Ein neuer Job

Bonaventura

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Ich dachte an die vielen Besucher. Sie kamen Tag für Tag. „How do you like Nigeria? You are now a Nigerian, you know?” Konnte ich jemals eine Nigeria-nerin sein? Das praktische Tuch der Nigerianerinnen, den „wrapper“ jeden-falls trug ich gern. Mit beiden Händen hinter den Rücken halten und dann vorne über der Brust einmal nach links, dann nach rechts einschlagen. Oben den Rand ein wenig nach außen rollen. Johns Schwester hatte mir einen ge-schenkt. Auch die Bluse, die dazu gehörte, wenn man den wrapper bis zur Taille trug. Sie hieß Buba, war weit geschnitten und hatte einen großen Aus-schnitt. Die Luft zirkulierte durch die Ärmel. Ich liebte die bunten Stoffe mit ihren unendlich unterschiedlichen Mustern. Geometrisch, bestickt, Blumen, Tiere, Porträts von Berühmtheiten, dunkel, hell, durchbrochene Spitze, Da-mast, Baumwolle, alles. Morgens, den Tag über, nach dem Duschen, perfekt in der Hitze. Aber nur zu Hause. Bis jetzt.

Viele brachten Geschenke mit, Johns alter Trommellehrer Roberto hatte drei große Pappen mit fünf Dutzend frischen Eiern dagelassen, andere gaben Brot, Früchte, Bananen, Ananas. Die Kinder sprangen zum Kiosk um die Ecke und kauften Bier und Limonade, so daß der Haushalt gerüstet war. Unsere Fahrt nach Lagos Island fiel mir wieder ein. Dort hatten wir Johns Büro im “Daily Express” in der Apongbon Street besichtigt. Über die wackelige Holztreppe stiegen wir hinauf. Im Büro begrüßte uns ein schlanker junger Mann, Johns Chef. Durch das Fenster konnte ich den Hafen und das Hafenbecken erken-nen. Das Wasser glänzte dunkel. Die Kräne ragten in den Himmel, die Barkas-sen und Fähren pflügten durchs Wasser. Ich seufzte und dachte an Hamburg, das ich hinter mir gelassen hatte. Aber Heimweh hatte ich nicht, ich fand all das Neue aufregend und sehr interessant. Eine große Hilfe beim Einleben war Clement, der bei uns im Haus arbeitete. So eine Haushaltshilfe wurde in ganz Nigeria „houseboy“ genannt. Ein Relikt aus der Kolonialzeit war dieses Wort und bei uns war der Gebrauch verboten. Clement half bei allen notwendigen Aufgaben, die allererste: Wasser zu holen. Schon am ersten Abend war es ein ungewöhnlicher Anblick für mich gewesen, als Clement quer durchs Wohn-zimmer einen großen Zinkeimer schleppte, um ihn im Bad auszuleeren. Das Wohngebiet war wieder einmal trocken, Wasser wurde in Kanistern und Ei-mern herbeigeholt, die Toilette sogar mit Abwaschwasser gespült oder dem Spülwasser der Wäsche.
Dies konnte wochenlang so gehen. Auch in Lagos Island hatten wir viele Kin-der gesehen, die Kanister und Wassereimer schleppten, dies war ein alltägli-cher Anblick.
Mitten auf der Broad Street, überall war es so. Die Broad Street war die Hauptschlagader der Straßen von Lagos Island. Sie wurde gesäumt von Hochhäusern, Banken, Geschäften und Restaurants. Bog man dagegen in eine der kleinen Seitenstraßen ab, eröffneten sich dahinter mehrere Märkte, die in-einander übergingen, Lebensmittel, Stoffe, Haushaltsutensilien. Ich dachte an die Säuglinge, die unter den Tischen krabbelten, an die Mütter die ihnen den Morgenbrei in den Mund steckten. Auch stillende Frauen sah ich, die gleich-zeitig noch die Kunden ansprachen und bedienten. Darüber breitete sich die heiße Dunstglocke aus. Auf der Hauptstraße flatterten zwischen den hupen-den Autos Hühner, die die Straße überquerten und über die Abwässerkanäle flogen, auch mal eine kleine Ziege verirrte sich dorthin. “Schau’ Valeska, da ist das Goethe-Institut, euer Kulturpalast”, hatte John mich aufmerksam ge-macht. Ich schaute an dem Gebäude hoch, das stolz den Schriftzug “Igbinedi-on House” trug, den Namen des Besitzers. Dort lagen im ersten Stock die Bü-ros des Goethe-Instituts. “Wollen wir hineingehen?” fragte John, “Du könntest Dich mal bekanntmachen und sehen, was so angeboten wird”. „Das ist eine tolle Idee“ hatte ich geantwortet und zusammen waren wir die kühlen Mar-morstufen hinaufgestiegen, denn der Fahrstuhl war gerade defekt. Wir betra-ten die Eingangshalle durch die offene Tür. Sie war groß und bestuhlt und eingerahmt von Bücherregalen an der Wand, der Bibliothek. An einer Seite stand eine Tür offen, wir gingen hindurch und fanden eine blonde Dame, die an einem Schreibtisch saß und fragend aufblickte. Ich stellte mich vor und er-klärte, ich sei neu in Lagos. Nun trat ein Herr aus dem anderen Büro, lächelte und begrüßte uns sehr freundlich. Er war hochgewachsen, in einen blauen Tropenanzug gekleidet und bat uns in sein komfortables Büro, gekühlt durch die Klimaanlage. Es war der Direktor des Goethe-Instituts, Dr. Klatt. Ich er-klärte, daß ich Buchhändlerin sei und zuletzt beim Rundfunk in Hamburg ge-arbeitet hätte und nachfragen wolle, ob hier eine Vakanz sei? In der Tat, kam die Anwort, ab Januar wäre Bedarf an einer Schreibkraft und Hilfe in der Bib-liothek. Ich war begeistert. So einfach war das?
“Ja, wir werden alles abklären, ab Januar geht es bestimmt. Wo kann man Sie erreichen?”
“Telefonisch leider noch nicht, aber hier ist die Adresse”.
“Wir lassen es Sie wissen.”
“Ich freue mich sehr, vielen Dank, hier würde ich gern arbeiten. Könnte ich mich auch in der Bibliothek registrieren und etwas ausleihen?”
“Natürlich gern, Mrs. Ijeh wird das erledigen.”
Mrs. Ijeh lächelte einladend und nahm alle Daten auf. “Wann sind Sie denn hierher gekommen?” erkundigte sie sich. “Vor acht Wochen, aus Hamburg, und Sie? Wie lange leben Sie schon hier?” “Ich bin schon acht Jahre hier, aus Berlin”. “Auch während des Biafra-Krieges waren Sie in Nigeria?” fragte ich. “Ja, auch dann, mein Mann hat sich immer als Yoruba verkleidet, weil er Ibo ist, damit ihn niemand erkannte. Sie wissen ja bestimmt, daß die Ibos hier alle verfolgt wurden und sich verstecken mußten. ” Ich staunte, was hatte diese Familie wohl mitgemacht? Mrs. Ijeh lächelte geheimnisvoll und verschlossen. Mehr sagte sie nicht. Sie gab mir ein Pappkärtchen, “hiermit können Sie dann jederzeit Bücher ausleihen, aber bald werden Sie ja auch hier sein.” “Glauben Sie, es könnte klappen?” “Ganz bestimmt, das wird es.”
Wie auf Flügeln ging ich wieder in die Bibliothek und lieh die Reisetagebücher von Mary Kingsley aus. Diese englische Forscherin hatte im letzten Jahrhun-dert in Nigeria die Pflanzen und Insekten erforscht. Dann suchte ich noch eine Biographie über Mary Slessor, die schottische Missionarin, “God and one Redhead“. Sie hatte jahrzehntelang bei den Efik, einem Volk im Osten Nigeri-as, gelebt und gewirkt. Die Geschichtsbücher von Basil Davidson und Michael Crowther waren auch vorhanden. Damit konnte ich neue, wenn auch theoreti-sche Kenntnisse über Nigeria erwerben.
Wir verabschiedeten uns von Dr. Klatt und Frau Ijeh und verließen das Goe-the-Institut. Die vielen leeren Stühle in der Halle waren inzwischen besetzt. Hauptsächlich Männer, junge und alte, saßen dort ruhig und hielten ihr Mit-tagsschläfchen, es war ja so schön kühl unter der Klimaanlage. Wo sollten sie auch sonst gemütlich eine Pause verbringen? Nur große Firmen besaßen Kan-tinen. Hier war jeder Arbeiter auf sich selbst angewiesen. Keine Aufenthalts-räume oder organisierte Mahlzeiten gab es. Sie saßen meistens in den “Bu-kas”, einfache Imbißbuden mit einheimischem Essen und Snacks, in der Hitze, und ohne Kühlung.
Ich konnte einfach nicht schlafen. Die vielen Eindrücke, die ständig auf mich eingeströmt waren, ließen mich auch nachts nicht los. Zu unterschiedlich war das Leben in den Tropen, in der Hitze, die Umstände waren so ungewohnt, ohne Wasser, oft ohne Strom, der Verkehrslärm, das ständige Hupen, die lan-gen Schlangen im Stau, die Langsamkeit der Ämter, z. B. auf der Post, bei der Führerscheinstelle, wo Johns Führerschein umgeschrieben werden mußte.
Es war kurz vor Morgengrauen. Tatsächlich krähte draußen schon ein Hahn, das untrüglichste Zeichen überall auf der Welt, daß ein neuer Tag begann.
 
J

jan-muennich

Gast
eine einfühlsame beschreibung der fremde, auf jeden fall spannender inhalt und gut zu lesen.
vielleicht könnte man noch mehr aus dem thema machen, wenn es denn halbwegs der realität entnommen ist?

jan münnich
 

Bonaventura

Mitglied
Antwort auf Beurteilung "Ein neuer Job"

Danke Jan, für diese Einschätzung.
Das Thema ist nicht halbwegs sondern ganz der Realität entnommen. Was meinst Du mit "mehr daraus machen"?
Grüße
Bonaventura
 



 
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