ob man es mir wohl ansehen würde, dass ich ein so wichtiger Bürger dieser Stadt und schon fast ein persönlicher Freund unseres Landesvaters war.
„Bestimmt will der mir seine neuen Ideen für den Wahlkampf mitteilen, meine Meinung dazu hören und mit mir darüber diskutieren“ - davon war ich fest überzeugt.
Im Supermarkt angekommen war mein eigentliches Vorhaben, nämlich der tägliche Einkauf von Lebensmitteln übrigens etwas anstrengender als an anderen Tagen, musste ich mich doch starker als sonst auf die benötigten Waren konzentrieren und mir mit meiner stolz geschwellten Brust mehr Bewegungsfreiheit als gewohnt verschaffen.
„Vielleicht sollte ich ihm einmal meine Telefonnummer mitteilen, damit er mich bei Fragen kurz einmal anrufen könnte.“
Mit diesem Vorsatz verstaute ich meine Einkäufe in einer Tasche, verließ den Supermarkt und trat eilig den Heimweg an.
Als ich meine Wohnung dann mit einer schweren Tragetasche beladen endlich wieder erreicht hatte, nahm ich mir zuerst eine Tasse Kaffee, machte es mir dann am Schreibtisch bequem und nahm schließlich den Brief zur Hand.
Zufrieden und mit einiger Spannung drehte ich ihn langsam und mit wichtigem Gesicht herum und überprüfte noch einmal stolz den Absender.
Nach einem großen Schluck Kaffee griff ich schließlich zum Brieföffner, um den Brief zu öffnen und endlich seinen Inhalt lesen zu können.
Mit vor Aufregung zitternden Händen faltete ich den Brief auseinander und las etwas über die politischen Ziele der Partei und die Probleme des Ministerpräsidenten mit der konkurrierenden Partei.
„Aha,“ sagte ich in überzeugtem Tonfall, „Hier ist also endlich meine Meinung gefragt!“ und begann, mit einem eiligst hervorgekramten Kugelschreiber Notizen auf einem Blatt Papier zu machen, um entsprechend reagieren zu können.
Leider fand ich aber keine Aufforderung des Absenders, sofort zu Antworten.
Dafür entdeckte ich aber auf der zweiten Seite einen Blanko-Überweisungsträger, damit ich meinen Landesvater und dessen Partei mit einer beliebigen Summe unterstützen konnte; Haus und Hof hätte ich Spenden können.
„Aha,“ durchfuhr es mich, „so ist das also, statt konstruktiver Kritik und Anregungen ist nur meine Spendenfreudigkeit gefragt.“ Enttäuscht und ein wenig verbittert fragte ich mich, ob diese Partei wirklich so arm ist, dass sie von Leuten mit geringem Einkommen Spenden erbetteln muss?
Nach einem Blick auf meinen letzten Kontoauszug habe ich von einer Geldspende abgesehen, stehe dem Ministerpräsidenten aber jederzeit für ein beratendes Gespräch gerne zur Verfügung.
Den Brief habe ich übrigens weg geworfen.
*** ***
 

soleil

Mitglied
Hallo Chris,

das ist eine nette Geschichte, aber ich finde sie zu vorhersehbar erzählt; wir haben schließlich Wahlkampf und jeder bekommt so ähnliche Bettel-Briefchen. ;-)

Ich könnte mir vorstellen, wenn Du den Teil, bis er den Brief öffnet etwas straffst und den Teil, während er den Brief liest und sich Notizen macht, ausbaust, kannst Du mehr Spannung bis zur Pointe erzeugen.
Den letzten Satz könntest Du dann auch völlig weglassen und den Titel finde ich zu verräterisch; "Ein wichtiger Brief" würde helfen den Leser etwas länger im Dunklen tappen zu lassen.

Viele Grüße
Soleil
 
Hallo Chris!

Das ist eine schöne Geschichte, obwohl man durch den Titel natürlich schon weiß, wie sie ausgeht. Auch in anderer Hinsicht muss ich Soleil recht geben: Der Teil, bevor der den Brief geöffnet wird, ist zu detailiert und wirkt etwas träge, das nimmt der Geschichte den Schwung.
Um zu beschreiben, wie du den Brief öffnest, würde ich lieber auf die langen Sätze verzichten und kurze, prägnante Sätze wählen, um die Aufregung und Vorfreude rüberzubringen.
Störend finde ich folgenden Satz:

"Mit vor Aufregung zitternden Händen faltete ich den Brief auseinander und las etwas über die politischen Ziele der Partei und die Probleme des Ministerpräsidenten mit der konkurrierenden Partei."

Du schreibst von der Aufregung und machst sie eigentlich durch die Länge des Satzes schon wieder zu nichte, so dass der Leser sich nicht gut da hineinversetzten kann. Was hälst du von Schlagworten? Etwa so: Mit vor Aufregung zitternden Händen faltete ich den Brief auseinander. Was wir wollen. Wir versprechen. Die Opposition und ihre Spielchen.
Das Ende würde ich auch etwas ändern: Ich blätterte die Seite um. Ein Blanko- Überweisungsträger. Ein Spendenbeitrag? Das ist alles? Ich war wie vor den Kopf gestossen. Ich ließ den Brief fallen. "So ist das also", dachte ich enttäuscht, "Kritik, nein danke! Aber wenn sie noch ein paar Cent über haben..."
 



 
Oben Unten