Ein fremdes Land

Breimann

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Ein fremdes Land
„Nichts ist so, wie ich´s in meinem Kopf hatte - es sind zu viele Farben, weißt du. In mir ist alles grau, schmutzigweiß, dreckig. Das hier – das ist es nicht, was ich gesehen habe - damals, Iljitsch!“
„Doch, doch, Aja; da hat sich nicht viel verändert! Es ist das selbe Land; es sind die selben Häuser; es sind die gleichen Menschen mit den gleichen Köpfen, die da draußen noch immer herum laufen - in neuen, bunteren Kleidern, meine liebe Aja!“
„Sie leben nicht mehr – nicht wahr?“, fragte sie mit einem ängstlichen Unterton. Jetzt wo alles näher kam, was sie immer verdrängt hatte, da musste sie Gewissheit haben.
„Ich weiß es nicht – aber ich glaube nicht, dass es sie noch gibt. Ängstige dich nicht, Aja. Du wirst ihnen nicht begegnen; oder sie sind so alt, dass wir sie nicht mehr erkennen werden.“
„Es ist nichts mehr von ihnen da? Nichts wird sein wie damals, Iljitsch?“
„Doch, das schon! Irgendwie leben sie immer! Du kannst sie nicht ausrotten; sie vererben sich vor ihrem Tod an ihre Nachkommen. – Man spricht und schreibt viel über sie – die Neuen; liest du keine Zeitungen?“
Anschikaija Pawlowska - die von Iljitsch, ihrem Cousin, meistens Aja genannt wurde - antwortete nicht; sie hatte keine eigene Zeitung, aber der Petrovitsch, ihr Nachbar, der hatte eine, die sie sich manchmal auslieh. Sie las mühsam, denn ihre Augen waren schlecht, und sie war ungeübt, verstand auch oft nicht, was die Leute da schrieben.
„Ist dein Fehler, Anschikaija! Du musst regelmäßig lesen, sonst kannst du nichts begreifen!“, hatte ihr Petrovitsch gesagt, als sie sich über das Kauderwelsch der Schreiber beschwert hatte. „Man muss sich gewöhnen – und fast alle Berichte sind Fortsetzungsgeschichten!“
Ihrem hübschen Gesicht sah man die 72 Jahre, das anstrengende Leben nicht an. Es war voll, fast faltenlos, die großen dunklen Augen und ihre Stupsnase passten genau dazu, ließen es mütterlich und warm aussehen. Trotz des hohen Alters waren ihre naturgewellten weißen Haare noch voll, umrahmten das Gesicht; einen Friseur kannte sie nicht.
Nur an ihrem Körper spürte sie die Auswirkungen der Vergangenheit, Es waren nicht nur die schweren Lasten, die ihn so gemacht hatten. Ihr verkrümmter Rücken schmerzte, die geschwollenen Beine waren steif und gefühllos vom langen Sitzen.
Zunächst hatte sie noch - wach und neugierig - alles betrachtet, was am Fenster vorbeizog. Der veraltete Zug mit der Nummer D 11MJ besaß zwar einen Schlafwagen, aber den hatten ihre Gastgeber nicht für sie reserviert.
Der Zug fuhr von Smolensk durch bis Düsseldorf; sie brauchten nicht umsteigen, auch wenn an der polnischen Grenze die E-Lok durch eine Diesel-Lok und an der deutschen Grenze wieder diese gegen eine E-Lok getauscht wurde. Nur an der polnischen Grenze, wenn die auf breite russische Fahrspuren eingestellten Fahrgestelle der Waggons automatisch den schmalen der polnischen und deutschen Bahn angepasst wurden, gab es etwas längere Aufenthalte.
Professor Wladimir Iljitsch Boronow und Anschikaija Pawlowska hatten sich damit abgefunden, dass sie während der rund 32 Stunden dauernden Fahrt auf den harten, mit braunem Kunstleder bezogenen Bänken sitzen mussten, weil es keine richtige Schlafgelegenheit geben würde.
Die Gänge waren vollgestellt mit Gepäck und Kartons, ihr Abteil bis auf den letzten Platz gefüllt; es gab kaum Möglichkeiten, sich zu bewegen. Die Luft war grau vom Rauch, der aus allen Abteilen drang.
In Baranovichi, in Brest und auch in Terespol hatten jeweils die Mitreisenden gewechselt. Bäuerinnen und Bauern, mit alten Gesichtern voller Furchen und Falten, in sich gekehrte Menschen, die prall gefüllte Rucksäcke trugen, hatten sich mit müde blickenden Männern in grauen Anzügen abgewechselt, die schäbige Koffer und Taschen mitbrachten; dicke Landfrauen mit Kopftüchern und weiten Röcken folgten auf Männer, die offensichtlich als Händler reisten, wie man an ihren Prospekten sehen konnten, die sie auffällig lasen und zeigten.
Die Mitreisenden schwätzten untereinander, boten sich gesalzenen Fisch, Brote und auch Schnaps an, den sie in langen Flaschen ohne Etikett mitführten. Man tauschte dies gegen das, beroch und lobte ein gutes Stück Wurst und bot dafür ein Stück gebratenes Huhn an.
An der polnischen Grenze, im Grenzort Siedlce, stiegen die letzten russischen Frauen und Männer aus, beladen mit großen Rucksäcken voller Schnaps.
„Unser ‚Selbstgebrautes’ lieben die Polen hatten sie geschwärmt. „Wir tauschen auf dem Markt, bis alles weg ist!“
Die neuen Mitreisenden waren Polen, die wortlos das Abteil betraten und sich mit mürrischen Gesichtern setzten. Niemand bemühte sich, Gespräche mit den Mitreisenden zu beginnen. Man musterte sich heimlich, prüfend und misstrauisch, und drehte sich dann demonstrativ den Partnern zu oder las.
Als der Zug am späten Abend im Warschauer Bahnhof Warszawa Wschodnia gehalten hatte, schlief Anschikaija Pawlowska schon und verpasste den planmäßigen, fast zweistündigen Aufenthalt.
Mitten in der Nacht, kurz vor Rzepin in Polen, war sie wach geworden, hatte im Dämmerlicht des verdunkelten Abteils den Schlafgeräuschen der Mitreisenden gelauscht. Sie war müde, fühlte schmerzhaft ihren Rücken, der wie wund war, aber sie konnte nicht mehr einschlafen; aufstehen war auch nicht möglich, ohne mindestens die Hälfte der Reisenden zu wecken.
Anschikaija hielt die Augen geschlossen, wollte entspannen, und dann waren die Bilder wieder aufgetaucht, die sie fast in jeder einsamen Nacht sah. Sie träumte gerne im Halbschlaf von ihrer Vergangenheit, wenn sie die Bilder steuern konnte, wenn sie – wie mit einem Wischtuch – unangenehme Erinnerungen wegputzen konnte. Sie sparte allerdings eine lange Zeit ihrer Kindheit aus – nicht immer, denn manchmal waren die Bilder stärker, wollten betrachtet werden.
Ihr Lieblingsbild war das lachende Gesicht ihrer Mutter Olga; sie konnte es immer wieder hervor holen. Meistens stellte sie ihre Mutter dazu auf den kleinen braunen Acker, ganz unten am Fluss, den sie selber bewirtschaftete. Sie erinnerte sich, wie sie mit ihr die Kartoffeln aus dem Boden grub, sie in einem Drahtkorb einsammelte.
Sie sah, wie sich ihre Mutter aufrichtete, sich auf dem Spaten abstützte; sie ließ den warmen Ostwind durch ihre langen Haare streichen, eine Locke in ihr schönes Gesicht fallen; anmutig wischte sie die widerspenstigen Haare mit dem verschwitzten Handrücken weg.
An den Feldrand stellte sie die Handkarre für die Kartoffeln, legte daneben das buntkarierte, große Tuch, in das ihre Mutter immer Brot, Wurst und eine Kanne mit Ziegenmilch gesteckt hatte, die sie aus der Kolchose mitbrachte.
Sie sah sich nie selbst, wusste nur, dass sie es war, der ihre Mutter das gebrochene Brot reichte, dass ihr das Lächeln galt. Sie fühlte die stille, glückliche Zufriedenheit, die ihre Kindheit fast immer ausgefüllt hatte.
Ein anderes Mal ließ sie zu, dass sich ihre Mutter matt auf die Hofbank fallen ließ, sie selber hockte wohl zu ihren Füßen, denn sie sah die streichelnde Hand auf einem blonden Kopf. Sie konnte sich alles so genau ausmalen; sie hatte es sorgsam in ihrem Kopf verwahrt. Die Sonne war schon nicht mehr zu sehen, die Schatten waren lang und in ihrem Schutz schliefen die Gänse; die Luft hatte sich abgekühlt; sie hörte das leichte Stöhnen ihrer Mutter, die ihren schmerzenden Rücken streckte.
Dann gab sie ihrer Mutter zerrissene Kleider auf den Schoß, die sie mit ihren schweren, schwieligen Händen nur mühsam nähen konnte. Wenn sie traurig war, dann ließ sie ihre Mutter eines ihrer langsamen, schwermütigen Lieder singen, summte es mit. Dann fühlte sie sogar heute noch Trost und den geheimnisvollen Schauer auf ihrem Rücken. Ja, dachte sie, ich war glücklich, ich hatte ein schönes Leben! Es war Frieden in meinem Leben und in meinem Dorf.
Es gelang ihr nie, das Bild ihres Vaters aus der Erinnerung zu holen. Er war schon längst weg gewesen, als ihre Erinnerungen sich festsetzen konnten.
Es hatte keine Arbeit für ihn gegeben, hatte ihr Mutter erzählt; also war er zur Armee gegangen. Aber die Nachbarskinder hatten anderes geflüstert, hatten geheimnisvolle Gesichter gemacht, wenn sie stolz von den Abenteuern ihres Vaters schwärmen wollte.
Es habe da wohl ganz andere Gründe gegeben, habe man von den Eltern gehört; Gründe, von denen man nicht sprechen dürfe. Und dann hatten sie doch erzählt, bruchstückhaft, ohne Verständnis für die Tragödie. Weggelaufen sei er, weil er’s nicht mehr ausgehalten habe, in der Armut, mit der vielen Arbeit und mit dieser Frau, von der er so plötzlich ein Kind bekommen hatte.
Ihre Mutter hatte nur verächtlich gelacht, wenn Anschikaija davon sprach, ihr den Kummer nannte, den sie mit diesen geflüsterten Vermutungen hatte.
„Kindergeschwätz!“, hatte sie verkündet, nichts mehr davon hören wollen und ihr statt dessen ihren Vater als liebevollen Mann beschrieben, seine kräftige Gestalt, seine starken Arme bewundernd geschildert.
Bunte, wilde, abenteuerliche Erlebnisse ihres Vaters hatte die Mutter ihr erzählt, wenn sie beide im Dunkeln vor dem bleckenden Herdfeuer gesessen hatten. Immer wieder wollte sie hören, wie ihr Vater für das geliebte Russland zum Soldaten geworden war und dafür die große Welt sehen durfte. Ihre Mutter hatte ihr das große Schiff beschrieben, auf dem Anschikaijas Vater Vladimir die riesigen Weltmeere befuhr.
Es gab keinen Brief, keine Karte, nicht ein einziges Bild von ihm - nicht von der Hochzeit und nicht in Uniform; sie hatte heimlich Mutters Schubladen durchsucht, ohne etwas zu finden.
Aber sie wollte damals etwas haben, was sie sich vorstellen konnte; sie brauchte ein Gesicht, damit sie von ihm träumen konnte. Also holte sie sich einen Ersatz für Vladimir, ihren Vater. In ihren Träumen stellte sie ihn sich mit dem Gesicht des Akbulak vor, der draußen vor dem Dorf wohnte, direkt an der Desna, der sich seinen Lebensunterhalt durchs Fischen verdiente.
Die Kinder im Dorf mochten ihn; Anschikaija rannte oft zu ihm, weil er ihr dann über die Haare strich und fast immer eine Leckerei für sie in den weiten Jackentaschen stecken hatte. Es waren aufgenähte Riesentaschen, in denen sich Köder für die Fische, Angelhaken, Bindfäden, Angelschnüre, Hartbrot, Sonnenblumenkerne und bunte Bonbons den Platz teilten.
Die Bonbons und andere lebenswichtige Dinge tauschte er für die Fische ein, die der Fischhändler aus Roslawl, der einmal in der Woche kam, in seinem alten Auto mitnahm.
Akbulaks Bart war lang und weiß; seine Augen waren blau - hellblau im Sonnenlicht - und mit ihnen blinzelte er immer, wenn er den Kindern etwas zusteckte. Aber das Aussehen war ihr nicht wichtig, die ruhige, immer verständnisvolle Art, die Stille, die ihn umgab, wenn er sie bat, still zu sein wegen der Fische, die erlebte Zuwendung und Nähe, die machten ihn für sie so wichtig.
Dieses gute Gesicht nahm sie sich und vermachte es ihrem Vater. Sie gab ihm ein Schiff, größer als ihr Haus, ließ ihn von ganz oben winken und mit den Armen rudern. Sie zog ihm einen bunten Anzug an, so schön wie der, den Zar Alexander auf dem Bild trug, das ihre Mutter in der Schublade aufbewahrte.
Und lachen ließ sie ihn; ständig und genau so, wie der alte Akbulak lachte, wenn ihre Mutter ihn ausschimpfte, weil er wieder einmal von seiner wilden Soldatenzeit erzählt hatte.
„Verdirbst nur die Kinder mit deinen Weiber- und Soldatengeschichten!“, rief sie dann und drohte ihm mit der Faust.
*
Erst in Magdeburg waren die anderen Reisenden langsam wach geworden; hatten ihre steifen Glieder gestreckt und knackend gedehnt.
Dann endlich hatte sie sich getraut und war zur Toilette gegangen. Die war so verdreckt gewesen, hatte so übel gestunken, dass ihr schlecht geworden war.
Ihr Cousin hatte ihnen auf dem verschlafen und still daliegenden Magdeburger Bahnhof Kaffee, Wurst und Brot gekauft; ihre eigenen Vorräte waren schon längst verbraucht. In den Stunden mit den russischen Mitreisenden hatte man mehr gegessen, als man es sonst tat. Als der Zug den Magdeburger Bahnhof verlassen hatte, war sie ein wenig eingeschlafen.
Jetzt befanden sie sich kurz vor Bielefeld. In Düsseldorf würden sie umsteigen; sie hätten nur wenige Minuten Zeit, konnten sich nichts ansehen, erklärt ihr Iljitsch bedauernd, der das von einem Reisebegleiter wusste, in dem er ständig blätterte und die fremden Ortsnamen studierte.
Seine Erklärungen sagten ihr nicht viel; die Namen waren ihr fremd, und sie wollte auch nichts wissen; ihre Angst vor dem fremden Land, dem Wiedersehen mit der Vergangenheit, die konnte ihr nichts und niemand nehmen.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, um so stärker spürte sie eine Beklemmung, die ihr das Atmen schwer machte. Sie wunderte sich über ihren Cousin, der anscheinend völlig unbelastet und ohne Ängste war.
Müde schaute sie aus dem Fenster des langsam fahrenden Zuges, ließ die Landschaft auf sich wirken, die gemächlich vorbei zog. Grüne Wiesen dehnten sich an sanften Abhängen; dunkelgrüner Wald säumte den Horizont; schwarzweiße Kühe grasten, bewegten sich wie in Zeitlupe, hoben nicht einmal den Kopf, als der Zug vorbeizog. Rot geklinkerte Bauernhöfe mit weit ausladenden Stallungen tauchten ab und zu am geschwungenen Horizont auf.
„Das ist ein schönes, friedliches Land“, dachte sie erschöpft, verglich ohne Groll ihre trockenen, staubigen Felder mit diesem sattgrünen, behäbig und gesund daliegenden Boden.
Bielefeld wurde von einer knarzigen Blechstimme angekündigt; Anschikaija konnte am Rand des Fensters die ersten Bauten der Stadt, dicht gedrängte, farbenfrohe Häuser, erkennen.
Der Zug hielt mit kreischenden Bremsen; niemand stieg, so weit Anschikaija sehen konnte, aus dem Zug aus, nur wenige Männer und Frauen standen auf dem Bahnsteig, sahen gelangweilt in die Abteilfenster, schlenderten achtlos am Zug entlang. Sie trugen schöne Schuhe, fand Anschikaija, und besah sich ihre eigene ausgetretene, fettglänzende Fußbekleidung.
„Taugen aber kaum für die Arbeit, sind nur gut für Feste“, dachte sie ohne Neid. Sie überlegte, was diese Menschen da draußen machten, warum sie da so untätig herumstanden, welche Arbeit auf sie warten mochte.
„Sie haben schöne Kleider, als wollten sie zu einem großen Fest gehen. Sie sehen friedlich aus, Iljitsch, findest du nicht auch? Sie lächeln!“
„Warum sprichst du immer vom Frieden, Aja? Du hast Angst, ja? Du suchst ihre Gesichter ab, ob sie dir gut oder böse erscheinen? Vergiss die Vergangenheit, Aja! Es ist vorbei, alles ist anders. Der Krieg und alles, was sie gemacht haben, das ist längst vergessen!“
„Kann sein, oder nicht. Ich sehe aber, wo es friedlich ist. Hier ist es jetzt friedlich. Ja, du hast recht - ich will nicht ängstlich sein“, sagte sie mit fester Stimme, bemüht, ohne Angst zu erscheinen. „Ja, ich glaube, die Menschen hier sind gut; sie tun niemandem etwas, das sehe ich.“
Professor Boronow wirkte verloren in dem breiten Abteilsitz. Seine dürren Beine steckten in viel zu weiten Hosen, sein verwaschenes weißes Oberhemd schloss eng am faltigen Hals. Am linken Revers seines braunen Jacketts blinkte ein rotes Parteiabzeichen, und an einem breiten Band baumelte sein großer Verdienstorden.
Sein Kopf, so klein und schmal wie bei einem Kind, beeindruckte auf unerklärliche Weise immer wieder die Gesprächspartner, ließ nie die Möglichkeit zu, sich über diesen kleinwüchsigen Mann zu erheben. Dunkle Augen beherrschten das faltige Gesicht mit der Adlernase, Augen, von denen mancher sagte, er habe das Gefühl, sie würden brennen.
„Professor Wladimir Iljitsch Boronow, dem besten Reaktorphysiker, den unser Land hervorgebracht hat“, stand in der Urkunde, die man ihm vor etlichen Jahren mit dem Orden überreicht hatte. Damit verbunden war seine Ernennung zum Leiter des Moskauer Instituts für Physik und Ingenieurwesen gewesen.
Ja, er war ein einflussreicher und mächtiger Mann gewesen, dem man aus Sicherheitsgründen jeden Aufenthalt im westlichen Ausland untersagen musste.
Jetzt lebte er von einer kleinen Rente, die ihm gerade mal das Überleben sicherte, alleine in einer Zweizimmerwohnung in Smolensk - und hätte reisen dürfen, wenn es seine Mittel erlaubt hätten.
„Du hast ihnen schon lange verziehen, Anschikaija?“, fragte der weißhaarige Alte, der so klein, so dünn und zart aussah - fast wie eine Puppe.
„Glaubst du das? Warum sagst du es so vorwurfsvoll?“
„Dein weiches Herz kann keinen Zorn festhalten, Aja, er zieht schneller aus, als er eingezogen ist; du bist wie unser Land, es verzeiht auch alles und allen – ohne Rücksicht, ohne Moral.“
„Nein, Iljitsch, nein! Ich konnte sie nicht alle freisprechen. – Und auch nicht in gleicher Weise. Sie sind immer wieder angetreten, weißt du – jede Frau und jeder Mann. Wie oft haben sie sich in langen Nächten vorgedrängt, wollten sich in Erinnerung bringen – wollten wohl, dass ich ihnen verzeihe. Glaubst du, Iljitsch, dass sie wirklich da sind? Kann sein, dass sie mich immer noch suchen und finden?“
„Nein, du dumme Aja!“, sagte er zärtlich, beugte sich vor, und streichelte ihre Hand.
„Nein, die gibt es nur noch in deinem Kopf! Es gibt keine Geisterwesen, keine Toten, die um uns herum schwirren! Das sind Spukgeschichten für das dumme Volk. Lass dich nicht verrückt machen von deinen versponnenen Nachbarn. Es gibt sie nicht!“
„Na ja, alles weißt du auch nicht, mein kluger Iljitsch! Ich habe meine Quälgeister befragt und ausgeforscht; ich wollte wissen, ich musste wissen, was sie damals gedacht und gefühlt haben. Sie waren mir schon Antworten schuldig – und ein ‚Verzeih mir Anschikaija Pawlowska’ hat mir nicht gereicht.“
„Und? Haben sie geantwortet?“, fragte er spöttisch. „Haben sie gesagt, warum sie es gemacht haben? Hast du ihre Gründe verstanden?“
„Spotte nur! Manche habe ich verstanden - im nachhinein; ihnen konnte ich verzeihen, einigen anderen werde ich nie verzeihen können“, sagte sie zur sonnenbeschienenen Scheibe und lehnte ihr gewelltes weißes Haar dagegen.
„Aber du hast kein Recht, ihnen zu verzeihen, Anschikaija! Du verhöhnst damit die anderen Opfer! Nur alle Opfer dieser Leute, die dich gequält haben, ihr alle gemeinsam, die sie unter ihrer Knute gehabt haben, ihr zusammen könntet verzeihen. Aber das geht nicht! Zu viele haben sie getötet oder zu Krüppeln gemacht, die längst gestorben sind. Willst du diese Toten vertreten und ihnen in ihrem Namen Verzeihung gewähren?“
Anschikaija schüttelte den Kopf; sie verstand ihn nicht; ihre Art zu verzeihen war persönlich, war sehr intim.
*
Sie lebte in Gurka, einem winzigen Dorf, gut hundert Kilometer südwestlich von Smolensk. Es war von vertrockneten Weiden, knorrigem Gebüsch und kleinen, verkrüppelten Wäldern umgeben. Die Äcker, auf denen sie mühsam Kartoffeln und Mais anbauten, waren rotbraun, brachten nicht sehr viel Frucht hervor. Die Wiesen waren nur dicht am Fluss saftig; jede Familie im Ort besaß einen Streifen Weide entlang dem Fluss, der nie über die Ufer trat.
Das Dorf bestand aus rund zwanzig Holzhäusern, die auf beiden Seiten der Straße gebaut waren, die zur Desna und zur alten Holzbrücke führte.
Seit den aufregenden Tagen, in denen die Sowjetunion auseinander gefallen war, war auch in diesem einsamen Dorf alles anders geworden. Über das Fernsehen hatten sie alles erlebt, hatten nicht gewusst, ob sie frohlocken oder trauern sollten; sie hatten lange nicht verstanden, warum ihre Kolchose geschlossen wurde; es war doch mitten in der Erntezeit.
Früher hatten sie alle in dieser großen Kolchose arbeiten müssen. Sie arbeiteten hart in den Lagerhallen, in den Silos, auf dem Feld, verdienten aber nur wenig. Es war eine arme Kolchose, wie der Verwalter ihnen immer wieder sagte; man müsse fast alles, was geerntet und gezüchtet wurde, abliefern; die wenigen Überschüsse, die die Kolchose selber auf den Kolchosmarkt nach Roslawl brächten, reichten nicht aus; die Gewinne würden von den teuren Maschinen und ihrer Unterhaltung aufgefressen.
So blieb ihnen keine andere Wahl, als ein paar kleine Landstücke, Gärten oder Äcker, diesseits der Desna, selber zu bewirtschaften. Es wurde geduldet, denn man kannte ihre Not. Sie bauten Kartoffeln oder Gemüse an; manche hielten sich ein paar Schweine oder etwas Geflügel.
Auf ihren eigenen Äckern konnten sie nur am späten Abend arbeiten, wenn sie nach zehnstündiger Arbeitszeit zerschlagen und lahm aus der Kolchose kamen, oder eben am Wochenende, wenn sie lieber die müden Knochen ausgeruht hätten,
Die Arbeit auf der Kolchose garantierte ihnen zwar ein geregeltes Einkommen, aber es reichte nicht, um zu überleben; sie mussten sich etwas hinzu verdienen, selber den Tagesbedarf an Kartoffeln und Gemüse produzieren.
Jetzt war die Kolchose geschlossen, standen die Gebäude öde und leer, verrotteten immer mehr; nur ein paar Stallungen wurden noch von den Bauern genutzt, die ihre Felder in der Nähe hatten. Eine private Genossenschaft hatte schon nach kurzer Zeit aufgegeben, und danach hatte man eine Privatisierung der Landwirtschaft beschlossen.
Die Traktoren, die Erntemaschinen waren uralt, verrostet und kaputt; es gab keine Ersatzteile und kein Geld für den teuren Treibstoff - und es gab kein regelmäßiges Einkommen mehr. Jeder bekam von der Regierung ein großes Stück Land, versuchte mit den wenigen funktionierenden Hilfsmitteln die Äcker und Wiesen zu bewirtschaften. Einige Dorfbewohner begannen mit der Schweine- Vieh- oder Geflügelzucht. Es ging nur langsam vorwärts; die Arbeit war schwer, weil sie fast alles mit der Hand erledigen mussten; teures Saatgut und Dünger und Pflanzenschutzmittel fraßen fast die gesamten Erträge auf.
Die gewundene Straße, eigentlich nur ein unbefestigter Feldweg, in den die Räder der Traktoren und Anhänger früher tiefe Rinnen gefräst hatten, verband ihr Dorf mit der Außenwelt. Die Außenwelt, das war Roslawl, wo es einen täglichen Markt gab, auf dem sie ihre Produkte verkaufen konnten – wenn etwas übrig war.
Man fuhr eine knappe Stunde mit dem Pferdefuhrwerk bis Roslawl; mit dem Auto ging es nur im Sommer schneller, wenn die Wege fest und trocken waren. Die kleine Stadt lag etwas südlicher, ein ganzes Stück von der Desna entfernt.
Außer den einstöckigen Holzhäusern gab es nur noch die einklassige Dorfschule, ziemlich weit unten an der Desna, und die zerfallene Kirche am anderen Ende des Dorfes.
Niemand ging mehr in diese Kirche, sie stand leer, und eine Glocke gab es wohl schon seit dem Ende der Zarenzeit nicht mehr. Olga, ihre Mutter, hatte den Popen noch gekannt, der manchmal an Sonntagen von Roslawl gefahren kam. Aber sie selber hatte nie einen Priester im Dorf gesehen. Die alten Bänke, die Ikonen, die Fensterscheiben und das Holz der Türen hatten die Leute längst aus der Kirche geholt; es war alles spurlos verschwunden.
„Es ist nicht gut was sie machen! Sie glauben nicht mehr, meine kleine Aja“, hatte ihre Mutter geseufzt, wenn sie Abends mit ihr gebetet hatte.
Anschikaija Pawlowska wohnte alleine in dem kleinen, aus Holz gebauten, ebenerdigen Haus. Die meisten Nachbarn hatten viele Kinder, die ständig vor und in ihrem Haus umher rannten und lärmten, die sich bei ihr ausweinten oder getröstet werden mussten.
Pijotre und seine Frau Helenka bewohnten das linke Nebenhaus; sie hatten sechs Kinder. Sie waren arm, ärmer als Anschikaija; sie mussten sieben hungrige Mäuler stopfen, und ihre Felder lagen weit weg vom Fluss.
Auf der anderen Seite wohnten Petrovitsch und Naidenka, die nur drei Kinder hatten, und Petrovitsch konnte ihr deshalb manchmal bei der schweren Landarbeit helfen; er hatte einen starken, groß gewachsenen Eber, der für alle Säue im Dorf zuständig war. Davon lebte Petrovitsch mit seiner Familie ganz gut, denn er verlangte für den Liebesdienst seines Ebers Gogol immer die Hälfte der geworfenen Ferkel.
Anschikaija hatte nie einen Mann gehabt; in Gurka hatte es keine heiratsfähigen Männer gegeben - nach dem Krieg –, sie waren gefallen oder vermisst. Erst nach langer Zeit waren neue Familien gekommen, angesiedelt durch die Verwaltung der Kolchose.
Von ihrem Vater hatte Anschikaija nichts mehr gehört; sie hatte sich nach dem Krieg bei der Verwaltung in Smolensk nach ihm erkundigt.
Man sagte ihr, er sei nicht mehr aus dem Krieg zurück gekommen, er gelte als vermisst, so wie der Vater von Iljitsch.
Ihr Haus hatte leer gestanden während des Krieges, all die Zeit, in der sie weg sein musste, und alle Tiere waren gestohlen worden oder gestorben. Sie hatte ganz neu anfangen müssen – damals, als sie es zum ersten Mal wieder gesehen hatte, nach einem elend langen Marsch von Smolensk her; nur zwei Mal hatten Lastwagen sie ein kleines Stück mitgenommen.
Ihr Denken war einfach, drehte sich um Alltagssorgen, um das Wohl und Wachstum ihrer Tiere, um Krankheiten in der Nachbarschaft, um das Glück eines langsamen Gesprächs mit ihren Nachbarn.
Im Winter saßen sie oft gemeinsam im Dunkeln am offenen Herd, im Sommer, nach Feierabend, auf der Hofbank. Man erzählte sich Geschichten, besprach die Ernte, die Arbeit und die Krankheiten im Dorf.
Anschikaija hatte kein Fernsehgerät und kein Radio. Nur etwa die Hälfte der Dorfbewohner hatte sich ein Fernsehgerät zugelegt. Wollte man unbedingt etwas im Fernsehen anschauen, dann fand sich schon ein Nachbar, bei dem man willkommen war; man setzte sich zusammen vor das Gerät, sah die Filme und Berichte aus fernen Ländern und diskutierte sofort darüber.
Ihr Nachbar, der Petrovitsch, der hatte sich für das Geld das er für die Ferkel bekam, die er auf dem Markt in Roslawl verkaufte, ein modernes Gerät gekauft. Bei ihm saßen sie manchmal, der Pijotre und seine Frau, die sich keins leisten konnten, und sie, die sich keins anschaffen wollte – und auch kein Geld dafür übrig hatte.
„Warum soll ich alleine so aufregende Sachen sehen? Soll ich dann mit mir allein darüber sprechen? Nein, nein! So ist es gut! Wir sehen genug von der Welt!“, hatte sie der Naidenka, der Frau des Petrovitsch, gesagt, die ihr geraten hatte, sich ein Gerät anzuschaffen.
Anschikaijas tägliches Zeitgefühl wurde von der Sonne, der beginnenden und schwindenden Dunkelheit bestimmt. Die große Zeit, das waren die Jahreszeiten, die im Herbst eine karge Ernte, im Winter Kälte, bullernde Öfen und Stille, im Frühling die Wärme mit Rückenschmerzen von der vielen Arbeit, und in den meist heißen, dürren Sommern viel Arbeit und schöne lange Abende mit sich brachten.
*
Anschikaija hatte kurz vor Mittag gerade ihre sieben Gänse in den Stall getrieben; es war einer dieser heißen Sommertage, die die Luft wie Blei aussehen lassen, als sie den Motor eines nahenden Wagens hörte.
Das dunkle große Auto schaukelte im Schritttempo durch die Furchen des staubigen Weges, fuhr ohne anzuhalten durch das halbe Dorf und blieb direkt vor ihrem Haus stehen.
Kinder, die vom Fluss hoch kamen, ihre Angelstöcke noch in den Händen hielten, trotteten langsam hinter dem Wagen her, hielten gehörigen Abstand.
Als das Auto bremste, blieben sie stehen, warteten ab. Ansonsten lag die Straße leer und verlassen da; es war Mittagszeit und da ruhten die meisten. Niemand sonst schien sich für das Auto zu interessieren, das vor Anschikaijas Haus stand.
Dabei war es ja nicht normal, dass ein Auto den Weg nach Gurka fand – und auch noch im Dorf hielt. Höchstens einmal im Monat kam der Händler mit einem uralten Lieferwagen aus Roslawl ins Dorf, brachte Ersatzteile, Stoffe oder auch Schuhe, alles nur auf Bestellung. Dafür nahm er dann Speck und Schinken mit, den sie nicht selber verbrauchen konnten; aber es war nie viel übrig; den Rest mussten sie deshalb bar bezahlen.
Anschikaija wusste zuerst nicht, wer der feine Herr war, der aus dem vornehmen Auto stieg und sich, auf einen Stock abgestützt, auf sie zu bewegte.
„Anschikaija! Meine Aja! Meine kleine süße Cousine! Erkennst du mich denn nicht?“, rief der Mann - und dann weinte sie lange vor Glück.
„Iljitsch, lieber Iljitsch, wo warst du? Warum hast du mich nie besucht?“ Immer wieder fragte sie ihn, rief ihn mit dem Namen aus ihrer Kindheit.
Sie setzten sich auf die alte Hofbank, die das halbe Jahrhundert auch noch überstanden hatte, schauten auf die im Dreck wühlenden Schweine und mochten kaum sprechen vor Glück und chaotisch einströmenden Erinnerungen.
„Ich bin in Moskau gewesen, weißt du. Sie haben mich von einer Schule zur anderen geschickt. Ich hatte doch keine Eltern mehr; warum sollte ich an mein altes, armes Dorf denken? Mich verband nichts mehr mit diesem verstaubten, einsamen Ort.“
„Aber ich! – Ich war doch hier, Iljitsch!“, sagte sie vorwurfsvoll. „Ich habe gewartet!“
„Ja!“, sagte er nachdenklich und schwieg lange.
Dann erzählte er von seinen Pflegeeltern, die ihn sofort nach dem Krieg aufgenommen und gefördert hatten.
„Ein großer Parteigenosse war das, der viel Einfluss hatte!“, erklärte er. „Sie hatten alles, durften alles, machten alles, was ihnen gefiel! Und ich deshalb auch! Es waren verrückte Jahre.“
Sie hatten den klugen Jungen ausbilden lassen, ihn auf die besten Schulen geschickt. Der Pflegevater hatte ihn unterstützt, als wäre er sein richtiger Vater – und Vater hatte Iljitsch ihn auch genannt; er hatte seinen richtigen Vater ja kaum gekannt.
„Hast du eine Frau gehabt?“
„Äh – eigentlich nicht. Es gab da schon mal dies oder das, wie das so ist im Leben eines Mannes in der Großstadt. Aber nein, es gab eigentlich keine Frau, die mich begleitet hat - ich war immer alleine.“
„Das war nicht gut für dich, Iljitsch! Du hättest heiraten sollen!“
„Und du? Was hast du gemacht? Hast du denn geheiratet? Na also!“
„Das ist etwas anderes, du weißt, was war - oder hast du vergessen? Und außerdem gab es hier keine Männer für mich.“
„Ja, verzeih! Ich hatte es vergessen, liebe Aja!“
„Du hast uns alle vergessen!“
„Nein, nicht vergessen; nur – es war so viel, was mich beschäftigte. - Doch, ja - ich gebe es zu -, ich hatte zu viele Dinge einfach vergessen; ich lebte in einer anderen Welt – weißt du?“
„Und jetzt hast du dich erinnert? Hast ganz plötzlich gedacht, dass diese alte Aja vielleicht noch lebt. Schaust mal, hast du gedacht, ob sie was Gutes zum Essen macht! Gib es zu!“
„Nein, nicht wegen dem Essen“, lachte er. „Letzte Woche bekam ich einen Brief von der Stadtverwaltung von Smolensk. Sie schrieben von der damaligen Deportierung nach Deutschland. Man hätte in Deutschland, in einem alten Einwohnerregister aus der Kriegszeit, viele Namen gefunden. Viele von denen wären tot. Ob wir noch leben würden, haben die Deutschen gefragt; und wenn, dann sollten wir nach Deutschland kommen. Stell dir vor, die haben unsere Namen gefunden – in Deutschland. Und wir wurden von unserer Verwaltung ausgesucht – wir beiden!“
„Nicht nur du? Wir beiden – wirklich?“
„Es sei wichtig, dass du und ich dem Ruf folgen würden, schrieb dazu unsere Verwaltung. - Für die Ehre Russlands sei es gut.“
„Was sollen wir in diesem Deutschland tun, Iljitsch?“
„Erzählen, wir sollen erzählen, was sie gemacht haben mit uns – damals!“
„Ich will nichts erzählen! Wem sollte ich was erzählen?“
„Deutschen Schülern sollst du erzählen, Aja! Es geht um viel - um Geld und um das Ansehen unseres Landes. Die Deutschen haben gesammelt für die Fahrt und für Schlafen und Essen. Wir brauchen nichts zu bezahlen. Im Brief sind die Fahrkarten für uns. Du kannst doch weg? Nächste Woche? Also, noch sieben Tage hättest du Zeit für die Vorbereitung. Zier dich nicht, meine kleine Anschikaija!“
Sie zögerte, sah ihn zweifelnd an und schüttelte den Kopf.
„Warum so schnell? Im Herbst, wenn die Felder kahl sind, wenn ich wenig zu tun habe, ist auch noch Zeit für eine solche Reise!“
„Herbst! Du bist so alt geworden, hast so viel gearbeitet, da wirst du wohl für einige Zeit hier weg können. Hast du keinen, der dir die Arbeit abnimmt?“
„Na ja - vielleicht – wenn ich ihm ein Ferkel dafür gebe? Der Petrovitsch, der könnte das schon. Aber ich weiß nicht...“ Sie zögerte weiter, und so erzählte er von den jungen Leuten, die sie eingeladen hatten.
„Sie wollen um eine Bezahlung kämpfen für das Unrecht, für die Schmach, für das Elend und für die Schmerzen“, sagte er.
Die Leute, für die er und Aja – und alle die anderen Zwangsarbeiter - damals gearbeitet hatten, die wollten noch nicht bezahlen, die verzögerten es immer wieder. Darum wollten die Schüler Druck ausüben, ihnen klar machen, dass sie sofort zahlen müssten, weil die alten Menschen sonst sterben würden, bevor das Geld da wäre.
„Wie können sie Druck machen? Hört man auf so junge Leute?“
„Sie sagen das, was wohl viele denken, aber nie aussprechen. Druck macht, dass darüber berichtet wird. Ich hoffe, dass man auf sie hören wird.“
Lange saßen sie da, auf der alten Hofbank, bedachten das Gesagte und schauten in die weite, staubige Landschaft.
„Unrecht? Hatten sie unrecht? Sagen sie jetzt, es wär falsch gewesen?“, fragte Anschikaija zweifelnd.
„Aber ja, Aja! Sie sagen es, und sie werden dafür bezahlen! Glaub es mir! – Nur wann, darum geht es, weißt du?“
„Du und ich - wir zwei alten Besen - wir sollen das machen? Warum ich?“
„Ach, meine dumme Aja! Nein, so nicht! Das machen die da oben - nicht wir. Aber es braucht Druck, Aufregung. Das machen junge Menschen – und dazu wollen sie verstehen, begreifen, unsere Geschichte hören. Es gibt Schüler dort, die ihre Alten und die Firmen zwingen wollen, Schüler, die das Unrecht begriffen haben. Die laden uns ein – dich und mich!“
„Ich erzähle meine Geschichte nicht – nie! Sie ist nur für mich; sie ist nicht gut, Iljitsch! Junge Menschen würden sie nicht verstehen; nicht meine Geschichte!“
„Doch, doch! Gerade, weil sie nicht gut ist! Gute Geschichten wollen sie nicht. Deine, meine, - das waren böse Geschichten – und die brauchen sie bei ihrem Kampf um Gerechtigkeit!“
„Oh mein Gott! Es wird Kampf geben? Ist es gefährlich, Iljitsch? Ist es nicht besser, wir warten hier ab, ob sie uns Geld geben wollen?“
„Abwarten? Was willst du warten, Aja? Ach wo! Es ist Frieden; es gibt keinen Krieg mehr zwischen Deutschland und Russland! Das ist lange vorbei, liebe Aja!“
„Mutter hat immer gesagt: ‚Nicht so hastig! Warte, warte – es kommt schon alles zur rechten Zeit!’ – und sie hat meistens recht gehabt“
„Worauf warten? Auf den Tod? Ja, da kannst du drauf warten, der kommt ganz bestimmt - aber sonst? Warten will ich nicht mehr, Aja. Wir haben nicht mehr viele solche Sommer vor uns – und tote Zwangsarbeiter bekommen keinen einzigen Rubel. – Wozu auch?“
Sie schaute rüber zu dem großen, schwarzen Auto, das wie ein schlafendes Tier mitten auf der Dorfstraße stand. Hinter der spiegelnden Scheibe konnte sie eine Bewegung erkennen.
„Warum hast du so einen großen Wagen, Iljitsch? Ich meine, du bist pensioniert und arm?“
„Ach, das ist nicht mein Wagen; schau ihn doch genau an! Da sitzt einer drin, der ihn fährt; aber dem gehört er auch nicht, er kommt von der Regierung in Smolensk, von der Verwaltung. Der gehört er wohl auch nicht – er gehört eigentlich niemanden. Sie haben entschieden, dass wir beiden Alten unser Mütterchen Russland vertreten sollen in Deutschland, darum darf ich in diesem Auto fahren. Ich bin für die Leute in Smolensk eine Berühmtheit; sie haben mir damals auch eine Wohnung besorgt“, sagte er lachend und zeigte auf seine Brust, auf der das Ordensband schaukelte. „Das war schon eine tolle Sache! ‚Der berühmte Sohn kehrt in seine Heimat zurück!’ sagten sie bei der Begrüßung.“
Anschikaija Pawlowska schüttelte verwirrt den Kopf; es war ihr alles unheimlich und unbegreiflich. Und so plötzlich sollte sie ihre gewohnte Umgebung verlassen?
„Warum ich, mein kleiner Iljitsch? Ich bin doch ein Nichts, nur ein Staubkorn. - Wie lange müsste ich denn weg von hier? Würde ich dort Arbeit haben, wo wir hinfahren sollen?“
„Oh, du dumme, dumme Aja! Du verstehst nichts! Du sollst nicht arbeiten in Deutschland! In einer Woche bist du wieder hier! Und du wirst ein gutes Stück Geld haben hinterher, viele Rubel, du altes Mütterchen. Kannst dir was kaufen, etwas, von dem du schon immer geträumt hast. Hast du dir mal was ganz Besonderes gewünscht?“
„Eigentlich nicht. – Warte! - Oh! - Letzte Woche, da hat es reingeregnet in mein Haus, und ich habe mir neue Dachschindeln gewünscht - aber das ist zuviel. Nein, - ich glaube, ich habe keinen Wunsch. Ich habe alles, was ich brauche. Meine Gänse haben noch nie so viele Eier gelegt. Ach, Iljitsch! Willst du ein frisch gebratenes Gänseei? Du isst sie so gerne!““
„Das weißt du noch?“
„Hier auf dem Land vergisst man nicht. Alles ist wie gestern und vorgestern. Morgen wird sein wie heute, weißt du nicht mehr?“
„Oh, ich weiß! Wenn ich zurück denke, dann muss ich feststellen, ich habe viel versäumt! Ich liebe diese Stille, diese Ruhe und das Gefühl, dass es nichts gibt, was wichtig ist. Die Stadt ist laut und unruhig. Ich möchte manchmal hierher kommen können, mit dir auf dieser alten Bank sitzen und still sein können. Kann ich das künftig machen?“
„Ich weiß nicht, Cousin Iljitsch. Was werden die Leute im Dorf denken? Wird man uns was unterstellen?“
„Ach, Aja! Wie alt sind wir? Ich habe die vielen schweren Jahre in den Gliedern stecken; ich bin kein Heißsporn mehr.“
„Du kennst die Leute, Iljitsch. - Aber du wirst recht haben - was kümmert´s uns? Komm ruhig mal vorbei - im Sommer, wenn wir draußen sitzen können, ja?“
„Ja, Aja; aber lassen wir das. Du solltest dir Gedanken machen, was du mit den Rubeln anfängst, die du bekommen wirst. Nachher nimmt sie dir einer weg, und du bist arm wie zuvor!“
„Ich bin nicht arm! Mir fehlt nichts! Was denkst du nur, Iljitsch? Warum soll ich denn arm sein?“
„Du bist arm, meine Aja, hast nichts, gar nichts. Wünsch dir was!“
„Ich brauche nichts; meine Schuhe – guck sie dir an – sind wie neu! Ich pflege sie mit den Schweineschwarten - wie meine Mutter es schon gemacht hat.
‚Schweinefett auf die Schuhe und auf die Haut – das macht schön und du siehst reich aus’, sagte sie immer. Das Fett macht das Leder glänzend, und es hält das Wasser ab.“
„Du hast nur dieses eine Paar? Oh mein armes Mütterchen Russland! Was hast du mit deinen Kindern gemacht? Warte nur ab! Die Wünsche werden kommen!“
„Jetzt, lieber Iljitsch, hast du aber einen Wunsch frei! Möchtest du einen Tee oder ein Glas Milch?“
„Ein Glas Milch, das wird mich erfrischen - und es geht schnell!“
„Ich hole es dir - und ein Stück Brot dazu.“
„Nein, Aja, kein Brot, nur etwas, um mich zu kühlen.“
Sie verschwand im Haus, und Professor Boronow stand auf, ging die paar Meter zum Auto.
„Es dauert noch, mach dir keine Sorgen. Möchtest du etwas haben? Milch vielleicht?“, sagte er zum Fahrer, der in einer Zeitung las.
„Nein, nein, Professor, nichts! Ich habe immer meinen eigenen Tee dabei.“
Als er zurück kam, stand Aja schon vor der Bank und hielt ihm ein Glas mit Milch entgegen.
„Ich danke dir, Aja. Setzen wir uns“, sagte er und trank einen großen Schluck.
„Warum kümmert sich die Regierung, Iljitsch? Ist das wichtig für Russland?“
„Das ist hohe Politik, liebe Aja, weißt du. Ja, es ist wichtig! Deutschland und Russland sind Freunde geworden; unter Freunden muss man seine Schulden begleichen, sonst gibt´s Streit! Sie haben Fahrkarten für uns besorgt - die deutschen Schüler - und unsere Landesregierung die Visa – und sie fährt uns mit diesem schönen Auto zum Bahnhof in Smolensk.
So ein hohes Tier von der Verwaltung sagte: ‚Wir haben Sie ausgewählt, weil Sie unser Land gut repräsentieren können, verehrter Professor!’, und ich habe gnädig genickt“, sagte er mit tiefer sonorer Stimme und lachte laut.
„Und dann habe ich zu ihnen gesagt: ‚Nur wenn meine Aja mitfährt; sonst sucht euch einen anderen für diese schwere Aufgabe!’, und da haben sie gelacht und ja gesagt. Wir setzen uns in einen Zug und fahren nach Deutschland. Das ist alles! Sag ja!“
Sie seufzte tief, bedachte sich noch einmal, sah ihren wiedergefundenen Cousin liebevoll an und stand langsam auf.
„Ich muss viel vorbereiten, Iljitsch, das wird dauern. Du hast es gut! Da sind keine Schweine, keine Gänse, die auf dich warten, die gefüttert werden wollen.“
„Das stimmt! In meiner kleinen Wohnung wär das auch nicht angenehm!“, lachte er. „Du hast ja eine ganze Woche Zeit, Aja! Also hast du ja gesagt?“
„Wie kann ich absagen, wenn Mütterchen Russland mich braucht? Ich muss ja wohl fahren, in dieses schreckliche, fremde Land. - Werde ich es aushalten, Iljitsch?“
„Ja, das wirst du! Nichts und niemand wird dir dort weh tun! Wir fahren also! Ich werde es berichten, und sie werden nach Deutschland telefonieren. In sieben Tagen, hör genau zu! In sieben Tagen, also am Montag, sehr, sehr früh, wenn die Sonne da hinten aufgeht, dann bin ich mit diesem Auto wieder hier und hole dich ab. Wir fahren nach Smolensk, steigen in den Zug, und dann geht´s ab nach Deutschland. Pack etwas ein für unterwegs! Wir fahren fast zwei Tage! Du solltest Würste, Brot und Tee mitnehmen. Hast du alles verstanden, Aja? Und du bist fertig, wenn ich komme?“
„Ich werde fertig sein, wenn du kommst, lieber Iljitsch! Ich sorge für dich mit, brauchst nichts einpacken.“
„Das ist gut so; ein Junggeselle tut sich schwer mit so einer Reisevorbereitung.“
„Bleibst du noch, Iljitsch? Ich will dir etwas zum Abend kochen; magst du hier essen?“
„Nein, Aja – ich muss gleich fahren! Der Fahrer wird nicht so lange Zeit haben. Komm, lass uns einmal zu ‚meinem Haus’ gehen. Steht es noch?“
„Ach, das alte Boronow-Haus! Ja, es steht noch; aber es sieht anders aus. Damals, nach dem Krieg, als keiner mehr zurück kam in das Haus, da haben sie Arbeiter aus der Kolchose einquartiert. Später, als die Kolchose aufgelöst wurde, kam eine junge Familie. Sie haben es schön umgebaut, haben das Dach neu gemacht. Der Mann verdient wohl viel Geld; er arbeitet in Roslawl, in der großen Molkerei.“
Sie gingen langsam über die staubige Straße. An manchen Häusern spielten Kinder; sie sahen keine Erwachsenen.
„Warum lässt sich keiner sehen?“, fragte Professor Boronow.
„Du weißt, lieber Iljitsch, wie die Menschen hier sind. Du bist fremd, kommst mit einem Regierungsauto, und das ist schließlich Grund genug, sich nicht sehen zu lassen. Du könntest ja etwas ganz anderes wollen!“
„Nun, was denn schon? Die Zeiten sind vorbei, Aja!“
„Das sagst du! Sicher sein kann man da wohl nicht, oder?“
Das Haus sah aus wie alle in der Straße. Nur das Schulgebäude war größer; ansonsten sah es aus, als habe derselbe Architekt den Plan für alle Häuser des Dorfes gemacht. Eine klobige Bank aus weißem Birkenholz, auf der eine schwarzweiße Katze saß, stand vor einem niedrigen Fenster; die glänzenden Augen der Katze sahen sie starr an; ihre Körperhaltung ließ das Tier fluchtbereit aussehen.
„Müsste ich etwas spüren? Druck in der Brust, vielleicht? Atemlosigkeit? Schwindel oder mindestens leichtes Schwitzen? Ich fühle nichts, Aja! Es ist ein totes Haus für mich! Meine Erinnerungen liegen hier nicht begraben. Sie sind hier“, sagte er und zeigte auf seinen Kopf.
„Ich würde fühlen – glaube ich, Iljitsch! Als ich damals – im Juni 1945 – zurück kam, da hat es weh getan, als ich unser Haus sehen konnte. Meine Füße brannten und schmerzten vom langen Marsch, von Smolensk bis nach Gurka, aber ich bin gerannt, als ich da hinten aus dem Wald kam und unser Dach gesehen habe. Ich bin gerannt, bis ich die Hände auf das sonnenwarme Holz legen konnte. Ich habe geweint vor Glück! Dann war ich zu Hause, dann war ich wieder da. Und im Haus war jedes Stück – es gab nicht mehr viel – eine Erinnerung; alles brachte mir die Kindheit zurück, die ich doch längst verloren hatte,“
Professor Boronow sah seine Cousine lange an. Sie war so anders, als er sie in Erinnerung hatte. Sie war damals ein kleines, schmales, immer ruhiges Mädchen gewesen, das er oft genug ausgelacht hatte, wenn es mit ihren Hausaufgaben Schwierigkeiten hatte.
„Ach, da fällt mir ein, was ist mit unserer alten Schule?“
„Du kannst sie von hier aus sehen – da unten am Fluss. Sie steht noch, wie du siehst. Es gibt immer noch den einen Klassenraum für die wenigen Kinder. Später gehen sie alle nach Roslawl zur Schule. Da fährt täglich ein alter Schulbus, der sie abholt und bringt. Im Winter kommt er oft nicht durch, dann gehen sie wieder hier in die Schule.“
Anschikaija sah die weghuschenden Köpfe hinter den Scheiben, als sie zurück gingen; sie winkte ihnen zu und lächelte glücklich.
„Es war eine schöne Zeit heute bei dir – nur so schrecklich kurz“, sagte Professor Boronow.
„Ja, wenn du weg bist, werde ich ein wenig weinen – glaube ich.“
„Ich komme wieder, Aja. Du weißt das – und wir haben noch sehr viel Zeit!“
Sie nickte und sah ihm zu, wie er mühsam einstieg. Das große Auto wendete auf der holprigen Straße und schlich sich aus dem Dorf. Sie stand noch lange und sah ihm nach. Sie würde nicht weinen, das beschloss sie in diesem Augenblick.
Als das schwarze Auto mit ihrem Cousin hinter der Desnabrücke verschwunden war, kamen, wie zufällig, die Nachbarn aus den Häusern.
Zunächst erschien der Petrovitsch mit seiner Frau Naidenka und den drei Kindern, dann der Pijotre und seine Frau Helenka, die ihr Jüngstes auf der Hüfte trug und die fünf anderen Kinder im Schlepptau hatte.
Danach kamen noch etwa zehn andere Frauen und Männer mit einer Anzahl kleinerer und größerer Kinder aus ihren Häusern hervor. Sie schlenderten über die Straße, taten so, als seien sie stark beschäftigt und erblickten ganz zufällig die alte Anschikaija, die noch vor ihrem Haus stand.
Da blieben sie natürlich bei ihr stehen, wie es sich gehört, und wollten mit ihr ein wenig über die baldige Ernte plaudern oder über den zu warmen Sommer; niemand fragte nach dem geheimnisvollen Auto und dem unbekannten Besuch.
Jedenfalls gab es einen großen Auflauf, und alle warteten geduldig, ob die alte Anschikaija von ganz allein über ihren hohen Besuch berichten würde.
Und es kam, wie es alle erhofft hatten. Sie erzählte schnell, fast hastig; ihre Freude und Aufregung übertrug sich auf die Zuhörer; sie sprudelte die Neuigkeiten nur so heraus; und ständig musste sie wiederholen, den Iljitsch und seinen Werdegang beschreiben; sie schmückte aus; sie entführte die Erwachsenen und die ungläubig lauschenden Kinder in dieses fremde Land, von dem alle schon viel gehört hatten – Schreckliches und Erstaunliches.
Sie erzählte von der Zwangsarbeiterzeit – obwohl alle die Geschichte schon kannten –, ließ sehr persönliche Erlebnisse aus, und ließ raten, wie viele Rubel sie wohl erwarten konnte. Das regte dann doch alle ziemlich auf.
„Ich werde aufpassen und sage es euch, wenn sie wieder was im Fernsehen bringen; ich habe schon mehr als einmal Berichte über Deutschland gesehen – wie es heute da zugeht – und über die Entschädigung“, sagte Jaroslaw, der stolz auf seinen neuen Apparat war, der wohl den größten Bildschirm hatte, den es im Dorf zu besichtigen gab.
Schließlich holte man sich noch Stühle aus den Häusern, setzte sich in den Schatten, erzählte, lauschte und diskutierte.
Die Kinder saßen auf dem Boden, hörten aufmerksam zu, warfen sich mit kleinen Steinchen und stießen sich schon mal leicht an. Aber ansonsten waren sie still und regten niemanden auf; sie wollten nicht verjagt werden, bei dieser spannenden Angelegenheit.
Natürlich gab es viele gute Ratschläge, und als es ganz dunkel war, verabredete man sich für den nächsten Abend, um sich über das größte Ereignis, das dem Dorf seit dem Krieg bevorstand, ausführlich zu beraten.
Man traf sich also an jedem Abend dieser Woche, regelte die Fütterung der Tiere in Anschikaijas Abwesenheit, trank Tee, Ziegenmilch und natürlich den einen oder anderen Wodka. Danach waren alle bestens für die Schicksalsstunde der bald anstehenden Abreise vorbereitet.
*
Die Sonne ging als milchigrote Riesenscheibe hinter der Desna auf, als mit tiefem Brummen das schwarze Auto über den Feldweg ins Dorf schaukelte.
Professor Wladimir Iljitsch Boronow stieg vor Anschikaijas Haus erst aus, als ein kleiner Mann mit Stalinmütze ihm die Tür öffnete. Die Straße war zwar leider menschenleer, aber Iljitsch wusste, dass ihn alle Augen des Dorfes beobachteten. Er trug den großen Orden, der im matten Licht funkelte.
„Du bist früh, lieber Iljitsch!“, rief Anschikaijas aus dem Haus. „Ich muss noch viel erledigen!“
„Mach zu, du trödelige Aja! Ach, diese russischen Weiber! Sie haben nur ihre Kleider im Kopf! Der Zug fährt auch ohne uns; du hast nur noch eine halbe Stunde!“
Zunächst schloss sie sorgfältig den Gänsestall, zählte die Schweine ab und prüfte den Riegel am Stall. Dann ging sie ins Haus, holte ihr Kleid aus der Korbtruhe, bürstete es aus und steckte es, zusammen mit ausreichend Unterwäsche, in ihre kleine Tasche aus braunem Gummi. Danach schnürte sie das große rotweiß karierte Tuch, in dem einige Trockenwürste, zwei dicke Brotlaibe und eine Kanne mit Kräutertee steckten.
„Was hast du während der ganzen Woche gemacht, Aja? Warum beginnst du erst jetzt mit der Vorbereitung?“
„Nun, wusste ich, ob du kommst? Und außerdem ist Sommer, da habe ich zu tun. Meine Nachbarn waren alle der Meinung, dass ich abwarten soll!“
„Der Rat der Nachbarn hat getagt? Oh, ihr lieben russischen Heiligen! Warum lasst ihr es zu, dass diese neunmalklugen Nachbarn euch ständig ins Handwerk pfuschen wollen? Das ist ja hier noch immer wie vor fünfzig Jahren! Nun mach aber voran, Aja! Es wird Zeit für uns!“
„Du bist zu unruhig, Iljitsch! So wird nie was aus dir; lass dir Zeit! Es kommt, wie es kommen soll!’, hat meine Mutter immer gesagt. Und sie hat recht; es hat immer noch gereicht.“
„Himmel!“
Anschikaija ging gemächlich zu Petrovitsch, ihrem Nachbarn auf der rechten Seite, der sie schon erwartet hatte. Er stand hinter dem Fenster, beobachtete das Auto und seinen Fahrer. Neben und hinter ihm drängelte sich seine Familie.
„Nun? Geht es wirklich los, Anschikaija?“
„Ja, und du wirst, wie versprochen, mein Haus und meine Tiere hüten. Du bekommst ein Ferkel zusätzlich - wie es abgemacht war.“
„Und du erzählst uns genau, wie alles war, da in diesem Deutschland. Versprochen?“, sagte Naidenka. „Wir passen alle auf, dass deinem Haus nichts passiert – auch die Kinder wissen bescheid.“
Danach stellte sich Anschikaija vor ihr kleines Haus und besah es von oben bis unten. Die wettergegerbten Wände waren grauweiß, von tausend Rissen durchzogen, die Farbe an den Fenstern blätterte ab, und die Dachschindeln wellten sich. Das Haus sah verschlafen und müde aus; es tat ihr weh, ihr altes Haus alleine zu lassen. Sie seufzte und dachte an die Aufregungen, die ihr diese Reise bringen würde.
„Bin ich zurück, wenn meine Saranka wirft?“
„Was? Wann wirft sie denn?“
„Sieh sie dir an, dann weißt du es!“
Also gingen sie in den Stall, der hinter dem Haus angebaut war, lehnten sich auf die Holzbrüstung und begutachteten die schwere schwarze Sau, die im Stroh lag und sie mit ihren hellblauen Augen aufmerksam ansah. Sie berieten sich, wogen ab, was ihre Erfahrung hergab, und schließlich einigten sie sich auf die Meinung von Iljitsch, der sich schon als Kind gut mit trächtigen Sauen ausgekannt hatte.
„Sie wird noch einige Zeit brauchen – sagen wir noch gut zwei Wochen; ihre Zitzen sind noch zu klein!“
*
Es war still im Abteil; die gleichmäßigen Fahrgeräusche machten Anschikaija schläfrig, und sie hätte gerne etwas geschlafen.
„Es waren viele, so viele, liebe Aja, die mitgemacht haben. Sie waren in der Überzahl - ich weiß es. Ich habe es auf den Schulen in Moskau gehört“, sagte Professor Boronow leise.
„Die meisten waren doch nur Zuschauer, Iljitsch!“, antwortete sie und sah ihn zärtlich an. Sie liebte ihren Cousin, wie sie alle Familienmitglieder liebte, die sie leider nur selten oder nie zu Gesicht bekam.
Voller Inbrunst betete sie an jedem Abend für ihre Dorfbewohner, Cousinen und Cousins; es gab ihr das Gefühl, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein, in der sie wichtig war, Sorge tragen musste für die anderen.
„Auch Zuschauer haben Schuld!“, knurrte Wladimir Iljitsch. „Wären sie nicht Zuschauer geblieben, Aja, dann wäre das alles nicht möglich gewesen! Willst du sie freisprechen, weil sie weggeschaut haben, weil sie feige waren? Verzeihst du ihnen auch?“
„Nein, nein, Iljitsch, die meine ich nicht! Die haben kein Gesicht für mich, ich kenne sie nicht. Ich weiß auch nichts über das alles, was du gelernt hast in Moskau. Ich spreche von den anderen, die ich selber kenne, die mir das angetan haben, die meinen Körper gequält und meine Seele gestohlen haben.“
Sie dachte an ihre langen, einsamen Abende, wenn sie schlaflos im Bett lag. Dann holte sie die Vergangenheit wieder ein, dann stiegen die Gesichter aus der Dunkelheit hoch; die Köpfe der Menschen, die auch ein Teil ihrer Kindheit waren.
Sie befragte sie, die wie aus einem Nebel auftauchten, sie ansahen, reglos, mit toten, kalten Augen – oder auch spöttisch lachend. Mühsam versuchte sie mit ihren langsamen Gedanken zu verstehen, warum alles so gewesen war. Sie wollte verzeihen, sich selber - und ihnen - Ruhe geben.
Ihr war elend zumute, und der krumme Rücken schmerzte vom langen Sitzen.
„Als wir 1941 hier gefahren sind, hatten wir es nicht so bequem, Iljitsch“, sagte sie plötzlich.
„Nein“, antwortete er überrascht. „Es war wirklich nicht vergleichbar. Damals war es dunkel im Waggon, weißt du noch? Das einzige Licht fiel durch die Ritzen zwischen den Brettern. Es stank nach Urin und Kot; wir hatten Durst und Hunger. Weißt du noch, meine kleine Aja, dass du auf mir gelegen hast, weil kein Platz war auf dem verdreckten Boden? Mein Gesicht war nass von deinen Tränen.“
„Ja, Iljitsch“, murmelte sie müde, mit halbgeschlossenen Augen. „Ich hatte doch nur dich! Unsere Mütter waren weg, vielleicht in einem anderen Zug, wer weiß; wir kannten niemanden in diesem schrecklichen Viehwaggon. Wie lange waren wir unterwegs, Iljitsch?“
„Sechs Tage? Oder sieben? Wer weiß das schon, wenn er so reisen muss, wie wir es mussten. Da zählte nur der Halt, an dem sie uns die dreckigen Eimer mit Wasser gaben; drei Mal haben sie uns Wasser gegeben – nur drei Mal!“
„Ja, und du musstest kämpfen für jeden Schluck Wasser; du hast nicht viel getrunken, hast fast alles mir gegeben.“
„Du warst krank, verletzt, Aja! Manche Frauen waren schlimm, besonders die jungen Frauen aus der Stadt; sie beschimpften uns, weil wir zuviel Platz brauchen würden, dann wieder, weil wir für dich Wasser haben wollten. Die hielten sich für was besseres; jeder war sich damals wohl selbst der Nächste.“
„Ich weiß! Ich mochte nicht mehr denken; die Traurigkeit kam in Wellen, wollte mich ertränken. Ich war traurig wegen meiner Mutter, die ich so vermisste. Ich war traurig, weil sie Ludmilla Kurunowa, unsere Lehrerin, erschossen hatten.“
„Vielleicht, liebe Aja, ist ihr dadurch viel erspart geblieben.“
„Nein! Das darf man nie sagen, Iljitsch! Mutter sagte immer: ‚Tot ist tot! Nichts ist dann mehr mit Gänsebraten und leckerem Schinken; nichts mehr mit Baden im Fluss und mit saftigen Äpfeln! Wünsch dir so etwas nie!’ Das hat sie zum ersten Mal zu mir gesagt, als ich unglücklich verliebt war und sterben wollte.“
„Was? Du warst verliebt? Das glaube ich nicht! In wen denn?“
„Ach, du wirst ihn nicht kennen. Lassen wir das, Iljitsch. Es wäre trotzdem schön, wenn sie lange gelebt hätte, sie war so schön und so klug – fast so klug wie du, Iljitsch.“
„Warum mussten sie das tun? Sie hat doch keinem Menschen je etwas getan. Denk an die Musikstunden, Aja! Sie liebte die deutschen Komponisten und ihre Lieder. ‚Ein schönes und gutes Land, das solche Menschen hat’, sagte sie, wenn sie gerührt war von der schönen Musik. Sie wusste nicht, dass das Land nicht nur Komponisten und Dichter hatte, sondern auch Mörder, Aja.“
Anschikaija nickte und dachte an ihre Schreie, an ihre Hilferufe, als man sie eingefangen hatte.
*
Vor vier Tagen hatten die Explosionen und die Schießerei angefangen. In der Morgendämmerung hatten sie aus den Wäldern trockene Gewehrschüsse und das Krachen explodierender Granaten gehört - vermischt mit den Schreien der Sterbenden.
Am Mittag walzten dann die Panzer, die mit ihren dröhnenden, dumpfen Motoren die Luft zittern ließen, ihre Felder platt. Danach sahen sie Geländewagen, Geschützlafetten und Motorräder über die Ebene rasen – dazwischen immer wieder große Gruppen von Soldaten, die hastig rannten, um in der Deckung der schweren Fahrzeuge zu bleiben.
Die Armee rollte nach Osten und nach Norden, aber sie fuhr auf beiden Seiten am Dorf vorbei. Es gab schon lange keine Männer mehr im Dorf; sie waren geflohen oder kämpften an der zurückweichenden Front; die Soldaten wussten das wohl, ließen das verschlafene Dorf mit seinen windschiefen Häusern in Ruhe.
Die Panzergruppe 2 des Generals Heinz Guderian hatte es eilig gehabt, als sie am 13. Juni am Dorf vorbei durch das tote Land pflügte; die schweren Panzer stießen von Süden her vor, wollten gleichzeitig mit der Panzergruppe 3 unter Hermann Hoth, die von Norden kam, vor Smolensk sein.
An den Desna-Übergängen gab es heftige Kämpfe, die man im Dorf Gurka während der ganzen Zeit hören konnte; es regte sie nicht besonders auf. Bereits am 16. Juli erreichten die deutschen Truppen Smolensk und eroberten es nach hartem Kampf.
Es war dieser 16. Juli 1941 - was weder Anschikaija noch Iljitsch wussten, denn sie zählten die Tage nicht -, der dann doch noch den Schrecken und das Unglück ins Dorf Gurka brachte.
„Du brauchst keine Angst zu haben, mein Mädchen. Wir tun ihnen nichts, und sie werden uns in Ruhe lassen“, hatte Anschikaijas Mutter Olga am Morgen gesagt und war mit der Handkarre aufs Feld gezogen, um Schweinefutter zu holen.
Sie trug ihren alten bunten Kittel und ein rotes Kopftuch – und barfuss war sie, wie alle hier im Sommer. Dieses Bild, das Anschikaija aus so vielen Sommertagen kannte, vergaß sie nie mehr; sie sah ihre Mutter nie wieder.
In der Ferne waren die letzten braunen Staubfahnen der Front verschwunden; die heftigen Geräusche der Kämpfe waren nicht mehr zu hören; nur ab und zu war - sehr gedämpft - noch ein dumpfes Grollen zu vernehmen; der Wind nahm die Kampfgeräusche mit nach Osten. Die große Schlacht war zwar noch nicht vorbei - sie würde noch bis zum 5. August andauern -, aber hier, an der Desna kehrte Ruhe ein.
Sie hatte trockenes Holz gesammelt, schleppte es mühsam zum Haus. Iljitsch, ihr Cousin, der mit seiner Familie am Ende des Dorfes, dicht bei der Schule, wohnte, trieb mit seinem langen Stock die Schweine aus dem Stall.
Er winkte ihr zu und zeigte auf die Lastwagen, die hinter den Krüppelkiefern auftauchten. Es waren viele schwere, hohe Lastwagen. Sie umkreisten und umstellten das Dorf; zwei Fahrzeuge fuhren mit hohem Tempo in die Dorfstraße; von beiden Seiten kamen sie. Auf den Ladeflächen standen Soldaten mit Helmen und Gewehren auf den Rücken. Die Wagen blieben vor den ersten Häusern stehen.
In dieser Minute hatte Anschikaija gerade das Haus erreicht. Die Männer sprangen nach einem harten Kommando von den Wagen und liefen los; sie hatten grimmige, entschlossene Gesichter. Es waren sehr junge deutsche Soldaten, die wie Sklavenhändler alles einfingen, was sich noch bewegen konnte.
„Oh Mutter Gottes! Rette uns!“, betete sie, als sie sah, wie die Männer Frauen und Mädchen aus den Häusern zogen und auf die Lastwagen stießen.
Aber erst, als Ludmilla Kurunowa aus dem Eingang ihrer Schule stürzte, mit dem Gesicht in den Dreck fiel, als sie die junge Lehrerin hochrissen und mit den Gewehrkolben vor sich herstießen, da überfiel sie Panik, da erst schrie Anschikaija laut auf.
Es ging über ihren Verstand, diese schöne kluge Frau, die niemandem etwas getan hatte, ihre geliebte Lehrerin, die von allen im Dorf geachtet war, im Dreck liegen zu sehen.
Es war unfassbar für sie; es machte sie wütend und kopflos. Sie warf das Holz auf den Boden, wollte eingreifen, den Männer sagen, dass dies Ludmilla Kurunowa war, die Lehrerin, die man nicht stoßen und schlagen durfte. Aber es kam alles so schnell, viel schneller, als sie denken konnte. Anschikaija blieb wie angewurzelt stehen, als ihre Lehrerin losrannte.
Es waren nur wenige Meter bis zum Fluss; sie war flink, eine gute Schwimmerin, war oft mit ihnen im Fluss geschwommen. Anschikaija begriff, dass sie sich ins Wasser stürzen und untertauchen wollte.
Die Soldaten blieben stehen, rissen gleichzeitig ihre Gewehre hoch, zielten ganz kurz und schossen. Die Schüsse knallten trocken, hart, verhallten sofort. Die Gewehre blieben angelegt, zielten auf den Rücken der Frau, die noch ein paar Schritte weiter lief, dann schwankend stehen blieb und ganz langsam auf die Knie fiel. Als sie nach einer Ewigkeit nach vorne stürzte, lag ihr Kopf im Wasser.
Die Soldaten drehten sich weg, hängten die Gewehre auf die Schultern und wollten ins nächste Haus gehen. Plötzlich zeigte einer auf Anschikaija und sie änderten ihre Richtung, kamen auf sie zu.
Die Ladeflächen der meisten Wagen, die sich um Gurka aufgestellt hatten, waren schon mit Frauen und Kindern vollgestopft. Die Frauen auf den Wagen schrieen und sahen fassungslos zu, als die zwei Soldaten hinter Anschikaija herliefen, die zu fliehen versuchte. Ihre kleinen, dünnen Beine wirbelten nur so durch die Luft; sie schlug Haken, versuchte den Waldrand zu erreichen; sie kannte dort gute Verstecke.
„Lasst das Kind in Ruhe! Barbaren!“, schrie eine Frau gellend, als sie an den Wagen vorbei lief. Aber die Soldaten verstanden sie nicht; es wäre ihnen auch egal gewesen.
Einige Meter vor dem Waldrand war die Flucht zu Ende; ein Soldat packte sie, warf sich auf sie, schlug ihr mit der harten Faust ins Gesicht, an die Schläfen, immer wieder, bis sie das Bewusstsein verlor.
Der Mann hob sie mühelos auf die Schulter und trabte zum nächsten Lastwagen. Der andere Soldat packte ihre Beine, und dann warf man sie auf die Ladefläche. - Sie war in der Woche zuvor zwölf Jahre alt geworden.
„Wirst dich bald nach einem jungen, kräftigen Mann umsehen“, hatte ihre Mutter lachend gesagt. „Bist ja schon eine Frau. Das liegt in der Familie, wir wurden alle immer sehr früh zu reifen Frauen.“
Iljitsch, ihr Cousin, war ein Jahr älter, und sie hatte in ihren Träumen immer nur ihn gesehen. Sie mochte sein Lachen; er konnte so herrlich pfeifen, und sie mochte es, wenn sie im Sommer nackt in der Desna schwammen und er sie unter Wasser drückte, bis sie bunte Bilder sah. Ihn wollte sie heiraten, das hatte sie sich fest vorgenommen. Sie hatte es am Abend ihres Geburtstages zu ihrer Mutter gesagt, aber die hatte laut gelacht.
„Aja, dumme Aja! Vergiss es, mein Täubchen! Es geht nicht. Er ist der Sohn meines Bruders Narjan; du kannst ihn nicht heiraten. - Und er wird nicht im Dorf bleiben; er wird kein Bauer! Sie sagen, er hätte zwei Köpfe, so schlau sei er. Du bist zu dumm für ihn. - Vergiss es und träume was anderes!“ Sie hatte geweint und wollte sofort sterben; sie hatte es überlebt und sich später geschworen, nie zu heiraten.
Erst am Bahnhof, als man sie brutal vom Lastwagen zerrte, war sie wach geworden, war das Bewusstsein ganz langsam zurück gekommen und damit der Kopfschmerz, der wie ein Hammer in ihrem Schädel wütete.
Ihr war übel, und sie weinte vor Angst und Schmerzen. Sie trug keine Schuhe, und ihr dünnes Sommerkleid war zerrissen; das hatte sie trotz der Dunkelheit in dem fensterlosen Waggon gemerkt.
Iljitsch, ihr Cousin, war auf ihrem Lastwagen gewesen, er war nicht verletzt, weil er nicht weggelaufen war. Er hatte ihren Kopf gehalten während der Fahrt und stützte sie auf dem Bahnhof; so kam er in den gleichen Waggon wie sie.

*
Anschikaija Pawlowska blieb sitzen, als der Zug in Düsseldorf hielt, verkrampfte ihre Hände um die Griffe ihrer Tasche. Sie starrte auf die Menschen, die vor dem Abteilfenster hin und her liefen. Solche Bewegungen, solche Hast konnte nur bedeuten, dass Gefahr drohte, dass etwas im Gange war, das sie nicht sehen konnte.
„Wladimir! Siehst du es? Was ist das? Oh, meine Mutter Gottes, steh uns bei! Wir hätten nicht weg gehen sollen!“
„Sei nicht albern, Anschikaija! Es sind viele Menschen hier; die haben keine Zeit und wollen den nächsten Zug erreichen! Sonst ist nichts! Und wenn du nicht aussteigst, fährt der Zug gleich ab und nimmt dich mit nach wer weiß wo! Komm, der Anschlusszug wartet schon!“
Zögernd folgte sie, hielt sich an seinem Ärmel fest. Auf dem Bahnsteig überfluteten sie der Lärm der Züge, die Durchsagen aus den Lautsprechern, die Rufe und das Lachen der Menschen. Es vermengte sich alles in ihrem Kopf, der an die Stille ihres weiten Landes gewöhnt war, zu einem einzigen Brausen.
Der Anschlusszug nach Köln stand tatsächlich auf dem gegenüber liegenden Gleis, wie Iljitsch zuvor vom russisch sprechenden Zugbegleiter erfahren hatte. Sie stiegen sofort ein, fanden ein leeres Abteil und ließen sich in die weichen Polster fallen.
„Das ist aber ein schöner Zug!“, stellte Aja fest und strich immer wieder über die grünblauen Polster.
„Hätten sie besser schon ab Smolensk fahren lassen sollen, diesen Zug! Bei dem kurzen Stückchen, das wir noch fahren, möchte ich sogar stehen!“, sagte Iljitsch und lächelte Aja an. „Wir sind gleich am Ziel! Dann kannst du dich ausruhen, altes Mütterchen.“
„Na, du alter Mann hast es nötig! Russische Frauen sind zäh! Die russischen Männer dagegen... Oh je!“, sagte sie lächelnd.
Die Fahrt dauerte tatsächlich nur zwanzig Minuten, aber Aja wäre fast schon wieder eingeschlafen; das sanfte Rollen, die kühle, leise rauschende Luft ließen sie zusammenfallen.
„Auf, Aja! Auf! Wir sind da!“, rief Iljitsch und rüttelte sie wach.
„Russische Frauen sind zäh? Na ja!“, sagte er und zog sie hoch. Der Bahnsteig war überfüllt mit hastenden, drängelnden Menschen. Der Lärm war noch schlimmer als in Düsseldorf, und die wild flatternden Tauben, die sich direkt vor ihre Füße setzten, erschreckten Aja.
„Hier, hier!“, rief Professor Wladimir Iljitsch Boronow auf russisch. Er stand wie ein Fels in der Brandung, mitten auf dem Bahnsteig, ließ die bepackten Menschen um sich herum gehen, und schwenkte dabei heftig seinen dürren Arm. In der Hand flatterte ein Lappen aus Stoff mit unbestimmbarer Farbe, auf dem in großen grauen Buchstaben „OST“ aufgenäht war.
Er blieb trotz der murrenden Leute, die ihn mit ihren Trollys und Koffern anstießen, stur stehen, schwenkte, rief und wartete. Die Menschen drehten sich zu ihm und Anschikaija um, betrachteten neugierig, abfällig die beiden Alten, die ihnen nicht nur durch ihre abgetragenen Kleider auffielen; sie wirkten seltsam, ungewöhnlich - und so fremd.
„Hallo, hier!“, rief ein lang aufgeschossener junger Mann in blauen Jeans und bunt kariertem Hemd. Seine langen blonden Haare, als Pferdeschwanz gebunden, flatterten auf und ab, als er auf die Wartenden zulief. Hinter ihm rannte eine junge, mollige Frau mit einem hübschen Gesicht, in dem die Sommersprossen um einen freien Platz kämpften.
„Hans Brosthaus, ich bin der Lehrer und Projektleiter des Projektes ‚Zwangsarbeit! – Entschädigung sofort!’. Herzlich willkommen in Köln!“
Die sommersprossige Frau übersetzte schnell, und fließend. Sie stellte sich dabei selber als Marita Schönen vor, die während dieser Tage ständig als Dolmetscherin verfügbar sein würde.
„Ich bin Lehrerin für Mathematik und unterrichte auch in der Klasse von Herrn Brosthaus.“
„Ich bin Professor Wladimir Iljitsch Boronow, und das ist meine Cousine, Anschikaija Pawlowska.“
Er verbeugte sich leicht vor Brosthaus und reichte der Dolmetscherin die Hand.
„Warum können Sie so gut russisch sprechen?“
„Oh, danke schön!“, sagte Marita Schönen und errötete. „Ich komme aus Rostock, da bin ich geboren und aufgewachsen. Ich habe schon in der Schule gerne russisch gelernt. Später bin ich nach Leningrad – also nach St. Petersburg – gegangen und habe dort russisch studiert. Ich mag Russland, seine Menschen und seine Geschichte.“
„Das ist schön! Ja, man kann unser Land lieben – nicht alles und sicher nicht jeden Menschen dort. Aber bestimmt hat jedes Land seine kleinen oder großen Schmutzflecken, für die man sich schämt.“
Er nahm den Arm der Dolmetscherin und hängte sich bei ihr ein. Anschikaija ging neben dem Projektleiter Brosthaus zur Rolltreppe; sie fühlte sich alleine und hatte ein Ziehen in der Brust; trotzdem lächelte sie während der ganzen Zeit – aber ihr Lächeln wirkte unsicher, ängstlich.
*
Das Auto stand direkt hinter dem Bahnhof, unterhalb der Domplatte. Brosthaus legte die Taschen der beiden Russen in den Kofferraum und öffnete die Türen.
„Iljitsch, ist das ihre Kathedrale? Oh, bei allen Heiligen Russlands! Sie ist fast so schön wie unsere Uspenski-Kathedrale, schöner als die Ioann-Bogoslaw-Kirche.“
„Sie nennen es ‚Dom’, Aja! Ich staune! Hast du denn je eine andere Kirche gesehen als eure zerfallene Dorfkirche? Du warst doch nie in Smolensk, seitdem es wieder so schön aufgebaut wurde!“
„Sicher, du hast recht“, seufzte Anschikaija. „Aber Ludmilla Kurunowa, unsere Lehrerin, hat uns doch damals die Bilder gezeigt. Es gäbe noch viel mehr solcher Kirchen in Russland, sagte sie. Sie hat die Bilder gesammelt – erinnere dich! Du hast sie auch gesehen, Iljitsch!“
„Ach, das ist lange her! Ich habe fast alles vergessen, was damals war.“
Marita Schönen fuhr absichtlich langsam über die gewundene Landstraße, wies immer wieder auf Sehenswürdigkeiten hin. Die Fahrt dauerte trotzdem nur zwanzig Minuten, in denen fast nur die Dolmetscherin sprach. Nur einmal meldete sich Brosthaus und wollte wissen, wie lange die Fahrt gedauert hatte und ob sie bequem gereist seien.
„Sie können ja heute früh schlafen gehen; wir lassen Sie nach dem Abendessen – zu dem wir Sie beide herzlich einladen – ganz in Ruhe“, sagte er, als Professor Boronow ihm schilderte, dass sie seit weit über 30 Stunden unterwegs seien.
*
Im Hotelfoyer herrschte Hochbetrieb; Pagen schleppten Koffer, die Telefone klingelten, und die Gespräche der ankommenden und abreisenden Gäste vermengte sich zu einem dichten Geräuschteppich - die leise Hintergrundmusik wurde fast völlig verschluckt.
„Für vier Tage?“, fragte der nervös in seinen Unterlagen suchende Empfangschef, als sie endlich an der Reihe waren. Er reichte ihnen die beiden Schlüssel und wies auf den Fahrstuhl: „Page, bitte!“
„Wir haben Messe in Köln – die Herren-Mode-Woche -, dann sind wir immer voll ausgebucht. Tut mir leid, dass Sie warten müssen!“, entschuldigte er sich, als nicht sofort einer der grün gekleideten Pagen auftauchte. Seine dunkelblaue Uniform war mit goldenen Knöpfen und Achselklappen bestückt.
„Fast so eine schöne Uniform, wie die vom Zar Peter dem Großen auf dem Bild in Mutters Schublade!“, flüsterte Anschikaija ihrem Cousin zu.
Mit hastigen Schritten, abwesendem Gesicht, kam ein Page auf sie zu, nahm den kleinen Koffer des Professors und griff auch nach Anschikaijas Gepäck; aber sie lehnte ab, riss die Tasche heftig an sich und hielt sie vor die Brust gepresst.
Sie gingen die Treppe hoch in den zweiten Stock; Anschikaija hatte sich standhaft geweigert, den Aufzug zu nehmen.
„Mann, oh Mann! Was sagst du dazu? Da haben sie aber die letzte Steinzeitfrau aus dem hintersten Ural ausgebuddelt, was?“, sagte Brosthaus spöttisch zu Marita Schönen, die keine Antwort gab.
„Hoffentlich geht das gut beim Bürgermeister! Die hat bestimmt noch nie Sekt gesehen“, vermutete er und verließ mit ungutem Gefühl das Hotel.
*
In ihrem Zimmer sank Anschikaija auf das breite Doppelbett und sprang sofort entsetzt wieder hoch. Sie hatte sich matt und gedankenlos auf die weiche, glatt gestrichene Bettdecke gesetzt. Sie betrachtete die dekorativ aufgebauten Oberbetten und Kissen, in deren Mitte ein glänzendes, rotes Pralinenherz prangte. Und dieses Kunstwerk hatte sie zerstört, hatte mit ihrem Hinterteil eine tiefe Kuhle hinterlassen, das Betttuch sah ziemlich zerdrückt aus.
Sorgfältig strich sie die schneeweißen, leicht duftenden Tücher wieder glatt, seufzte und setzte sich auf den einzigen Stuhl, der direkt vor dem Fenster stand. Da blieb sie sitzen, die Tasche auf dem Schoß, betrachtete das dunkelbraune, glänzende Mobiliar, bis es an der Tür klopfte und Iljitsch herein kam.
„Was machst du da, Aja? Zieh dich um, wasch dich, kämm dich! Sie warten auf uns; du weißt, dass wir zum Abendessen eingeladen sind! Es ist herrlich hier; schau doch nur mal raus - du musst dir das Leben da draußen ansehen!“, rief er euphorisch und schob die schweren Vorhänge an die Seite.
„Da drüben ist eine alte Kirche – und die Häuser sehen alle aus, als wären sie aus dem Bilderbuch; Fachwerkhäuser nennen die das hier – sagt Frau Schönen!“
„Ich will keine fremden Häuser sehen; ich will nichts sehen; ich will zurück! Ich will in mein Haus! Hier darf man nichts anfassen, viel zu teuer alles; das ist nichts für mich! Wofür ist ein Bett, wenn man es nicht benutzen darf? Sie machen es wohl nicht so schön, damit ich es zerdrücke! Das ist nicht für Leute wie mich gedacht!“
„Für wen denn sonst, du Gans? Los, mach dich frisch!“
Mit missmutigem Gesicht schlich sie ins Bad, befühlte die Armaturen, strich über den glatten Wannenrand und besah sich im goldumrandeten Spiegel. In ihrem Haus gab es keinen Spiegel.
„Wozu sollen wir einen Spiegel aufhängen?“, hatte ihre Mutter gesagt, als sie den ersten Spiegel ihres Lebens bei der Mutter von Iljitsch gesehen hatte und auch einen haben wollte. „Spiegel machen blind! Nicht lange, und du schaust ständig hinein; du gehst in den Garten und betrachtest dich vorher; du gehst zur Nachbarin und willst vorher deine Haare sehen. Dann wirst du bald nur noch dich sehen; deine Familie, Nachbarn und Freunde kennst du nicht mehr. Also, bleib wie du bist!“
Das klare, kalte Wasser erfrischte sie tatsächlich, und sie strich sich die Haare bedächtig aus dem Gesicht, ohne in den Spiegel zu sehen.
„Fertig!“, sagte sie zu Iljitsch, der nervös auf ihrem Stuhl wippte.
„Und das andere Kleid? – Shenski - Frauen“, sagte er kopfschüttelnd
*
Die große Pause hatte gerade angefangen; auf dem Schulhof standen kreischende, lachende Jungen und Mädchen in Gruppen zusammen.
Hans Brosthaus führte seine Gäste in Schlangenlinie durch die Schülergruppen, ignorierte die flapsigen Fragen einiger Jungen; selbst ihr Lachen nahm er offensichtlich nicht zur Kenntnis.
„Sind das die Russen, Brosthaus? He, Russki! Willste ´ne Mark?“, rief ein junger Mann mit fransenbesetzter Lederjacke, als Anschikaija an ihm vorbei ging. Sie lächelte ihn freundlich an und nickte ihm zu.
„Nicht übersetzen, hören Sie!“, sagte Brosthaus scharf zur Dolmetscherin und schob sich energisch durch die Schülergruppen.
In einem großen Raum hatten sie ein niedriges Podium aufgestellt. Da baute sich sonst der Schülerchor auf, wenn es Ehrungen oder sonstige Anlässe gab.
Fünf Stühle standen auf dem Podium; auf dem breiten, ansonsten völlig leeren Tisch reckten sich ihnen fünf Mikrofone entgegen. Der kahle Raum erhielt sein Licht durch raumhohe, gardinen- und schmucklose Fenster; das fleckenfreie Glas bedeckte eine ganze Wandseite. Die Wände waren in surrealistischen Mustern weiß und grün gestrichen; es gab kein einziges Bild im Raum. Anschikaija fröstelte in ihrem dünnen Kleid.
„Wir warten auf den Leiter unserer Schule, Dr. Erwin Kullog. Er müsste gleich kommen; wir sind schon angemeldet, nicht wahr Frau Schönen?“
„Ja, es dauert nicht mehr lange – sagte seine Sekretärin.“.
„Sie stellen sich bitte nachher, wenn die Schülerinnen und Schüler Platz genommen haben, kurz vor, erzählen uns, was Sie so machen in ihrer Heimat, dann lassen wir die Schüler fragen. Marita wird alles übersetzen; lassen Sie sich Zeit für die Antworten.“
Anschikaija Pawlowska schaute wie gebannt auf den Mund von Marita Schönen, während diese übersetzte; man sah ihr die Angst und Unsicherheit an. Professor Wladimir Iljitsch Boronow nickte und stimmte zu; er wollte gerne als erster berichten.
„Siehst aus, als solltest du hier wegen Diebstahl angeklagt werden, Aja. Mach ein anderes Gesicht! Es sind unsere Freunde; sie wollen uns helfen. Du wirst sehen, wir können gleich lachen!“
„Ja, Iljitsch, ich gebe mir Mühe!“
Sie nahmen Platz und warteten. Von draußen hörte man den auf- und abschwellenden Lärm, den die Schüler verursachten; die Pause ging dem Ende zu. Die bedrückende Stille im Raum - nur vom nervösen Hüsteln des Lehrers Brosthaus unterbrochen - wurde dadurch noch deutlicher.
Anschikaija sah sich im kahlen Raum um, fand keine Ablenkung; sie wollte ihre Gedanken beschäftigen, sie aus der klammernden Angst befreien.
Sie sah die unruhigen Hände von Hans Brosthaus, die mit dem Schreibstift spielten. Sie verstand den Mann nicht, fand keinen Zugang zu ihm, zu seinem Wesen. Mal war er liebenswürdig, zuvorkommend, dann schweigsam, zurückhaltend.
„Du bist so – oder so“, hatte ihre Mutter ihr beigebracht. „Wechsle nicht dein Wesen, du bist kein Schmetterling!“
Sie dachte an den gestrigen Abend. Sie hatten im Hotel gegessen und Wasser getrunken. Brosthaus hatte ständig auf die Uhr gesehen. Sie hatte keine Uhr, verstand seine Unruhe nicht.
Die Vielfalt auf der Speisekarte hatte Iljitsch und sie verwirrt. Sie konnten nichts lesen, hatten die Übersetzung durch die Dolmetscherin, die mühsam nach den passenden Ausdrücken gesucht hatte, nur teilweise begriffen.
Iljitsch hatte dann einfach auf die erste Position gezeigt und zwei Finger erhoben. Es gab Wiener Schnitzel mit Pommes frites; sie hatte nur das Fleisch gegessen und ein paar der eigentümlichen Kartoffeln probiert.
Es war voll gewesen in dem Restaurant, und sie hatte die Blicke der Menschen gespürt, die von den Nebentischen zu ihnen hin sahen.
Brosthaus hatte sie während des ganzen Abends nicht einmal angesprochen. Nur Iljitsch hatte er zunächst ein wenig ausgefragt, hatte wissen wollen, wie Smolensk aussehe, ob es eine typisch russische Stadt sei, wie man dort lebe. Er hatte nichts von ihnen selber, von ihrem Leben und ihrem Alltag wissen wollen.
Nur Iljitsch hatte geredet; sie war einfach zu müde gewesen, und Smolensk kannte sie nicht. Iljitsch war bestens informiert über Smolensk, streifte er doch den ganzen Tag durch die Stadt, besichtigte die historischen Gebäude.
„Wissen Sie, dass man Smolensk immer das ‚Tor Russlands’ genannt hat? Meine Stadt“, hatte Professor Boronow gesagt und sich sofort selber korrigiert, „diese Stadt könnte man auch den ‚Hafen des Schwarzen Meeres’ nennen, denn die Schiffe, die vom Schwarzen Meer hoch fahren über den Dnepr bis nach Smolensk, die brachten der Stadt Reichtum. Unsere Altstadt ist schön, sehr gut restauriert und von einer prächtigen Stadtmauer umgeben. Wir Russen suchen gerne nach poetischen Namen und so sagen wir, sie sei ‚Die Schatzkette Russlands’ – was an den vielen Türmen liegt, die wie eine Perle an und auf ihr gemauert sind.“
Ihr waren immer wieder die Augen zugefallen; sie hörte die Stimmen wie durch einen der dicken Nebel, die so oft über die Ufer der Desna aufstiegen. Das hatte Professor Boronow wohl erkannt, hatte gesehen, dass ihr die Augen immer wieder zufielen und ihr Kopf leicht vornübersank.
„Entschuldigen Sie uns bitte! Wir sind müde. Können wir uns verabschieden?“, hatte er gesagt und war sehr rasch aufgestanden.
Sie wusste, dass sie mehr gewankt als gegangen war; ihre Beine waren völlig gefühllos gewesen. Sie hatte sich nicht einmal gewehrt, als Iljitsch sie in den Fahrstuhl geschleppt hatte.
Sie war angezogen aufs Bett gefallen, und die straff gespannten Laken waren ihr völlig egal gewesen; sie hatte tief und fest geschlafen, bis Iljitsch sie geweckt hatte, der dabei so etwas wie „zähe russische Weiber“ gemurmelt hatte.
*
Die Tür des Gemeinschaftssaales wurde aufgerissen; ein wuchtiger Mann, fast ein Riese, stürmte durch die Tür, als würde er verfolgt. In seinem breiten, roten Gesicht leuchteten Hektikflecken, und die Stirn glänzte vom Schweiß. Sein zu enger, dunkelblauer Anzug musste ihn an allen möglichen Stellen kneifen und zwicken. Das Jackett stand weit offen, auf dem hellblauen Hemd, dessen oberster Kragenknopf trotz der Krawatte offen stand, zeigten sich dunkelblaue Schweißflecken.
„Hallo! Und herzlich willkommen, liebe Freunde in unserer Friedens-Gesamtschule. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?“
Er hatte mit dem Sprechen schon an der Tür begonnen, erreichte beim letzten Wort das Podium. Mit ausgestreckten Händen, strahlendem Lachen, glänzenden Augen, stürmte er auf Anschikaija zu, umfasste mit beiden Händen ihre Rechte, drückte und schüttelte sie heftig.
„Sie sind Anschikaija Pawlowska, nicht wahr? Wunderbar, dass Sie sich frei machen konnten, liebe Frau Pawlowska!“, rief er, immer noch ihre Hand schüttelnd, lachend und schwitzend.
„Entschuldigen Sie, liebe Frau Pawlowska, dass ich mich verspätet habe! Der Stress! Also, ich bin Dr. Erwin Kullog, Leiter dieser Gesamtschule!“, sagte er, drehte sich suchend um seine Achse, fand Professor Boronow und strahlte ihn an.
„Und Sie – Sie müssen dann ja wohl der berühmte Professor Wladimir Iljitsch Boronow aus Moskau sein! Eine Ehre für unsere Stadt, für unsere Schule – und natürlich für mich! Herzlich willkommen, lieber Professor! Herzlich willkommen in unserer Schule!“, rief er und schüttelte noch länger als bei Anschikaija die zögernd ausgestreckte schmale Hand des Professors.
„Aus Smolensk!“
„Wie?“
„Nicht aus Moskau, aus Smolensk, sind wir angereist!“, sagte Professor Boronow auf Deutsch und lächelte bitter.
„Ahh! Nun ja, das macht nichts, oder? Eine Stadt ist wie die andere. Hauptsache, Sie haben gut hergefunden.“
Er drehte sich zu Hans Brosthaus, der beobachtend im Hintergrund stand; er hatte Marita Schönen den Vortritt gelassen, die schnell und flüssig übersetzte.
„Nun, Hans – Äh - Brosthaus? Ich kann davon ausgehen, dass Sie alles geregelt haben? Hotel, Presse, und was sonst noch. Natürlich, wie immer, alles bestens geregelt, was?“
„Ja, Herr Dr. Kullog, es ist alles in Ordnung.“
„Wunderbar! Dann wollen wir loslegen. Holen Sie die Schüler rein, Frau Schönen, ich habe nicht viel Zeit – muss gleich zur Kreisschulleiterkonferenz. Aber die offizielle Begrüßung will ich mir doch nicht nehmen lassen.“
Die Schüler spazierten durch die breite, offen stehende Tür, hatten keine Eile, begannen von hinten die Reihen zu füllen. In der Mitte des Raumes blieben alle Plätze frei.
Eine Gruppe Jungen und Mädchen ging sofort nach vorne, besetzte die ersten drei Reihen; es waren die Mitglieder der Projektgruppe, die alle einen gelb-schwarzen Sticker auf der Brust trugen: „Projekt Zwangsarbeiter-Entschädigung sofort“; sie kamen geschlossen herein, blickten sich nicht einmal zu ihren Mitschülern um.
„Ruhe, bitte!“, rief Lehrer Brosthaus mit mahnender Stimme, als der Lärm nicht abnehmen wollte; seine Blicke spießten gezielt drei oder vier besonders laut lachende Jungen auf. Dann stellte sich Schulleiter Dr. Erwin Kullog vor den Tisch, federte auf den Zehenspitzen, fixierte die Schüler in der ersten Reihe.
„Ähm! Liebe Frau Anschikaija Pawlowska, sehr geehrter Herr Professor Wladimir Iljitsch, ich begrüße Sie hier im Namen unserer Schule, des Lehrerkollegiums und der Schüler sehr herzlich. Wir wollen Ihnen einige angenehme Tage hier bereiten. Die gesamte Leitung dieser Aktion hat unser bewährter Lehrer Hans Brosthaus, der unser vollstes Vertrauen besitzt. Da ich gleich weiter muss – dringende Termine lassen mir keine Wahl --, wird Herr Brosthaus alles weitere mit Ihnen besprechen.“
Schulleiter Dr. Kullog machte die eingeplante Klatschpause, die aber nur sehr zögernd genutzt wurde.
„Ich darf zuerst einmal anmerken, dass es zahlreiche Spenden gegeben hat, die Ihre Anreise, liebe Gäste aus Russland, erst ermöglicht haben. An erster Stelle nenne ich da die Gewerkschaften, unsere Volksbank, dann die hiesigen, im Rat vertretenen Parteien, den Stadtrat und – last, but not least – unsere Firma Briller, die sich als Nachfolger der damaligen Textilfirma sieht, die Sie, verehrter Herr Professor, ja leider kennen lernen mussten.“
Wieder wurde die Klatschpause sehr dürftig durch Klatschen überbrückt. Frau Schönen ließ bei der Übersetzung einfach den letzten Teil weg; sie hatte keine Gewissensbisse dabei.
„Ich musste arbeiten im Lager von Fabrik; ich kannte nichts von ihr. Man durfte nicht gehen, wo man wollte!“, sagte Professor Boronow, der den ganzen Text verstanden hatte.
„Ach ja? Lieber Professor, das gehört schon zum Erfahrungsbericht; wir werden es ja gleich hören. Nun, wie ihr, liebe Schüler, wisst, haben wir uns diese Gäste eingeladen, damit sie uns zu unserem Projekt etwas erzählen, damit wir begreifen, um was es geht, wie berechtigt die Forderungen der ehemaligen Zwangsarbeiter sind.
Sie sollen berichten von dem Elend, das die Zwangsarbeiter mitgemacht haben“, sagte Dr. Kullog mit einem Aufmerksamkeit fordernden Blick auf die Schülerinnen und Schüler in den hinteren Reihen, die sich gelangweilt reckten.
„Der Herr hier links - Professor Wladimir Iljitsch Boronow - und rechts seine Cousine - Anschikaija Pawlowska - waren ja Zwangsarbeiter in unserer schönen Stadt. Beide wurden vier Jahre lang, während des 2. Weltkrieges, von 1941 bis 1945, – sie waren noch Kinder, etwa in eurem Alter – hier festgehalten und mussten als Zwangsarbeiter schwer arbeiten. Was sage ich da! Sie wurden vier Jahre lang ausgebeutet und gequält. Sie erhielten nie eine Entschädigung für ihr erlittenes Unrecht! Und darum geht es uns hier! Wir wollen an alle betroffenen Firmen appellieren, endlich das versprochene Geld auszuzahlen. Ihr seht, wie alt diese Zwangsarbeiter schon sind! – Äh! - Ich meine, sie sollten es nicht länger hinauszögern!“
Die Jungen und Mädchen, alle etwa dreizehn Jahre alt, saßen still, starrten die Fremden neugierig oder auch ohne Interesse, jedenfalls völlig regungslos an. Es waren mehr als dreißig Jugendliche, von denen nur wenige bei der Vorbereitung des Projektes bereit gewesen waren, sich diesem Thema zu stellen. In den hinteren Reihen war die bewusst dargestellte Langeweile, das fühlbares Desinteresse klar erkennbar.
Sie saßen da, mit lang ausgestreckten Beinen, hatten ihre Hände in den Taschen vergraben, mahlten - Kaugummi kauend - mit ihren Kiefern, die Mädchen spielten gelangweilt mit den Haaren, starrten auf ihre Notizblöcke oder tuschelten, zum Podium schielend, hin und wieder mit ihren Nachbarn.
Diesmal gab es keinen Beifall, und Schulleiter Dr. Kullog nutzte die Pause, um seinen heftig rinnenden Schweiß abzuwischen.
„Nun, meine lieben Gäste, muss ich mich leider verabschieden. Wir sehen uns ja heute Abend beim Bürgermeisterempfang wieder. Bis dahin – viel Vergnügen!“
Mit großen Schritten verließ er das Podium, nahm den kleinen Absatz mit Schwung und warf die Tür mit einem Knall hinter sich zu.
„Uff!“, sagte Frau Schönen leise und Lehrer Brosthaus stand auf.
„Nun, ihr habt ja gehört, was der Schulleiter gesagt hat. Hört genau zu, merkt euch gut, was gesagt wird. Wir werden in der nächsten Woche eine Klassenarbeit zu diesem Thema schreiben“, sagte er mit drohendem Unterton.
„Ich weiß aus der Vorbereitung, dass einige unter euch nicht einverstanden sind mit diesem Projekt. Wir haben das ja ausführlich besprochen - und ich akzeptiere auch eure Sicht. Die Mitglieder der Projektgruppe haben sich gefunden, weil sie alle - wie ich - der Meinung sind, dass das, was unsere Industrie im Augenblick veranstaltet, nicht gut und keinesfalls anständig ist. Die anderen Klassenmitglieder bitte ich jetzt, aufmerksam zu lauschen. Vielleicht ändert ihr ja nach dieser Stunde eure Meinung.“
Er setzte sich und zeigte auf die russischen Gäste, die aufmerksam auf die Übersetzung gelauscht hatten.
„Wir wollen nun aber endlich unsere Gäste anhören. Sie sind nicht hier, um von uns zu lernen, sondern wir wollen von ihnen etwas erfahren. Es beginnt Professor Wladimir Iljitsch Boronow. Bitte!“
„Oh doch, Herr Brosthaus! Ich lerne gerade – viel sogar!“, sagte Professor Boronow und lächelte leise.
Er redete, nachdem er sich mehrfach geräuspert hatte, routiniert, fließend, ließ Marita Schönen an genau der richtigen Stelle Zeit für eine Übersetzung. Das hier kannte er, konnte auf jahrelange Erfahrung zurück blicken. In den Jahren am Moskauer Institut hatte er ständig referieren, vortragen müssen; seine Gäste waren meistens hohe Funktionäre und Politiker gewesen, bei denen nur ein selbstsicheres Auftreten genügend Schutz gab.
Von seinem Werdegang in der Armee als Offizier, seiner speziellen Ausbildung, seiner hohen Stellung in der Wissenschaft – von allem erzählte er ausführlich. Die Zeit seit der Pensionierung bedachte er mit einem kurzen Satz.
„Danach habe ich mich zur Ruhe gesetzt, bin nach Smolensk gezogen, in die Nähe meiner alten Heimat.“
„Nun, gibt es Fragen?“, sagte er auf Deutsch, mit seiner weichen Stimme und einem starken, aber gefälligen Akzent.
Es gab keine, und alle Augen richteten sich auf Anschikaija. Die Stille war beachtlich, man konnte hören, als in der zweiten Reihe ein Blatt gewendet wurde.
„Also, ich bin Anschikaija“, sagte sie leise und sah Marita Schönen an, die nach einigem Zögern übersetzte.
Wieder dauerte es, bis Anschikaija sich durchringen konnte. Sie schloss die Augen, sah ihr Dorf, ihre Gänse und Schweine. Was sollte sie den Kindern sagen? Sie überlegte lange und dann war ihr klar, dass sie etwas aus ihrem schönen Dorf berichten musste.
„Meine Gänse sind in diesem Jahr besonders fett geworden. Ich weiß nicht warum. Es war so trocken im ganzen Sommer. Die älteste Sau, meine Saranka, wird bald werfen.“
Hier machte Anschikaija eine Pause; Marita Schönen übersetzte mit hochrotem Kopf.
Das brüllende Gelächter der Schüler dröhnte Anschikaija in den Ohren; die Jungen klatschten sich vor Begeisterung auf die Oberschenkel, während die Mädchen hochmütig grinsten.
„Eh, Udo! Wie heißt eure Sau eigentlich?“, schrie ein dicker Junge aus der letzten Reihe. Das ließ erneut alle laut losprusten.
„Ruhe!“, rief Brosthaus und stand auf. Anschikaija lächelte; sie verstand die Heiterkeit nicht, aber sie lachte auch gerne, und Menschen, die lachen, hatte ihre Mutter gesagt, die tun nichts Böses.
„Meine Nachbarn sind nette Leute. Sie helfen mir im Feld; ich kann mich nicht mehr so gut bücken, seit damals. Damals haben sie mir mit einem Knüppel den Rücken“ – sie stand mühsam auf, zeigte mit der rechten Hand auf die Mitte ihres Rückens – „da, ungefähr da, die Rückenwirbel zerschlagen. Ich hatte gestohlen. Ja, sonst weiß ich nicht viel zu sagen.“
Einige Schüler lachten verlegen über die Bemühungen von Anschikaija, ihren kaputten Rücken zu zeigen. Aber es wurde still, als die Dolmetscherin, mit verzweifeltem Blick zur Decke, die Erzählung wiederholte.
„Habt Ihr auch ´ne Disko im Dorf?“, fragte eine brüchige Jungenstimme aus dem Hintergrund und löste ein befreites Lachen aus.
„Börger, das reicht! Das werden wir nicht übersetzen und du stellst heute keine Frage mehr, verstanden?“
„Jawohl, Herr Brosthaus“, kam es mit einem sehr süffisanten Unteron zurück.
„Wer hat Fragen zu der Erzählung von Frau Pawlowska?“, fragte Brosthaus, sah sich fragend und gleichzeitig drohend um.
Zwei Arme streckten sich steil in die Luft. Ganz vorne in der ersten Reihe, aus der Projektgruppe, war es ein hübsches schwarzhaariges Mädchen und in der Mitte ein schlaksiger Junge mit einem verbogenen Lächeln, das Vertrauen wecken sollte.
„Sind Sie Kommunistin? Oder waren Sie es vorher?“, fragte das schwarzhaarige Mädchen und schaute sich beifallheischend um, stolz über die wichtige Frage, die sie auf ihrem Notizblock stehen hatte.
„Nein, - ich weiß nicht. Kommunisten, nicht Kommunisten; wir hatten heiße Sommer ohne Regen, die waren schlecht, und warme Sommer mit Regen, die waren auch schlecht. Wir hatten Kommunisten, die waren schlechte Menschen, und Kommunisten, die waren gut. Ich bin nichts; ich bin nur die Anschikaija, die ihr Haus ordentlich hält - und jeden Abend, für alle Menschen die sie kennt, betet. Ich weiß nicht genau, was Kommunist ist. Ich weiß nichts über Politik.“
Jetzt entstand wieder Unruhe; Füße scharrten, Köpfe drehten sich zueinander, es murmelte, raunte, brabbelte quer durch die Reihen.
„Ruhe!“, rief Brosthaus erneut. „Ich bitte euch, benehmt euch gegenüber unseren weitgereisten Gästen anständig!“
„Ich war in den letzten Weihnachtsferien in Kapstadt, das ist doch wohl weiter weg!“, ertönte ein piepsige Stimme aus der letzten Reihe. Ein kleiner drahtiger Junge mit militärisch kurzem Haarschnitt schaute sich grinsend um, ließ sich von seinen begeisterten Kameraden auf die Schultern klopfen.
Wieder füllte dröhnendes Gelächter den Raum, ließ den Projektleiter Brosthaus vor Wut rot werden. Anschikaija blickte verlegen, unsicher umher und Iljitsch’s Augen funkelten zornig.
„Ich muss sagen, dass ich verstehe alles. Ich nicht gutt spreche, abber gutt höre! Danke!“, sagte Iljitsch messerscharf und sehr laut. Er stand auf, sah den Frager und die lachenden Schüler streng an; trotz seiner Kleinwüchsigkeit beherrschte er sofort die Lage; es wurde endlich still.
„Es reicht!“, rief Brosthaus noch einmal und stand ebenfalls auf. „Wuttke, du bist dran mit deiner Frage. Ich warne dich!“
„Anschikaija, so heißen Sie doch, oder? Sind Sie arm? Würden Sie sich selber als arm bezeichnen?“
Projektleiter Brosthaus spürte instinktiv die Vorbereitungen für einen Angriff. Er runzelte ärgerlich die Stirn, wusste aber keinen Ausweg; die Fragen schienen harmlos zu sein.
Auch Professor Boronow erkannte die Falle, ahnte die mögliche Attacke.
Die Dolmetscherin, Marita Schönen, musste lange überlegen, ob sie die Fragen so übersetzen sollte; ihr war sofort klar, dass es mehr werden würde – dafür kannte sie Wuttke zu gut.
„Ich arm? Warum soll ich arm sein? Ich habe sieben fette Gänse, acht Schweine, eine trächtige Saranka, die viele Ferkel werfen wird, ein gutes Stück Land, ein Haus und sehr liebe Nachbarn. Allerdings bekommt der Petrovitsch immer die Hälfte von den Ferkeln, weil ihm gehört der Eber Gogol.“
Marita Schönen übersetzte sichtlich gequält, brachte mit Anstrengung sogar den Eber Gogol des Petrovitsch heraus. Dann ging es wieder los, das Lachen nahm kein Ende. Man hätte meinen können, in einem Lustspiel zu sein.
Anschikaija begriff endlich, dass die Schüler sie verlachten, sie und ihre Tiere, sie und ihre geliebte Heimat. Trotzig raffte sie sich auf, dehnte den schmerzenden Rücken, um größer zu sein.
„Ja, lacht nur; ich freue mich auch. Das ist meine Heimat, und ich liebe sie. Ich liebe meine Tiere und meine Nachbarn. Ich habe doch sonst nichts! Die Arbeit ist so schwer; jeden Tag vom Hellwerden bis zur Dunkelheit muss ich arbeiten. Unser Land ist arm, unsere Böden sind schlecht. Aber ich klage nicht! Meine Nachbarn sind gut; wir mögen uns; es gibt keinen Streit. Sie helfen, ich helfe. Sie lachen, ich lache. Wir erzählen alle eine Geschichte, und dann lachen wir. Ich bin gesund, alle meine Cousinen und Cousins sind gesund. Alle Leute aus meinem Dorf sind gesund. Deshalb sage ich: Ich bin reich, sehr reich“, sagte sie stolz und trotzig.
Schon während der Übersetzung lachten einige in den hinteren Reihen, nur Wuttke lachte nicht. Er stand wieder auf, sah sich um, fragte seine Kameraden still ab. Dann drehte er sich Anschikaija zu.
„Wenn Sie nicht arm sind, wenn Sie so viel haben, wie Sie selber sagen, warum kommen Sie dann zu uns, um Geld zu erbetteln? Ein eigenes Haus hat hier auch nicht jeder. So viele Tiere wie Sie hat mancher Bauer bei uns nicht. Sie sind reich, sagen Sie – also, was wollen Sie dann hier?“
„Wuttke, jetzt reicht´s! Ich hätte es wissen müssen! Raus! Sofort raus! Kein Wort mehr, und du kommst nach der Pause ins Lehrerzimmer!“
„Das ist diese Gruppe vom Wuttke! Die haben das abgesprochen und vorbereitet! Wirf sie raus!“, sagte Marita Schönen halblaut zu Brosthaus; sie übersetzte nicht, saß wie versteinert; ihr sommersprossiges Gesicht war grau.
„Vier Mann ziehen fast die ganze Klasse mit! Keiner ist dabei, der sich dagegen stellt!“, flüsterte Brosthaus resigniert zurück.
Professor Wladimir Boronow stand langsam auf, trat hinter Anschikaija und fasste ihren Arm.
„Komm Aja, es ist genug an Hohn und Spott. Du musst das nicht ertragen. Ich hatte unrecht; der Krieg ist noch nicht vorbei; - und ich hatte recht; es ist noch in ihren Köpfen, sie haben es ihnen vererbt. Komm, wir müssen gehen.“
„Warum? Was ist denn? Die Kinder wollen von uns hören. Lass sie doch fragen; ich habe keine Angst vor Fragen und ihrem Lachen. Ich habe nie etwas Böses getan, außer einmal stehlen, ich kann immer antworten. Lass sie lachen! Sie wissen nichts, nichts wissen sie. Ich werde es ihnen sagen.“
Genau das übersetzte Marita Schönen, wortgetreu und sehr betont. Professor Wladimir Boronow setzte sich, mit zweifelndem Blick den Projektleiter Brosthaus fixierend.
„Ich will nicht, dass man beleidigt diese Frau. Sie wertvoller ist als alle zusammen hier! Wir sonst gehen – sofort!“, sagte er auf deutsch.
„Was sprichst du, Iljitsch?“
„Ich habe ihnen gesagt, dass wir nur noch wenig Zeit haben, sie sollen uns fragen.“
„Bevor wir weitermachen, verlassen alle Schüler diesen Raum, die nicht Mitglieder der Projektgruppe sind. Ihr geht in euren Klassenraum und schreibt eine Betrachtung - und Begründung - eures Verhaltens. Ich will die fertige Arbeit nach der Pause sehen“, rief Lehrer Brosthaus in die wieder ansteigende Unruhe hinein.
Sie lachten, schubsten sich, machten launige Bemerkungen; zeigten nicht das geringste Schuldbewusstsein. Es blieben nur die Mitglieder der Projektgruppe sitzen - zehn Mädchen und sechs Jungen. Keiner von ihnen hatte sich zu den Klassenkameraden umgesehen, niemand aus dieser Gruppe hatte mitgelacht.
Brosthaus stand auf, drehte sich zu seinen Gästen. Als sich im gleichen Moment die Tür wieder öffnete, fuhr er herum, starrte zur Tür und setzte sich, als er die Eintretenden erkannte.
„Die Presse! Mist!“, sagte er leise zu Marita Schönen.
„Aha! Die Presse gibt sich - etwas spät, meine Herren – die Ehre. Bitte nehmen Sie Platz. Ira Krüger“, sagte er zu dem schwarzhaarigen Mädchen in der ersten Reihe, die am Anfang die Frage nach dem Kommunismus gestellt hatte, „du bist unsere Pressesprecherin, und du wirst nach diesem Gespräch den Herren von der Presse die notwendigsten und wichtigsten Informationen geben, die sie bisher verpasst haben. Fass das aber kurz zusammen, ja?“
Zwei Fotografen hoben ihre Kameras, schossen rasch aufeinanderfolgend Fotos von den Leuten auf dem Podium. Professor Wladimir Boronow musste sich kurz neben Anschikaija Pawlowska stellen, lächeln und dabei das Schild ‚OST’ vor die Brust halten.
„Fertig! Bis später!“, riefen die Fotografen den Reportern zu und verschwanden.
Die beiden Reporter setzten sich hinter die Schüler und machten gleichgültige Gesichter. Der junge, gehemmt und unsicher wirkende Reporter der Wochenzeitung, Fred Gerber, fragte seinen Begleiter etwas, und der schüttelte den Kopf.
Der andere Reporter war älter, grauhaarig, trug eine Brille, die auf der Nasenspitze klemmte, unter der ein zittriger, langer Schnurrbart hing, schwarz, ohne ein graues Haar. Klaus Schmitz war Reporter der regionalen Tageszeitung und hatte in fast dreißig Dienstjahren so viel Hintergrundkenntnisse wie kein anderer gesammelt.
„Ich bitte jetzt Professor Wladimir Iljitsch Boronow und anschließend Frau Anschikaija Pawlowska, uns ihre Erlebnisse während der Zeit der Zwangsarbeit zu schildern. Und bitte, entschuldigen Sie das Verhalten dieser Jungen und Mädchen; sie gehören nicht zur Projektgruppe - es sind die Klassenkameraden dieser Projektgruppe. Ich hatte gedacht, sie könnten interessiert sein an dem, was Sie berichten. Ich sage es offen, ich bin enttäuscht!“
*
„Es waren harte Jahre. Wir bekamen nur wenig zu essen und mussten viel arbeiten. Es war die Hölle hier, in der Textilfabrik. Als die Amerikaner kamen, wog ich noch ganze 30 Kilo; das hat der amerikanische Arzt festgestellt, der uns alle gewogen hat“, sagte Iljitsch leise auf russisch, schaute dabei die Schüler aufmerksam an, wollte jedes Lachen gleich abfangen.
„Anschikaija und ich wurden getrennt, als wir hier ankamen. Sie sortierten uns nach Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand. Anschikaija kam zu der Gruppe, fast nur Frauen und Mädchen, die bei Landwirten eingesetzt wurden. Wir anderen kamen zur Textilfabrik und dort in ein Barackenlager, das wir Rattenburg nannten. Sie brauchten ständig Nachschub, die Nazis, denn es starben zu viele weg. Anschikaija hat geweint, als wir getrennt wurden. Sie hat immer nach mir gerufen; ich hab´s noch im Schlaf gehört.
Wir gingen nur zum Schlafen in diese Rattenburg, die auch noch voller Läuse und Wanzen war. In der kurzen Freizeit, die wir hatten, standen wir lieber am Drahtzaun und sahen rüber zu den normalen Häusern, zu den Menschen, die nicht weit von uns über die Straße gingen und meist den Kopf wegdrehten, wenn sie uns da stehen sahen.
Die Nächte waren fürchterlich. Es war feucht, die Matratzen schimmelig; die Ratten liefen in der Nacht ständig umher – sie waren hungrig wie wir; wir konnten sie rennen und fiepen hören. Im Sommer war es stickig heiß, im Winter froren wir uns tot.
Es gab morgens lauwarme Wassersuppe aus Rettich oder Wirsing. Zum Abendessen kippten sie uns eine Schöpfkelle Kohlsuppe ohne Kohl in das Blechgefäß. An Sonntagen bekamen wir dazu einen Keks – hart wie Stein. Wir lutschten ihn trotzdem mit Genuss; er war ein Symbol für die überlebte Woche. In der Fabrik arbeiteten wir hart, mussten schwere Lasten schleppen; am Abend war mein Rücken krumm wie ein Bogen“ sagte er tonlos und sah rüber zu seiner Cousine.
„Wenn Anschikaija nicht gewesen wäre...“, sagte er mit einer zärtlichen Stimme und lächelte.
„Du hast mir mein Leben gerettet, kleine Aja!“
„Ruhig, Iljitsch, es war zu wenig. Ich war zu schwach und zu feige.“
„An allen Tagen arbeiteten wir zwölf Stunden, Samstags nur acht. Danach mussten wir drei Stunden lang die dreckigen Matratzen entwanzen. Wir Kinder wurden genau so behandelt wie die Erwachsenen – vielleicht sogar schlechter.
Manche ältere Gefangene haben uns geholfen; aber nicht alle waren so. Jeder für sich, sagten manche, nahmen uns alles weg, was sie gebrauchen konnten. Wir wurden von den Aufsehern geschlagen, wenn wir nicht schnell genug waren, wenn wir zu oft auf die Toilette mussten, oder wenn uns vor Hunger schlecht war. Wir, die Russen, trugen ein Schild „Ost“, die Polen eins mit „P“, die Juden hatten ihren Stern - sie waren die Ärmsten.“
Während Professor Boronow sprach und Marita Schönen übersetzte, war es still wie in einer Kirche. Er zeigte seinen alten Lappen mit dem Wort „Ost“, und Brosthaus ließ ihn durch die Schüler befühlen.
„Sie schlugen uns an jedem Tag; mich mochten sie nicht; ‚Russenbalg’ haben sie zu mir gesagt. ‚Du bekommst eine Extraration, damit du ein anständiger Mensch wirst!’, sagten sie und lachten dann während der Extraportion Schläge. Meine Beine bekamen die Schläge immer zuerst; wenn ich dann fiel, schlugen sie mir auf den Rücken und auf den Kopf.
So ging es jeden Tag, bis die Amerikaner kamen. An dem Tag habe ich zum ersten Mal geweint. Ich war leicht wie eine Feder, brüchig wie ein vertrocknetes Schilfrohr“, flüsterte er so leise, dass selbst durch das Mikrofon seine Stimme kaum vernehmbar war.
„Ich war dreizehn, als sie mich fingen, und siebzehn, als man mich befreite“, sagte er mit geschlossenen Augen, als ziehe er Bilanz, fasse das erlittene Elend zusammen. Jeder im Raum fühlte, dass er die Bilder der Rattenburg vor Augen hatte.
Die Schüler saßen still, abwartend, wollten sich nicht bewegen, nicht auffallen. Dann, als erkennbar war, dass Professor Wladimir Boronow nichts mehr sagen wollte, atmeten alle auf. Die Mädchen waren blass geworden, sahen verschreckt aus.
Brosthaus forderte sie auf, Fragen zu stellen, aber sie konnten zuerst nicht, suchten nach den richtigen Worten. Sie brauchten eine Zeit, malten, kritzelten verlegen auf ihren Notizblöcken. Dann hob sich zögernd ein Finger.
„Hassen Sie uns dafür?“, fragte ein dürres Mädchen mit Brille.
„Euch? Euch Kinder? Nein, nein! Euch doch nicht - aber die, die es getan haben, die mich fingen, die mich schlugen, die mich peinigten, die aber vor allen Dingen, die das verantworten müssen, die es angeordnet haben.“
„Kennen Sie die Namen Ihrer Peiniger – oder wenigstens einen?“, fragte der Reporter Klaus Schmitz. Alle Schüler wendeten ihre Köpfe, sahen ihn an, als habe er ein Gebot übertreten.
„Namen? - Ja, sie hatten Namen. Einen nannten wir ‚Dann-wollen-wir-mal’. Das sagte er immer, wenn er uns schlagen wollte, wenn wir schon mit gefühllosen Beinen auf dem Boden lagen, und er den Knüppel in die linke Handfläche klatschen ließ. Er war der härteste, der bösartigste, der so gerne schlug. Ihm war jede Gelegenheit dazu sehr recht; er lachte dann vor Freude.“
„Wie hieß er richtig? Wissen Sie seinen normalen Namen noch?“
„Johannes -Johannes Wuttke hieß er.“
Lehrer Brosthaus sprang auf, kaum dass die Dolmetscherin geendet hatte.
„Schluss! Das sind Dinge, die hier nicht erörtert werden! Ich bitte Sie, Professor Boronow, das Thema zu wechseln. Und stellen Sie doch bitte Fragen, die uns im Projekt weiterhelfen!“
„Na, na! Wieso soll das nicht gesagt werden? Das ist doch sehr interessant für die Öffentlichkeit! Immerhin ist Johannes Wuttke der Ehrenbürger dieser Stadt, war der erste Bürgermeister nach dem Krieg, er gehörte der CDU an, und der Rat hat eine schöne, lange Straße nach ihm benannt“, sagte der Reporter Klaus Schmitz.
Professor Boronow wartete ab, obwohl er den Inhalt verstanden hatte; aber Marita Schönen wollte nicht übersetzen. Er sah die Dolmetscherin an, die hilflos zwischen Brosthaus, dem fragenden Reporter und Professor Boronow hin und her blickte.
„Nun mach schon! Übersetz einfach!“, sagte Brosthaus wütend.
„Der Junge, der vorhin fragte, ob ich arm bin, der hieß auch Wuttke?“, fragte Anschikaija nach einigem Überlegen, und sah Brosthaus an.
„Ja, ja. Das war sein Enkel Frank. Dieser Wuttke, ich meine Johannes Wuttke, ist längst tot. Es hat doch keinen Zweck, dass wir uns damit aufhalten. Unser Projekt ist enorm wichtig und heißt ‚Zwangsarbeit! – Entschädigung sofort!’ Darüber wollen wir reden, bitteschön, meine Damen und Herren!“
Die Reporter schrieben eifrig, hoben nur hin und wieder ihre Köpfe, tuschelten miteinander.
„Bitte, Professor Wladimir Boronow, fahren Sie fort.“
„Ja, ich verstehe. Ich verstehe vollkommen. Ich habe überlebt; Tausende sind gestorben. Auf euren Friedhöfen liegen sie, die zu schwach wurden, Platz machten für neue Zwangsarbeiter, für Kinder, Frauen und Männer! Sie haben sie alle getötet. Ja, ich hasse! Ich bin voller Hass und ich werde immer hassen“, sagte er erregt, mit rotem Kopf.
„Meinen Vater, meine kleine, schwache Mutter habt ihr getötet!“, schrie Professor Boronow und drehte sich mit kalkweißem Gesicht zur Wand. Was er dann leise, aber heftig, sprach, verstand niemand; schließlich straffte er sich, drehte sich zu ihnen um.
„Sie hatte auch einen Namen, sie war nicht eine Nummer, irgendeine Zwangsarbeiterin. Nach ihr hat niemand eine Straße benannt! – Auch nicht in Russland! Sie hieß Popowa, merkt euch ihren Namen! Popowa Boronowa hieß meine Mutter. Ihr habt sie getötet, hier oder sonst wo!“, sagte er und blieb mit hängenden Schultern stehen.
„Entschuldigung! Ich will keine Frage mehr; ich will nicht mehr sprechen“, flüsterte er und setzte sich, umständlich sein Jackett ordnend.
„Iljitsch, lieber Iljitsch, was ist? Warum schreist du? Wollen sie uns etwas tun?“
„Ruhig, Anschikaija, ruhig. Es waren nur meine Gefühle, weißt du? Sei ganz ruhig, Aja.“
Es war still, viel zu still für Anschikaija, die kein Wort verstanden hatte, aber trotzdem wusste, dass es Iljitsch schmerzte, dass er unglücklich war.
Endlich fasste sich Brosthaus, sah zunächst auf seine Uhr, blickte dann Anschikaija an, von der er keine besondere Erzählung erwartete, und forderte sie auf, ihre Erfahrungen zu berichten.
„Ich habe nur eine Bitte: Fassen Sie sich kurz! Das Wesentliche haben wir ja schon von Professor Boronow gehört. – Wir haben leider schon viel Zeit verloren, und der Busfahrer wartet auf uns.“
„Ja, will ich gerne machen. Darf ich alles sagen, Iljitsch?“
„Natürlich, Anschikaija, sprich, was du willst“, sagte Professor Boronow, der zusammen gesunken, mit steinernem Gesicht, da saß.
„Es war so. Ich musste auf einen Lastwagen steigen, wo andere Frauen waren. Dann sind sie gefahren, haben angehalten an Bauernhöfen, und immer mussten ein paar runter vom Wagen und zu den Höfen gehen. Dann war ich dran und noch zwei ältere Frauen. Der Bauer hieß Basten, Adolf sagten alle.“
„Aha! Das ist ja interessant!“, sagte der ältere Reporter und schrieb hektisch.
Anschikaija blickte zu ihrem Cousin, zögerte und flüsterte in holprigem Deutsch: „Komm mein Täubchen! Sag Adolf zu deinem Täuberich!“ Dann weiter auf russisch: „Das sagte er oft, sehr oft!“
Als sie die ungläubigen Gesichter sah, dachte sie, es wäre falsch gewesen, suchte Hilfe bei Professor Boronow.
„Alles? Ich soll alles sagen, lieber Iljitsch?“
„Ja, sag es ihnen!“, antwortete er tonlos, mit gesenktem Kopf.
„Immer hat er das gesagt, immer – ich meine oft. Ja, es gab Essen da, bei Adolf und viel Arbeit. Ich musste erst im Keller schlafen – mit den anderen beiden Frauen. Das war gut, wir konnten sprechen in der Nacht. Sie sprachen wie ich – und sie konnten mich trösten. Ich war etwas geborgen, nicht so alleine. Später, im nächsten Sommer, kam noch eine Frau, da musste ich raus aus dem Keller. Ich hatte eine Matratze im Dach, unter den Dachpfannen. Im Sommer heiß, im Winter kalt. Ich war alleine, da oben, unter dem Dach, ganz alleine.“
Anschikaija schwieg erschöpft, schloss die Augen; man sah, dass sie nachdachte, sich mühsam durch den Berg ihrer Erinnerungen kämpfen musste.
„Wir arbeiteten, wenn die Sonne aufging, und hörten auf, wenn es dunkel war. Ich war immer draußen auf dem Feld. Unkraut wegmachen, Rüben vereinzeln, hacken und graben, Kartoffeln auflesen und auf die Karren schütten; es war schwere Arbeit; ich war so dünn damals“, sagte sie und zeigte mit den Händen eine schmale Figur.
„Wie wurden Sie ansonsten behandelt?“, fragte der Reporter Klaus Schmitz und linste über den Rand seiner Brille hinweg.
„Oh, ich weiß nicht, wie ich alles sagen soll. Es war so viel, so furchtbar viel. Wenn ich nicht gut war, dann hat mich Adolf geschlagen; seine Frau - die Wilhelmine hieß - auch. Die schlug mich, trat immer und schrie. Sie hatte zwei Töchter, hübsche Töchter, die waren älter als ich - und stärker. Die schlugen mich auch manchmal. Sie waren die einzigen, die immer lachten, wenn sie schlugen – Adolf hat nie gelacht, und seine Frau hat nur geschrieen.“
„Warum schlug man Sie?“, fragte diesmal der junge Reporter, Fred Gerber, und bekam dabei einen roten Kopf, als fürchte er, etwas Unpassendes zu fragen.
„Ach, ich weiß nicht. Vielleicht, wenn ich müde war, dann war ich langsamer beim Kartoffeln auflesen. Einmal haben sie mich geschlagen, die Töchter, als mir das Pferd durchgegangen war. Es hat die Karre umgeworfen; ich war so ungeschickt.“
Sie machte wieder eine Pause, sah zu den Schülern, deren Köpfe über ihren Notizblöcken hingen; sie konnte nur ihre Scheitel sehen.
„Ich war dreizehn Jahre alt, und als ich in unser Dorf zurück kam, vor unserem Haus stand, da war Geburtstag - ich wurde siebzehn. Die Frau, die Wilhelmine, die hat mich immer geschlagen und getreten, wenn der Adolf nachts gesagt hat: ‚Komm mein Täubchen! Sag Adolf zu deinem Täuberich!’ Sie hat dann mit mir geschrieen: ‚Ich will dir zeigen, was ein Täubchen ist’ und war dann den ganzen Tag furchtbar böse.“
„Sind Sie vergewaltigt worden?“, fragte der Reporter Klaus Schmitz dazwischen. Man sah ihm die Erregung an; der Schnurbart zitterte auffällig, seine Augen waren weit aufgerissen.
Marita Schönen sah blass aus, übersetzte sehr leise, mit abschätzendem Blick zu den Schülern.
„Verge...? Ich weiß nicht. Ich weiß nicht! – Ich kann nicht sagen... Ich war ein Kind, so dünn und schwach. Wenn ich zurückdenke, dann sehe ich Felder, braun, duftend, im Sonnenschein – ich lache; ich habe auch gelacht – damals. Ich sehe mit Schnee und Eis bedeckte Wiesen - ich friere; ich habe geweint damals, viel geweint. Ich sehe ein Haus im Nebel, ein schreckliches Haus, Dunkelheit, nichts ist klar – ich hatte furchtbare Angst – und Schmerzen.“
„Anschikaija! Es ist genug! Es ist genug!“, sagte Professor Boronow heftig.
„Ja, Iljitsch.“
„Nur noch eine Frage! Der Professor sprach vorhin vom Überleben durch Sie. Was meinte er damit?“, fragte der Reporter Fred Gerber.
„Ja, - darf ich, Iljitsch?“
„Ja, Aja, ja natürlich.“
„Die älteren Russinnen wussten genau, wo man die Männer untergebracht hatte. Sie haben sie mir beschrieben, diese Rattenburg. Dann bin ich einmal mit ihnen gegangen; aber ich konnte Iljitsch nicht sehen. Wir mussten draußen stehen, vor einem hohen Zaun. Dahinter waren die Baracken, alte Holzhäuser mit Pappe auf den Dächern. Viele Männer waren da; manche kamen an den Zaun und bettelten uns an; sie hatten furchtbaren Hunger. Sie waren so schrecklich blass und dünn. Iljitsch war nicht da. Aber ich wusste jetzt, dass sie hungerten.
Da wusste ich, was ich tun musste. Ich habe von meinem Essen gespart - etwas. Brot, Wurst, es war ja nicht viel. Am nächsten Abend bin ich dann wieder zum Männerlager gegangen. Ich habe einem Mann ein Stück Brot gegeben – er war so dünn und hat geweint, als er in das Brot biss. Er hat mir dafür den Iljitsch geholt. Wir haben so lange geweint; wir waren doch Kinder! Und dann hat er gegessen, am Zaun. „
‚Sie nehmen es mir weg, Aja, die anderen, die Polen’, hat er gesagt.“
„Du bist fast an jedem Tag gekommen, Anschikaija.“
„Ja, aber nicht immer; sie haben es nicht gewollt. Sie haben aufgepasst - die Töchter.
‚Hast einen Freund, was?’, haben sie gesagt und mir gedroht mit der Polizei. ‚Ist verboten, das Haus alleine zu verlassen, du Hure!’ sagten sie und haben gelacht. Ihr Lachen war sehr schlimm!
Und dann, weil doch Weihnachten war, habe ich gestohlen. Ich habe nur einmal gestohlen – nur ein einziges Mal. Sie hatten ein Schwein geschlachtet, und es roch überall nach Fleischbrühe und Würsten. Es lagen dicke rote Würste in der Küche; sie wollten sie zum Trocknen auf den Boden hängen. Ich sollte dem Herrn, dem Adolf, Kaffee aus der Küche holen – und da habe ich sie da liegen gesehen. Ich habe eine genommen und unter dem Brennholz versteckt.
Am Abend habe ich sie dem Iljitsch gebracht. Die wollte er aber nicht gleich essen. ‚Die ist so schön groß, die teile ich!’, hat er gesagt.
Aber sie haben es bemerkt – die Frau und die Töchter; die Wurst war ja weg. Und als ich kam, vom Iljitsch, da haben sie mich auf den Boden geworfen, draußen auf dem Hof. Und der Adolf hat den dicken knorrigen, geschnitzten Ast genommen, der sein Spazierstock war - da hat er sonst nie mit geschlagen.
Er hat immer auf meinen Rücken geschlagen; ich habe nichts gesagt, auch nicht geschrieen - ich hatte ja gestohlen; ich musste bestraft werden! Dann war mein Rücken ganz kaputt; ich konnte lange nicht aufstehen, nicht arbeiten.
‚Dann gibt´s auch kein Essen!’, hat die Frau, die Wilhelmine, gesagt. Ich konnte lange nicht zum Iljitsch gehen. Ja, und jetzt ist er steif und krumm, dahinten, der Rücken.“
Sie schwieg und strich sich verlegen die Haare aus dem verschwitzten Gesicht; die Köpfe der Schüler hatten sich nicht einen Zentimeter gehoben; die beiden Reporter starrten Anschikaija betroffen an.
Professor Boronow schaute auf seine gefalteten Hände; die Dolmetscherin war tiefrot im Gesicht, sie zitterte; Brosthaus saß zurück gelehnt da, hatte die Augen halb geschlossen und sein Mund bewegte sich, als wenn er Selbstgespräche führte.
„Hat noch jemand eine Frage?“, rief er dann laut in die Stille hinein.
„Ja, an Sie, Herr Brosthaus!“, sagte der Reporter Klaus Schmitz und stand auf. „Dieser Bauer Basten, ist das der ‚alte sozialistische Kämpfer’, wie er sich immer nannte, der spätere Stadtverbands-Vorsitzende der SPD?“
„Warum fragen Sie das? Wen interessiert das hier? Ich sage es noch einmal: Wir wollen hier nicht aufrechnen, keine Schuldzuweisungen, niemandem etwas vorwerfen, wogegen er sich nicht verteidigen kann! Wir wollen nur, dass die Zwangsarbeiter entschädigt werden! Nichts anderes!“
Der Reporter setzte sich und schrieb. Der junge Reporter fragte ihn etwas und bekam den Notizblock hingeschoben.
„Also, wenn es keine Fragen mehr gibt, dann will ich unseren Gästen kurz das restliche Programm vorstellen.
Wir fahren gleich mit einem Bus zu der Stelle, an der früher das Arbeitslager war, danach können sich unsere Gäste ausruhen. Heute Abend gibt der Bürgermeister einen Sektempfang. Es wird eine Rede von ihm und vom Oppositionsvorsitzenden geben.
Morgen früh um zehn wird eine Demo vor dem Rathaus stattfinden. Da werden unsere Schüler ihre schön gemalten Plakate zeigen, der Bürgermeister und der Oppositionsführer im Rat werden wieder sprechen. Unsere Gäste werden in der vordersten Reihe auf dem Podium sitzen. Die Presse ist herzlich eingeladen.“
*
Der Fahrer lehnte an seinem Bus, dessen Türen wegen der Hitze weit geöffnet waren. An seinem Gesicht war abzulesen, dass er schon länger wartete.
Die Schüler stiegen zügig ein, gefolgt von Anschikaija und Professor Boronow. Den Abschluss machten Marita Schönen und die Reporter; Brosthaus setzte sich neben den Fahrer.
Sie fuhren durch die Stadt, bis an den Stadtrand; es war still im Bus; der Fahrer ließ leise Radiomusik spielen. Auf einem asphaltierten Parkplatz hielt der Fahrer an, und Brosthaus bat alle auszusteigen.
„Wir sind da! Erkennen Sie noch etwas wieder?“
Professor Boronow drehte sich um seine Achse. Hinten, versteckt hinter silbrig schimmernden Linden, konnte man rote Ziegelgebäude erkennen, einen gemauerten Schornstein. Auf der anderen Seite dehnte sich eine Sportanlage mit einer roten Aschebahn. Alles sah sehr gepflegt aus.
„Hier? Hier war das Lager, unsere Rattenburg?“, fragte Professor Boronow ungläubig.
„Ja sicher! Man hat natürlich alles weggemacht, damals, nach dem Krieg. Jetzt ist dies die schöne Sportanlage von unserem Turn- und Sportverein“, sagte er stolz und lächelte. „Und da hinten, da, die roten Gebäude, das sind die Ruinen der alten Textilfabrik. Die ging irgendwann in den Sechzigern pleite, und da verrottet sie jetzt. Man kann nicht hin – ist alles abgesperrt.“
„Ich erkenne nichts. Ich vermisse nichts!“, sagte Professor Boronow und stieg in den Bus. Nach kurzem Zögern folgten alle, sahen sich dabei um, als suchten sie etwas.
Sie fuhren auf dem Rückweg über eine andere Strecke; man wollte die beiden Gäste an ihrem Hotel absetzen.
Anschikaija hatte die Hand von Professor Boronow ergriffen und hielt sie fest gedrückt. Als sie sich der Stadt näherten, riss sie plötzlich den Arm hoch und zeigte nach draußen, zur anderen Straßenseite.
„Da! Da! Iljitsch, da ist es! Es steht noch!“
„Was, Aja, was siehst du?“
„Das Bauernhaus! Da, da war ich!“, rief sie und sprang auf. Sie stieß sich den Kopf an der Gepäckablage, merkte nichts davon.
„Dann halten Sie, verdammt noch mal, doch mal an!“, schrie der Reporter Klaus Schmitz, dem dabei die Brille in den Schoß fiel.
„Was soll das? Hier gibt es nichts zu sehen! Wir haben keine Zeit mehr; das Mittagessen wartet“, protestierte Brosthaus.
„Bitte! Einmal halten!“, sagte Anschikaija, und der Fahrer bremste ab.
Der Bus hielt am Straßenrand, der Verkehr flutete vorbei, und alle Augen starrten auf einen dunkelroten Ziegelbau, an dessen Seite ein großer Torbogen die Verbindung zum modernen, verklinkerten Nachbarhaus herstellte.
Die ganze Straßenseite war zugebaut mit schönen, modernen Häusern, die etwas zurück versetzt lagen, eine Garage neben sich und einen grünen, mit Blumenbeeten oder immergrünen Bäumen bestückten Rasen vor sich hatten. Es war das einzige alte Haus, auf das sie alle schauten, als wäre es eine Besonderheit.
„Das ist kein Bauernhaus!“, sagte Professor Boronow leise. „Du irrst dich!“
„Nein, nein! Ich weiß es! Das ist das Haus! Sie haben geändert, umgebaut. Damals stand es alleine hier. Ich kenne es, es sind die Fenster, das Dach - es ist das Haus.“
„Aussteigen!“, rief der Reporter Klaus Schmitz, winkte aufgeregt mit seinem Notizblock, drängte die jungen Leute, und so stiegen alle aus, blieben unschlüssig neben dem Bus stehen, starrten zur anderen Seite.
„Los!“, rief der junge Reporter. In einer Verkehrslücke gelangten sie alle rüber auf die andere Seite, und die Reporter drückten gegen das große doppelflügige Holztor. Es öffnete sich knarrend, schwang weiter, bis es in eine Halterung einrastete.
„Da ist es, Iljitsch! Da ist es!“
Anschikaija starrte hoch, zum Dachfenster, das dreckig, altersblind, in der Sonne lag.
„Da oben, Iljitsch, da habe ich gelegen, da war es. Er ist tot, ja? Sag es mir, Iljitsch!“
„Ja, sei ruhig, ganz ruhig. Er ist schon lange tot. Die Würmer haben ihn gefressen; nichts ist mehr da, nichts! Sei ruhig!“
Aus der höher gelegenen Haustür, zu der drei Treppenstufen führten, kam ein Mann in grünem Pullover und brauner Cordhose.
„Nein! Nein!“, flüsterte Anschikaija und starrte den Mann an.
Er kam die Treppe herunter und ging auf die Gruppe zu, mit fragenden, nicht unfreundlichen Augen. Anschikaijas Gesicht war grau, die Lippen blutleer, ihr Griff um Professor Boronows Arm wurde immer fester, je näher der Mann kam.
„Nein! Nein! Nicht! Bitte, nein!“, schrie sie plötzlich überlaut und warf sich auf den Mann. Sie trommelte mit beiden Fäusten auf seine Brust, seine Arme, schrie dabei ständig „Njet! Njet!“
„Anschikaija!“, rief Professor Boronow. „Hör auf! Was ist los mit dir?“
„Was soll das? Aufhören! Hören Sie auf! Sind Sie verrückt? Helfen Sie mir doch!“, schrie der Angegriffene, versuchte vergeblich, die wirbelnden Arme von Anschikaija einzufangen. Sie trat ihn vor die Beine, schrie immer lauter und greller.
Dann brach ihr Schreien plötzlich ab, sie ließ die Arme hängen, stand da, schlaff, mit wirren Haaren, ihre Augen waren weit aufgerissen, der Mund stand offen, und Blut rann ihr aus dem Mundwinkel; sie hatte sich in der Erregung auf die Zunge gebissen.
Professor Boronow stürzte vor, fasste Anschikaija an den Schultern, spürte, dass sie schwankte. Sie rutschte aus seinen dünnen, kraftlosen Armen weg, saß auf dem Ascheboden und stierte immer noch den Mann an. Der sah fassungslos auf die Frau herunter, richtete seinen verrutschten Pullover und wischte mit dem Ärmel durch das Gesicht.
„Was, - was war das? Warum macht die Frau das? Ich kenn die nicht! Nie gesehen! Ist die verrückt?“
„Nicht verrückt! Nur Erinnerungen sind sehr stark. Bitte entschuldigen Sie, bitte!“, sagte Professor Boronow und streichelte ohne Unterbrechung den Kopf von Anschikaija.
„Sie sind doch der Lehrer Brosthaus? Mein Sohn ist in Ihrer Klasse. Was sind das für Leute? Klären Sie mich bitte auf! Und dann - was will die Presse hier?“
„Nein, nicht Adolf, nicht! Ich – will nicht mehr!“, schluchzte Anschikaija.
„Was sagt sie?“, fragte der Mann irritiert.
„Es sind russische Zwangsarbeiter! Die Frau glaubt, dass sie hier auf dem Hof gearbeitet hat. Sie weint, weil sie Angst hat! Bitte seien Sie ihr nicht böse!“, sagte Marita Schönen.
„Warum hat sie Angst? Ich tue ihr doch nichts!“
„Sind Sie ein Basten?“, fragte Fred Gerber, der junge Reporter.
„Ja, sicher! Das ist unser Haus hier. Mein Name ist Heinrich, Heinrich Korte. Ich habe das Haus von meiner Mutter, geborene Basten, geerbt; sie hatte einen Korte geheiratet.“
Anschikaija stand langsam auf, von Professor Boronow am Arm gezogen, und starrte den Mann an. „Adolf! Das ist Adolf!“, sagte sie schluchzend.
„Ach so! Jetzt verstehe ich! Ja, ja, ich sehe meinem Großvater verblüffend ähnlich - sagt man. Sie verwechselt mich!“
„Ich will gehen, schnell, schnell,“
„Warten Sie! Was erschreckt Sie, nach so langer Zeit? Sie haben ja fast einen Schock bekommen“, fragte der Reporter Klaus Schmitz.
„Komm mein Täubchen! Sag Adolf zu deinem Täuberich!“, flüsterte Anschikaija. Dann lehnte sie sich an Professor Boronow und flüsterte: „Weg! Iljitsch, wir müssen weg!“
„Ja! Komm, wir gehen“, sagte er tonlos und brachte Anschikaija zum Bus.
Die ganze Gruppe drehte sich weg; sie gingen schnell, blickten ratlos zurück zu dem Mann, der im Torbogen stand und ihnen nachsah.
„Nichts für ungut! Entschuldigen Sie!“, rief Brosthaus, bevor er einstieg. Der Mann hob leicht die Hand.
„Bitte, ich will nach Hause!“, sagte Anschikaija.
„Ja, ja! Wir fahren zum Hotel. Da können Sie sich umziehen, zum gemeinsamen Mittagessen“, sagte Frau Schönen und strich Anschikaija beruhigend über den Arm.
„Nein! Ich will nach Hause, in mein Dorf! Jetzt! Jetzt! Sag ihnen, dass ich nach Hause muss, Iljitsch! Sag ihnen, dass meine Saranka werfen wird - bald. Ich muss nach Hause!“
„Ja, Anschikaija! Wir fahren!“, sagte Professor Boronow und tippte dem vor ihm sitzenden Brosthaus nachdrücklich auf die Schulter.
„Wir fahren noch heute zurück! Haben Sie verstanden?“
Marita Schönen bekam bei der Übersetzung einen roten Kopf, hüstelte gekünstelt und setzte hinzu: „Sie meinen es ernst! Die Frau ist völlig fertig! Wer weiß, was der alles passiert ist!“
„Das geht nicht! Heute Abend ist der große Empfang im Trausaal des Rathauses! Sie können heute nicht fahren! Sagen Sie ihnen das, Frau Schönen. Morgen, ja - von mir aus - aber nicht heute! Morgen ist mir das egal; dann geht die Demo eben ohne die beiden Russen!“
„Lassen Sie sie fahren!“, sagte Klaus Schmitz, der hinten im Bus saß. „Es ist vorbei! Sie können dieser Frau keinen Sektempfang mit heuchlerischem Gelaber zumuten. Sind Sie blind? Es war zuviel! Seien Sie froh, wenn sie wieder im Zug sitzt!“
Brosthaus sah Anschikaija wütend an, schüttelte den Kopf und schnaufte.
„Hör zu! Sag ihnen, dass sie machen können, was sie wollen. Sie sind hier in einem freien Land, wo jeder tun und lassen kann, was er will! Es wäre aber schade - sag ihr das auch -, wenn sie führen.“
Professor Boronow nickte; er hatte alles verstanden und drückte Anschikaija an sich. „Wir fahren, arme Aja, wir fahren!“
„Ich bin dumm, Iljitsch, so furchtbar dumm! Ich hätte das nicht sagen dürfen – nichts hätte ich sagen dürfen.“
„Nein, Aja, es ist meine Schuld! Wir hätten nicht fahren dürfen in dieses fremde Land. - Ich hätte es wissen müssen!“
*
„Setzen Sie sich! Was trinken Sie?“, fragte Klaus Schmitz.
„Wasser!“, antwortete Fred Gerber, der junge Reporter und setzte sich zu dem Kollegen.
„Nun, wie war ihr Eindruck heute Vormittag?“
„Na ja, dieser Brosthaus ist eine Flasche! Der hat keine Ahnung, auf was er sich da eingelassen hat.“
„Richtig! Ich glaube, der hat das ganze Ding aufgefasst wie eine schöne Geschichtsstunde, wollte seinen Schülern mal eine Abwechselung bieten, ein wenig Reklame für die Schule und für sich machen - und eben im Zeitgeist mitschwimmen.“
„Demo ist immer gut! Da machen selbst die faulsten Schüler noch mit.“
„Ja. Hauptsache, die Plakate sind schön gemalt, und es gibt frei dafür. Was dann passierte, das hat den guten Mann überfordert. Der hat nicht daran gedacht, dass es hier nicht um historische, tote Reiterdenkmäler geht, sondern um sehr lebendige Menschen mit Gefühlen – und besonders starken noch dazu.“
„So ist es. Aber das ist nicht der Grund, warum Sie mich in diese verräucherte Kneipe gebeten haben, oder? Warum treffen wir uns hier wirklich? Sie haben es am Telefon so dringend gemacht.“
„Ein Wasser und ein Bier!“, rief Klaus Schmitz zur Theke.
„Nun, es gibt auch einen verdammt guten Grund dafür, junger Mann! Ich möchte Sie nicht hinein tapsen lassen.“
„Wo hinein wollen Sie mich nicht tapsen lassen?“
„In was tapst man rein? Nun? Im Normalfall in eine Falle, oder?“
„Und? Wo steht sie, die Falle?“
„Das Wasser und das Bier, bitteschön!“
„Danke, schreiben Sie´s auf meinen Deckel“, sagte Klaus Schmitz zu der Bedienung.
Ja, also. Wo steht die Falle? Das genau ist es, was Sie sich in Ihrem Berufsleben immer fragen sollten. Es stehen zu viele davon - versteckt natürlich – herum.“
„Machen Sie´s nicht zu spannend! Geht’s um das, was heute mit den Russen war?“
„Ja, sicher! Darum - und um noch was ganz anderes. Ihr Wochenblatt und meine Tageszeitung, wir gehören doch zu einem Verlag – wir haben ein gemeinsames Dach, wie man so schön sagt. Der Kölner Druckverlag, nicht wahr - das wissen Sie schon. Oder?“
„Ja sicher! Und?“, fragte der junge Reporter, Fred Gerber, ungeduldig, nippte flüchtig an seinem Wasserglas.
„Nun, dann wissen Sie doch sicher auch, wem dieser Verlag – sagen wir mal -, überwiegend gehört?“
„Na klar, der Familie Horstmann, Günther Horstmann! Das weiß doch jeder bei uns! Wo steht die Falle?“
„Gut, dass Sie fragen! Tun Sie das immer wieder! Sie werden sehen...“
Klaus Schmitz trank einen kräftigen Schluck Bier und hob seine Aktenmappe hoch.
„Ich lese Ihnen mal vor, was ich mir notiert habe. Das dürften ja auch in etwa Ihre Erinnerungen sein.“
Er blätterte in seinen Notizen; dann hatte er es gefunden.
„Hier! Hören Sie zu!“, sagte er, ruckelte an seiner Brille und las die Aussagen von Professor Boronow vor – fast wörtlich. Als er den Namen Wuttke erwähnte, machte er eine Pause und sah seinen Kollegen, knapp über die Brille sehend, an.
Dann wiederholte er: „Johannes, Johannes Wuttke hieß er.“
Fred Gerber trank und sah dabei durch das Glas auf seinen Kollegen. Er mochte ihn, er war immer fair gewesen, hatte ihm manchmal Informationen zugespielt. Er überlegt, fand keinen Ansatz für diese Vorlesung, wie er es im Stillen nannte.
„Und? Sie haben stenographiert. Ich habe mir dazu nur Stichworte notiert; ich kann kein Steno!“
„Wuttke! Um den geht´s! Haben Sie die Aufregung vom Brosthaus bemerkt? Haben Sie gehört, wie er alles abbrechen wollte?“
„Ja klar, war fast peinlich! Und was sollte das? Was hat der damit zu tun?“
„Jetzt stehen wir vor der Falle! Brosthaus kann uns egal sein. Sein Alter besitzt etwas mehr als zehn Prozent vom Druckverlag. Und was bedeutet das? Erst mal noch nichts! Nur! - Fünfundsiebzig Prozent gehören den Horstmanns. Was sage ich, Frau Elisabeth Horstmann! Ihr Alter, den sie sich damals als junge Sekretärin gefischt hat, der Verlagsleiter Günther Horstmann, der ist längst tot. Sie leitet den Laden; sie bestimmt, was Sache ist, welche Linie ihre Blätter fahren.“
„Na prima! Ich seh´ noch keine Falle!“
„Schnapp! Und sie schlägt zu – die böse, böse Falle! Frau Elisabeth Horstmann hieß vor der geldbringenden Heirat Wuttke! Sie ist eine Enkelin des alten „Dann-wollen-wir-mal-Wuttke! Sehen Sie jetzt die Falle?“
„Scheiße!“
„Genau! Darum hat der Brosthaus gezittert. Sein Alter schmeißt ihn raus und die Horstmann schmeißt den alten Brosthaus raus, wenn unsere Artikel erscheinen. Ach, so! Uns schmeißt sie natürlich auch raus. Verstehen Sie?“
„Oh Mann! Und was jetzt?“
„Genau darum sitzen wir hier. Wir müssen uns einig werden!“
„Ja schon – aber wie?“
„Was macht ein Fuchs, wenn er auf seinem täglichen, gewohnten Weg eine Falle entdeckt? Er sagt sich nicht, egal, das ist mein Weg, ich geh durch, komme was will. Er versucht auch nicht, die Falle auszutricksen, sie auszulösen; das könnte buchstäblich ins Auge gehen. Nein, er umgeht sie, ignoriert sie, tut so, als habe er sie nie gesehen; er geht einen anderen Weg und lacht sich eins, weil er klüger war. Und genau das machen wir auch.“
„Das sehe ich auch so, aber wie...?“
„Wir stellen die Basten-Geschichte groß raus: `Zusammenbruch beim Wiedersehen! Hat er das russische Kind damals vergewaltigt?’ Das dürfen wir nur als Frage formulieren. Aber wen schädigen wir? Niemanden! Der Enkel Korte hat keine Position, in der wir ihm, oder aus der er uns schaden könnte. Bei dem Schaum, den wir da schlagen, fragt auch keiner nach einer anderen Story. Wuttke wird einfach nicht erwähnt. Einverstanden?“
„Mein Gott, ja! Mensch, bin ich froh, dass Sie mich informiert haben und wir uns abgesprochen haben. Und die Wahrheit haben wir ja damit auch erzählt, oder? Wer weiß, ob der Professor sich nicht mit dem Wuttke vertan hat – oder war das sogar Absicht? Der hatte doch vorher den Zusammenstoß mit diesem Enkel von dem, dem Frank Wuttke. Das sagte uns doch diese – wie hieß die noch? – Ach ja, die Ira Krüger. Bestimmt hat er sich den Namen einfach gemerkt. Zweifel sind jedenfalls angebracht, oder?“
„Na, dann ist ja alles klar! Prost, Gerber!“
„Prost, Herr Schmitz!“
Das Handy spielte „Üb immer Treu und Redlichkeit“ und Klaus Schmitz nestelte an seiner Brusttasche.
„Schmitz!“
Langes Schweigen; Fred Gerber sah sich im Lokal um.
„Nein!“
„Weiß ich noch nicht!“
„Kann ich mir denken, Frau Horstmann!“
Wieder langes, stilles Zuhören, aber Fred Gerber hatte seit der Nennung des Namens Horstmann das Interesse am Geschehen im Lokal verloren; er starrte seinen Kollegen unverwandt an.
„Auf Wiederhören!“
„Was war denn das?“, fragte Fred Gerber.
„Das, mein Lieber, war die zweite Falle, die, die ich übersehen hatte. Brosthaus hat seinen Papa angerufen, Papa Brosthaus sofort Elisabeth Horstmann, und die hat gerade erstmals in die redaktionellen Entscheidungen eingegriffen. Wie hat sie es formuliert?
‚Kein Wort über Wuttke; ist doch alles unbewiesenes Geschwätz dieses Russen, der nur Geld sehen will; fallen Sie bloß nicht drauf rein; so einen Quatsch bringt unser seriöses Blatt nicht! Haben wir uns verstanden?’ Dann hat sie aufgelegt.“
„Ach, du meine Güte! Gut, dass wir uns schon beraten hatten.“
„Ich bin jetzt 58. Wenn ich meine Stelle verliere, dann steh ich auf der Straße, oder im Arbeitsamt. Eigentlich wollte ich noch nicht in den Ruhestand gehen!“
Das Handy am Gürtel von Fred Gerber schnarrte, und beide Reporter nickten sich zu.
„Jetzt sind Sie dran, Gerber!“
„Gerber!“
„Ah! Guten Tag, Frau Horstmann.“
„Ja, das stimmt. - Ja, ich war da. - Ja. - Nein. - Verstanden. - Ja. - Auf Wiederhören, Frau Horstmann.“
„Puh! Fast wie bei Ihnen! Aber was soll´s, wir hätten´s ja sowieso nicht gebracht. Mensch hatten Sie einen Riecher!“
„Ich sagte ja vorhin, ich hätte die zweite Falle übersehen; haben Sie´s vergessen?“
„Nein - nein, aber wieso? Ich dachte wir hätten...“
„Wir hatten! Freiwillig! Ohne Einflussnahme! Redaktionsentscheidung, lieber Gerber!“
„Na und? Was hat sich daran geändert?“
„Alles! Jetzt versucht jemand von Außen die Redaktion zu manipulieren. Und das ist die Falle! Ich geh hinein, in die Falle. Wuttke wird gebracht!“
„Sie - Sie sagen das so locker! Aber ich bin verheiratet, hab ein zweijähriges Kind, den nächsten Urlaub gebucht, muss den Kredit für die Küche abbezahlen. Ich kann nicht! Mensch, ich finde auch nicht an der nächsten Ecke einen Job!“
Klaus Schmitz trank sein Glas leer und gab ein Zeichen zur Theke.
„Ich will zahlen; ich muss in die Redaktion; es wird Zeit. Und machen Sie sich keine Sorgen. Wir machen zwei Geschichten aus der Sache. Die Kinder-Prügel-Wuttke-Story und die Kinder-Vergewaltigung-Basten-Story. Jede Zeitung bringt eine Geschichte. Ich bin der Ältere, ich hab das Zugriffsrecht und nehme die Wuttke-Sache, Sie bringen nur die Basten-Kiste. Klar? Sollte jemand fragen, dann war das Strategie. Beide Geschichten sind so gut, dass wir sie auf zwei Zeitungen verteilt haben.“
„Das können Sie nicht machen!“
„Klar, kann ich das! Das Problem ist gelöst! Einen schönen Abend noch, Gerber! – Und grüßen Sie Ihre Frau von mir. Wir sollten uns mal zum Kaffee treffen.“
*
Sie waren müde, spürten die schmerzenden Beine. Sie saßen in einem alten Waggon, der knarrte und ächzte; an den Schienennähten schlug es hart durch, immer im gleichen Rhythmus. Das gewölbte Dach ruckte vor und zurück; es war heiß im Waggon, der voll besetzt war.
Anschikaija und Professor Boronow saßen nebeneinander und schauten aus dem verdreckten Fenster.
Der Zug hatte gerade den Bahnhof Orscha Central verlassen; es war nur noch eine halbe Stunde bis Smolensk, und die Luft roch schon nach Heimat, wie Anschikaija vor einiger Zeit schnüffelnd festgestellt hatte.
„Du riechst die schmutzige Luft der Chemiewerke von Orscha; du schmeckst den Staub unserer trockenen Felder! Aber, wem´s gefällt! Heimat ist eben Heimat“, hatte er lachend gesagt und sie wohlwollend an sich gedrückt.
„Ist deine Wohnung schön, Iljitsch?“, sagte Anschikaija, die ihren schmerzenden Rücken kaum noch bewegen konnte.
„Na ja! Wie die halt sind in der Großstadt.“
„Schöner als mein Haus?“
„Nein, nein! Alt, dreckig, ohne Sonne. Ich wohne im vierten Stock und schau auf eine alte Ziegelwand vom Nachbarhaus.“
„Pfui! Keine Sonne? Keine Schweine? Du mochtest doch die Schweine immer so gerne!“
„Nein, in der Stadt gibt es keine - und es ist einsam da; ich kenne nicht mal meine Nachbarn auf dem Flur, stell dir das vor!“
„Und da willst du bleiben, - Iljitsch?“
„Was soll ich machen? - Vielleicht? – Würdest du...? Hast du nicht Platz in deinem schönen, alten Haus, meine kleine Aja? Platz für einen müden Mann, der Heimweh hat?“
„Wollte ich gerade sagen! Platz ist immer. Wozu brauche ich soviel Platz, Iljitsch?“
„Nun, das ist gut! Es könnte doch sein, dass ich auf Besuch komme; oder dass ich Urlaub bei dir mache; oder dass ich frage, ob du jemanden brauchst, der dir hilft auf dem Hof – dies und das fertig macht.“
„Ja, das könnte sein. Und Platz ist mehr als genug. Ich könnte es etwas umstellen, und dann wär es ganz gemütlich für zwei alte Leute wie uns.“
„Ich käme am Morgen, und am Abend müsste ich zurück – oder am nächsten Tag?“
„Aber der weite Weg, Iljitsch! Es ist nicht gut, dieses Hin- und Herfahren - für so alte Knochen. Bleib lieber gleich ganz bei mir; du könntest das Dach reparieren – du weißt, es regnet rein. Und die Fensterrahmen müssten vor dem Winter noch neue Farbe haben. Machst du das?“
„Ja, Aja, das will ich machen.“
Sie saßen still und waren zufrieden. Die weite trockene Ebene zog vorbei, nur hin und wieder von kleinen Gehöften unterbrochen.
„Ich will ihr Geld nicht! Ich will es nicht! Es ist so, als sollte es ein Lohn sein. Ein Lohn für meine Dienste für Adolf, diesen Bauern Adolf. Nein, ich will es nicht!“
„Ja, du hast recht. Brauchen täten wir es zwar, aber wir schaffen es auch so, diese paar Jahre, die wir noch haben.“
„Der Frau, der habe ich verziehen, Iljitsch.“
„Welcher Frau hast du verziehen?“
„Der Frau, der Wilhelmine, die hat nur geschrieen und geschlagen, wenn er zu mir gekommen ist. Sie hat auch gelitten. Er war so stark; darum hat sie mich geschlagen und nicht ihn“, sagte Aja leise und weinte.
Sie saßen still, dicht nebeneinander, und Professor Boronow hielt die verschwitzte Hand von Anschikaija sehr fest. Der Zug rüttelte und schüttelte sie durch die weite Landschaft; der Horizont verschob sich nur sehr langsam.
„Es ist schön hier, in unserem weiten Land, Aja!“
„Ja, Iljitsch. Ich glaube, ich werde wieder weinen, wenn ich das Dach von meinem Haus sehe.“
„Ach ihr starken russischen Frauen! - Ihr mit eurem weichen Herzen!“
„Ja, ja, nur gut, dass wir so starke Männer haben!“, sagte sie lächelnd und sah ihren Cousin an.
„Ob die Saranka auf mich gewartet hat? Sie ist mal so mal so. Beim letzten Mal haben alle gesagt, es hätte noch lange Zeit – und dann warf sie in der Nacht. Na, jetzt wo du da bist, werden wir alles schaffen“, sagte Anschikaija Pawlowska leise.
 

Breimann

Mitglied
Rezension erwünscht

Ist niemand bereit, diese Erzählung zu rezensieren? Dann werde ich sie wohl wieder hier rausnehmen, denn sie braucht sicherlich noch ein Stückchen Überarbeitung.
eduard
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Eduard,

nun dümpelt deine Erzählung schon seit einigen Wochen unkommentiert vor sich hin. Mich würde interessieren, wieviel von denen, die hier bereits angeklickt haben, beim Lesen bis zum Ende gekommen sind. Wahrscheinlich keiner, denn wer hier durchhält, der müßte auch was anzumerken haben. Ja, ja - die Leselupenhektik! Und hektisch geht es in deiner Erzählung nur ganz selten zu. Die Geschichte kommt eher ziemlich breit und behäbig daher und ist vollgepackt mit wichtigen (aber auch weniger wichtigen) Details, was wohl den sehr umfangreichen Recherchen geschuldet ist. Ein bisschen fehlt es wohl an Tempo. Also nix für Diagonalleser? Stimmt, aber wenn man sich hinein liest, verfällt man automatisch dem vorgegebenen Rhythmus und vermag sich ihm auch nicht mehr zu entziehen - ohne, daß es gleich auffällt.
Wie fast immer bei deinen Geschichten hast Du ein brisantes Thema der Zeitgeschichte gewählt. Mit der von dir aufgegriffenen Problematik "Fremdarbeiterentschädigung" beschränkst Du dich aber nicht auf die heutige Situation, sondern spannst einen Bogen, der einen Zeitraum von rund 60 Jahren abdeckt. Nein - das kann man nicht auf fünf Seiten abhandeln. Wenn obendrein die Hauptperson eine einfache und langsam denkende russische Bäuerin ist, dann ist hektisches Agieren tatsächlich fehl am Platz.
Mich hat die Erzählung beeindruckt. Deine Aja finde ich besonders stark. Mit ihr vermittelst Du sehr viel von dem, was ich mir unter dem Begriff "Russische Seele" vorstelle. Besonders beeindruckend ist der Kontrast, der sich bei der Begegnung der ehemaligen russischen Zwangsarbeiter mit den deutschen Lehrern und Schülern ergibt. Da tun sich Welten auf, über die man ruhig mal nachdenken sollte.
Professor Boranow wird für meine Begriffe seiner Mittlerrolle zwischen Gegenwart und Vergangenheit nicht so ganz gerecht. Auch verfällt er mir zu oft in die Denk- und Sprechweise seiner Cousine Aja.
Alles in allem aber ein gelungenes Werk, an dem hier und da sicherlich noch ein wenig geschliffen werden könnte. (Besonders bei den Szenen aus dem Krieg) Doch an dieser Stelle auf all die Einzelheiten einzugehen, würde angesichts des Umfanges der Erzählung den hier gesteckten Rahmen sprengen. (Mail folgt)

Herzliche Grüße
Ralph
 

Breimann

Mitglied
Ja, es dümpelte

Lieber Ralph,
ich habe nicht zum ersten Mal daran gedacht, dass ich, mein Schreibstil, meine betuliche Art (kann ruhig auch konservativ genannt werden), nicht internettauglich sind. Nun bin ich ein alter sturer Esel und springe nicht gleich verschreckt aus dem Stall, wenn es mal knallt - und auch nicht, wenn es total still im Stall ist.
Ich hatte lange nichts mehr von dir gehört; wochenlang schien es den Ralph nicht zu geben. Deshalbb erschien die Geschichte mit dem letzten, dir bekannten Stand.
Danke für deinen Eonsatz!
eduard
 
R

Rote Socke

Gast
Bester Breimann,

ich oute mich hier mal als ein Leser dieser Erzählung, der nicht bis zum Ende durchgehalten hat. Es liegt daran, dass das Thema halt nicht mein persönliches Interessensgebiet berührt.
Was ich aber unbedingt loswerden muss. Diese Geschichte und der Schreibstil, sind mehr als Internettauglich. Das Ganze, (tschuldigung, hab's ja nicht ganz gelesen), ist meiner Meinung nach fast druckreif und wird diejenigen Leser sehr erfreuen, die gerne über diese Zeit, die Menschen und das Land lesen wollen.

Ich hoffe es sei mir verziehen, dass der Inhalt nicht mein Genre ist. Doch denke ich, dass ich mir das Urteil erlauben darf, dass die Schreibe in die Richtung eines "Großen Werkes" von hoher literarischer Qualität geht.

Ich wünschte, ich wäre bereits soweit!

Viele Grüße
Volkmar
 

Breimann

Mitglied
Ich bin platt

Hallo Volkmar,
du weißt als Autor, so gut wie ich, dass wir nicht nur schreiben, um was los zu werden (Psyche und so), sondern, das wir, sehr menschlich wohl, auch um des Beifalls willen zur Tastatur greifen. So soll es auch den wahren Künstlern gehen - sagt man.
Dein Lob - und ich wäge es sehr wohl ab - ist immer von Bedeutung gewesen, und darum hast du heute einem nicht gerade selbstbewussten Schreiberling ein paar gute Minuten geschenkt. Dazu kommt, dass ich gerade dabei bin, einige Stellen zu überarbeiten, zu glätten. Die fertige Geschichte werde ich dann aber nicht mehr in die LL stellen. Es gibt wohl eine kleine Chance, dass sie als Novelle gedruckt wird.
Ich wünsche dir ein gutes, gesundes und erfolgreiches Jahr
eduard
 
R

Rote Socke

Gast
Dann hatte ich doch richtig gelegen!

Ich ahnte ja, hatte es im guten Lesegefühl, dass diese Story zu mehr taugt als auf einer virtuellen Plattform zu versauern.
Es war schon länger her, wo ich mich eingelesen hatte, später weitergelesen hatte, dann aber aus besagten Gründen aufgehört hatte. Doch mein Urteil musste ich unbedingt loswerden.

Freut mich sehr, dass Du Verständnis hast, aber auch erkennst, dass mein Lob nicht nur dahingeplappert war.

Auch zu Dir ein schönes und erfolgreiches Jahr 2002 und eine baldige Veröffentlichung Deines Werkes.

Volkmar
 

Breimann

Mitglied
Was lese ich und warum?

Hallo Volkmar,
ich komme erst jetzt dazu, dir zu antworten.
Durch deine Erläuterungen in der srsten Stellungnahme und durch einige andere Stimmen (nicht in der LL) ist mir aufgegangen, das viele Leute, wohl als Folge der Überflutung mit Erzählungen, nur noch selektiv lesen. Sicher hat das Internet daran eine Portion Mitschuld. Früher ging man in den Buchladen und kaufte sich das, was einem wichtig und gut erschien - mit Fehlinvestitionen. Heute stürzen tausende Geschichten auf den Schreibtisch - kostenlos - und man wählt mühsam das aus, was einem gut und wertvoll erscheint. Soweit ein Erklärungsversuch.
Trotzdem fällt auf, dass ein Leseinteresse, das sagst du in etwa, da aufhört, wo dich die dargestellte Zeit, ihre Geschichte und die Menschen wenig oder nicht interessieren. Da spielt es dann keine bedeutende Rolle mehr, ob die Erzählung schwach, stark oder mittelmäßig geschrieben ist. Das Lesen an sich ist also nicht mehr das Wichtigste, sondern die Information in der Geschichte! Das genau ist aber ein anderer Fall, als der Eingangs erwähnte Überfluss. Ist das ein selbstgewähltes „Schmalspurlesen“? In einem anderen Fall war es z. B. die von mir geschilderte Auswirkung eines verknöcherten Katholizismus, die nicht interessierte, oder die Geschichte nicht nachvollziehbar machte – wegen mangelnder eigener Erfahrung.
Das, was ich hier schreibe, ist ohne Vorwurf, ohne Stirnrunzeln gedacht, sondern einfach eine Reaktion auf zufällig fast zeitgleich festgestellte Lesepraktiken. Darüber muss man als Autor nachdenken. Schreibe ich also künftig, um wertvolle Leser zu erreichen, nur noch zu sehr eingeschränkten Themen? Nehme ich darauf keine Rücksichten? Wie verhalten sich erfolgreiche Autoren in dieser Frage?
Ich habe mich selber geprüft und bin erstaunt, dass mich so eine Einschränkung nie befallen hat; ich lese „querbeet" – sozusagen. Ich habe mir deshalb noch einmal die Erzählungen von Siegfried Lenz heraus gezogen, die ich alle mehrfach gelesen habe, und festgestellt, dass mich manche Figuren wirklich nicht interessieren, sie mir im Denkansatz schon fremd sind. Trotzdem habe ich die Erzählungen – bis zum Schluss – mit Vergnügen und großem Interesse gelesen, weil mir ein neues Denken – auch ein mir fremdes – selbst neue Horizonte eröffnet.
Was also ist zu tun?
Ein etwas ratloser
eduard
 
R

Rote Socke

Gast
Lieber Eduard,

Deine Fragen und Überlegungen sind eine Diskussion allemal wert.
Zuvor möchte ich Dir aber einen Aspekt zu Bedenken geben: Aus den Reaktionen an Deinen Werken von Lupenusern, somit auch von mir, darfst Du keine allgemeine Formel ableiten. Das wäre Deinem Text gegenüber nicht gerecht.

Ich sage es mal anders herum: Zum Beispiel meine Lese/Schreibkonzentration geht mehr in die Richtung Afrika und Entwicklungshilfepolitik. Hier liegt mein Hauptmerk drauf und entsprechend wirst Du in meiner Bude auch dazu Bücher etc. finden. Die Lupe ist da eher für mich ein anderes Mittel zu einem anderen Zweck.
Doch ich weiß sehr wohl, nie werde ich einen großen Kreis an Lesern begeistern können mit Werken in der oben genannten Richtung. Selbiges bekommst auch Du zu spüren, zumindest hier auf der Lupe. Das aber, sollte Dich nicht abschrecken.

Noch etwas: Es gibt doch tausende von genialen Werken. Glaubst Du wirklich selbst der Typus Lesemensch der Dir vorschwebt, hätte alle geniale Werke gelesen? Nee auch dieser Lesemensch hat sich gezielt seine Themenlieblinge ausgewählt.

So sehe ich das Eduard
oder habe ich Deine Anmerkungen falsch verstanden und wir reden aneinander vorbei? Lass es mich wissen.

Herzliche Grüße
Volkmar
 

Breimann

Mitglied
Ist schon richtig so

Lieber Volkmar,
es stimmt sicher und in Wahrheit betreibt jeder eine Auswahl, ausgerichtet auf seine Schwerpunktinteressen.
Gleichwohl bleibt die Frage offen, wie weit man sich neben diesen Schwerpunktinteressen für andere Aspekte öffnen will und bereit zeigt. Nicht für alles und jedes, was sich anbietet; aber wie eng ziehe ich meine Grenzen?
Danke für deine Antwort und viele Grüße aus dem eisglatten Rheinland
eduard
 
R

Rote Socke

Gast
Zum Glück noch kein Glatteis im Hunsrück!

Lieber Eduard,
wollte nur noch anmerken. Allein um das sich öffnen wollen für Neues geht es auch nicht. Dazu bin ich immer bereit, andere wohl auch. Es ist auch oft eine Zeitfrage und das Setzen müssen von Prioritäten. Da schreibt man an eigenen Texten, arbeitet bei anderen mit, diskutiert usw., dann liegen E-Mails da die beantwortet werden müssen, Bücher die gelesen sein wollen/müssen... So wird die Zeit knapp. Und ja, ich gebe es zu. Wenn ich in der Lupe bin, konzentriere ich mich auf die kürzeren Sachen.

Aber wie gesagt, all das ist absolut wertfrei gegenüber der Qualität Deines Textes. Als Teenie habe ich mal "Die Nackten und die Toten" gelesen. Irgendwie erinnert mich Dein Schreibstil daran. Auch ähnliche berühmte Texte in diesem Genre klingen ähnlich Deiner Schreibe. Na ja, und das kann ja nur bedeuten: Der Breimann hat was drauf und solche Texte gehören in Bücher rein. Ob ich mir's dann kaufe ist ne andere Frage. Na ja, Deines würde ich mir kaufen, weil ich Dich kenne und Du mir sicher auch ein Autogramm rein schreiben würdest. Natürlich würde ich es auch lesen. Aber nicht hier und in dieser virtuellen Umgebung. Ein solches Buch liest man mit Muse und nicht am PC.
So war das gemeint. Andere sehen es vielleicht auch so.

Bis bald und frohes Schaffen
Volkmar
 

Breimann

Mitglied
Bin wieder da

Lieber Volkmar,
war leider einige Tage flach liegend, kann erst jetzt antworten. Du hast mir mit der Einordnung meiner Texte sehr viel Freude gemacht. Nie hatte ich das Bestreben, einem erfolgreichen Autor ähnlich zu sein, im Stil und im Ausdruck, Aber es färbt alles ab, was man mag und gerne liest. Das ist nur natürlich. Ich habe u. a. Siegfried Lenz "studiert" und nicht nur gelesen. Ich hatte dann Mühe, mich aus diesem Schreibstil zu lösen, den "Breimann-Stil" zu finden. Und doch bleiben Reste, das lässt sich bei einiger Selbstkritik feststellen.
Ich vergleiche das gerne mit der sprachlichen Anpassung, die fast jeder vollzieht, wenn er längere Zeit in einem bestimmten Sprachraum (Rheinland, Bayern) lebt. Ungewollt, manchmal unbemerkt, passt man sich an. Und da man seinen alten Sprachstil nie ganz ablegt, entsteht ein neuer, manchmal sehr interessanter Akzent
Wichtig erscheint mir, dass man seinem einmal gefundenen Stil treu bleiben kann, ihn nicht von Erzählung zu Erzählung wechselt.
Frohes Schaffen
eduard
 
R

Rote Socke

Gast
Ja Eduard,

Deine Ansichten über den Schreibstil teile ich voll und ganz.
Was mir bei Dir ja positiv aufgefallen war, dass der Schreibstil durchgehend stabil bleibt, egal an welcher Stelle ich mir eine Passage anschaue. Dies ist gerade bei längeren Werken nun wirklich keine einfache Sache und nicht zu vergleichen mit den Kurzgeschichten. Selbst da habe ich manchmal Probleme den Erzählstil beizubehalten. Dieser Stil muss wohl einfach in Fleisch und Blut übergehen.
Kannst Du in dieser Hinsicht Deinen eigenen Text überprüfen oder müssen das andere Personen bewerten, ob der Schreibstil durchgängig stabil ist im Text?

Schöne Grüße
Volkmar
 

Breimann

Mitglied
Stilfrage

Nein, Volkmar,
ich lasse viele Dinge durch Kontroll-Lesen überprüfen. Man wird ja schreibblind mit der Zeit - kann man auch leseblind nennen. Du schreibst "neimand" und dein Kopf korrigiert während des Kontroll-Lesens zu "niemand" - ganz automatisch. Das, und viele andere Tippfehler, dazu Wortwiederholungen und besonders schlimm, Logikfehler, fallen dem unbedarften Leser ja immer schneller auf, als einem selber.
Aber nie hat jemand meinen Stil korrigiert, ihn auf Einhaltung überprüft. Ich selber kann das auch nicht. Es ist nach einiger Zeit wohl eine Selbstverständlichkeit, formt sich gedanken- und auch absichtslos. Mindestens bei mir ist da so und deshalb profitiere ich auch nicht so besonders von Schreibwerkstätten, in denen solche Stilfragen ja bedeutend sind.
Vielleicht ist das ein Geschenk, jedenfalls kann ich mich auf den Inhalt konzentrieren. So kümmere ich mich ja auch nie während des Schreibens um Tippfehler oder andere Fehleingaben. Ich rase durch den Stoff, schreibe, denke mich während des Schreibens in die Figuren hinein, lese meine Notizen, recherchiere nach, schreibe, schreibe. Die Rechtschreibprüfung bleibt grundsätzlich ausgeschaltet. Am Abend, wenn der Rohentwurf steht, lasse ich die Korrekturprogramme laufen. Nichts soll mich ablenken, nichts anderes Platz haben. Das ist wie ein völliges Versinken im Stoff. Und der Schreibstil? Der ist vielleicht das Ergebnis dieses Arbeitsstils.
Viele Grüße
eduard
 

jorunn

Mitglied
Werter Herr Breimann,

ich habe ihre Geschichte gelesen - das erste Mal halb, das zweite Mal ganz und das dritte Mal wirklich interessiert. Meine Vorredner haben insofern Recht, dass eine umfangreiche Geschichte mit so vielen Hintergrundinformationen im internet sehr schwierig zu lesen ist - das fängt mit dem Curser und den unübersichtlichen Seiten an und so richtig gemütlich lesen kann man eh am Computer nicht.
Doch andererseits war diese Geschichte die erste, die ich in der LL gelesen habe (ich muss allerdings sagen, dass ich bei weitem nicht alle gelesen habe), die mich auch noch beschäftigt hat, nach dem der Computer ausgeschaltet habe.
Besonders köstlich -oder betrüblich - fand ich die Tatsache, dass beide Täter politisch engagiert waren - der eine in der CDU, der andere in der direkten Konkurrenz. Dass die Enkelin dann dazu auch noch mit grossem Einfluss in einer Zeitung sitzt, und das in einer Stadt wie Köln, und ausgerechnet die beiden menschen kommen, die die beiden identifizieren können - nun, das finde ich in einer Großstadt wie Köln doch etwas übertrieben. Allerdings kenn ich den Filz in Köln nicht, und Zufälle gibt es immer.
Was mich noch beschäftigt hat, bei näherem Überlegen. Aja ist wundervoll gezeichnet, eine einfache Frau, schlichtes Gemüt, zufrieden mit dem, was sie hat. Aber hat nicht auch eine einfache Frau, egal wie bescheiden sie ist, nicht irgendeinen Wunsch? Und wenn es nur ein Bild für die Wand oder ein neues Handtuch ist?
Beim professor stört mich allerdings mehrere Dinge, die mir auffallen. Erstens - wie einer meiner Vorredner bereits bemerkte - die ab und zu sehr einfache Denkweise dieses Genies. Und - wie hat er diese Bildung eigentlich erhalten? Er wohnte ja auch in Gurka, jedenfalls ist er da aufdgewachsen und wurde dort auch verschleppt. In Gurka gab es eine einfache, einklassige Schule. Wo hat dieser Junge die Weihen einer höheren Bildung erhalten? Als er aus dem Krieg kam, war er 17 jahre alt. Pflegeeltern, die er noch Vater - und vielleicht auch Mutter - nennt? Nach dem 2. Weltkrieg, wo es auch in Russland tausende von Waisen gab?
Vielleicht finden Sie, ich such in den krümeln - mag auch so sein, aber wenn ich anfange, über Figuren nachzudenken, fallen mir solche Dinge auf - und stören mich ungemein.
Und genau das ist das Gute an Ihrer Story - man denkt drüber nach.
MFG
Jorunn
 

jorunn

Mitglied
Kleiner Nachtrag

Ich entschuldige mich für die seltsamen Satzstellungen. Bin noch ein neues Mitglied und hab die Sache mit dem Veröffentlichen noch nicht so raus. Eigentlich wollte ich de Text nochmal durchlesen und verbessern ... irgendwas hab ich wieder falsch gemacht. Aber ich denke, verständlich isses trotzdem, oder?
Grosser Kotau,
Jorunn
 

Breimann

Mitglied
Gut gelesen

Ja, jorunn, das ist das Problem! Man kann solche Texte entweder hier nicht veröffentlichen, oder muss damit leben, dass viele ihn nicht angedruckt lesen. In diesen Fällen ist die Wirkung weg, der Bildschirm eignet sich nicht dazu. Kompliment also für das ausführliche Studium.
Zu den Anmerkungen: Die Geschichte spielt nicht in Köln, sondern in einer Kleinstadt bei Köln. Und in Kleinstädten ist eine solche Verzahnung sehr wohl denkbar.
Der Professor war ein kluges Kerlchen. Es hat auch hier im Rheinland einklassige Schulen gegeben bis weit nach dem Krieg. Und daraus sind tatsächlich Akademiker gewachsen! Die Förderung in Russland geschah, bei entsprechender Protektion und Vermögen, teilweise privat und zusätzlich in ausgezeichneten Schulen. Viele Russen waren durch den Krieg jahrelang an der Weiterbildung gehindert und haben eben später gelernt. Die Ausdrucksweise des Profs ist bewusst nicht abgehoben. Mit wem spricht er denn in der Hauptsache? Mit Aja, und mit der wird er so sprechen, wie es auf dem Land üblich war. Er kennt seine Aja und ihre Bildung!
Danke nochmals für die ausführliche Kommentierung - und das Kompliment
eduard
 

Breimann

Mitglied
Nachtrag

Hallo, jorunn, ich muss noch etwas ergänzen. Iljitsch ist die einzige real existierende Figur! Alle anderen Gestalten sind erfunden, oder weitgehend geändert. Bei Prof. Iljitsch stimmt seine gesamte Biografie, sogar sein Besuch in Deutschland, den ich selber erlebt habe. ich habe seine wunderbar einfache Art, seine gerade Erzählweise genossen. Deshalb musste er auch so sein, wie ich ihn geschildert habe. Ach, etwas habe ich natürlich geändert, seinen Namen.
Gruß
eduard
 

jorunn

Mitglied
Hallo, Herr Breimann,

tatsächlich? Dann ist er ja tatsächlich ein verdammt heller Kopf, das muss man sagen. ich hatte bei dieser "Kritik" halt die vielen. vielen Biographien im Kopf, die vielversprechend anfangen, "doch dann kam der krieg" - und als der aus war, da war der zug abgefahren, da war man zu alt, zu abgestumpft, zu träge, da wollte man "erstmal was aufbauen". Sie verstehen was ich meine? Wenn dieser Prof tatsächlich - trotz seiner alles andere als ermunternden Vorgeschichte - seinen Weg machen konnte, dann bitte ich um Verzeihung ob meines Mißtrauens.
Augenzwinkernd,
Jorunn
 



 
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