Ein unerwarteter Fund in der Wald-Wildnis (um 1795)

3,50 Stern(e) 2 Bewertungen

flying theo

Mitglied
Damit wir noch etwas Pottasche bekamen bevor der Winter herein brach, mussten wir schleunigst zu Sieden anfangen. Am nächsten Morgen wollten wir aufbrechen, um den Tiegel herüber zu bringen. Das würde ein böses Stück Arbeit werden. Wir mussten dazu eine Art Schlitten bauen und das gute Stück hinter uns herziehen. In diesem Urwald würden wir damit unsere liebe Not haben. Aber was blieb uns anderes übrig?
Am nächsten Morgen waren wir beizeiten unterwegs zu den Hängen des Kolmstein. Ein Beil, Darmschnüre und einen Stechbeitel nahmen wir mit, um den nötigen Schleppschlitten vor Ort zu bauen. Die Beiden berichteten mir unterwegs, dass sie beim Aschenbrennen keiner Menschenseele begegnet seien. Kein Zöllner hatte sich die Mühe gemacht nachzusehen, wer da oben im Wald Holz abbrannte. Aber auch die künischen Freibauern, deren verbrieftes Eigentum die Gegend war wo wir brannten, kümmerten sich um unsere Tätigkeit offenkundig herzlich wenig. Nun, wie ich schon dem Heinrich erklärt hatte, nahmen wir niemandem etwas weg, das dieser gerne selber genutzt hätte.
Anhand meiner Markierungen fanden wir ohne Umwege zu der Höhle, die mir als Unterschlupf gedient hatte. Ich war schon neugierig, ob wir das Reh vorfinden würden, das ich vor der Höhle hatte hängen lassen. Mein erster Blick dort suchte sofort den Baum, das Reh war weg! Keinerlei Spuren eines Tieres, das möglicherweise daran gekommen war. Aber ein Stein, der mir vor der Höhle als Sitzgelegenheit gedient hatte, war weggerollt worden. Irgend jemand hatte ihn genau an die Stelle gewälzt, wo das Reh gehangen hatte. Das Gras hatte sich inzwischen zwar wieder aufgerichtet, aber unter der Grasdecke fanden sich zerdrückte kleine Äste und die Kanteneindrücke des Steines, so dass sich die Wälzspur gut verfolgen ließ.
„Das muss eine kleine Person gewesen sein,“ meinte der Heinrich. „Wie kommst du denn da drauf?“ fragte der Sepperl. „Wenns ein Großer gewesen wär, hätt er den Stein nicht gebraucht um das Reh herunter zu holen!“ Das war eine vernünftige Erklärung. Aber wo war der geheimnisvolle Esser hergekommen? Nun, das sollte nicht unsere dringlichste Aufgabe sein. Wir zogen los um das Material für unsere Transportschlitten zusammen zu suchen. Das heißt, der Sepperl blieb bei der Höhle. Wir mussten wenigsten einmal übernachten, und dafür war einiges herzurichten. Außerdem waren wir auf den unbekannten Besucher neugierig. Womöglich ließ er sich wieder blicken.
Ich hatte das Beil an mich genommen. Damit wollte ich zwei junge Stämme hauen, die möglichst schon krumm gewachsen waren. Sie würden die Kufen für unser Transportmittel abgeben. Der Heinrich wollte mit seinem Messer für die Äste sorgen. Daraus konnten wir dann die Verbindungs-stangen schneiden, die die nötige Stabilität und Steifheit schaffen sollten. Die Suche gestaltete sich gar nicht so einfach. Zwei möglichst gleich gewachsenen, krumme Hölzer sind in der Vielfalt der Natur kaum je nebeneinander zu finden. Aber schließlich passten doch zwei einigermaßen zusammen und so machte ich mich wieder auf den Rückweg. Ein Glück, dass die Wege markiert waren. Ich hätte mich todsicher verlaufen. Der Heinrich war schon zurück und dabei die Äste zurecht zu schneiden. Sepperl hatte ein Feuer gemacht. „Meinst´ es lohnt sich, auf die Pirsch zu gehen?“ fragte er. „Ich glaub nicht,“ gab ich
zurück, „aber ich werd´ die Schlingen kontrollieren, die ich in den letzten Tagen ausgelegt hab, vielleicht hat sich darin etwas verfangen. Dann kannst du deine Kochkünste unter Beweis stellen.“ „An dem Sepperl ist ein Koch verloren gegangen,“ pries der Heinrich die Kochkünste des Jüngeren. „Der kann´s fast so gut wie die Mutter!“ Na, das sollte mir recht sein. Mit meinen Kochkünsten war nicht viel Staat zu machen. Es war halt zum Sattwerden. Auf meinem Kontrollgang zu den Schlingen konnte ich immer wieder nur erstaunt den Kopf schütteln. In zweien der Schlingen hatte sich ganz zweifellos ein Tier verfangen. Das war unschwer fest zu stellen. Aber die Schlingen waren leer, und ungeschickt wieder auf die Hölzchen gelegt worden. Auch hier hatte sich jemand mit Nahrung versorgt. Erst an der siebten Schlinge hatte ich Glück. Ein Haselhuhn war in die Falle gegangen. Ich löste es aus der Schlinge und legte diese wieder aus. Das Huhn konnte noch nicht lange in der Falle gewesen sein. Es war noch warm. Na ja, der Sepperl würde froh darüber sein, so ließ es sich wenigsten ohne große Mühe rupfen. Zwar ergab der Vogel natürlich keine komplette Mahlzeit für uns drei, aber doch eine willkommene Ergänzung zu den gewohnten Graupen.
An unserer Höhle angekommen, machte sich der Sepperl auch gleich über meine Beute her. Heinrich und ich werkelten an unserer Schlittenkonstruktion. Das war im Prinzip eine einfache Geschichte. Die Stämmchen, die ich gehauen hatte waren von eine schwachen S-Form, die wir so miteinander verbanden, dass einer von uns sie vorne auf seine Schultern legen konnte. Das hintere Ende sollte auf dem Boden schleifen. Die beiden Anderen würden den Schlitten an den überstehenden Ästen rechts und links ziehen – und bei Bedarf auch tragen. In der Mitte konnten wir den Tiegel festzurren.
Sepperl rief uns zum Essen, als wir justament auch mit dem Schlitten fertig waren. Hungrig machten wir uns über des Bruders Kochergebnisse her, und ich musste zugeben, dass der Heinrich keineswegs übertrieben hatte, als er des Sepperls Kochkünste anpries. Es schmeckte uns allen vorzüglich.
Am anderen Morgen führte ich die Beiden zu der Stelle im Himbeergestrüpp, wo ich den Tiegel entdeckt hatte. Niemand hatte ihn zwischenzeitig ausgegraben. Also machten wir uns daran. Das Erdreich war locker und so dauerte es nicht lange, bis wir das Gefäß im vollen Umfang freigelegt hatten. Das war schon ein rechtes Ungetüm und ich dachte voller Respekt an den Vogl von Kümmersdorf, der das Ding ganz alleine hierher geschafft hatte. Weil wir den Tiegel nicht frei herausheben konnten – dafür hätte man wohl eine Art Kran bauen müssen – gruben wir eine schiefe Ebene zu dem Eisenkessel hinab und rollten ihn schließlich mit vereinten Kräften heraus. Während ich mich beim Festbinden des Kessels zu dem Schlitten hinunter bückte, fiel mein Blick durch meine gespreizten Beine auf das Gebüsch am Waldrand hinter mir. Der stand, wegen meine verkehrten Haltung gewissermaßen „auf dem Kopf“. Aber vielleicht gerade deswegen bemerkte ich eine Bewegung, einen hellbraunen Fleck im Gebüsch.
„Macht einstweilen weiter, ich verdrück´ mich einmal kurz.“ Murmelte ich meinen Brüdern zu. Dann richtete ich mich auf und bog das Kreuz durch, so als müsste ich mich von der Tätigkeit einmal kurz erholen und schlenderte in entgegen gesetzter Richtung auf den Wald zu. Kaum war ich von der Lichtung nicht mehr zu sehen, bog ich nach links ab, um im weiten Bogen von hinten an das Gebüsch heran zu pirschen, in welchem ich diese Bewegung gesehen hatte. Wenn es darauf ankam, konnte ich mich bewegen wie eine Katze. Lautlos kam ich an das Dickicht heran. Tatsächlich, da zeichnete sich im Blattgewirr eine schmächtige Gestalt ab. Vorsichtig schlich ich näher. In das Gebüsch selber konnte ich kaum eindringen, ohne bemerkt zu werden. Deshalb brach ich kurzerhand mit drei Sätzen in das Gesträuch ein. Die Gestalt fuhr herum und riss abwehrend den Arm hoch. In der Hand blitzte ein Messer auf. Mit einem seitlichen Hieb wischte ich die Messerhand weg, bekam das Handgelenk zu fassen und drückte ordentlich zu. Dann packte ich die Gestalt um die Hüften und zog sie aus dem Gebüsch. Mit einem Wehlaut ließ der Unbekannte das Messer fallen.
„Na, wen haben wir denn da?“ sagte ich und stellte den Fremden auf die Füße. Ach du lieben Gott! Das war ja ein Mädel! Arg zerzaust und ein bisschen verwahrlost.
„Brauchst keine Angst zu haben, „ sagte ich „ich tu dir nichts, ich war nur neugierig, wer uns da beobachtet.“ Sie sagte nichts und starrte nur trotzig auf den Boden. Mir ging ein Licht auf!
„Haben der Has´ und das Reh geschmeckt?“ Sie schaute zu mir hoch. Unter dem wirren Braunhaar blitzten zwei große grüne Augen hervor. „Werd´s schon bezahlen!“ Stieß sie , noch ganz außer Atem, hervor. „Das hat keine Eile“ sagte ich „komm meine Brüder sind auch schon neugierig, wer da im Wald so hungrig ist. Brauchst´ keine Angst zu haben. Die tun dir auch nix!“ Ich schaute mir das junge Ding etwas genauer an. Das Mädel mochte so zwischen sechzehn und zwanzig Jahre alt sein, so genau ließ sich das im ersten Anschein nicht sagen. Sie trug eine weite Männerhose, die sie über den Hüften zusammen gebunden haben musste. Sonst hätte sie das Kleidungsstück gewiss verloren. Darüber eine lange Lodenjacke, der man ansah, dass sie schon längere Zeit keinen Kleiderschlank mehr gesehen hatte. Ein Mädel in Hosen!
Das war mir auch noch nicht begegnet. Sie stand bockig noch immer an der gleichen Stelle. „Na komm, wir fressen dich schon nicht.“ Ich fasste sie am Ärmel, der ihr auch viel zu weit war. Sie riss sich sofort los. „Lass mich geh´n“ fauchte sie „ich geh hin wo ICH will!“ Mein Gott, das war ja eine richtige Wildkatze. Ich ging zurück zum Gebüsch. „Wenn´st davon rennen willst, is´ mir egal,“ ich lachte sie an „ich lauf sowieso schneller als du.“ Sie blieb auf der Stelle stehen. Ich bückte mich nach dem Messer, das sie verloren hatte und brachte es ihr. „Da, dein Messer. Das könnt auch einmal eine ordentliche Schneid´ brauchen.“ Ich hielt es ihr hin. Es war ein Küchenmesser, das schon lange nicht mehr mit einem Wetzstein zusammen gekommen war. „Dem tät schleifen not“, sagte ich, „da hast´ es wieder.“ Sie schaute mir aufsässig in´s Gesicht. „Wenn´s dir nicht passt, dann schleif´s halt,“ maulte sie. „Das kannst haben,“ erwiderte ich, „aber dann musst schon mitgehen.“ „Also“ fauchte sie, „auf was wart´sd dann?“ und setzte sich in Bewegung. Da soll einer aus Weibsbildern schlau werden. Jedenfalls gingen wir zurück auf die Lichtung.
„Öha“ rief der Sepperl, „Heinrich schau, was uns der Johann da mitbringt!“ Die Beiden hatten wohl gehört, dass sich dort im Busch was getan hatte, konnten uns dahinten aber nicht sehen. Eingreifen brauchten sie nicht, denn dann hätte ich sie schon zu Hilfe gerufen.
Nun stand das Mädel vor uns und musterte uns mit einer Mischung aus Angst und Neugier. „Das sind der Heinrich und der Sepperl. Ich bin der Hans. Aber das hast´ ja schon g´hört.“ So stellte ich uns vor. „Wer bist du denn?“ Fragte ich. „Ich bin die Bärbel,“ erklärte sie kurz angebunden, so als wäre es ganz selbstverständlich, dass ein junges Mädel sich hier im tiefen Urwald herumtreibt. „Ja um Himmels Willen, was machst du denn hier im Wald, Bärbel.?“ Fragte ich und bekam prompt eine patzige Antwort. „Ich hab euch auch nicht gefragt, und es geht euch auch nix an!“ Ich schüttelte den Kopf vor so viel Dreistigkeit. „Magst schon recht haben, dass uns das nichts angeht. Ich frag auch nicht aus Neugier. Aber wenn jemand anderer Leute Hasen vom Baum stiehlt, dann könnt´s sein, dass er Hilfe braucht. Und deshalb frag´ ich.“
„Dann seid ihr wohl die drei Nothelfer, die mir der Himmel geschickt hat?“ Das freche Ding wurde mir jetzt zu dumm. Ich drehte mich zu meinen Brüdern. „Heinrich, nimm du den Schlitten vorn, wir lösen dich dann ab.“ Ich beachtete die Kleine nicht mehr. Der Sepperl schaute auf das Mädel, dann auf mich, dann wieder auf das Mädel. Es ging ihm nicht in den Kopf, dass wir uns um die Kleine nicht weiter kümmern sollten. Er wollte schon etwas sagen, aber ich ließ es nicht dazu kommen. „Auf geht´s Sepperl, sollen wir zwei alleine ziehen?“ Er packte dann doch auch den Schlitten an, nicht ohne sich nochmals verstohlen nach der Kleinen umzusehen. „Geh´ nur weiter“ munterte ich ihn auf. „Wenn die was von uns will, dann wird sie sich schon rühren.“ Er schaute mich zweifelnd an. Heinrich hatte keine Miene verzogen. Er kannte mich besser und wusste, dass ich immer meine Hintergedanken hatte. Und richtig, kaum hatten wir den Waldrand erreicht, rief uns das Mädel nach: „He ihr Drei!“ Der Sepperl hätte mir ums Haar den Tiegel auf den Fuß fallen lassen. „Ziag´ o“ knurrte ich zu ihm hinüber. „He ihr Drei, ihr könnt mich doch nicht alleine lassen!“ Jetzt klang echte Angst aus ihrer Stimme. „Halt Heinrich“ sagte ich und drehte mich um. „Das können wir wohl. Du kannst aber auch mitkommen wenn du willst!“ Sie setzte sich in Bewegung und kam erst langsam und dann immer schneller hinter uns her. „So wartet doch auf mich.“ Sie kam wieder näher. „Was habt ihr denn da ausgegraben?“
„Den Weihwasserkessel für die drei Nothelfer,“ gab ich mit gleicher Münze zurück. „Aber jetzt haben wir nicht mehr Zeit zum Plaudern. Das Trumm ist verflixt schwer. Wenn wir an der Höhle sind, dann können wir ratschen.“ So hielt sie also den Mund, während wir mühsam den Tragschlitten zur Höhle zerrten. Dort lehnten wir und gegen den Felsen und verschnauften erst einmal. Dann wandte ich mich zur Bärbel. „Du könntest meine Schlingen kontrollieren, wo sie sind, das weißt du ja.“ Sie schaute verlegen zu Boden. „Sechs hab ich g´funden.“ Ich nickte „Dann suchst weiter, immer im Kreis um die Höhle. Zehn sinds insgesamt.“ Sie murmelte etwas, das ich nicht verstand, machte sich aber gehorsam auf den Weg.
„Wem wird denn die gehören?“ fragte der Heinrich. „Der Wald ist doch kein Platz für so ein Mädel!“ Ich zuckte die Schultern. „Wenn sie will, dann wird sie uns das schon erzählen.“ „Recht gut wird´s ihr wohl nicht gehen, sonst müsste sie sich nicht dein Fleisch holen.“ Ich winkte ab. „Wie ich schon sag, wenn sie soweit ist, dann wird sie es uns schon erzählen. Wir lassen sie jetzt einfach in Ruhe.“ Dann machte ich mich daran, den Siedekessel genauer zu untersuchen. Im Erdreich hatte er natürlich etwas Rost angesetzt. Aber das war nicht der Rede wert. Es war ein massiver, guter Kessel, der noch viele Jahre seine Dienste tun konnte. Das war alleine schon an seinem Gewicht erkennbar. Den Rost würden wir ausklopfen und abschleifen, dann war das Ding so gut wie neu.
„Na Heinrich,“ fragte ich, „war das ein gutes Geschäft?“ Er kopfnackelte heftig. „Freilich,“ sagte er, „wenn wir den erst über dem Weißriegel haben, dann geht´s auf mit der Siederei!“ Damit hatte er meine nächste Sorge angesprochen. Er war da unbekümmert. Im Vertrauen auf seine Bärenkräfte hatte er keine Zweifel, dass der Kessel spätestens Morgen abends an unserem Aschenplatz wäre. Da war ich weit weniger zuversichtlich. Wir hatten uns hierher schon ordentlich plagen müssen. Dabei ging es hier noch kaum bergan.
Heinrich und ich kratzten und hämmerten weiter an dem Tiegel herum, während Sepperl wieder die Aufgaben des Koch´s übernahm. „Ob die Bärbel was in den Schlingen finden wird?“ Fragte er. „Wirst es schon bald wissen,“ rief ich zu ihm hinüber.“ Und da trat sie auch schon aus dem Wald heraus, in der Hand ein Auerhuhn. Sie kam heran. „Mehr war nicht in den Schlingen.“ Sagte sie. „Na, das ist doch schon was.“ Ich lächelte ihr aufmunternd zu. „Bring es dem Sepperl, der zaubert uns was zum Essen.“
„Schade, meinte der Sepperl, ist schon kalt, das wird ekelhaft zum Rupfen!“ Bärbel widersprach ganz energisch. „Des macht nix! Mach einen Topf Wasser heiß, dann brüh´ ich die Henne ab, dann geht´s ganz leicht.“ Der Sepperl freute sich über die unverhoffte Hilfe und gemeinsam machten sich die Beiden über das Huhn her. Nach dem Mahl saßen wir schweigend in der Runde und jeder hing seinen Gedanken nach. Plötzlich hob die Bärbel den Kopf und sagte:
„Ich bin die Millpaur Bärbel. Meine Leut´ waren in Hudlach z´Haus. Mein Vater hat keine Jagdgerechtigkeit gehabt. Wie´s im letzten Jahr so eine schlechte Ernte gegeben hat, ist er im Winter auf die Jagd gegangen. Wir ha´m einfach nix mehr zum Essen gehabt. Dabei haben ihn die Jagsaufseher erwischt und nieder geschossen. Die Mutter und mich haben sie vom Anwesen vertrieben. Im Frühjahr sind wir dann hinüber gegangen nach Eschlkam, wo meine Mutter noch einen Vetter hat. Aber der hat von uns auch nix wissen wollen. Ein Essen hat er uns gegeben und uns dann wieder vom Hof geschickt. Wir sind dann wieder herüber in den Lamer Winkel. Ist im Mai gewesen. Auf der Absetz wollte meine Mutter als Kleinmagd arbeiten. Ist aber nix draus geworden. Hinaus geworfen haben sie uns. Da hat meine Mutter in ihrer Not zwei Laib Brot aus dem Backofen genommen. Die Leute habens aber gemerkt und sind hinter uns hergelaufen. Da sind wir in den Wald. Eine halbe Stunde oberhalb von hier haben wir eine Hütte gefunden. Die haben wir uns dann eingerichtet. Die Mutter hat sich so geschämt, dass sie sich nicht mehr unter die Leute gewagt hat. Der Vogl von Kümmersdorf hat uns im Herbst gefunden. Er hat uns Kartoffeln und Korn gebracht. Etliche Stückl Rauchfleisch waren auch dabei. Ist vielleicht viermal dagewesen. Dann ist er auch ausgeblieben. Wie der Winter z´End gewesen ist, ist die Mutter krank geworden. Ich hab ihr nicht helfen können. Noch bevor´s Sommer war ist sie gestorben. Ich hab sie oberhalb unserer Hütt´n begraben. Ist schon ein mühsames Hausen gewesen. Schlingen hab ich auch ausgelegt. Hab halt nicht gewusst wie man richtige Darmschlingen macht. Ist deshalb auch nur selten was hinein gegangen.“ Sie schnupfte auf und sah uns in der Runde alle an: „Jetzt wisst ihr, was ich für eine bin.“
Wir hatten ihr gebannt zugehört. Dabei hatte ich mir so meine Gedanken gemacht. Ihre Mutter mochte wohl so um die fünfunddreissig oder vierzig Jahre alt gewesen sein. Da werden die „milden Gaben“ des Vogl wohl auch nicht so ganz umsonst gewesen sein. Bärbels Mutter war im Grunde natürlich eine rechtschaffene Frau. Um so mehr hatte sie sich geschämt, dass sie so tief abgerutscht war. Dabei musste man sehen, dass sie eigentlich gar nichts dazu konnte. Jedenfalls meinte Bärbel nun
Wohl, dass sie gewissermaßen auch zum „Abschaum“ gehörte. Das wollte ich ihr schleunigst ausreden.
„Na Bärbel,“ hub ich an, „was bist du denn dann für eine?“ Sie starrte auf den Boden. Ihre Schultern zuckten. Schließlich gab sie sich einen Ruck. Sie schaute hoch und mir direkt ins Gesicht. „Ein schlechtes Mensch bin ich. Jetzt wisst ihr´s ganz genau!“ Das Schluchzen stieß sie geradezu, als sie wieder zusammensank. Ich ging zu ihr hinüber und fasste sie um die Schultern. „Wein dich ruhig aus, Bärbel. Wenn´st dich wieder gefangen hast, dann muss ich dir ´was erklären.“ Der Heinrich brummte vor sich hin. Der Sepperl aber sprang auf: „So ein Schmarr´n . Warum soll die Bärbel denn ein schlechtes Mensch sein?“ Ich beruhigte ihn. „Gib Ruh Sepperl, wir reden schon noch drüber.“ Die Bärbel beruhigte sich in meinem Arm allmählich. „Jetzt geh´n wir zum Bach hinunter, dort wäschst du dir das Gesicht aus, dann erzähl ich dir, was wir für welche sind.“ Sie ließ sich von mir zum Bach führen. Zurück an der Höhle hatte sie sich wieder beruhigt und ich fing an von unserer Familie zu erzählen. Wenn man so will, dann waren auch wir ganz schön `heruntergekommen´. Als ich ihr erzählte was wir nun vor hatten meinte sie: „Da habt ihr Mannsbilder es gut. Aber was soll ein junges Mädel tun? Unsereiner wird doch nur ausgenutzt.“
„Warts nur ab,“ sagte ich zu ihr, wir werden auch für dich noch etwas finden. Da muss ich aber erst mit meinen Brüdern drüber reden.“ Ich forderte die Zwei auf mit mir ein Stück zu Wald hinüber zu gehen. „Was haltet ihr davon, wenn wir die Kleine mitnehmen?“ So fragte ich die zwei direkt. „Wenn sich einer von uns immer um´s Essen und die Behausung kümmern muss, fällt ein Haufen Arbeit weg, die wir sonst erledigen könnten. Wenn sich die Bärbel um´s Essen und das Hauswesen kümmert, bleibt uns mehr Zeit zum Aschenbrennen und Sieden.“ Der Sepperl war gleich ganz begeistert. Er hatte schon befürchtet, dass der Hauptanteil der `Hausarbeit´ an ihm hängen bleiben würde. Auch der Heinrich nickte bedächtig mit dem Kopf. „Dann müssen wir sie aber auch am Verdienst beteiligen,“ erklärte er. Ich stimmte ihm zu. „Sie soll sich ein schönes Stück Geld verdienen können. Dann kann sie später auf eigenen Füßen stehen.“ Da meldete sich der Sepperl wieder zu Wort: „Da haben wir jetzt eben noch eine Schwester!“ Ich musste lachen. „Das ist es Sepperl, wir kriegen jetzt noch eine Schwester. Das heisst, wenn sie überhaupt will!“ Der Sepperl verzog das Gesicht. „Die wird doch nicht so dumm sein und nein sagen!“ „Das werden wir gleich sehen. Ihr seid also beide auch einverstanden?“ Sie nickten. „Na, dann fragen wir sie doch einfach!“ Wir gingen wieder hinüber zur Höhle, wo uns Bärbel ängstlich entgegen schaute. Nun erklärte ich ihr, was wir uns ausgedacht hatten. „Weißt du Bärbel, wir haben derzeit nicht viel Geld. Aber wir werden es uns verdienen. Den Verdienst wollen ir uns teilen. Dabei wirst du dann gewissermaßen Teilhaberin. Ich rechne damit dass wir im nächsten Jahr 60 Zentner Pottasche herstellen können. Das wären etwa 700 Gulden, die wir dann unter uns aufteilen. Damit könntest du schon etwas anfangen und bist nicht mehr auf die Gnade von irgendwelchen Leuten angewiesen. Wie alt bist du eigentlich?“ Sie überlegte. „Ich bin jetzt siebzehn,“ meinte sie „aber wenn ich mit Burschen wie euch zusammen hausen tu, was werden denn die Leute dazu sagen?“ „Was sagen denn die Leut, wenn du im Wald hausen tust?“ gab ich zu bedenken. „Außerdem sieht dich im Wald bei uns ebenso wenig jemand wie hier. Wenn wir im Winter wieder in die Sommerau gehen, dann kriegst du dein eigenes Häusl. Neben dem unseren steht nämlich noch ein Inhäusl leer. Das kannst du ohne weiteres bewohnen. Und wehe es täte einer sein Maul aufreißen, wenn wir da was merken würden, der würde das mit Sicherheit nicht ein zweites mal tun.“ Ich wies auf meine Brüder. „Wir sind uns einig, dass uns eine Schwester mehr nicht schaden würd´. Überleg es dir bis morgen. Einverstanden?“ Sie nickte und ihre Augen schimmerten verdächtig. Als ich den Sepperl bat, er solle ihr eine Bettstatt im hinteren Teil der Höhle herrichten, sagte sie zornig, dass sie das ganz gut auch alleine tun könnte und dass wir sie nicht wie ein kleines Kind behandeln sollten. Mir war das nur recht. Denn wenn sie wirklich bei uns blieb, dann würde sie auch lernen müssen, sich durch zu setzen. Ja ja, ich hatte von Frauen damals wirklich noch keine Ahnung.
Wir saßen am Abend dann doch noch recht fröhlich um das Feuer zusammen und ihr helles Gelächter passte recht gut zu unseren rauhen Stimmen.
Am anderen Morgen sagte sie, dass sie wirklich bei uns bleiben wolle. Sie verbat sich aber jede Bevorzugung , nur weil sie nicht so ein `dummes Mannbild´ wäre. Ja, so sagte sie wörtlich!
 

Mumpf Lunse

Mitglied
Hallo Theo,

eine schöne Geschichte. Gut zu lesen. Es ist dir gelungen mich "bei der Stange" zu halten.
Der historische Kontext und die angedeuteten Bezüge zu den Verhältnissen in denen deine Figuren leben, regen die Fantasie an (zumindest meine) die Geschichte weiter zu denken.
Mir ist ein fehlendes "w" bei einem (w)ir aufgefallen. Möglicherweise sind noch mehr technische Änderungen sinnvoll. Dafür fehlt mir aber der "schnelle Blick". Ich beschränke mich deshalb auf:
Willkommen auf der Leselupe.

Gruß
Mumpf
 



 
Oben Unten