Ein neuer Job

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Raniero

Textablader
Ein neuer Job

Michael Roggensack schaute auf die Uhr. Gott sei Dank, bald Feierabend.
Zaghaft klopfte es an der Tür.
‚Der letzte für heute’, sagte er sich mit einer gewissen Erleichterung.
„Herein!“
Vorsichtig wurde die Tür geöffnet, und auf der Schwelle zeigte sich ein Mann mittleren Alters, gepflegtes Äußeres, ganz in Schwarz gekleidet.
‚Endlich mal wieder einer mit Manieren’, dachte Michael, ‚bei dem ganzen Volk, was sonst hier aufkreuzt; aber wahrscheinlich kann ich auch für ihn nichts tun.’
„Treten Sie ruhig näher, hier beißt keiner“, forderte er den Besucher auf.

Michael Roggensack war Sachbearbeiter im Arbeitsamt, und in dieser Position so einiges gewohnt, an Frust, Wut und ähnlichen unerfreulichen Begleiterscheinungen, die seine Tätigkeit bei den Heerscharen von Arbeitslosen im Lande mit sich brachte.
Die meisten seiner Klienten jedoch, die da auf Jobsuche bei ihm vorsprachen, taten ihm ehrlich leid, und er stand ihnen grundsätzlich positiv gegenüber, nicht zuletzt, weil er ihnen unter anderem seinen krisenfesten Job verdankte.
Es waren allerdings auch einige dabei, die einem Sachbearbeiter beim Arbeitsamt absolut nicht zur Freude gereichten, sondern ihm und seinen Kollegen das Leben schon zur Hölle machen konnten.
Doch das waren gottlob eher die Ausnahmen, und Roggensack zeigte sich ein jedes Mal erleichtert, wenn er einen von den guten Arbeitssuchenden, wie er sie nannte, vor sich hatte, einen, der trotz seines schweren Loses noch nicht alle Manieren verloren hatte.
‚Dieser da’, sagte er sich, ‚scheint einer von den Guten zu sein; Firma pleite gemacht, unverschuldet die Arbeit verloren, und jetzt in einem Alter, wo er nicht mehr vermittelt werden kann.’
„Nehmen Sie Platz“ forderte er ihn höflich auf, „mein Name ist Roggensack, was kann ich für Sie tun?“

Der Besucher stellte sich ebenfalls vor.
„Mein Name ist Lux, Achim Lux; ich bin seit kurzem arbeitslos, man hat mich entlassen, und nach längerer Überlegung habe mich aufgerappelt, salopp gesagt, hierher zu Ihnen, obwohl ich relativ wenig Hoffnung habe, etwas Adäquates zu finden.“
„Nun mal langsam mit den jungen Pferden“, gab Michael sich väterlich, „warum denn gleich so schwarz sehen? Noch ist nicht aller Tage Abend. Wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht doch was für Sie tun können. In welcher Branche haben Sie denn zuletzt gearbeitet?“
„In einer ganz schwarzen Branche, ganz, ganz schwarz.“
„Ich befürchte, ich kann Ihnen da nicht so recht folgen; was soll das heißen, ganz schwarze Branche? Was sind Sie denn von Beruf?“
„Exorzist.“
„Wie bitte? Was sind Sie?“
„Exorzist.“


Michael Roggensack fiel der Unterkiefer herunter.
‚Doch nicht einer von den Guten’, dachte er. ‚verdammt noch mal, warum stellt unser Amt keine Psychologen ein, wie oft habe ich das schon angeregt, aber nein, es fehlen immer die Mittel.’
Er wusste nicht so recht, wie er anfangen sollte.
„Gehe ich recht in der Annahme“ begann er behutsam, „ich meine, habe ich richtig verstanden, oder besser gesagt, haben Sie eigentlich verstanden, was ich gefragt habe?“
„Natürlich! Sie fragten mich nach meinem Beruf, und ich habe Ihnen geantwortet, ohne Umschweife.“
„Das haben Sie getan, in der Tat, ohne Umschweife.“


Der Sachbearbeiter des Amtes begann zu schwitzen, obwohl die Klimaanlage einwandfrei funktionierte.
„Ich bin Exorzist von Beruf, mit doppeltem Staatsexamen“, fuhr der Besucher fort, „ein Sachverständiger in allen Fragen fachgerechter Teufelsaustreibung.“
„In allen Fragen fachgerechter Teufelsaustreibung“, wiederholte der Sachbearbeiter ungläubig, „wollen Sie allen Ernstes behaupten, Sie seien Exorzist? Ja, um Himmelswillen, gibt’s denn überhaupt noch welche, in der heutigen Zeit?“
„Um Himmelswillen“, gab der ungewöhnliche Stellungslose zurück, ein wenig gequält, wie es schien, „das ist das Stichwort; ja, gerade deshalb existieren sie ja, um des Himmels Willen. Allerdings ist es heutzutage schon ein sehr karges Brot, das kann ich Ihnen versichern. Dieser Job ist absolut nicht mehr das, was er einmal war. Ach, wissen Sie, damals, zu den Glanzzeiten des Exorzismus, als Hochkonjunktur herrschte, brauchte keiner von uns einen Gang zum Arbeitsamt zu befürchten, im Gegenteil, da war Vollbeschäftigung angesagt.“
„Damals? Wann meinen Sie, wann soll das gewesen sein, wann herrschte Hochkonjunktur, in ihrer Branche?“
„Nun“ räumte der Exorzist ein, „das ist schon eine Weile her, so ein paar Jahrhunderte; zu der Zeit gab es wahrscheinlich noch gar keine Arbeitsämter.“
„Zu der Zeit wahrscheinlich noch nicht“, wiederholte Michael Roggensack und begann sich zu fragen, was zum Teufel er da gerade eigentlich tat.
Er, der Sachbearbeiter des Arbeitsamtes, dessen vornehmste Aufgabe es war, Arbeitssuchende zu beraten und dafür zu sorgen, dass diese von der Straße kamen, gewissermaßen, schwadronierte mit einem völlig Unbekannten über eine Branche, die er ebensowenig kannte und die zur Zeit in Schwierigkeiten steckte, die jedoch zu Zeiten, als es noch gar keine Arbeitsämter gab, Hochkonjunktur hatte.
War er denn von allen guten Geistern verlassen, oder gar selbst vom Teufel…
„Nun aber mal im Ernst“, gab er sich einen Ruck, „was soll das Ganze. Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass Sie hier auf Arbeitssuche sind. Als hauptberuflicher Exorzist? So was ist mir ja noch nie untergekommen.“

„Aber warum regen Sie sich denn so auf, verehrter Herr Roggensack?“ gab sich der Arbeitssuchende gelassen. „Zweifeln Sie etwa an meiner Seriosität? An meinen redlichen Absichten? Ich bin in der Tat hier, weil ich Arbeit suche, in einem hochanständigen Beruf. Diesen Beruf gab’s schon in der Antike, und er hat sich bis heute erhalten, wenn auch zuweilen einigen zeitbedingten Schwankungen unterworfen. Doch mittlerweile ist es ein stinknormaler Lehrberuf geworden, mit Gesellen- und Meisterprüfung, Berufs- und Dachverband, und gewerkschaftlich organisiert sind wir auch. Was haben Sie an meinem Berufsbild auszusetzen?“

Michael Roggensack geriet noch mehr ins Schwitzen.
Was der Mann sagte, war nicht von der Hand zu weisen.
In der Tat war dieses Gewerbe schon sehr alt, vielleicht sogar noch älter als dasjenige, das gemeinhin als das älteste der Welt bezeichnet wird. Und hatte sich dieser Berufszweig nicht sogar bis in die heutige Zeit erhalten oder zumindest hinübergerettet?
Darüber hinaus war er mittlerweile, man höre und staune, zum Lehrberuf aufgestiegen und die Ausübenden desselben sogar gewerkschaftlich organisiert, es gab sogar einen Dachverband, was wollte man mehr?
Die Tatsache, dass bei ihm bis dato noch kein Arbeit suchender Exorzist vorgesprochen hatte, besagte nicht automatisch, dass es derartige Arbeitslose heutzutage nicht gäbe.
Vielleicht standen sie ja schon Schlange, bei anderen Ämtern in anderen Städten.
Ob er nicht doch einmal bei den Kollegen dort nachfragen sollte?
Umgehend verwarf er diesen Gedanken, denn war sich nicht sicher, wie die Reaktion ausfiel, wenn er sich bei den Kollegen erkundigte, ob sie arbeitlose Teufelsaustreiber auf ihrer Liste hätten.
Stattdessen beschloss er, zuerst Rat bei seinem Chef einzuholen, in diesem verzwickten Fall; wozu sind Chefs schließlich sonst da?
Fein säuberlich notierte er die persönlichen Daten des Exorzisten und vertröstete ihn auf einen späteren, noch festzulegenden Termin.

„Entschuldigen Sie, Herr Lux, im Augenblick kann ich Ihnen da nicht weiterhelfen“, beschied er dem Suchenden und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ich muss ehrlich sagen, dass ich von dieser Situation mehr als überrascht bin, denn ein Arbeitssuchender mit Ihrem Berufsbild, das erleben wir hier nicht alle Tage, oder besser gesagt, das ist, solange ich mich erinnern kann, hier bei uns überhaupt noch nicht vorgekommen. Ich werde mich da erst einmal gründlich informieren, in dieser Sache, hier im Hause und außerhalb. Sie hören von mir!“


Zwei Tage später bereits erhielt Achim Lux, der stellenlose Exorzist, Nachricht vom Arbeitsamt.
Wie auf Flügeln eilte er dorthin.
Mit breitem Lächeln empfing ihn Michael Roggensack in seinem Büro.
„Ich hätte da vielleicht doch was für Sie, Herr Lux. Ein Job, der Ihnen gefallen wird, vorausgesetzt, Sie sind damit einverstanden, Ihr Berufsbild, wie soll ich sagen, etwas weniger eng zu fassen, nun ja, ein wenig freier zu interpretieren.“
„Ein wenig freier zu interpretieren“, zog der Exorzist eine Augenbraue hoch, „wie habe ich das zu verstehen, Herr Roggensack?“
„Ganz einfach. Ihre Aufgabe besteht doch darin, wenn ich es richtig verstanden habe, den Menschen etwas auszutreiben, nicht wahr? Das beherrschen Sie doch aus dem Effeff. Stellen Sie sich vor, man sucht tatsächlich einen Experten in dieser Branche, einen Fachmann wie Sie, mit ausgezeichneten Kenntnissen im Austreiben jeglicher Art.“
„Und was wäre das, was ich austreiben soll?“
„Den Aberglauben, lieber Herr Lux.“
„Den Aberglauben, nicht den Glauben?“
„Eine ausgezeichnete Frage, Herr Lux, wie ich sehe, sind Sie ein kleiner Visionär. Nun, ja, den beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten sind da keine Grenzen gesetzt, doch fangen Sie erst mal mit dem Aberglauben an. Wann können Sie beginnen?“
„Sofort.“
„Na, vorzüglich. Es wartet viel, sehr viel Arbeit auf Sie. Hier ist die Telefonnummer. Ich habe Sie da schon avisiert.“
„Ich danke Ihnen von Herzen, Herr Roggensack. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell klappen würde. Eine Frage hätte ich aber noch.“
„Fragen Sie!“
„Na ja, wie soll ich es ausdrücken? Nachdem ich sozusagen im Unfrieden von meiner alten Firma geschieden bin, wer wäre denn eigentlich mein neuer Auftraggeber?“
„Einen Augenblick, das haben wir sofort. Ach, ja, eine Gesellschaft namens RATIO. Vereinigung vernunftgemäß handelnder Menschen e.V. Klingt doch gut, nicht wahr?“
„In der Tat, das klingt vernünftig.“
„Nun habe ich aber meinerseits auch eine Frage, Herr Lux. Sie sprachen von Ihrer alten Firma. Meinen Sie diese mit dem Hauptsitz in Rom?“
„Jawohl, da sitzt der stellvertretende Direktor. Von ihm persönlich habe ich meine Kündigung erhalten.“
„Und der Direktor selbst?“, wollte Michael Roggensack wissen und wies unwillkürlich mit dem Daumen an die Decke, „wie hat der sich dazu geäußert?“
„Der hält sich, wie immer, aus dem Tagesgeschäft heraus. Unbestätigten Gerüchten zufolge aber hält er nichts von Exorzisten.“
Dem Sachbearbeiter des Arbeitsamtes fiel erneut der Unterkiefer herunter.
„Er hält nichts von Exorzisten? Ja, um Himmelswillen, warum lässt er sie denn dann überhaupt zu?“
„Na, ja, irgendwie muss er die Menschen doch beschäftigen.“
„Donnerwetter“, schmunzelte Michael Roggensack, „darauf wäre ich im Leben nicht gekommen. Wie dem auch sei, ich wünsche Ihnen alles Gute für die neue Stelle bei der RATIO.“

Im gleichen Augenblick klingelte das Telefon.
„Sie entschuldigen, Herr Lux, ich gehe mal eben dran. Roggensack am Apparat. Ach Sie sind’s, Herr Direktor.“
Es folgte ein längeres Telefonat, bei dem sich Michael Roggensack damit begnügte, einsilbig zu antworten.
„Jawohl, Herr Direktor. Wenn Sie meinen, Herr Direktor. Selbstverständlich, Herr Direktor.“
Zum Schluss legte er mit den Worten: „Werd’ ich ihm sofort ausrichten, Herr Direktor“, den Hörer auf.

Der Sachbearbeiter atmete tief durch.
„Gut dass Sie noch da sind, Herr Lux. Das war gerade mein Chef, am Telefon.
Er hat soeben einen Anruf erhalten, von einer anderen Firma. Ein marktführendes Unternehmen, ein Branchengroßer, sucht dringend Exorzisten mit langjähriger Berufserfahrung, wie geschaffen für Sie. Dort herrscht derzeitig nämlich Hochkonjunktur mit Bedingungen, wie sie besser nicht sein könnten, für einen solchen Job; Bedingungen, wie im Mittelalter, was will man mehr. Sie könnten sofort anfangen, wenn Sie wollen.“
Achim Lux blickt ungläubig sein Gegenüber an.
„Das klingt ja wirklich verlockend. Damit hätte ich nicht mehr gerechnet.“
Dann legte er seine Stirn in Falten.
„Doch auf der einen Seite, was das andere Angebot betrifft, von dem Sie sprachen…“
„Sie meinen die menschliche Vernunft? Die muss halt warten, daran hat sie sich schon gewöhnt, im Laufe der Jahrhunderte.“
 
Nachdem ich beruflich viel mit den Herrschaften der genannten Behörde zu tun habe, musste ich bei den Bildern in meinem Kopf schallend lachen - find' ich absolut klasse!
LG
 

Raniero

Textablader
Hallo Iris,

vielen Dank für Deine Zuschrift.
Freut mich, dass Dir die Story gefallen hat.

Es gibt sie noch, oder schon wieder, in der Tat, diese merkwürdigen Kameraden, und sie werden nicht nur in Bayern geschätzt.:)

Gruß Raniero
 



 
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